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Familie - Talmud

Posted 6 yrs ago

Familie.

I. Name, Bedeutung, Kreis und Umfang. Die biblische hebräische Be­nennung für Familie, mischpacha, be­zeichnet nach ihrem Stamme, חפש = חפס »aufnehmen, anschließen«, alle einem Hausstande sich angeschlossene und von demselben aufgenommenen Glieder, also sämtliche Angehörigen desselben, auch die Dienenden. Es ist dies die Familie in dem weitesten Sinne ihres Begriffes. So führt die Magd den Namen »Schifcha«, »die in die Familie Aufgenommene«, und der Knecht Ab­rahams hieß: »Ältester seines Hauses«. Diese Benennung hat also nicht bloß die Blutsverwandtschaft als das natür­liche Band, noch das gemeinsame Dienstverhältnis allein, sondern auch das Sittliche, die freie Selbstbestim­mung, die den Begriff von Anschließen und Aufnehmen involviert, zu ihrer Unterlage. Wir erblicken darin den Un­terschied zwischen der biblischen und der klassisch heidnischen Auffassung »von Familie«. Der lateinische Name »Familia« drückt ebenfalls nicht bloß die Angehörigen der Blutsverwandt­schaft eines Hauses aus, sondern auch die Hausdiener, aber er hat nicht das Sittliche, sondern, wie der Name »Fa­mulus«, Hausdiener, andeutet, das Dienstverhältnis, die Unterwürfigkeit, zu seinem Grunde. Die römische Fami­lie kennt keine freie Selbstbestim­mung, ihr fehlt das ethische Moment. »Zwang« ist die Grundlage des Ver­hältnisses des Weibes zum Manne, des Kindes zum Vater, des Sklaven zu sei­nem Herren usw. Nicht so bei den Isra­eliten. Diese auf natürlicher und sitt­lichfreier Bestimmung beruhende Vereinigung hat zu ihren Gliedern: die Eltern, die Kinder, die Geschwister usw., auch Enkel und Urenkel, Knechte und Mägde. Das ist der Begriff und die Bedeutung dieses Namens in seinem weiteren Sinne, von dem wir die in der engeren Fassung zu unterscheiden ha­ben. Nach dieser versteht man unter Familie nur die Blutverwandten eines Hauses: die Eltern, die Kinder, die En­kel, die Geschwister, die Oheime, die Tanten usw. In Bezug auf dieselben spricht das Gesetz von Familieneigen­tum, Familienbesitz, Familienlösung des verkauften Besitzes; Rückkehr des verkauften Eigentums am Jubeljahre zur Familie; Verwandtschaftsgraden, die bei der Eingehung in eine Ehe zu beachten sind; Familiengliedern zur Beobachtung der Keuschheitsgesetze gegen sie, sowie in Bezug auf gegensei­tigen Beistand bei Verarmung usw.

II. Prinzip, Einfluss und Würdigung. Die Familie, wie sie sich bei den Juden bis in die Gegenwart hinein durch in­niges Zusammenleben des Mannes und Weibes, der aufopfernden gegensei­tigen Hingebung der Eltern und Kin­der, die Aufhülfe und Versorgung der verarmten Verwandten u. a. m. aus­zeichnete, verdient die Aufmerksam­keit des Kulturhistorikers sowie des Forschers überhaupt. Wodurch hat sie sich so segensreich aufgebaut? Was hat sie zu dieser wahrhaft sittlichen Be­deutsamkeit erhoben? Die Gottesidee der Bibel mit ihrer Mahnung zur Got­tähnlichkeit nach ihrem dreifachen Be­griffe: der Heiligkeit, Freiheit und Liebe, dieses Prinzip des mosaischen Gesetzes, der mosaischen Institutionen, war der Boden, auf dem die Familie im Judentum so herrlich emporgewachsen und solch schöne Blüten getrieben. Charakteristisch ist die Aufstellung der Elternliebe zu den Kindern als Bild der Gottesliebe gegen Israel: »Der Ewige hat dich getragen wie ein Vater seinen Sohn trägt«; »wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Ewige seiner Verehrer.« Daher die zar­tinnige Zeichnung der Kinder als Segen des Haus- und Familienlebens: »Siehe ein Erbe des Ewigen die Kinder!« »Deine Frau ist wie ein fruchtreicher Weinstock an den Wänden deines Hauses, wie Ölbäume gepflanzt um deinen Tisch.« Auf der Pietät gegen El­tern baut sich das Wohl der Familie und aus dieser das der Gesellschaft und des Staates auf. So lautet das Gesetz: »Es ehrfürchte jeder seine Mutter und seinen Vater, beobachte meine Sabbate, ich der Ewige! « Den Grund davon ge­ben die Sprüche Salomos an: »Wer sei­nem Vater oder seiner Mutter flucht, dessen Leuchte erlischt in dunkler Nacht«; »Das Auge, das des Vaters spottet und den Gehorsam gegen die Mutter schmäht, hacken die Raben des Tales aus, fressen die Jungen des Ad­lers.« Das Liebesband, welches Mann und Weib zum freudigen Zusammenle­ben umschlingt, gilt dem Propheten als Bild der Verbindung Gottes mit den Menschen im Allgemeinen und mit Is­rael besonders. »Wahrlich, einen Vater haben wir alle, ein Gott hat uns ge­schaffen, warum sollen wir treulos sein einer gegen den anderen und entwei­hen den Bund unseres Gottes!« In Be­zug auf Israel: »Denn wie eine Frau verlassen und gebeugten Gemütes, hat dich Gott genannt, und wer verschmäht die Frau seiner Jugend! « »Vergisst eine Frau sich ihres Säuglings zu erbarmen, sollte auch diese dessen vergessen, ich vergesse nicht dein!« »Der Ewige«, mahnt der Prophet Maleachi 2. 14, »ist Zeuge zwischen dir und der Frau dei­ner Jugend, gegen die du treulos ge­handelt, und sie ist deine Genossin! So nehmet euch in Acht und werdet der Frau eurer Jugend nicht treulos.« Aus der nachbiblischen Zeit heben wir dar­über die Bestimmungen des Talmuds hervor, nach denen der Ehebruch auch mit der Einwilligung des Mannes ver­boten und strafbar ist. Der Mann muss sich, wenn der Ehebruch tatsächlich vorkam, von seiner Frau scheiden las­sen, auch wenn er ihr verzeihen wollte. Der Ehebrecher oder der des Ehebru­ches Verdächtige darf nicht die geschie­dene Frau heiraten. Die Verheiratung eines jungen Mädchens an einen Greis sowie entgegengesetzt wird unter dem Hinweis auf 3. M. 19. 29. »Entweihe nicht deine Tochter, sie der Unzucht hinzugeben«, verpönt. »Der Mensch ohne Frau, heißt es an einer anderen Stelle, ist ohne Religion, ohne Schutz­mauer gegen die Sünde.

III. Stellung, Rechte, und Pflichten. In der Gliederung der mosaischen Staatsgemeinde nahm die Familie den dritten Rang ein und bildete die Mitte zwischen dem Stamme und den Vater­häusern oder zwischen den Vaterhäu­sern und den Geschlechtern. Die Fami­lie fand schon im klassischen Altertum ihre volle Würdigung, sie wurde für die Basis des Staates betrachtet und zog früh die Aufmerksamkeit des Gesetzge­bers auf sich, aber trotzdem war ihre Stellung in demselben keine selbststän­dige. Das Individuum hatte keine Be­rechtigung zur freien Selbstständigkeit, alle waren nur um des Staates willen da, gingen in ihm auf und wurden ihm gegenüber als willenlose Werkzeuge der lycurgischen Gesetzgebung in Sparta, die auf die Auflösung und Ver­nichtung des Familienbandes drangen, Kinder und Eltern, Mann und Frau als Staatsgut erklärten, die keine Berechti­gung zur selbstständigen Existenz ha­ben. Etwas milder waren die Gesetze in Athen und Rom, aber auch da hatten die Frauen und Kinder keine selbst­ständige Stellung, keinen Anspruch auf ein Recht gegenüber dem Vater und dem Mann. Anders im Judentume. Die Familie erhielt im Staate eine freie selbstständige Stellung, die ihr von kei­ner Seite angegriffen werden konnte. Sie war nicht wegen des Staates da und ging nicht in dem Staat auf; sie lebte und entwickelte sich auch noch später, nachdem der jüdische Staat zusammen­gebrochen und seine Institutionen auf­gelöst waren. Die Gottesidee nach ih­rer Seite der Freiheit und Heiligkeit war der Staat, dem die Familie ange­hörte, von dem sie Schutz und Rettung in den Jahrhunderten der Verfolgung erhalten hatte. Wenn der Jude draußen von allem zurückgedrängt wurde, kei­nen Anspruch auf Würde und Stellung im Staate hatte, mancher Verhöhnung ausgesetzt war, und er gebeugt sein Haus aufsuchte; der häusliche Herd war für ihn ein Paradies, die Familie ersetzte ihm reichlich alles das, was ihm die Welt draußen entzogen und vernichtet hatte. Aus seinem Hause gingen hervor die gelehrtesten und wei­sesten Männer, deren Namen die Kul­turgeschichte des Mittelalters ruhmvoll verzeichnet hat. Die Familienliebe war es, dass Israel nicht verkümmert zu­sammenbrach, als man ihm das Le­benslicht draußen zu erlöschen drohte; sie war es, welche ein ganzes Volk ohne Land und Staat erhielt, bildete und als Verkünder der reinen Gottesidee aus sich heraussandte. Es war die Herr­schaft des sittlichen Prinzips, die hier zur Geltung gekommen und diese Wundergestalten aus sich hervorgehen ließ. Es ist keine geringe Würdigung der Familie, wenn der Name »Familie« in der Bibel auf den ganzen Stamm, ja auf das ganze Volk übertragen wird. Die Familie hatte die Prävalenz, war das Prävalierende im jüdischen Staate; dieser war wegen der Familie da, zu ih­rem Schutze und zu ihrer Erhaltung. Die Gesetze enthielten die Bestimmun­gen zur Erhaltung der Familienabstam­mung, der Stammeseinteilung, des Fa­milienbesitzes u. a. m. Eigene Beamte, Schoterim, waren mit der Führung der Geschlechtsregister betraut, deren Rol­len noch im zweiten jüdischen Staatsle­ben existierten und von der Geschichte als Volksleben während seiner ganzen Dauer üblich und bildete seine schöns­ten und freudigsten Tage.