Fötus - Frucht im Mutterleibe - Leibesfrucht - Talmud

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I. Name und Bedeutung. Die vielen hierher gehörenden Namen in Bibel und Talmud sind mit Ausnahme des ei­nen genannten: Peri baten, Leibes­frucht, keine generelle Benennung der weiblichen Frucht überhaupt, sondern beziehen sich auf die verschiedenen Entwicklungsstadien derselben, denen sie entnommen sind, oder die sie be­zeichnen. Der Erste ist der Biblische: golam, Zusammengerolltes, Gestaltlo­ses, eine Bezeichnung der Frucht in ih­ rem ersten Bildungsstadium. Diesem entsprechend ist der Name im Talmud: schapir, Haut, die den Typus der Frucht einhüllt. Der Typus der sich bildenden Frucht selbst heißt: »Gewebe«, beide zusammen, die Haut mit dem Gewebe, das in sie eingehüllt wird: »schapir me­rukam«, Hautgewebe, gewebte Pla­zenta, mit der sie näher bestimmenden Angabe, wo Nase, Augen und Ohren durch Punkte, Mund und Arme durch Linien kennbar sind. Eine dritte Benen­nung ist: ubar, Fötus, mit dem Zusatze: ubar schebme em, Fötus des Mutterlei­bes, die mit einer vierten, welad, Kind, oft abwechselt und auf das reife Ent­wicklungsstadium des Fötus, wo die Glieder schon ausgebildet sind, hin­weist. Die Vierte endlich bezeichnet un­streitig die Vollreife des Fötus, die der Geburtszeit, und heißt: Ben schekolulo chadoschov, »ein Junges, dessen Mo­nate vollzählig geworden, oder: Ben schel kajama, lebensfähiges Kind.«

II. Zeit und Dauer. Die Zeit der Frucht von ihren ersten Anfängen bis zu ihrer Geburtsreife wurde bei den Rö­mern und Griechen auf 10 Monate an­gegeben. Von den Lehrern im Talmud werden im Allgemeinen dafür 9 Monate angenommen. Erst ein Lehrer des 3. Jahrh. n., Samuel, der auch Arzt war, be­stimmt diese Zeit von der Konzeption ab auf 2.71 bis 2.73 Tage. Von diesen sind die Geburten lebensfähig im Laufe des siebenten und am Ende des neunten Mo­nats, aber nicht lebensfähig werden die im achten Monate gehalten. Doch wird auch von einer Schwangerzeit von vollen zwölf Monaten gesprochen. Nicht uner­wähnt lassen wir hier den Bericht von einer Disputation des Lehrers R. Abbahu (im 3. Jahrh. n.) mit einem Min (Sektie­rer, wohl Judenchrist, jedenfalls Grieche) über die Lebensfähigkeit des Fötus, wo er von diesem nach dem Beweis der An­nahme, dass eine Geburt zu sieben Mo­naten lebensfähig sei, aber im achten Monate nicht dafür gehalten werde, ge­fragt wurde und zur Antwort gab: »Aus eurer Sprache (der griechischen) bringe ich ihn: zeta, lebendig, ist sieben und eta, Vernichtung, ist acht!« Spätere Agadis­ten erklären in Bezug da-rauf den Schrift­vers Hiob 38. 1o. »Da ich bestimmte Gesetze einschnitt«, das sind die ersten drei Monate des Fötus; »Ich mache Rie­gel und Türen fest«, das bezieht sich auf die mittleren drei Monate desselben, und: »Und ich sprach: bis hierher komme und nicht weiter«, das sind die letzten drei Monate.

III. Lage und Gestalt. Die Beschrei­bung derselben wird je nach Alter und der Entwicklungsstufe des Fötus ange­geben. In dem ersten Stadium der Fruchtbildung ist eine Haut mit einem Gewebe, das den Namen Embryo (siehe weiter) hat. Wir sehen ihn in ei­ner heuschreckenförmigen Gestalt, die zwei Augen sind wie zwei Fliegen­punkte in gleicher Entfernung von ein­ander, die Nase, d. h. die beiden Nasen­löcher, wie zwei nebeneinander liegende Fliegenpunkte, ebenso die zwei Ohren; der Mund ist ein haarschmaler Strei­ fen, ein feiner Strich; ebenso die zwei Arme wie zwei seidene Fäden, der an­dere Körper ist wie eine Linse; die Ge­nitalien sind kaum merkbar, bei dem weiblichen Geschlecht wie ein Gersten­korn der Länge nach, aber die Finger-und Zehenbildung der Hände und Füße haben noch gar keine Zeichen. In einem späteren Stadium sind die Geni­talien, die Finger- und Zehenbildung an Händen und Füßen deutlich zu er­kennen, und man kann schon das Ge­schlecht untersuchen. Die Geschlechts­unterscheidung kann schon durch Sondierung mittels einer hölzernen Sonde ermittelt werden. Eine reifere Entwicklung hat Haare und Nägel. Durch solche Zeichen gelang es dem Lehrer Samuel (im 3. Jahrh. n.), das Alter einer Plazenta auf 41 Tage zu be­stimmen. Klassisch ist die Zeichnung der späteren schon entwickelten Ge­stalt und Lage des Fötus. »Das Kind im Mutterleibe gleicht einem zusammen­gerollten Buche, seine Hände liegen an seinen zwei Schläfen, seine zwei Ach­seln auf seinen zwei Knien; seine zwei Fersen auf seinen Hinterbacken; sein Kopf liegt zwischen den zwei Knien; sein Mund ist geschlossen und sein Na­bel offen. Er isst von dem, was seine Mutter isst, trinkt von dem, was seine Mutter trinkt, aber hat keine Auslee­rung, da dieselbe seine Mutter töten würde. Doch sobald das Kind in die Welt tritt, öffnet sich das Geschlosse (der Mund) und schließt sich das Of­fene (der Nabel), denn sonst würde das Kind nicht leben können.« Der Mut­terleib als Wohnstätte des Fötus wird mit einem Hause mit Türen, Türan­geln, Öffnungen usw. verglichen. So spricht die Bibel bildlich von Türen des Mutterleibes: »Denn er verschloss nicht die Türen meines Leibes« Hiob 3. 9; von Türangeln: »Und es umkehr­ten sich in ihr die Türangeln (bildlich für Wehen) 1. S. 4. 19; von Öffnungen: »und der Ewige öffnete ihren Mutter­leib.« 1. M. 30. 22. (vergleiche Midrasch Rabba 3. M. Absch. 14.) Als Bild der Beweglichkeit des Kindes im Mutterleibe wird auf eine auf dem Wasser schwimmende Nuss hingewie­sen, die bei jeder Berührung mit der Hand dahin und dorthin sich bewegt und senkt. Im Allgemeinen heißt es von der Lage des Fötus: »Die ersten drei Monate ist der Fötus unten, die zwei­ten drei Monate in der Mitte und die letzten drei Monate oben; aber vor der Geburt stürzt er sich um und wird ge­boren. Daher rühren die Geburtswehen der Frau her. «

IV. Leben und geistige Beschaffen­heit. Die Lehrer im Talmud nahmen die platonische Vorstellung von der Präe­xistenz der Seele an. Im Judentume tref­fen wir dieselbe schon im Buch der Weisheit, bei Philo und den Essenern. Ob diese Seele sich schon im Mutter­leibe mit dem Fötus verbinde war eine Frage, die erst im z. Jahrh. zur Erörte­rung kam. Antonius fragte den Patriar­chen R. Juda I., wann er sich die Ver­bindung der Seele mit dem Fötus denke, ob dieselbe schon im Mutterleibe oder erst nach der Geburt geschehe. Als die­ser ihm antwortete, dass die Seele in den Fötus erst bei dessen Geburt trete, überführte ihn Antonius, dass der Fö­tus schon im Mutterleibe lebe. R. Juda nahm die Belehrung seines Freundes an und bekannte sich öffentlich zu dersel­ben. Auch zu den später im Leben sich entwickelnden geistigen Anlagen und Fähigkeiten des Menschen soll der Keim schon vor der Geburt in ihn ge­legt sein. R. Simlai, ein Lehrer im 3. Jahrh. n. hat darüber folgendes, agadi­sches Bild. »Das Kind im Mutterleib hat ein helles Licht auf seinem Kopfe, mittelst dessen es von einem Ende der Welt zum andern schauen kann, denn also heißt es: Als seine Leuchte über meinem Haupte strahlten, dass ich im Finstern in seinem Lichte wandelte. « So wird ihm die ganze Thora gelehrt, nach den Worten: »Er belehrte mich und sprach: präge dir meine Worte ins Herz, beobachte meine Gebote und lebe«; »Da dies Geheimnis Gottes auf mir in meinem Zelte gewesen.« Aber so der Mensch in die Welt tritt, vergisst er alles nach einem Schlag, den er von einem Engel erhält, denn also heißt es: »Vor der Tür lauert die Sünde auf ihn.« Da hört er die Mahnung: »Werde ein Gerechter, aber kein Frevler, halte dich stets unvollkommen und nie fehlerfrei. Wisse, Gott ist rein, seine Diener sind rein, auch die Seele, die du erhieltst, ist rein, bewahre sei in ihrer Reinheit, sonst wird sie dir genommen!« Die Agada hat in ihren Sagen diese bildli­che Darstellung von den angeborenen geistigen Fähigkeiten vielfach benutzt und weiter ausgedeutet. Esau soll schon im Mutterleibe beim Vorbeigehen der Mutter vor den Götzentempeln gezuckt haben, Jakob dagegen, wenn sie vor die Synagogen und Lehrhäuser kam. Um mit Nachdruck zu sprechen, machen schon die Lehrer des 2. Jahrh. von sol­cher Sage Gebrauch. R. Elasar ben Pe­dath lehrte: »Dem Schmeichler fluchen auch die Kinder im Mutterleibe.« So lässt R. Simon ben Jochai den David schon im Mutterleibe Psalmen dichten, und R. Mair gibt an, dass in den Ge­sang der Israeliten nach dem Durch­gang durch das rote Meer auch die Kin­der im Mutterleibe mit eingestimmt haben. Dass solche Äußerungen nur als Sagen angesehen wurden, um die man sich weiter nicht kümmerte, beweisen die Lehren der Halacha, die Schenkun­gen für den Fötus jede Rechtsgültigkeit absprechen, sie erhalten nach ihnen erst Rechtskraft, wenn ausdrücklich be­merkt wird, dass sie erst nach der Ge­burt des Kindes hierzu bestimmt sind. Auch das Erb-recht kennt nur wirklich geborene Kinder, aber keine Fötus im Mutterleibe.

V. Bildung, Reihenfolge, Entwick­lung. Die Bibel hat darüber erst in ih­rem dritten Teile, in den Hagiographen, Kethubim, einige Notizen. In Psalm 139, 15. heißt es: »Nicht war mein We­sen dir verhohlen, da ich im Verborge­nen gebildet ward, eingewirkt in des Irdischen Tiefen.« Das. Vers 16. »Un­entwickelt sahen mich deine Augen, alle sind in deinem Buche verzeichnet, an den Tagen, da noch keiner war vor ihm.« Hiob 10. 10 — 12. »Wahrlich, du ließest mich wie Milch ergießen, wie Rahm gerinnen, zogst Haut und Fleisch mir an und durchwobst mich mit Ge­bein und Sehnen.« Ausführlicher und konkreter sind die talmudischen Anga­ben über dieses Thema. Die Halacha und die Agada haben sich desselben be­mächtigt und liefern uns manch schöne Notizen. In der medizinischen Wissen­schaft wird die Frucht bis nach Ablauf des dritten Monats zur Schwanger­schaft »Embryo« genannt, von da ab erhält sie den Namen Fötus. Dagegen entscheidet das talmudische Schrifttum mehrere Entwicklungsstadien, die mit eigenen Namen bezeichnet sind. Das erste Stadium ist vom Tage der Emp­fängnis bis nach Ablauf von 41 Tagen. Die Haut, mit dem Gewebe, auf ihr, zusammen: die ge­wirkte Plazenta, hat sich gebildet, an der durch Punkte und Li­nien Augen, Nase und Mund deutlich gezeichnet sind. Das Zweite tritt ein, wo Haare, Nägel, überhaupt die Finger und Zehen der Hände und Füße sowie die Genitalien kenntlich werden. Die Frucht erhält den Namen: »Embryo«, Ubar, von dem die Schwangere: meubereth, »die den Embryo Tragende«, und die Schwangerschaft: »Tage des Embryo«, hei­ßen. Erst nach der wirklichen Entwicklung aller Körperteile ist die Benen­nung: »Kind« was mit dem Beginn der zweiten drei Monate eintritt und mit dem »Fötus« in der heutigen Medi­zin identisch zu sein scheint. Von da ist das vierte Stadium endlich die Zeit der Reife des Fötus, wo er im Falle einer Geburt lebensfähig ist. Der Name für diese letzte Entwicklungsstufe ist: »Le­bensfähiger Fötus«, oder: »Ein Fötus, dessen Monate vollzählig geworden«, von denen der Erste auf den Fötus im 7. Monate und der Letzte auf den nach vollen 9 Monaten sich bezieht. Dagegen heißt der Fötus nach seiner unzeitigen Geburt: nephel, Herausgefallenes, Abort. Der Bildung der Frucht geht ihre Empfängnis voraus. Dieselbe geschieht von dem männlichen und weiblichen Samen, beide sind an ihrer Farbe kennt­lich: der Erste weiß, der andere rötlich. Von diesem ist nur ein Teil, der Kern desselben, aus dem die Frucht hervorgeht. Wie ein Mann, lehrt die Schule des R. Ismael, der das Getreide in der Scheune würfelt, und von demselben nur das Körnchen auf­nimmt, so geschieht es hier. Zu diesen zwei, dem semen virile und dem semen muliebre, lassen sie ein Drittes, das geis­tige, seelische Element hinzutreten, so dass drei Schöpfer der Frucht genannt werden: Vater und Mutter und Gott. Von dem Vater ist das semen virile, aus dem die Knochen, die Sehnen, die Nä­gel, das Gehirn, das Weiße im Augapfel geschaffen werden. Die Mutter gibt das semen muliebre, von dem die Haut, das Fleisch, das Haar, das Schwarze im Augapfel entstehen, und endlich ist es Gott, der den Geist, die Seele, die Ge­sichtszüge, das Augenlicht, das Gehör, die Sprache, den aufrechten Gang, die Vernunft, den Verstand verleiht. Über die Reihenfolge der Bildung der Körper­teile sind die Meinungen geteilt. Einige bezeichnen den Kopf und die ihm nahe liegenden Organe, die erst gebildet wer­den. Andere geben dafür die im Mittel­punkt des menschlichen Leibes liegen­den Teile; den Nabel usw. an. Im Allgemeinen heißt es mit Beziehung auf die oben gebrachte Stelle in Hiob 10. 10 —12., dass erst Haut und Fleisch sich bil­den und im weitern Fortgange die Seh­nen und Knochen. R. Abbahu (ein Leh­rer im 3. Jahrh. n.) bemerkt darüber, dass eine andre Reihenfolge in der Bil­dung der Körperteile, z.B. wenn die­selbe mit den Knochen beginnen würde, das Leben der Mutter gefährden würde, was als eine Wohltat der göttlichen Für­sorge anzuerkennen sei.

VI. Einfluss, gegenseitiges Versehen und Gesetze zum Schutze des Fötus. Vom Einfluss der Mutter und des Va­ters auf das Kind im Mutterleibe in Bezug auf seine künftige moralische Beschaffenheit sprechen schon die Schriftstellen in Psalm 7. 15; 15. 34. 35. u. a. m. Mehr darüber geben uns die talmudischen Notizen. Nicht bloß die geistige und leibliche Beschaffen­heit der Eltern, besonders der Mutter, haben Einfluss auf die geistige und leibliche Gestaltung des Fötus, sondern auch die Nahrung, die Tätigkeit, die Lebensweise, das Versehen der Mutter werden hierzu geltend gemacht. So macht der Genuss von Fleisch und Wein gesunde Kinder; der Trank von Bieren ihren Teint dunkel; Genuss von Petersilie ihre Gestalt schön und hell; der von Koriander, dass sie an Fleisch zunehmen; der des Paradiesapfels, Eth­rog, dass sie angenehm riechen. Einen entschiedenen schlechten Einfluss auf den Fötus haben Senf, unreife Datteln, kleine Fische, gewisse Tonarten u. a. m. Von dem Einfluss der Arbeiten berich­ten sie, dass wenn die Schwangere die Handmühle dreht, die Kinder mit Epi­lepsie behaftet sind; ihre Beschäftigun­gen mit dem Ackerbau machen sie schlank und hager, aber mit Weinpres­sen zu Trunkenbolden. Ein größeres Kapitel bilden ihre Lehren über das Versehen der Schwangeren und dessen Einfluss auf die Ausbildung und Ent­wicklung des Fötus, ein Gegenstand, vom dem allerdings die heutigen Physi­ologen wenig halten. Schon die Bibel nennt in der Geschichte Jakobs die ge­fleckt geschnitzten und weißen Stäbe in den Tränkrinnen, in welche die Schafe sich versahen und ihre Jungen nach ih­rer Farbe warfen. Bekannt ist, dass im alten Griechenland die aufgestellten schönen Statuen viel zur Verschönerung und Veredelung der menschlichen Ge­stalt beigetragen haben. In der Agada kommt darüber vor: »In früherer Zeit schmückten vornehme Römer ihre Schlafgemächer mit schönen Bildern.

Nach der Zerstörung Jerusalems banden sie die Juden an ihre Ehebetten, welche die Bilder ersetzen sollten. So groß war die Schönheit der Gefangenen.« Eine andere Sage erzählt von R. Jochanan ben Nafcha, der wegen seiner Schönheit berühmt war, dass er am Ausgange des Badehauses oft stundenlang verweilte, damit die aus dem Bade kommenden Frauen ihn sehen und schöne Kinder er­halten. Eine dritte berichtet von einem weißen Kinde, das von einer Mohrin, die mit einem Mohr verheiratet war, ge­boren wurde. Diese wunderbare Er­scheinung rührte daher, dass der Mohr einen weißen Spiegel hatte, in dem die Mohrin sich oft angesehen hatte.