Chanina ben Dosa

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Chanina ben Dosa. Gesetzesleh­rer, Tana, des i. Jahrh., ein Zeitgenosse des R. Jochanan ben Sakai, der wegen seiner Frömmigkeit in hohem Ansehen stand und von den Leuten als Wunder­täter verehrt und aufgesucht wurde. Halachische Entscheidungen sind von ihm gar keine und agadische Aussprü­che nur wenige bekannt. Er war mehr ein »Mann der Tat«, suchte durch seine frommen Werke auf das Volk zu wir­ken, so dass es nach seinem Tode allge­mein hieß: »Mit dem Tode des R. Cha­nina ben Dosa hörten die Männer der Tat auf.« Halten wir die Benennung »Männer der Tat« als Bezeichnung ei­ner Richtung der chassidäischen Partei unter den Juden damaliger Zeit, etwa der Praktiker, so erkennen wir in Cha­nina b. D. das Haupt derselben, was auch ganz mit dem, was von ihm er­zählt wird, übereinzustimmen scheint. Seine agadischen Lehren waren: »Bei jedem, wo die Gottesfurcht (Furcht vor der Sünde) der Weisheit vorausgeht, wird die Weisheit von Bestand sein, aber wo die Weisheit der Gottesfurcht vorausgeht, kann die Weisheit auf kei­nen Bestand rechnen.« Ferner: »Über­all, wo die Taten mehr sind als die Weisheit, besteht die Weisheit, aber wo die Weisheit mehr ist als die Taten, bleibt die Weisheit nicht«; »An jedem, an dem der Geist der Menschen ein Wohlgefallen findet, hat auch der Geist Gottes eine Freude; aber dem der Men­schengeist nicht wohl gefällt, nach dem verlangt auch Gott nicht.« Schon in diesen Lehren ist die ganze Anschau­ungsweise chassidäisch (s. Chassidim). Die Weisheit, geführt von der Gottes­furcht und den Tugendwerken, das Wohlgefallen der Menschen als Zei­chen des göttlichen Wohlgefallens, beides bildet so sehr die Grundlage der Lebensweise der chassidäischen Partei, dass wir ohne Beziehung desselben auf sie unseren Lehrer gar nicht verstehen und ihn als Sonderling darstellen wür­den. Hierzu kommen die ihm beige­legten vielen Wunderwerke, der Zu­drang der Menschen, die von ihm schnelle und plötzliche Hilfe erwarten, dies alles beweist, dass er nicht den ge­wöhnlichen Gesetzeslehrern angehört, sondern der Zahl der Chassidäer unter ihnen zugerechnet werden muss, die nicht dem Studium, sondern der Tat, nicht Gott allein, sondern auch den Menschen zu dienen bereit sind. Cha­nina b. D. lebte in tiefer Armut und begnügte sich mit dem Geringsten. »Die ganze Welt wird wegen meines Sohnes Chanina gespeist und mein Sohn Chanina begnügt sich mit einem Maaß von Feigen!« war das Urteil über ihn. In dieser Armut bemühte er sich den äußeren Schein der Wohlanstän­digkeit zu bewahren. Es war Brauch, dass die nach Jerusalem zur Festzeit Wallfahrenden für den Tempel ein Ge­schenk mitbrachten. R. Chanina besaß nichts, aber er blieb auch darin nicht zurück. Er nahm einen Stein, glättete ihn auf allen Seiten und brachte ihn nach Jerusalem. Seine Frau ließ jeden Freitag den Backofen heizen, als wenn sie nach Sitte auf den Shabbath Ver­schiedenes zu backen hätte. Die Nach­barn, die ihre Armut kannten, kamen eines Tages neugierig heran. Da ge­schah das Wunderbare, der Ofen war übervoll von Broten. Auf ebenso eh­renhafte Weise wurde für seinen Unter­halt gesorgt; es wurden ihm von unbe­kannter Hand Geschenke zugesandt. Das Volk verehrte ihn als Heiligen, das ihn oft um Gebete für Kranke und Re­gen aufsuchte. Man hielt dieselben so hoch, dass das Gebet des Hohenpries­ters gegen sie wertlos erschien. Allge­mein hieß es: »Wegen R. Chanina b. D. hat man im Himmel Nachsicht gegen sein Zeitalter.« Die ihm zugeschrie­benen Wunder waren sprichwörtlich und wurden geglaubt. Er betrachtete dieselben nur als Mittel zur Anknüp­fung seiner Lehren. Eines Tages klag­ten seine Schüler, dass eine Schlange sie auf dem Wege nach dem Lehrhause an dem Besuch desselben behindere. R. Chanina ließ sich dieselbe zeigen und tötete sie durch eine Fußtritt. Er erhob mahnend seine Stimme: »Gehet, nicht die Schlange tötet, sondern die Sünde, wehe der Schlange, der R. Chanina b. D. begegnet! «