§ 6. Josua b. Parachja und Nithai aus Arbela erhielten von ihnen die Tradition
Posted 6 yrs ago
§ 6. Josua b. Parachja und Nithai aus Arbela erhielten von ihnen die Tradition. Josua b. Parachja sagt: Schaffe dir einen Lehrer1 an und erwirb dir einen Genossen2 und beurteile einen jeden nach der besseren Seite3.
- d. h. selbst wenn er nicht verdient, dein Lehrer zu sein, mache ihn doch zum Lehrer, bis du an ihm merkst, dass er lehren kann und dadurch wird er imstande sein, Weisheit dir beizubringen; denn es ist derjenige, der aus sich selbst lernt (der ein Autodidakt ist), nicht zu vergleichen mit einem solchen, der von andern lernt. Das Selbststudium ist zwar gut, aber was man von andern lernt, behält man besser, auch ist es klarer (da man den Gegenstand besser durchspricht), selbst wenn er dem Lehrer gleich ist an Weisheit oder dieser sogar noch unter ihm steht und so erklärte man es bei der Erläuterung dieses Gebotes.
- Hier heisst es: „Erwirb dir", nicht "mache dir", das ist ein edlerer Ausdruck, wie z. B. "schliesse dich andern an", weil damit gesagt werden soll, es muss der Mensch sich einen Freund erwerben, durch den seine Taten und seine Angelegenheiten geregelt werden, wie sie (die Weisen) sagten: "Entweder gesellschaftlich oder Tod", und wenn man keinen Genossen findet, soll man mit ganzem Herzen sich darum bemühen, selbst wenn man ihn zur Liebe zwingen müsste, bis er ein Freund wird und man darf nicht ablassen, ihn stets zu umwerben, bis die Liebe erstarkt ist, wie die Moralisten sagen: Wenn du liebst, sollst du den Freund nicht nach deiner Art, sondern nach der Art des Geliebten lieben, und wenn jeder der beiden Freunde sich dessen befleissigt, so wird Jeder suchen, dem Willen des andern nachzukommen und beide werden ohne Zweifel ein Herz und ein Sinn sein. Wie schön ist der Ausspruch des Aristoteles in dieser Beziehung: Der Liebende ist nur einer, aber drei Arten gibt es, weshalb man liebt. Man liebt entweder jemanden des Nutzens wegen, oder der Ruhe wegen, oder der Tugend wegen. Wer eines Nutzens wegen liebt, dafür wäre als Beispiel anzuführen die Liebe von zwei Geschäftsgenossen, oder die Liebe zum Könige und zu seinem Lager. Die Liebe wegen Ruhe ist zweifacher Art, entweder liebt man den Genuss oder das Vertrauen. Den Genuss sucht man z. B. bei der Liebe zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht u. dgl., bei der Liebe zum Vertrauen will man jemand haben, auf den man sich verlassen kann, vor dem man sich nicht in acht zu nehmen braucht in Wort und Tat, dem man alle seine Angelegenheiten kund tun kann, sowohl das Gute als auch das Schlechte, ohne fürchten zu müssen, dass man dadurch einen Schaden haben könnte, weder bei ihm selbst noch bei einem andern ausser ihm; denn wenn der Mensch Vertrauen fasst zu einem solchen Manne, wird er grosse Ruhe finden durch seine Worte und seine grosse Liebe. Wer der Tugend wegen jemand liebt, damit ist gemeint, dass beide übereinstimmend für einen Gegenstand sich begeistern, nämlich für das sittlich Gute, und jeder von beiden will den andern in der Erreichung des Guten unterstützen; das ist der Freund, den man zu erwerben empfiehlt, was Ähnlichkeit hat mit der Liebe des Lehrers zum Schüler und der Liebe des Schülers zum Lehrer.
- Es bedeutet: Wenn du nicht weisst, ob jemand fromm oder frevelhaft ist, du nimmst wahr, dass er etwas tut oder spricht, was du verschieden auslegen kannst, zum Guten oder zum Schlechten, so nimm das Gute an und denke nicht schlecht von ihm. Ist jemand aber als fromm bekannt und weiss man, dass er Gutes tut und es wird an ihm bemerkt, dass er etwas getan hat, was als schlecht angesehen werden muss, man kann es auch nur mit der grössten Not als gut beurteilen oder es ist vielleicht ganz ausgeschlossen, dass es so sein sollte, so sollst du es doch für gut halten, da es doch möglich ist, dass es gut sein könnte und darfst du den Mann nicht verdächtigen. Deshalb heisst es auch (Sabbath 97a): „Wer Unschuldige verdächtigt, der wird an seinem Körper bestraft." Ebenso soll man sich von einem Frevler, dessen Handlungen als schlecht bekannt sind, wenn wir auch etwas Gutes an ihm wahrnehmen, fernhalten, weil es doch eine entfernte Möglichkeit gibt, dass die Tat eine schlechte gewesen ist, so sollst du nicht glauben, dass sie gut zu nennen war, da doch die Möglichkeit vorhanden war, dass sie schlecht gewesen sein könnte, wie es (Spr. Sal. 26, 25) heisst: „Ob auch seine Stimme mild, traue ihm nicht" usw. Und wenn es nicht bekannt und die Tat nach keiner von beiden Seiten (weder nach der guten noch nach der schlechten Seite) entschieden ist, musst du gemäss der frommen Weise den Betreffenden nach der unschuldigen Seite beurteilen, welcher von zwei Endpunkten (Prinzipien) es immer sein mag (ob gut oder schlecht).