Geographie - Talmud
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Geographie. Wir haben hier von keiner abgerundeten systematischen Darstellung der Geographie im jüdischen Schrifttum als einer Beschreibung der physischen und politischen Beschaffenheit der Erde und ihrer Bewohner in der biblischen und nachbiblischen Zeit bis zum Abschluss des Talmud im 5. Jahrh. n., soweit dieselbe den Juden bekannt geworden, zu berichten, sondern nur von einer Menge in verschiedenen Büchern zerstreuter, da und dort aus mancherlei Anlässen gegebener Berichte über Länder, Völker, Meere, Flüsse, Gebirge, Ebenen u. a. m. nebst deren Erzeugnissen, die zusammen die Länder- und Völkerkunde der Juden bis zum Schluss des 5. Jahrhunderts ausmachen. Das jüdische Schrifttum, weder das biblische, noch das talmudische, hat kein Buch, welches die Geographie allein, als Wissenszweig an sich, behandelt; sie wird nur, soweit deren Kenntnis zu irgend einer Darstellung nötig ist, kultiviert. Doch sind diese gelegentlich gegebenen geographischen Schilderungen der Länder und Völker für die Kenntnis der Geographie des Altertums von Wichtigkeit, welche sie erweitern und ergänzen. Das jüdische Schrifttum hat die geistigen Denkmäler des jüdischen Volkes, dessen Notizen gleich den Inschriften der Monumente anderer Völker Anspruch auf Glaubhaftigkeit und geschichtliches Interesse haben. Drei Beweggründe gab es, welche die Kenntnisnahme und Aufzeichnung geographischer Darstellungen veranlassten: I. die Geschichte des jüdischen Volkes und seines Hervorganges aus den andern Völkern nebst seinem Verhältnis zu denselben; II. die Beschreibung Palästinas und mit seinen Nachbarländern und der anderen Wohnplätze des jüdischen Volkes und III. die kommerziellen und kriegerischen Beziehungen Israels zu den andern Völkern. Nach diesen drei Punkten wollen auch wir die Skizzierung des Geographischen in dem biblischen und talmudischen Schrifttum vornehmen.
I. Die Geschichte des jüdischen Volkes und seines Hervorganges aus den anderen Völkern. In diesem Teil haben die biblischen Bücher ein Menge von geographischen und ethnographischen Notizen. Der Gesichtskreis ist ein ausgedehnter, er erstreckt sich über Asien, Afrika und Europa, und umfasst somit fast die ganze im Altertum bekannte Erdoberfläche. Im 1. Buch Moses ist das Kapitel 10. 1 — 31, das sämtliche Völker des Altertums nach ihrer Abstammung von Noachs 3 Söhnen: Sem, Ham und Japhet aufzählt. Als Ergänzung über die weiteren Abstammungen sind mehrere hierher gehörende Stellen in den anderen 4 Büchern des Pentateuchs.
a. Die Völker des Nordens, die Japhiten, genauer die vom Nordwesten Asiens oder Südwesten Europas, sind: die Kimmerier, Gomer, im talmudischen Chersones; die Scythen, Magog, die bis an den Kaukasus wohnten; die Meder, Madai, am kaspischen Meere; die Griechen, Javan, die sich bis über Kleinasien hin ausbreiteten; die Tiberianer, Tubal, östlich am schwarzen Meere und südlich von Cilicien, von denen die Iberer in Spanien u. a. D. Teile waren; die Moscher, Meschech, am Kaukasus, schwarzen Meere und am moschischen Gebirge; die Thraken, Thrazier, Thiras, zwischen dem Hämus und dem ägäischen Meere, Mazedonien und Illyren; das Asenvolk, Aschkenas, jenseits des Don und neben Armenien sowie auf der Nordseite des schwarzen Meeres; die Ripäer, Ripas, an dem Karpatengebirge und in Dakien; Armenier, Thogarma, nebst den Georgiern, Lesphiern und Phrygiern u. a. m.; der pelasgische Stamm, Elischa, der Äolier in Thesalien, Euböa, Böotien, Ätolien u. a. D.; die Tirsenen, Tarschisch oder Etrusker in Altitalien; die Cyprer, Kbitiim, die Bewohner der cyprischen Inseln; das Volk der Daraner, Dodanim in Illyrien, Mazedonien und Epirus.
b. Die Südländer mit ihren Völkern, die Hamiten. Von diesen kommen vor: Äthiopier, Kusch, in Afrika, Asien und Südarabien; die Ägypter; Mizriim zu beiden Seiten des Nil; das afrikanische Volk der Lybier, Put, in den afrikanischen Ländern am Mittelmeere: Marmaria, Cyrenaika, Tunis, Tripolis u. a. m. der phönizisch-kanaanitische Volksstamm, Kanaan; die Sabäer, Scheba, in Meroe im Norden Äthiopiens; die Avaliten, Chavila, in Südarabien und Afrika; der äthiopische Stamm Sabata, Sabtha, im Mittellande Südarabiens; der Stamm Rayma, Raama, im südöstlichen Arabien; Sabtacha in Karmananien, auf der Ostseite des persischen Meerbusens; Scheba im Westen Südarabiens; Dedan im Osten Südarabiens; die Ludäer, Ludim, auf der Ostseite des Nil in Unterägypten; die Anamim in Nordägypten; die ägyptischen Libyer, Lehabim, in Mareotis und Libya; die Naphtachäer, Naphtuchim, in Mittelägypten; der Volksstamm Pathros in Oberägypten; die Kasluhim auf dem Landstrich von Ägypten nach Philistäa; der Stamm Kaphtorim auf Kreta und Zypern; die Sidonier am Mittelmeere; die Hithäer, Hath, auf dem Gebirge Juda; die Jebussiter im Süden Palästinas; die Emoräer, Emori, auf dem Gebirge Juda; die Grigasäer, Girgasi, diesseits des Jordan; die Hivväer, Hivi, am Libanon; die Arkäer, Arka, nördlich von Sidon; die Sinäer, Sina, zwischen Tripolis und Arka; die Aradäer, Arvadäer, Arvadi, auf der Felseninsel Aradus nördlich von Tripolis; die Simyraer, Zemari, nördlich von Tripolis; Chamathäer, Chamath, nordöstlich von Aradus.
c. Westasien mit seien Völkern, den Semiten. Wir nennen: die Elamäer, Elam, im Osten vom Tigris; die Assirer, Aschur, östlich vom Tigris, zwischen Mesopotamien und Medien; Arpaxadäer, Arpachsad in der Landschaft Arrapachitis; die Lavadäer oder Ludäer, Ludim, im Westen des Semitengebietes; die Aramäer in den Libanonländern und östlich vom Euphrat und von Mesopotamien. Außer diesen kennt man die von Peleg und Jaktan abstammenden und im Norden Jemens bis gegen Sefar hin wohnenden 13 Völkerstämme.
II. Die Wohnländer und Aufenthaltsplätze der Israeliten. Dieser Teil ist der fruchtbarste in der biblischen Geographie. Über Ägypten, seine Länder, Städte, Flüsse, Bodenbeschaffenheit und Produkte haben die biblischen Bücher die ausführlichsten Berichte. Genau sind die Züge der Israeliten in der Wüste von ihrem Auszuge aus Ägypten bis zu ihrer Eroberung Palästinas verzeichnet, und wir bewundern die Kenntnisse der angegebenen Ortschaften und Lagen dieser so selten besuchten Ortschaften, die heute noch dem Reisenden zur Orientierung über alte geographische Verhältnisse von Bedeutung sind. Am ausführlichsten sind die Angaben über Palästina und seine Nachbarländer. Mit großer Sorgfalt werden sämtliche Berge, Täler, Flüsse, Bäche, Ebenen, Landschaften mit ihren Städten, Ortschaften und früheren Fürsten im Buche Josua angegeben. Im 5. Buch Moses werden mehrere Mal die Bodenbeschaffenheit Palästinas und die wichtigsten Produkte derselben rühmlich hervorgehoben. Im 4. Buch Moses haben wir die Berichte über die Nachbarvölker und das Verhältnis Israels zu ihnen. In Bezug auf dieselben bringen die letzten Kapitel die genauen Angaben über die Grenzen Palästinas. Als außerordentlich bemerkenswert heben wir die geographischen Kunstausdrücke in den Grenzbestimmungen Palästinas und seiner einzelnen Stammesgebiet hervor. »Die Grenze geht grade aus, steigt aufwärts, senkt sich abwärts, wendet sich, läuft rückwärts, stößt an, streift an«, sind einige derselben. Dieser geographische Gesichtskreis erweiterte sich noch bedeutend im Laufe der späteren Geschichte des israelitischen Volkes, insbesondere nach der Auflösung des Zehnstämme-reiches durch die Assyrer und des Reiches Juda durch die Chaldäer, wo die Israeliten nach assyirisch-babylonischen Ländern deportiert wurden. Die Berichte über die Niederlassungen derselben nennen Ortschaften der entferntesten Gegenden bis nach dem äußersten Armenien hin. Eine noch größere Bereicherung der geographischen Kenntnisse bei den Juden trat im Laufe des zweiten jüdischen Staatslebens und nach demselben ein, als sie sich fast in allen bedeutenden Ländern Vorderasiens, Afrikas und des südlichen Europas als z. B. in Italien und Spanien ansiedelten.
III. Die Handelsbeziehungen der Israeliten zu den anderen Völkern. Hier war es, wo die geographischen Kenntnisse der Israeliten sich außerordentlich erweiterten. Schon durch Salomo kamen sie in Handelsverbindung mit Phönizien, wodurch sie Kunde von den entfernten Ländern und Völkern erhielten. Ophir und Tarschisch waren die zwei Zielpunkte, wohin Salomo in Verbindung mit den Phöniziern ihre Schifffahrten unternahmen, worunter man jedenfalls eine Beschiffung der Küstenländer Afrikas zu verstehen habe. Das 27. Kapitel des Buches Ezechiel nennt 30 Völkerscharen, die auf dem Markt zu Tyrus ihre Produkte zum Verkauf brachten. Es begegnen uns hier Namen, die schon in der Völkertafel von 1. M. 10. vorkommen, Die andern sind Völker von: Gebal, Charan, Eden, Damaskus, Kedar, Arabien, Kilmad und Persien. In den Büchern Jona und Nahum werden genaue Schilderungen von Ninive gegeben. Nach dem Exil und später im Laufe des zweiten jüdischen Staatslebens und nach demselben, wo die Juden an den bedeutendsten Handelsunternehmungen von Alexandrien, Arabien, Babylonien usw. teilnahmen, ware wieder eine bedeutende Vergrößerung der geographischen Kenntnisse die natürliche Folge. Über die Gestalt der Erde haben wir mehrere Stellen. Jesaja 40. 22. u. a. m., wo die Erde als ein Kreis gedacht wurde; nach das. 45. 2. hängt sie frei im Raum; und nach Hiob 26. 27. »hat Gott die Erde auf das Nichts aufgehangen«, d. h. sie schwebt frei im leeren Raume. Wir haben nach diesen Stellen die anderen Angaben in den Psalmen, wo von Grundsteinen und Säulen der Erde gesprochen wird, als dichterische Ausdrücke zu betrachten. Auch die bei Jesaja 11. 12. vorkommenden vier Ecken der Erde sind nur Bezeichnungen der vier Weltgegenden. Zuletzt machen wir noch auf das geographische Maß aufmerksam, als z.B. »die Tagereise« oder »die Landstrecke«, später »der Shabbathweg« = 2000 Ellen. Im nachbiblischen Schrifttum der Juden bis zum Schluss des Talmud (gegen das Ende des 5. Jahrh. n.) haben wir teils erklärende Wiedergaben der Länder-, Völker- und Ortsnamen in der Bibel nach den neuen Benennungen und veränderten Lagen derselben, teils Notizen des erweiterten geographischen Gesichtskreises. Die älteste Schrift aus dieser Zeit ist die griechische Bibelübersetzung Septuaginta (wo v.) Sie gibt die geographischen Namen in der Bibel durch neuere Benennungen wieder, als z. B. zu Jeremia 46. 14. Memphis; Jesaja 19. 11. Tunis; 1. M. 41. 2. Achi, Jesaja 19. 6. Papyrus; Amos 5. 29. Raipham; Jeremia 46. 15. Apis; Jeremia 46. 9.; Ezechiel 27. 10. Lydier und Lybier; Jesaja 23. 1. Phönizier, Karthago; Ezechiel 25. 16. Kreta; das. 27. 13. Hellas; das. 27. 18. Miletos, 1. M. 10. 4. Rhodier; Ezechiel 27. 9. Byblos, Amos 9. 7. Bothrus u. a. m. Nächst dieser nennen wir die zwei makkabäischen Bücher, die manche Aufklärung über die Ortskunde von Palästina mitteilen; ferner: die Schrift des Aristeas, die viel Topographisches von Jerusalem hat; Josephus, Geschichte der jüdischen Kriege, die Altertümer, seine Schrift, besonders palästinensische Geographie. Palästina und von diesem wieder speziell Galiläa erhalten ausführliche Beschreibung. Auch andere Länder und Städte, in denen Juden wohnten, werden genannt. Wir kommen nun zum talmudischen Schrifttum. In demselben scheiden wir die geographischen Berichte der Tanaim, der eigentlichen Gesetzesausleger oder Gesetzeslehrer von denen der Amoraim, der Traditions- oder Mischnaerklärer. Von den ersteren, den Gesetzeslehrern, erwähnen wir erst R. Akiba im Anfange des 2. Jahrh. n. Derselbe machte viele Reisen nach verschiedenen von Juden bewohnten Ländern. Er war in Zephyrien, Mesaka, Narda, Nehardea; Medien; Arabien; Italien, Brundisium und Rom; Gallien und Afrika u. a. a.D., von denen er manche Beschreibung, besonders von deren Bewohnern und Sitten gibt. Nächst dem nennen wir R. Gamliel II., der unter verschiedenen geographischen Notizen ausführlich über die Sitten der Perser berichtet. R. Nathan nennt 13 verschiedenen Ortschaften, von denen er berichtet und Charakteristiken angibt. Von den Schriften der Tanaim gehören hierher:
a. die Mischna in ihren sechs Teilen. Von derselben ist ein ganzer Traktat (Middoth), welcher der Beschreibung des Tempels zu Jerusalem gewidmet ist. In den anderen Traktaten finden wir eine Menge zerstreuter geographischer Notizen über Länder außerhalb Palästinas, über Palästina: seine Grenzen, seine Berge, Täler und Gewässer, einzelne Gebiete, insbesondere über Judäa und Galiläa und andere Wohnsitze der Juden, von denen besonders wichtig die Menge von Ortsnamen ist; auch die Bodenprodukte werden nach ihren Ortschaften angegeben.
b. Die Tosephta. Das einzige talmudische Werk, das noch immer von den Forschern am stiefmütterlichsten behandelt wird. Und doch bietet es gleich der Mischna, als deren Supplement es gehalten wird, eine Fülle vom archäologischem Wissenswertem. Von dem Geographischen ist grade die Tosephta reich an Notizen über Palästina, Judäa und Galiläa und andere Wohnsitze der Juden, besonders wichtig sind die Angaben der Tosephta über die Grenzen und Grenzortschaften Palästinas.
c. Mechilta, Sifra und Sifre. Diese Namen bezeichnen drei veranstaltete Sammlungen von Aussprüchen halachischen und agadischen Inhalts der Taniam, die gleich einem Midraschkommentar zum 2., 3., 4. und 5. Moses uns vorliegen. Auch in diesen Büchern haben wir eine Menge geographischen Materials, das der gehörigen Ausbeutung und Benutzung noch harret. Das Buch Sifre hat einen ganzen Abschnitt über die Grenzortschaften und Grenzbestimmungen Palästinas. An mehreren Stellen in der Mechilta haben wir die Beschreibung geographischer Ortschaften. In einem Bericht des Buches Sifre sind die vier römischen Hauptstatthaltereien: Asien, Alexandrien, Karthago und Antiochien. Die zweite Epoche ist die der Amoraim, der Gesetzeserklärer (vom 3. bis Ende des 5. Jahrh. n.). Wir bringen von diesen: 1. Rabh, R. Abbah, den Stifter der Schule zu Sura (im zweiten Jahrh. n.). Derselbe berichtet in seinen Vorträgen über verschiedene Gebietsgrenzen, Flüsse, heidnische Tempel u. a. m. Nach ihm nennen wir: 2. R. Jochanan (ebenfalls im 3. Jahrh. n.); er berichtet über Babylonien, babylonische Ortschaften, Syrien, Arabien, die Ebene Dura, die Magier, den Tempelberg zu Jerusalem u. a. m. Endlich haben wir noch des R. Abba bar bar Chana zu erwähnen (im 4. Jahrh. n.), der von seinen vielen Reisen zu Land und See viele Berichte über palästinensische und babylonische Ortschaften mitteilt, von dem vieles mit Märchen vermischt ist. Mehr von diesen und anderen Amoraim enthalten die talmudischen Sammelwerke, als die traditionellen Kommentare der Mischna, die unter den Namen »Talmud Jeruschalmi« und »Talmud Babli« bekannt sind. Ersterer, der Talmud Jeruschalmi, gegen Ende des 4. Jahrh. zusammengetragen, hat wichtige Mitteilungen über Palästina: seine Gebiete, Orte und Märkte, Fruchtbarkeit, Galiläa, Samaria und die Samaritaner u. a. m. Auch über biblische Geographie im Allgemeinen, babylonische Ortschaften, Syrien und Arabien u. a. m., besonders über die Produkte verschiedener Länder und Städte u. a. m. finden wir daselbst wichtige Notizen. Nach ihm machen wir auf die geographischen Mitteilungen des babylonischen Talmuds und der nach ihm zusammengestellten Targumim und Midraschim aufmerksam, deren Reichhaltigkeit teilweise ausgebeutet haben die Werke: Schwarz, das heilige Land, Frankfurt am Main 1852 und Neubauer, La Geographie du Talmud, Paris 1868. Vergleiche hierzu Zunz, geographische Literatur der Juden, gesammelte Schriften Berlin 1875.