Gottesfurcht - Ehrfurcht vor Gott - Talmud

Posted 6 yrs ago

Gottesfurcht, Ehrfurcht vor Gott. Die Erkenntnis, oder besser die Aner­kennung Gottes in seiner Machtfülle und Erhabenheit erfüllt den Menschen mit Schauer und Ehrfurcht und erzeugt in ihm das Gefühl der Bewunderung, Verehrung und Anbetung. Die Gottes­furcht in diesem Sinne, als eine Ehr­furcht vor Gott, gleichbedeutend mit »Religion« wird in dem biblischen und nachbiblischen Schrifttum der Juden durch den hebräischen Ausdruck: Ji­rath elohim, »Furcht, Ehrfurcht vor Gott« bezeichnet. Sie hat nicht die Be­engung, den Knechtssinn, die Vernich­tung jedes Selbstgefühls und Selbstbe­wusstseins zu ihrem Boden, sondern grade entgegengesetzt den weiten freien Blick der eigenen Erkenntnis, das tiefe große Aufschauen des Menschengeis­tes in seiner Selbsterfassung, Selbst­durchdringung und Selbstüberzeugung. So wird sie im Mosaismus in Verbin­dung mit der Liebe gegen Gott als Ge­bot hingestellt. »Und nun Israel, was fordert der Ewige dein Gott von dir, als nur den Ewigen deinen Gott zu fürch­ten, in seinen Wegen zu wandeln, ihn zu lieben und ihm zu dienen.« »Den Ewigen, deinen Gott sollst du fürchten, ihm dienen, an ihm hängen und bei sei­nem Namen schwören.« Auch als ihre Äußerung, wie sie durch Werke zu Tage treten soll, wird der sittliche Le­benswandel, der die Freiheit, Heiligkeit und Liebe zu seinen Grundgesetzen hat, angegeben. »Ich dachte, es wäre keine Gottesfurcht an diesem Orte«, war die Antwort Abrahams, weshalb er Sara als seine Schwester ausgab. »Gott fürchte ich! « gibt Joseph seinen Brüdern als Grund ihrer Freilassung an. Deutlicher: »Die Gottesfurcht ist Böses hassen, Hoffart, Hochmut und bösen Wandel« (Spr. 10. 27.) »Damit du fürchtest den Ewigen deinen Gott, beobachte alle seine Gesetze und Ge­bote, die ich dir befehle.« »Der Ewige unser Gott hat uns die Ausübung aller dieser Gesetze befohlen, um den Ewi­gen unsern Gott zu fürchten, dass es uns gut ergehe alle Tage und wir am Le­ben bleiben wie heute.« Andererseits wird sie als Wurzel der Weisheit, An­fang der Erkenntnis, selbst voll Weis­heit, Quell des Lebens geschildert. Die höchste Würdigung der Gottesfurcht haben wir bei den Propheten, von de­nen sie als eine Zukunftsverheißung verkündet wird. »Ich, der Ewige, gebe ihnen einerlei Herz und einen Wandel, mich zu fürchten alle Tage, damit es ih­nen und ihren Kinder nach ihnen wohl gehe.« Das talmudische Schrifttum hat eine Menge von Lehren, Sprüchen und Gleichnissen über die Würdigung, die Gestalt, den Kreis der Gottesfurcht aus den verschiedenen Zeiten der Gesetzes-und Volkslehrer bis gegen das 5. Jahrh. n., die zugleich ein charakteristisches Bild des Kulturzustandes des jüdischen Volkes in diesen Jahrhunderten abge­ben. Aus der vormakkabäischen Zeit etwa 200 Jahre v. ist es der Gesetzes­lehrer Antigonos aus Socho, der zum ersten Mal im Sinne der chassidäischen Richtung den Ausspruch tut: »Seid nicht wie die Diener, die ihrem Herrn um Lohn dienen, sondern gleichet den­jenigen, die ihrem Herrn nicht des Loh­nes wegen dienen, es walte über euch die Gottesfurcht.« Hier wird das Werk der Liebe, der Gottesdienst aus Liebe, als eine Äußerung, ein Gebot der Got­tesfurcht dargestellt. Die Gottesliebe und die Gottesfurcht sind keine kon­trären, sondern korrelative Begriffe, die Gottesfurcht ist die Mutter der Gottesliebe. Ein späterer Lehrer im r. Jahrh. n., R. Jochanan ben Sakai, erör­tert ihre Beziehung zur Weisheit, insbe­sondere zur Religionswissenschaft. »Der Weise«, lehrte er, »in Verbindung mit der Gottesfurcht, ist ein Meister, der sein Werkzeug stets zur Hand hat; aber ein Weiser ohne Gottesfurcht, ist ein Meister, der nicht immer sein Werk­zeug bei sich hat.« Ein anderes Bild darüber entwirft ein Lehrer des 4. Jahrh. n., Rabba, Sohn von Rab Huna: »Jeglicher, der Thora (Religionsbe­kenntnisse) besitzt, aber keine Gottes­furcht, gleicht dem Schatzmeister, dem die Schlüssel zu den innern Zugängen des Schatzhauses, aber nicht zu seinen Äußeren übergeben worden, wie kann er zu den Schätzen gelangen? « In einer anderen Lehre sucht ersterer, R. Jocha­nan ben Sakai, darzutun, dass die im Buche Hiob dargestellte unerschütterli­che Frömmigkeit Hiobs die Gottes­furcht gewesen. In diesem Sinne sind noch die Aussprüche der Lehrer des z. Jahrh. n.; von R. Chanina ben Dosa: »Derjenige, bei dem die Gottesfurcht der Weisheit vorausging, behält seine Weisheit; aber wo die Weisheit vor der Gottesfurcht da war, bleibt nicht die Weisheit.« R. Simon ben Jochai lehrte: »Gott hat in seinen Schatzkammern kein anderes Gut als die Gottesfurcht, denn also heißt es: die Gottesfurcht ist sein Schatz.« Ben Asai bemerkt in Be­zug auf Koheleth: »Der Schluss von allem ist: Gott fürchte und seine Ge­bote beobachte, denn dieses ist der ganze Mensch. Die ganze Welt ist nur erschaffen, um diesem zu behelfen, d. h. um für diesen, den Gottesfürchtigen, ein zu erfüllendes Gottesgebot zu sein.« Aber schon in diesem Jahrhundert machten sich andere Stimmen geltend. » Jiob, lehrte R. Josua ben Hyrkanos, war Gott nur aus Liebe ergeben, denn also heißt es: wollte er mich auch tö­ten, ich hoffte noch, bis ich vergehe, weicht nicht meine Frömmigkeit.« R. Simon ben Elasar behauptet geradezu: »Größer ist derjenige, der aus Gottes-liebe das Gesetz vollzieht, als der, wel­cher das nur aus Gottesfurcht tut.« Ebenso war es R. Mair, der in Bezug auf die Lehre des ersteren bemerkt, dass dem Abraham und dem Hiob die Bezeichnung »Gottesfürchtiger« beige­legt wird, wie daher die Gottergebung des ersteren aus Liebe gewesen, so auch die des letzteren. Wie diese Ansicht noch im 3. Jahrh. n. vorherrschend ge­wesen, ersehen wir aus dem Spruch Ul­las, eines Lehrers dieser Zeit: »Größer ist derjenige, der sich von dem Erwerb seiner Hände nährt, als der Gottes­fürchtige. « Aber andererseits fehlte es nicht an Männern, die im Sinne der ersteren wieder lehrten. R. Elasar trug vor: »Die ganze Welt ist wegen des Gottesfürchtigen erschaffen worden.« R. Abba ben Kehana: »Der Gottes­fürchtige ist so würdig wie die ganze Welt.« Es sind Lehren im Sinne des Lehrers Ben Asai, der die Welt nur ge­schaffen sein lässt, damit die Gottes­furcht sich werktätig äußern könne oder mit anderen Worten, damit die re­ligiöse Idee zur Tat werde. So wird sie als eine unentbehrliche Eigenschaft des Lehrers empfohlen: »Jeder, der Gottes­furcht hat, dessen Worte werden ge­hört.« Als Werke der Gottesfurcht nen­nen sie die Feier von Shabbath und Fest, den Besuch des Gotteshauses in Anstand und Würde, insbesondere die Verehrung des Gelehrten.