Geist und Leib

Posted 6 yrs ago

Geist und Leib. Die jüdisch-alex­andrinische Vorstellung von Geist und Leib, wie sie bei Philo zum Ausdruck kommt, welche den Körper als Stätte der Unreinheit und Sündhaftigkeit, für den Kerker der Seele hält, aber die Seele zum Teil der Gottheit macht, stieß bei den Gesetzeslehrern in Paläs­tina auf entschiedenen Widerspruch, die sie als antibiblisch bezeichnen und sich gegen sie erklären. R. Jochanan ben Sakai (im i. Jahrh. n.), nachdem er sein Gespräch mit einem Min (Sektie­rer) über die Bedeutung und Wirksam­keit der Reinigungsasche beendet hatte, rief seinen Schülern zu: »Wisset, nicht der Tote verunreinigt, nicht das Spreng­wasser mit der Reinigungsasche rei­nigt, aber ein Gesetz Gottes ist es, nach dessen Grund man nicht forschen darf.« In einem anderen Disput mit den Sadducäern zwingt er diese zu dem Geständnis, dass die Vorstellung der Unreinheit des menschlichen Körpers nach dem Tode nur unsere Pietät gegen die Verstorbenen zu ihrem Grunde habe, damit man nicht die Gebeine sei­ner Eltern zu profanen Zwecken verwende. Bei einer anderen Gelegenheit, wo eine essäische Sekte, die Morgen­täufer, die Toble Schachrith, sich über die Pharisäer beklagen, dass sie am Morgen den Gottesnamen ohne vorher genommenes Bad aussprechen, wird diesen nach ihrem Dafürhalten des Körpers als Sitzes der Unreinheit ent­gegnet: »So dürftet ihr ja auch nach dem Bade nicht den Namen Gottes durch die Organe des Körpers, der Stätte der Unreinheit, aussprechen.« Im Gegensatze dieser Annahme erbli­cken sie in der Verbindung des Geistes mit dem Leibe das Bild der Verbindung Gottes mit der Welt. »Wie die Seele«, lehrt R. Jochanan (im 3. Jahrh. n.), »den Körper erfüllt, so Gott die Welt; wie die Seele den Körper überdauert, so Gott die Welt; wie die Seele im Kör­per einzig ist, so Gott in der Welt; wie die Seele im Körper nichts von den Speisen genießt, so gibt es auch bei Gott kein Essen; wie die Seele sieht, aber nicht gesehen wird, so Gott; er sieht und wird nicht gesehen usw.« Weiter wird die Verbindung des Geis­tes mit dem Leibe für den Menschen als Mittel dargestellt, wie dessen Wil­lensfreiheit sich verwirkliche und die Vergeltung, die Erlangung des ewigen Lebens in Folge der Tugendwerke und des Todes nach der Sünde ermöglicht werde. »Gott sprach«, lehrte R. Acha (im 4. Jahrh. n.) in Bezug auf die Schöpfung des Menschen, »erschaffe ich den Menschen von dem Obern, dem Geistigen, müsste er ewig leben, von dem Unteren, von der Erde, würde er nicht anders als dem Tode verfallen; ich erschaffe ihn daher von dem Obe­ren und dem Unteren, damit er in Folge der Sünde sterbe, aber wenn er Tugend übt, ewig lebe.« So hält R. Ismael im I. Jahrh. die Möglichkeit der göttlichen Vergeltung am Tage des Gerichts nur in der Wiederverbindung des Geistes mit dem Leibe, da das Werk der Sünde von beiden vollzogen wurde. Am deut­lichsten spricht sich dies als eine Be­kämpfung der alexandrinischen An­nahme: »der Körper sei der Kerker für die Seele« in der Lehre aus: »Die Seele trauert nach ihrer Trennung vom Leibe sieben Tage lang.« Die spätere Liturgie hat daher für beide den Satz aufgenom­men: »Die Seele ist dein, der Körper dein Werk, habe Schonung mit deiner Mühe!« Erst die spätere Agada, beson­ders bei den Lehrern in Babylonien mit ihren Ausläufern in die Mystik und die Kabbala hat wieder obige alexandrini­sche Lehre von »Geist und Leib« auf­genommen. In dem kleinen Midra­schim wird von der Seele als von einem Teile Gottes gesprochen. Im Tanchume Pekude wird in der Darstellung des Einzuges der Seele in den Körper der Unwillen der Seele geschildert, den Himmel zu verlassen, um sich mit dem irdischen Leib zu verbinden usw. Von dem kleineren Midraschim nenne ich den Midrasch Jona, wo der Körper gleich einem auf dem Meere mit Wel­len kämpfenden Schiffe dargestellt und die Seele in ihm mit dem Geschicke des Propheten Jonas auf dem Schiffe ver­glichen wird. Über die Zeit und Dauer der Verbindung des Geistes mit dem Körper hören wir, dass die Lehre, die Seele trete schon in den Fötus im Mut­terleibe ein, durch drang und von R. Juda I. im 2. Jahrh. anerkannt wurde. Diese Verbindung soll nach der späte­ren Agada auch nach dem Tode nicht ganz gestört sein; das ganze erste Jahr hindurch sollen gewisse Beziehungen zwischen beiden Teilen noch stattfin­den. Die Lehrer des vierten Jahrh. n., R. Abbahu u. a. m. geben an, dass auch anderweitige Seelentätigkeit als z. B. die Wahrnehmung und Empfindung im Körper, erst aufhöre, wenn derselbe in Fäulnis übergegangen oder wenn er mit Erde bedeckt wird. Gegen die Mei­nung des R. Jizchak, dass die Leiche im Grabe den Stich des Wurmes fühle, be­merkt ein anderer: »Der Tote empfin­det nichts!« Doch hat man an eine Wiederverbindung des Geistes mit dem Leibe zur Auferstehung und zum jüngs­ten Gericht geglaubt.