Halacha - Satzung - Führung - Norm - Gesetz - Halachoth
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Halacha, Satzung, Führung, Norm, Gesetz; pl. Halachoth: Satzung;
I. Name und Bedeutung. »Halacha« ist ein neuhebräisches, von dem Stamm »gehen« gebildetes Wort, das »Führung«, »Satzung«, das im Leben zur Geltung kommende Gesetz, die Lebensnorm bedeutet. So spricht man von »Normen der Weltsitte«, »Normen der Landessitte«, und ebenso heißt es oft: »Er sah die Führung, und erinnerte sich der Halacha.« (Sanhedrin 82 b) Man versteht darunter sämtliche Satzungen des schriftlichen und mündlichen Gesetzes, wie sie in dem Schrifttume der Mischna, der Mechilta, Siphra, Siphri, der Tosephta und der beiden Talmude ihre Darstellung gefunden. In aramäischem Dialekt, der Landessprache der Juden in Palästina, heißt »Halacha« Hilchata (Sukka 38. Berachoth 31). Wollte man die Halacha als Tradition oder im Sinne von Tradition bezeichnen, so gebrauchte man dafür die Namen: »Gehörtes«, »Vernommenes« oder »nach dem Vernommenen«. Ferner: »Empfangenes«, »Tradiertes«, u. a.m. Fragen wir nach dem Alter des Gebrauches dieses Ausdruckes als Bezeichnung des Gesamtgesetzes, so werden wir ihn vergebens in den Aussprüchen und Verordnungen der Sopherim suchen; er kommt zuerst in den Gesetzesforschungen des Lehrers Hillel I. ( 100 J. vor der Zerst. des Tempels) vor. Die Gesetzeslehrer von da ab führen den Namen: »Lehrer der Halacha«, Tanaim. Es hängt dies mit der Geschichte des Gesamtgesetzes in seiner schriftlichen und mündlichen Fassung zusammen, wie es sich aus: 1) den im Pentateuch vorkommenden Ge- und Verboten; 2) den mündlich tradierten Bestimmungen, den Angaben über die Ausführung des schriftlichen Gesetzes; 3) den aus der Schrift durch Erklärung hergeleiteten Normen; 4) dem im Volksleben hervortretenden Usus, als aus dessen Sitten und Gebräuchen und aus den späteren Anordnungen der Sopherim und der Gesetzeslehrer, Tanaim, entwickelt hat. Das aus diesen fünf Klassen sich entwickelte und bestehende Gesamtgesetz heißt »Halacha«, das wieder, je nach seiner eine Klasse desselben extra bezeichnet wird, verschiedene Nebenbenennungen bei sich hat. So heißen: 1) das Pentateuchgesetz: »Eigentliche Halachoth«, eine Bezeichnung, die oft mit »Wirkliche Thora« (wirkliches Gesetz) abwechselt; 2) die tradierten Urbestimmungen: »mosaisch sinaitische Halachoth«, 3) die aus der Schrift hergeleiteten Gesetze: »Halacha«, mit der näheren Angabe über ihre Zeit als z. B. »Alte Halachoth«, »Frühere Halachoth«, »Spätere Halachoth« u. a. m.; 4) die im Volksleben wurzelnden Sitten und Bräuche: Provinzialhalachoth u. a. m. Andere Adjektive in Verbindung mit »Halacha« bezeichnen ihre Fassung und Gestalt als z. B. »Reine Halacha «, »Bestimmt abgegrenzte Halacha«, »Abgeleitete Halacha« u. a. m. Auch in Bezug auf das Studium der Halacha heben wir einige Bezeichnungen hervor, die für die Geschichte der Halacha nicht unbedeutend sind. Die Begründung und Zurückführung der Halacha auf die Schrift, wahrscheinlich zur Beseitigung der Angriffe von Seiten der Saddukäer: »Halachische Schriftforschung«, von dem wir den Midrasch der Sopherim zu unterscheiden haben, der sich mit Gesetzesherleitung aus der Schrift, nicht mit der Zurückführung des Gesetzes auf die Schrift, beschäftigt. In entlehnter Form kommt auch »Halacha« zur Bezeichnung der Gesetze, Lehren und Normen der profanen Wissensfächer vor. So spricht man von Halachoth der Ärzte, medizinische Halachoth, u. a. m.
II. Wesen, Aufgabe, Umfang, Teile und Charakteristik. Nach eben angegebener Definition von »Halacha« als eine Benennung für das Gesamtgesetz in allen seinen Teilen, des schriftlichen, mündlichen, hergeleiteten, gebräuchlichen und zeitlichen, haben wir in ihr den Ausbau des Gesetzes nach allen Verhältnissen und Bedürfnissen der verschiedenen Zeiten, um es zu einem Gesetz des Lebens, als Ausdruck des religiösen, politischen, sozialen und sittlichen Lebens des jüdischen Volkes zu machen.
Ihre Aufgabe ist die Vollendung und Erfüllung des im Pentateuch niedergelegten Gesetzes; seine Entwicklung zur Bildung und Hebung des Volkswohls. Die Halacha enthält daher nicht bloß die Normen einer streng bestimmten und begrenzten religiösen Praxis; ihr Kreis ist ein viel größerer, er umfasst auch die Haupt- und Grundzüge des jüdischen Kultur- und Geschichtslebens, seiner geistigen Tätigkeit, seines religiösen, politischen und sozialen Schaffens. Teile der Halacha sind
a. Der Kultus, sowohl der Tempel-und Opferkultus in allen seinen Teilen, als auch der spätere synagogale. Ersterer hat: die Priester- und Opfergesetze, die Reinheitsbestimmungen, die Gesetze über die abzuliefernden Heben, Zehnten, Erstgeburten, erstreifen Früchte, die Tempelordnung, den Tempelgottesdienst an Wochentagen, Shabbath und Fest u. a. m. Letzterer, der synagogale Kultus, umfasst: den ganzen gottesdienstlichen Ritus: das Gebet, die Vorlesung aus der Thora, dem Pentateuch und den Propheten an Wochentagen, Shabbath und Fest, die Gesetze über die Heiligkeit der Synagoge, deren Besuch u. a. m. Zu beiden gehören die zu beobachtenden Ge- und Verbote an Shabbath und Fest; die Speisegesetze, die Bestimmungen über die Benedeiungen, die Gelübden, den Religionswechsel, die Proselytenaufnahme, das Märtyrertum u. a. m.
b. Die Familie. Wir rechnen hierher: die Ehegesetze über die Eheverbindungen, Ehescheidung, die Pflichten zwischen Mann und Frau, die Kindererziehung, die Elternverehrung, das Hauswesen mit seinen Freuden- und Trauerfällen u. a. m.
c. Der Staat und seine Institutionen. Die Gesetze darüber erstrecken sich über die Fürsten- und Volksgewalten, ihre Beamten, die Heeres- und Kriegsordnung, die Gemeinde- und Städteordnung, das Polizei- und das Gerichtswesen, die Schule, den Unterricht, die Armenfürsorge u. a. m.; ferner enthalten sie die Bestimmungen über das Besitztum, das Personenrecht, den dienenden Stand, den Arbeiter-und Tagelöhner u. a. m. In allen diesen Teilen ist die Arbeit der Halacha, das Gesetz zu einem lebendigen, mit dem Leben, Sitten und Gewohnheiten des Volkes sich fortentwickelnden zu machen. Wir werden, in dem geschichtlichen Teil dieses Artikel den Geschichtsgang dieses halachischen Verfahrens ausführlich nachweisen, und wollen hier nur einige Aussprüche darüber hervorheben. Von R. Ismael, einem Lehrer des ersten Jahrhunderts nach der Zerstörung des jüdischen Staates, ist der Ausspruch: »An drei Stellen geht die Halacha über das schriftliche Gesetz hinaus: die Schrift bestimmt die Asche zum Bedecken des beim Schlachten des Geflügels und Wildes ausgeflossenen Blutes, aber die Halacha auch andere Gegenstände; die Schrift nennt in dem Verbot des Haarschneidens des Nasiräers, das Scheermesser, aber die Halacha auch andere Schneideinstrumente; die Schrift deutet in dem Ehescheidungsgesetz durch den daselbst gebrauchten Ausdruck: sepher, Brief, Urkunde, das zu Urkunden gebräuchliche Schreibmaterial als das für den auszustellenden Scheidebrief zu nehmende Material, aber die Halacha bestimmt auch andere Sachen hierzu als z. B. Ölbaumblätter u. a. m.« Wir erinnern ferner an die Aussprüche: »Der Shabbath ist euch überwiesen, aber ihr nicht den Shabbath« (Mechilta mit anderen Worten Joma 85 ); »Man lebe durch das Gesetz, aber sterbe nicht durch dasselbe« (Joma 35 Vergl. Sanh 74, dass das Märtyrertum nur auf drei: Unzucht, Götzendienst und Mord befohlen ist); »denn heilig ist er, der Shabbath«, d. h. er ist heilig, aber nicht seine Werke, « das Gesetz ist nicht im Himmel, wir achten nicht auf Wunder, hören nicht auf das Bathkol, die Himmelsstimme.« (Baba mezia) So schaffte man das Zehntbekenntnis 5. M. 26 ab; ferner das Trinken des Fluchwassers bei der Untersuchung der des Ehebruches verdächtigen Frau u. a. m. und gründete die Institution des Prospols, eines Gegenscheines, dass ein Darlehn nicht den Gesetzen des Erlassjahres verfalle, u. a. m. Man tut Unrecht, die Halacha für eine geistlose Gesetzesanhäufung für eine verknöcherte starre religiöse Praxis zu halten, die jeder freien Entwicklung hemmend in den Weg tritt, ohne zu bedenken, dass es ohne sie dem jüdischen Volke so ergangen wäre, wie es einem Bruchteil desselben, den gegen die Halacha protestierenden Sadducäern ergangen ist. Ihr Leben erstarrte in der stabilen Einseitigkeit ihrer Richtung und hörte mit der Zerstörung des Staates ganz auf. Die Halacha ist nicht die Störerin, sondern die Förderin des Lebens, sie schafft nicht bloß die Umzäunung des Gesetzes, die Gesetzeserschwerung, sondern versteht auch dem toten Gesetzesbuchstaben Leben einzuhauchen. Freilich erscheint sie dem der Geschichte des Judentums Unkundigen, mit der Bildung und Entwicklung des jüdischen Volkstums nicht Vertrauten als eine Satzungsanhäufung, die den jüdischen Geist niederdrücken musste. Aber derselbe soll sich nur in der jüdischen Geschichte umsehen, ob die Halacha es nicht war, die dem jüdischen Geiste in den Jahrhunderten finsterer Verfolgungen seine frische Regsamkeit erhalten, den Juden das Schutz- und Bollwerk gegen Tausende von Vernichtungsanschlägen gewesen. In dem Ausbau des Gesetzes war ihr Augenmerk sowohl auf die Verwirklichung des Gesetzes, als auch auf die Bildung und Erhaltung der für das Gesetz Lebenden. Wir versuchen dasselbe durch mehrere Beispiele aus verschiedenen Teilen der Halacha anschaulich darzustellen.
A. Der Mensch, sein Leben, seine Würde. Obenan gehört hierher der in den Halachaentscheidungen durchweg anerkannte und zur Anwendung kommende Satz: »Außer Götzendienst, Un zucht und Mord gibt es keinen Gegenstand, welcher nicht der Rettung eines Menschenleben weichen sollte.« (Joma 82) Nicht minder sind zwei andere Aussprüche: »Auch bei zweifelhafter Lebensgefahr des Menschen dürfen die Shabbathgesetze übertreten werden«; »Man rette ein Menschenleben am Shabbath, und wer sich darin beeilt, wird gelobt; es bedarf hierzu keines Dispenses vom Rabbinat.« (Joma 84) Die anderen Grundsätze in Bezug auf seine Würde sind: »Groß ist die Ehre der Menschen, für ihre Nichtverletzung darf man jedes Verbot im Gesetze (Thora) übertreten«; (Berachoth 20a) »Jeder Mensch (so lange nicht von ihm Nachteiliges bekannt geworden) soll für rechtschaffen gehalten werden«; (Cholin 10) »Man setze den Menschen in den Stand der Rechtschaffenheit«; »Wir halten die Menschen für keine Diebe«; »Wir nehmen nicht an, dass die Menschen ruchlos sind«; Haben wir etwa mit Spitzbuben, mit Frevlern zu tun?«; »Der Mensch sündigt nicht ohne Grund und Vorteil«; »Die Aussage des Menschen über sich ist mehr als die von hundert Zeugen«; »Der Mensch macht sich nicht selbst zum Frevler.«
B. Ehe- und Familiensachen. Die Gesetzesbestimmungen innerhalb der Familie. »Der Mann hat keine Ansprüche auf das Gut seiner Frau«, »Die Witwe wird von dem Nachlasse des Mannes erhalten«, (Kethuboth 52.); »Der Vater hat die Pflicht, für den Lebensunterhalt seiner kleinen Kinder zu sorgen« (Kethuboth 4 Mischna 7); »Der Mensch mühe sich mit der Erziehung seines Sohnes mindestens bis zum 12. Jahre ab, von da ab lasse er ihn ein Gewerbe zu seinem Lebensunterhalt erlernen;« »Der Vater hat keinen Rechtsanspruch auf das Vermögen seines Sohnes, der Sohn nicht auf das seines noch lebenden Vaters« (Baba bathra 182); »Der Vater, der seinen großen Majorennen Sohn schlägt, hat sich der Bannstrafe schuldig gemacht« (Moed Katan 17); »Der Mensch sündigt nicht zu Gunsten seines Sohnes, seines Bruders, seines Vaters.« (Eben Haeser 12)
C. Staat und Regierung. »Die Regierung auf der Erde ist gleich der Regierung im Himmel zu achten«; »Die Rechtsvorschri-ften der Regierung ist Recht bestimmend.«
D. Eigentum, fremdes Gut. Einige Hauptbestimmungen: »Der Mensch ist wegen seines Vermögens besorgt«; »Alles, was der Mensch unter seiner Gewalt hat, wird als sein Eigentum angenommen«; »Das verlorene Gut des Nebenmenschen soll, so oft es gefunden wird, zurückgegeben werden (Baba mezia 30); »Der Raub ist auch bei einem geringem Werte als eine Peruta (die kleinste Münze) verboten«; »Der Mensch kann nicht fremdes Eigentum dem Heiligtum angeloben«; (Erachie 7 5.); »Bei streitigen Fällen bleibt das Geld in der Gewalt seines zeitigen Besitzers«; »Niemand zahlt vor abgelau fener Frist«; »Wer Geld- oder Wertsachen aufzubewahren anvertraut, gibt sie, dass auch die Hausgenossen, Frau und Kinder, verantwortlich werden« (Baba mezia 85); »Schweigen gleicht einem Geständnis«; »Der Bote ist wie der Herr selbst«; »Das von mehreren beanspruchte, aber von keinem rechtskräftig für das Seinige erwiesene Gut, wird unter ihnen gleich geteilt« (Baba mezia 84); »Wer nicht den ihm zugeschobenen Eid leistet, muss zahlen. «
E.Zeugen. Die Hauptbestimmungen der Halacha über Zeugenverhör und Zeugenaussagen sind: »Die Zeugenaussage muss in Gegenwart der Parteien geschehen« (Choschen mischpat 28. 18); »Die Aussage der Zeugen darf nicht schriftlich, sondern muss mündlich geschehen«; »Zwei Zeugen sind in ihrer Aussage wie die von hundert«; »Der Widerspruch eines Zeugen gegen zwei wird nicht beachtet«; »Das Zeugnis, das in einem Teile vernichtet ist, ist ganz vernichtet«; »Wo ein Zeuge genug ist, kommt dessen Aussage der von zwei Zeugen gleich«.
F. Kultus. Die Grundgesetze über den Kultus im Allgemeinen sind: »Wer da betet, soll sein Herz in Andacht zu Gott erheben« (Berachoth 34); »Besser wenig in Andacht als viel ohne Andacht« (Shabbath 10. Orach chajim 1 §. 2 Berachoth 17); »Der eine viel, der andere wenig, wenn sich nur sein Herz in Andacht zum Himmel erhob«; »Das erste Wort des Hauptgebetsabschnittes lautet: Schema, höre, verstehe, d. h. bete in jeder Sprache, die du verstehst!«; »Wer nicht ruhigen Sinnes ist, bete gar nicht«. (Erubin 65) In Bezug auf Shabbath und Fest lautet der Grundsatz: »Mache den Shabbath zum Wochentag und falle den Menschen nicht zur Last«, der jeden luxuriösen Aufwand zur Feier der Feste verbietet. Ein anderer Grundsatz war: »Besser jetzt einen Shabbath zu entweihen als später viele Shabbathe entweihen zu müssen.« (Joma 87. 7a.) Die Heiligachtung der Synagoge wird in mehreren Sätzen eingeschärft; doch soll das Lehrhaus, Beth hamidrasch, die Stätte des Unterrichts und des Lehrvortrages höher als die Synagoge gehalten werden. »Man mache aus der Synagoge ein Lehrhaus, aber nicht aus dem Lehrhaus eine Synagoge.« (Orach chajim §. 153 ) Über Fasten und andere Kasteiungen lehrt die Halacha: »Wer nicht fasten kann und dennoch fastet, ist ein Sünder.« (Orach chajim 571) »Wer von einem Gebot dispensiert ist und es dennoch ausübt, ist ein Idiot.« (vergl. Jad Maleache III §. 291)
Das Gesetz, dessen Auslegung und weiterer Ausbau. Das Gesetz im Pentateuch, unter seiner späteren Benennung: »das schriftliche Gesetz« wird als ein Ganzes, in allen seinen Teilen Abgeschlossenes betrachtet, aus dem Inhaltlichen und andeutungsweise der ganz spätere Ausbau desselben in dem späteren Schrifttume hervorgegangen ist. Gegen die Samaritaner und die Sadducäer, die nur das schriftliche Gesetz anerkannten, aber dem späteren Ausbau desselben jeden Anspruch auf normierende Bedeutung absprachen, war ihr Ausspruch: »Gibt es wohl etwas in den Kethubim (Hagiographen), das in der Thora (Pentateuch) nicht angedeutet wäre!« Gegen das Christentum, das von der Auflösung des alten Gesetzes und von der Einführung eines neuen spricht, lautet die Erklärung: »Kein Prophet hat die Macht, Neues zu schaffen.« (Joma 80a Megilla 2b) Die Gesetze werden in zwei Klassen geteilt: in Gebote und Verbote mit der Bestimmung, dass oft der Erfüllung des Gebotes das Verbot weichen müsse. Sonst unterscheidet man zwischen Gesetzen, die am Boden Palästinas haften, von denen, die sich auf die Person des Israeliten beziehen, also Bodenpflichten und Personenpflichten; auch zwischen Gesetzen, deren Gültigkeit zur Zeit des Tempels in Jerusalem und denen, die noch nach der Zerstörung desselben in Anwendung kommen, oder zwischen den Gesetzen des Profanen und denen des Heiligtums. Bei dem Gesetzesausbau unterscheidet sie: 1. die Urtradition, die sinaitische Halachoth, Halachoth von Moses von Sinai; 2. alte überkommene Gesetzeserläuterungen, alte Halachoth; 3. Vorbeugungsbestimmungen; 4. Neue Verordnungen und getroffene Einrichtungen. Von letzteren heißt es: »Was die Rabbinen anordneten, ist, als wenn es die Thora verordnete« (Sanhedrin 89. Berachoth 3. 6.); »Die Weisen haben die Vollmacht, ein Gesetz der Thora aufzuheben, um die Übertretung eines wichtigeren Verbotes zu verhüten«. (Jebamoth 90b.) Doch werden diese rabbinischen Bestimmungen sehr eingeschränkt. »Man folgere nichts von den Halachoths (Jeruschalmi Pea.) nichts von der Mischna (Nidda 7b. 9a.), nichts vom Talmud. (daselbst). Genauer ist der Unterschied zwischen dem rabbinischen und dem Schriftgesetze in dem Satze: »Bei differierenden Meinungen richtet man sich bei dem Schriftgesetze nach der, welche erschwert; dagegen beim rabbinischen Gesetz nach der, die da erleichtert.« (Aboda sara 7) Es versteht sich, dass wir diese Angaben schon des beschränkten Raumes wegen nicht ausführlich, sondern nur aphoristisch mitteilen, auch nicht alle Teile der Halacha berühren konnten; sie sollten uns nur den Eindruck in den diesen großen Gesetzesausbau durchdringenden Geist eröffnen.
III. Geschichte und Würdigung. Die Anfänge der Halacha in ihrer oben angegebenen Fassung findet man schon im Pentateuch. Es sind mehrere Gesetze, die im 2., 3., 4. und 5. Buch Moses ihren weiteren Ausbau, ähnlich dem der spätem Halacha erhalten. So in Bezug auf das Mannasammeln am Shabbath 2. M. 16. 22, die Darbringung des Sündopfers des Priesters Aharons und seiner Söhne 3. M. 16. 16; das Holzsammeln am Shabbath 4. M. 15. 32; die Gotteslästerung 4. M. 24. 14; die Reinigung der im Kriege erbeu teten Gefäße 4. M. 31. 21; die Ausführung des Gesetzes von Anlegung der Schaufäden 5. M. 22. 19 u. a. m. So sehr hatten sich die Verhältnisse in den 4o Jahren des Aufenthaltes der Israeliten in der Wüste geändert, dass das Gesetz, um es den neuen Verhältnissen anzupassen, neu erklärt und erweitert werden musste. Größer wurde dieses Bedürfnis in den Jahrhunderten nach der Eroberung und Besitznahme von Kanaan. Die nachpentateuchischen Schriften haben daher mehrere Gesetzesauslegungen, als z.B. Josua 25. z6. die Aufrechterhaltung der Eidesleistung, wenn sie auch betrügerisch erschlichen wurde; Josua 6. den Bannraub und die Steinigung Achans; Josua 8. Richter 10. Daselbst 133.1 S. 7. Das. 10 und 11. die Erbauung von Altären und die Opferdarbringung; Richter 13. das angeordnete Nasiräergelübde Simsons, das er nicht abgelegt, aber wozu er bestimmt wurde; im Buche Ruth das Schwagergesetz; 1. S. 9. die Königswahl und das Königsgesetz; 1. S. das Institut der Prophetenjünger; 1. K. den Tempelbau und die Einweihung desselben u. a. m. So enthalten schon diese Bücher die Halacha in ihren 5 Gestalten, eines schriftlichen, mündlichen, hergeläuteten, gebräuchlichen und zeitlichen Gesetzes. Doch sind diese im Ganzen nur gering, fast verschwindende Bestandteile, im Vergleich zu ihrem späteren großartigen Bau, der sich über alle Volksinteressen und Lebensgestalten der Juden erstreckte. Ihre eigentliche Entwicklung und Ausbildung fand sie erst im Laufe des zweiten jüdischen Staatslebens und in den ersten 3 Jahrhunderten nach demselben. Wir unterscheiden in diesem, ihrem Geschichtsgang, drei Perioden: 1. die der Sopherim, der Schriftkundigen (von Esra bis zur Auflösung der großen Synode und deren letztem Mitglied Simon, dem Gerechten); 2. die der Gesetzeslehrer, Tanaim; 3. die der Gesetzeserläuterer, Amoraim. Aus der ersten Periode, der der Sopherim, ist ein großer Teil der anonymen Gesetze und Institutionen in der Mischna, die an der Kürze und Bestimmtheit ihrer Sprache, auch an der einfachen Art ihres Vortrages, wie sie sich als eine erklärende Ergänzung des schriftlichen Gesetzes kennzeichnet, zu erkennen sind. Die Sprüche der Väter haben einen Lehrspruch der Männer der großen Synode, der Sopherim, der im Allgemeinen die Grundzüge ihrer Tätigkeit andeutet. Derselbe lautet: »Seid bedachtsam im Gericht, stellet viele Schüler aus und machet einen Zaun um das Gesetz.« (Aboth 1. 1.) Es geht aus diesem hervor, dass sie sich die Verbreitung des Gesetzes in der Theorie und den Schutz desselben vor Übertretung in der Praxis zur Aufgabe machten. So kennt auch das talmudische Schrifttume einen »Midrasch schel Sopherim«, worunter man: 1. die Erklärung des schriftlichen Gesetzes zur genaueren Bestimmung desselben; z. die Herleitung neuer Bestimmungen aus demselben für nicht im Gesetze vorgesehene Fälle versteht. Ferner werden mehrere Einrichtungen und Gesetzeserweiterungen aus dieser Zeit genannt als z. B. das Vorlesen des Estherbuches am Purimfeste; das Lesen des Schema am Morgen und Abend (Sanh. 11. 3.) die Anfertigung der Tephilin, bestehend aus vier Abschnitten (Sanhedrin 11. 3.); die öffentliche Vorlesung der Thora (Baba kama 82. Megilla 31b.); mehrere neue Bestimmungen zu den biblischen Eheverboten (Jebamoth 12.) u. a. m., wozu noch die am Ende des Nehemiabuches genannten Institutionen, so wie die, welche der großen Synode zugeschrieben werden, gehören. Die zweite Periode hat zwei Abteilungen: 1. die der Lehrer der vormakkabäischen Zeit und 2. die der nachmakkabäischen. Mit dem Schluss der ersten Periode ist die Tätigkeit der Sopherim, der Männer der großen Synode, zu Ende. Wir sind schon tief in der Zeit der Syrerherrschaft in Palästina. Unselige Reibungen zwischen Juden und Griechen, zwischen jüdischen Hellenisten und Altnationalen mehren sich. An der Stelle des alten nationalen Volksrats, der Männer der großen Synode, ist jetzt das mit griechischem Namen und nach griechischen Muster konstituierte Synhedrion. Die Männer, die an der Spitze desselben treten, sind später unter dem Namen »die Alten der Vorzeit« bekannt, und ihre Anordnungen heißen: »Gebote der alten« (Sukka 46). Das Griechentum breitete sich weiter aus und drohte alles Jüdische zu verdrängen. Das rief eine nationale Partei zum Schutz des Alten und Hergebrachten hervor. Dieselbe führte beim Ausbruch der makkabäischen Kämpfe den Namen: »Nasiräer«, Enthaltsame, oder »Chassidäer«, Fromme. Eine andere, mehr vermittelnde Richtung mit dem Hohepriester Simon II., Simon den Gerechten, an ihrer Spitze, war die der Gerechten, Zaddikim, der Gesetzesgerechten, die jeder übertriebenen Frömmigkeit, jeder Enthaltsamkeit abhold waren und das griechische Wesen, so weit es sich mit dem Gesetze vereinigen lässt, als zulässig erklärten. Wir kennen Simon den Gerechten als einen entschiedenen Gegner jeder chassidäischen Richtung. Erst die völlige Einführung des griechischen Götzenwesens und die mit derselben befohlene völlige Ausrottung des Judentums unter Antiochus Epiphanes veranlasste diese Partei sich mit den Chassidäern zu verbinden. Es sind nun Chassidäer, die an die Spitze des Synhedrion treten. Antigonos aus Socho ist der Erste, der im chassidäischen Sinne lehrt: »Seid nicht wie die Knechte, die ihrem Herrn des Lohnes wegen dienen, sondern gleichet den Knechten, die ihrem Herrn nicht um Lohn dienen; es walte über Euch die Ehrfurcht vor Gott.« (Aboth. 1. 2.) Ihm folgten die zwei Synedrialhäupter Jose ben Joeser aus Zereda und Jose ben Jochanan aus Jerusalem, ebenfalls Chassidäer. Verschmelzung der Chassidäer mit den Gesetzesgerechten, welche eine Änderung der Prinzipien jeder Partei zur Folge hatte, und aus der später der Bund der Chaberim, die Pharisäer, hervorging, hatte bald eine Ausscheidung von Unzufriedenen nach beiden Richtungen zur Folge: der Gesetzesgerechten, Zaddikim, wegen der Überhäufung von chassidäischen Erschwerungen und der Chassidäer in Folge der ihnen auferlegten Lossagung von vielen Gesetzeserschwerungen. Jede von ihnen konstituierte sich zu einer besonderen Genossenschaft, wo sie in ihrer alten Richtung fortlebten und weiter wirkten. So gingen aus den Erstern die Sadducäer, und aus letztem, die Essäer hervor. Wir gehen an die Darlegung der im Sinne dieser Vereinigungen sich entwickelnde Tätigkeit der Synedristen über. Die schon oben genannte Sekenim, die Alten, die Häupter des Synhedrion unter der Syrerherrschaft und in der makkabäischen Zeit, als: Antigonos aus Socho, Jose ben Joeser und Jose ben Jochanan, Josua ben Parachia und Nitai Arbeli, Juda ben Tabai und Simon ben Schetach u. a. m. hatten die Aufgabe, den weiteren Ausbau des Gesetzes im Geiste dieser neuen Richtung gegen die abweichenden Bestimmungen der Sadducäer und Essäer zu besorgen. Ihr Werk war neben der direkten Herleitung von Gesetzen aus der Schrift nach der Exegese der Sopherim, »Midrasch der Sopherim«, auch die aus den überkommenen Traditionen hervorgehenden Normen zu bestimmen und fürs Leben zu entwickeln. Diese älteren von den Sopherim überkommenen Traditionen, Halachoth, werden als »alte Halachoth« bekannt und von den Späteren oft zitiert. Einen besondern Bestandteil derselben bildeten die sinaitischen Traditionen, die Halachoth von Moses auf Sinai. Diese alten Halachoth wurden auch von den ausgetretenen Chassidäern, Essäern, und den Sadducäern als vollständig anerkannt, und bildeten die Grundlage ihrer Lehre. Letztere protestierten nur gegen die neuen Herleitungen, die Schöpfung neuer Halachoth und andere Gesetzeserschwerungen. Solche Gesetzeserschwerungen von den Synedrialhäuptern Jose ben Joeser und Jose ben Jochanan werden namhaft gemacht. Sie erklärten das Land der Heiden für unrein und das Glasgeschirr als verunreinigungsfähig (Jeruschalmi Sabbath 1. 4.). Andererseits kennt man mehrere Erleichterungen, von ersterem gegen den strengen Chassidäismus zu Gunsten der beigetretenen Gesetzesgerechten. Hierher gehören: a. dass auch am Festtage die Opfernden die Zeremonien der Händeauflegung auf das Opfer vollziehen dürfen (Chagiga II. 2. Jeruschalmi daselbst.), b. dass eine unbestimmte Heuschreckenart zum Genuss rein sei, die Flüssigkeit des Schlachthauses nicht verunreinige und nur derjenige, der unmittelbar einen Toten berührt, unrein werde (Edajoth 8. 4.). Diese Neuerungen haben ihm den Namen »Erleichterer« verursacht, sie hatten die Unzufriedenheit der alten Chassidäer gegen sich. Dagegen sprachen die andern von ihm: »Jose ben Joeser war ein Frommer des Priestertums« (Chagiga 2. 7.), d. h. ein Frommer des Priestertums zum Unterschied von den Frommen des Volkes, den Essäer; ferner: »Sämtliche Paare von Moses bis Jose ben Joeser und Jose ben Jochanan lehrten die Thora wie Moses sie gelehrt, es wurde an ihnen kein Tadel gefunden.« (Temura 15b.) Wir erkennen in ihrer Tätigkeit, wie bereits angegeben, die Durchführung der Vereinigungspunkte zwischen den Chas-sidäern und den Gesetzesgerechten zur Bildung eines Dritten, des spätem Chaberbduäes, des Pharisäertums. Auch die Institution der Paare, dass sie je zwei Männer von jetzt ab an der Spitze des Synhedrions sehen, scheint mir eine Vertretung der zwei Richtungen: des Chassidäismus und der Gesetzesgerechten, Zaddikim, gewesen zu sein. Vergleichen wir die Mischna Chagiga II. 1., wo diese Paare mit der Divergenz ihrer Lehrmeinungen aufgezählt werden, so finden wir, dass das eine von ihnen die frommere Richtung, dagegen das andere die strenggesetzliche (die Richtung der Gesetzesgerechten) vertritt. Ebenso deutet die dem ersten Paare Jose ben Joeser und Jose ben Jochanan beigelegte Benennung »Ischkholoth«, »Mann für alle«, auf die durch die repräsentierende Vertretung beider Richtungen, der Chassidäer und der Gesetzesgerechten. (Themura 15b.) Eine Erweiterung dieser Tätigkeit fiel den Gesetzeslehrern der makkabäischen und nachmakkabäischen Zeit, den Tanaim zu. Die gegen den sich so entwickelnden Pharisäismus protestierenden Sadducäer traten immer schroffer gegen dessen Lehren, Bestimmungen und Institutionen auf; sie stellten seine Berufung auf die Tradition als die Unterlage derselben entschieden in Abrede und hielten den ganzen Ausbau des Gesetzes als dessen eigenes Machtwerk, dem jede Begründung in der Schrift fehle. Die Sache der Gesetzeslehrer war daher diesen gegenüber, neben der Fortsetzung der sopherischen Tätigkeit in der Gesetzesforschung den Nachweis einer schriftlichen Begründung für die traditionellen Bestimmungen zu liefern. So viel ihnen die Apologetik der Tradition und die Polemik gegen den Sadducäismus zu. Es bleibt hier nur noch die Darstellung des anderen Teils ihrer halachischen Tätigkeit übrig, der Gesetzesforschung oder des Gesetzesausbaus als Fortsetzung der unter den Sopherim begonnenen Arbeit. In denselben kennzeichnet sich die neue Richtung der Pharisäer in ihrem vollen Gegensatz zu den Sadducäern und den Chassidäern. Eine Menge von alten Halachoths, welche die Sadducäer für sich, als die ihrigen, in Anspruch nahmen, werden ausgeschieden und Entscheidungen in entgegengesetzter Richtung treten an ihre Stelle. Über die sie leitenden Grundsätze sind die Aussprüche der Späteren (des R. Jonathan im 3. Jahrh. n. u. a. m.): »Zur Zeit, da sie eine Sache verboten, stützten sie sich auf den Schriftvers, zur Zeit, da sie (dieselbe Sache) wieder erlaubten, stützten sie sich auch auf einen Schriftvers«; (Jeruschalmi Schebiith 1. 1.) ferner: »Den Schriftvers lasen sie und sie entfernten; den Schriftvers lasen sie und sie näherten.« (Midr. r. 1i. M. Abschn. 82.) Die Zurückführung der Halacha auf die Schrift hieß: »Mischna« oder »Midrasch der Halacha«, und die Gesetzeslehrer, die sich damit beschäftigten, führten den Namen: »Schone Halachoth«, aramäisch »Tanaim«, »Lehre der Halachoth«. Die ersten Paare der makkabäischen Zeit waren Josua ben Parachia und Nitai Arbeli. Von ersterem wissen wir, dass er, im Sinne der frömmern Richtung, den Weizen von Alexandrien, weil er durch Kunstbewässerung, durch Nilwasser befeuchtet wird, für verunreinigungsfähig erklärt hat, was jedoch von Seiten seiner Kollegen abgewiesen' wurde (Machschirin 3.). Kühner tritt diese neue Richtung in den Anordnungen des Johann Hyrkan zum Vorschein. In Bezug auf die Zehntablieferung herrscht die höchste Verwirrung; es wurden Klagen über die Vernachlässigung derselben von Seiten des Landvolkes laut (nach Sote 48a habe Johann Hyrkan durch Abgesandte, die das Land deshalb bereisten, erfahren, dass viele den I. und z. Zehnt nicht ablieferten. Vergl. Sote Jeruschalmi 9. 11. Tosephta Sote 13. Talmud Jeruschalmi Maaser Scheni 5. 9.), andererseits konnte man die drückende Last der Zehntabgaben: der Levitenzehnten, der Zehnten für das in Jerusalem zu verzehrende Zehntmahl und der Armenzehnten für die damaligen durch den Krieg eingetretenen Verarmungen nicht in Abrede stellen. Er bestimmte daher gegen die bisherigen Zehntgesetze, dass das Landvolk nur zur Priesterhebe verpflichtet sei, dagegen soll alles Getreide vom Landvolk als Demai, zehntpflichtig für den Käufer betrachtet werden, von dem er die gesetzlichen Levitenzehnten abzugeben habe. Das führte zu einer zweiten tief greifenden Bestimmung, zur Abschaffung des Zehntbekenntnisses (5. M. 26. 3- 10.), weil dasselbe nicht mehr nach seinem wörtlichen Inhalt in Wahrheit gesprochen werden konnte (Baba mezia 90. vergl. Tosephta Sote Absch. 13. Jerus. Maaser scheni 5. 9.). Eine dritte Bestimmung verbot das Hämmern, d. h. die geräuschvolle Arbeit an den Halbfesttagen (s. Pessach- und Laubhüttenfest) in Jerusalem. Die Vierte schaffte das Psalmgebet von Psalm 44: »Wache auf, o Herr! warum schläfst Du!« ab, das seit den Tagen der syrischen Religionsverfolgung in Palästina täglich beim Tempelgottesdienste rezitiert wurde. Eine Fünfte endlich verbot den Priestern den Brauch, das Opfertier zwischen den Hörnern blutig zu ritzen, um es leichter zu Boden stürzen zu können. Man hat dafür eine Vorrichtung mittels Ringen in der Erde eingeführt, durch die das Opfertier leicht zu Boden geworfen werden konnte. In diesen fünf Bestimmungen, die auch bei den spätem Gesetzeslehrern auf keinen Widerspruch stießen, erkennen wir noch ganz den Geist obiger Vereinigung, dagegen haben die andern ihm zugeschriebenen Anordnungen eine entschiedene Haltung gegen die im Pharisäismus hervortretende chassidäische Richtung, und eine Hinneigung zu dem zaddikäischen Prinzip, die später seinen offenen Übertritt zu dem Sadducäismus zur Folge hatte. Bestärkt werden wir in unserer Ansicht, weil letztere sämtlich von den Spätem wieder aufgehoben wurden. Dieselben waren: 1i. die Nennung des zeitigen Hohepriesters in dem Datum auf Urkunden mit dem Attribut »Priester des höchsten Gottes«, 2. die Zehntpflichtigkeit der von ihm eroberten syrischen und samaritanischen Städte: Bethsean, Kefar Zemach u. a. m., die nun zu Palästina geschlagen und gleich den andern Städten des Landes den Charakter der Heiligkeit haben sollten, 3. die in Bezug auf diese Städte getroffene Aufhebung der Verordnung des Jose ben Joeser, die den Boden der Heidenländer für unrein erklärte, 4. die durch den erzwungenen Übertritt erfolgte Aufnahme der Idumäer ins Judentum. Die gegen die Verordnung erhobenen Proteste der Gesetzeslehrer, welche in demselben eine Verletzung des bisher inne gehaltenen Prinzips erblickten, bis zur Aufhebung derselben sowie die offenen Angriffe von Seiten der chassidäischen Pharisäer auf die Hohepriester-würde Hyrkans, die durch die Sadducäer provoziert wurden und den Übertritt Hyrkans I. verursachten. Wir haben hier den weiteren Verlauf der Geschichte der Halacha zu besprechen. Mit dieser neuen Wendung kam der Sadducäismus zur Herrschaft und die Arbeit der neuen Richtung, des Pharisäismus erlitt eine vieljährige Störung. Die Pharisäer, wohl nur die der chassidäischen Richtung, wurden nun in Folge der gegen sie veranstalteten Verfolgungen aus Jerusalem nach verschiedenen Gegenden verdrängt, so dass das Synhedrion sich aus Sadducäern konstituierte. Das Synedrialoberhaupt Josua ben Parachia lebte jetzt in Ägypten und mit ihm wohl noch viele andere Synedrialmitglieder dieser Richtung. Der Sadducäismus feierte seine Blüte; seine Macht entfaltete er in den letzten Jahren Hyrkans bis über die Regierungszeit Aristobuls I., des Janai Alexander und der Salomon Alexandra hinaus, also von 112 — 70 v. Seine sämtlichen Bestimmungen, wie sie sich von denen der Pharisäer unterschieden, kamen nun zur Geltung. Sie wurden in ein Gesetzbuch, das Buch des Gesetzes, zusammengetragen, das allein für sie Gesetzeskraft hatte (Megillath Taanith Absch. 4.). Die Anerkennung und Begünstigung solcher Entscheidungen von oben herab übte einen solchen Druck auf die Gegenpartei, die Pharisäer aus, dass sie den Tag, wo dasselbe außer Kraft und Gültigkeit gesetzt wurde, zum Festtag einsetzten. Es ist hier nicht der Ort, einen Abriss dieser sadducäischen Gesetzesbestimmungen und ihrer Bekämpfung durch die Pharisäer zu geben, und wir verweisen darüber auf den Artikel »Sadducäer«; hier wollen wir nur diejenigen berühren, die direkt in den Entwicklungsgang des Pharisäismus hemmend eingreifen. Simon ben Schetach und Juda ben Tabai werden als die Ersten genannt, die nach dem Tode des Königs Alexander Janai allmählich wieder über die Sadducäer die Oberhand erhielten und im Synhedrion die pharisäische Richtung mit ihren Gesetzesnormen nochmals zur Geltung brachten. Von ersterem heißt es: »Er hat die Krone (die Thora) in ihr altes Recht wieder eingesetzt.« (Kidduschin 66a.) Zu seinen Verordnungen gehörten: die Erneuerung der in der vormakkabäischen Zeit von Jose ben Joeser getroffenen Bestimmungen der Unreinheitserklärung des Bodens heidnischer Länder und des Glasgeschirres (Sabbath 14b.), wozu er noch die des Metallgeschirres hinzufügte (Daselbst. Vergl. 4. M. 31. 22. Die Verordnung war, dass auch nach der Umschmelzung dieses Geschirrs noch die Unreinheit daran hafte. Siehe Sabbath 16b. Cholin 25a. Jeruschalmi Kethuboth 8.); ferner, dass in der Eheverschreibung (Kethuba) an die Frau des Mannes ganzes Vermögen zur Sicherheit verpfändet werde, der Mann jedoch dasselbe in sein Gewerbe verwenden könne; dass der Vater verpflichtet sei, seine Kinder zum Unterricht in die Schule zu schicken, u. a. m. Durchgreifend war sein energisches Vorgehen gegen den zu seiner Zeit überhand nehmenden Volksaberglauben; er verurteilte 80 Zauberinnen in Askalon zum Tode, (Sanhedrin 46a.) und drohte dem Chassidäer Choni Maagol mit dem Bann, wenn er in seinen Gebeten um den Regen von der Gott bestürmenden Gebetsweise nicht ablasse (Taanith 19.). Die konsequente Durchführung einer gegen die Sadducäer gefassten Halacha, dass die vor Gericht abgegebene Zeugenaussage, nachdem das Urteil auf dieselbe über den Verbrecher gesprochen wurde, nicht mehr zurückgezogen werden dürfe, kostete das Leben seines eigenen Sohnes. Zwei Männer klagten den Sohn, aus Hass gegen seinen Vater, eines Verbrechens an, was sie, nachdem das Todesurteil gegen ihn verhängt war, tief bereuten und ihre Aussage widerrufen wollten (Jeruschalmi Sanhedrin Absch. 6.). Wir erkennen in ihm den Vertreter der strengen Gesetzlichkeit, des Gesetzesgerechten, dagegen gehört sein Kollege Juda ben Tabai mehr der chassidäischen Richtung an. Letzterer musste als eifriger Anhänger derselben mit vielen Andern Jerusalem verlassen und nach Alexandrien fliehen, von wo er jedoch in Folge der spätem Verwendung Simon ben Schetachs wieder zurückberufen und zum Synedrialpräsidenten erhoben wurde. Er ließ sich auch da noch von seinem antisadducäischen Eifer hinreißen, dass er von zwei Zeugen einen wegen seiner überführten falschen Aussage zum Tode verurteilte, trotzdem der andere nicht seiner falschen Aussage überführt werden konnte, als Demonstration gegen die sadducäische Vorschrift, dass eine solche Todesverhängung über die falschen Zeugen nur stattfinden könne, wenn wirklich durch deren Aussage der Angeklagte zum Tode verurteilt und die Strafe an ihn vollzogen worden war. Simon b. Sch. machte ihm darüber die bittersten Vorwürfe: »Du hast unschuldiges Blut vergossen!«, rief er ihm zu (Chagiga 16; Mechilta zu Mischpatim Absch. 2. Tosephta Sanhedrin Absch. 6.). Von da ab war sein Lehrspruch: »Forsche sehr die Zeugen aus, aber sei bedacht mit deinen Worten, dass sie nicht nach ihnen ihre lügenhafte Zeugenaussage einrichten.« (Aboth. 1. 9.) Andererseits führte auch seine allzu-strenge Durchführung der gesetzlichen Bestimmung: »Der Verklagte müsse vor das Synhedrion und vor den Richter persönlich erscheinen und während der Verhandlung stehen«, die er auch bei einer Anklage gegen den König Alexander Janai angewendet wissen wollte, zu Zerwürfnissen zwischen ihm und den andern Synedristen, die gegen ihn beschlossen: »Der König soll nicht richten und nicht gerichtet werden.« (Sanhedrin 19.) Eine ruhigere weitere Entwicklung dieser Richtung war unter den Synedrialoberhäuptern Semaja und Abtaljon (70 — 50). Bekannt ist von ihnen, dass sie eine Freigelassene zum Trinken der Fluchwasser verurteilten (Edajoth 5. 6. vergl. Tosephta Pesachim 4, wo diese in Abrede gestellt wird), das Pessachlamm am Shabbath zu schlachten erlaubten und die Weise des Mitbringens des Schlachtmessers an solchem Shabbath, wenn sie dasselbe vergessen hatten, angaben (Pesachim 66a. Das. Jeruschalmi 6. 1.), ferner, dass das Wild, das im Park gezogen wird und am Festtage geschlachtet werden soll, vor dem Feste dazu bestimmt werden müsse; ebenso soll man den am Feste zum Schlachten bestimmten wildlebenden Vögeln vorher die Flügel binden (Beza 25a.). Eine andere Tradition, die auf sie zurückgeführt wird, bestimmt, dass das Quellbad (Mikwe) durch 3 Log geschöpften Wassers unbrauchbar gemacht wird (Edajoth 1. 3.). In ihren Tagen brach der der bedauerliche Bruderkampf der zwei königlichen Prinzen Hyrkan II. u. Aristobul II. aus, die zur Entscheidung die Hilfe der Römer ins Land riefen. Wir erwähnen von demselben den Verrat eines Mannes in der Belagerungszeit Jerusalems, der in griechischer Sprache den Belagerern den Rat erteilte, anstatt des täglichen Opfertieres ein Schwein über die Mauer herabzulassen. Man war darüber in Jerusalem so entrüstet, dass das Synhedrion einen Fluch über den aussprach, der von nun ab das Griechische erlernen oder ein Schwein in Palästina aufziehen werde (Sota 49. Menachoth 64b. Babakama 82.). Eine nicht unerhebliche Unterbrechung erlitten die Hafachastudien in dieser Richtung unter den Synedristen der Söhne Bathyras; die von der Erlaubnis, das Pessachopfer am Shabbath zu schlachten, nichts zu wissen vorgaben; es also nicht zugeben wollten, bis die Gegenpartei sich an den Lehrer Hillel wendete, der mit seiner Lehre von dessen Erlaubtsein nach Zitierung einer vernommenen Tradition von den Synedristen Semaja und Abtaljon endlich durchdrang, eine nicht unbedeutende Tatsache, da sie den Rücktritt der Söhne Bathyras und die Wahl des Hillel zum Synedrialpräsidenten zur Folge hatte. Ein anderer Vorfall aus dieser Zeit war der eines Juda ben Dorthai mit seinem Sohne, die ausgewandert waren, weil ihnen die Darbringung des Wallfahrtsopfers an einem Festshabbath verweigert worden zu sein scheint. Er sprach: »Wenn Elia der Prophet kommen und fragen würde, warum habt ihr das Wallfahrtsopfer am Festshabbath nicht dargebracht, man müsste ihm antworten: Ich wundere mich über die zwei Großen, Semaja und Abtaljon, die doch große Weisen und große Schriftforscher waren, sollten sie Israel nicht belehrt haben, dass dem Wallfahrtsopfer das Shabbathverbot weiche.« (Pesachim 70. Auch Jeruschalmi daselbst hat R. Elieser, der Repräsentant der ältern Richtung, Akiba gelehrt, dass das Wallfahrtopfer nicht am Shabbath dargebracht werden dürfe. Ein späterer Lehrer, Rabh, rechtfertigt die Sache des ausgeschiedenen Dorthai. vergl. Pesachim 7o.) Man sieht, welche Unzufriedenheit gegen das damalige Synhedrion geherrscht hat. Gekennzeichnet wird übrigens diese Zeit, da sie zu den Geschichtsperioden gerechnet wird, wo die Thora in Vergessenheit geraten war und besseren Tage entgegen harrte. (Sukka 20a.) Möglich, dass dieses Synedrion mit seinen Präsidenten, den Söhnen Bathyras, von der Regierung des Herodes eingesetzt und begünstigt wurde, nachdem die Mitglieder des alten Synhedrion unter Semaja und Abtaljon wegen ihrer Verurteilung des Herodes zum großen Teile hingerichtet wurden. Indessen herrschte dieses unvolkstümliche Synhedrion nicht lange, mit dem Auftreten Hillels war seine Tätigkeit zu Ende. Das Volk erhob diesen, wie schon angegeben, zum Nassi, und die Söhne Bathyras legten ihr Amt nieder. Ein neuer Aufschwung bemächtigte sich bald der Arbeiten der Halacha; sie wurden im Geiste des volkstümlichen Synhedrion unter Semaja und Abtaljon wieder aufgenommen. Gleich nach dem Ausscheiden des noch mit Hillel amtierenden Menachem war Samai an dessen Stelle getreten, ein Mann der entschieden älteren, der chassidäischen Richtung, und das Synhedrion hatte wieder an seiner Spitze zwei Männer als Vertreter der beiden Richtungen, der Strenggesetzlichen, der Gesetzesgerechten und der Frommen, der Chassidäer, der beiden Faktoren des Pharisäertums. Beide entfalteten eine reiche Lehrtätigkeit und haben den Ausbau des Gesetzes zu vollenden gestrebt. In den Gesetzesbestimmungen unter dem Namen Hillel haben wir drei Klassen: 1. die Institution; 2. die Gesetze seiner ersten Lehrtätigkeit mit seinem Amtsgenossen Menachem und 3. die Bestimmungen aus der späteren Zeit mit seinen Amtsgenossen Samai. Wir verweisen über die erste Klasse, um jede Wiederholung zu vermeiden, auf den Artikel »Hillel«. Von denen der Zweiten nennen wir, dass die Reinsprechung des mit Aussatz Behafteten durch den Priester nur dann gültig sei, wenn wirklich der Aussatz nach den Gesetzesangaben der Lehrer geschwunden ist. Wir sehen darin eine Zurückführung der Machtvollkommenheit des Priesters auf seine ursprünglichen Grenzen, über die sie nicht hinausgehen dürfen (Sifra Negaim und Jeruschalmi Pesachim Absch. 6.) Spätere Bestimmungen setzen zur Verhütung etwaiger Priesterwillkür fest, dass die Besichtigung des Aussatzes durch einen Gesetzeskundigen und die Reinsprechung durch den Priester geschehen müsse, also eine völlige Abhängigkeit dieses von jenem (Mischna negaim 3. 11; Sifra Negaim 1.) Eine Zweite betraf das Wallfahrtsopfer, dass es gleich dem Pessachopfer auch von Schafen genommen werden könne. Die Herleitung dieser Bestimmung wird von 2. M. 12. 5. entnommen, ein Vers, der von einem späteren Lehrer, Rabh, zur Rechtfertigung des obigen Dorthai, und seines Sohnes, die die Darbringung des Wallfahrtsopfers am Festshabbath für erlaubt hielten, gebraucht wurde. Andererseits wird erzählt, dass R. Elieser, bekanntlich der Vertreter der älteren Richtung, den Akiba gelehrt habe, dem Wallfahrtsopfer weiche nicht das Shabbathverbot, es dürfe nicht am Shabbathfest dargebracht werden (Jerus. Pesachim 6. 1.). Die ältere Richtung steht hier der jüngern, des Dorthai, entgegen, ob Hillel zu Gunsten der letzteren die Konsequenz der Gleichheit des Pessachopfers mit dem Wallfahrtsopfer auch auf das Schlachten des letzteren am Shabbath ausdehnte, ist nirgends angegeben. Die dritte Bestimmung endlich war, dass man am Pessachfest nur 6 Tage, d. h. von dem zweiten Festtage an nach der Darbringung der Erstlingsgarben vom Getreide essen dürfe. Die Begründung derselben ist auf die Gesetzesstellen in 3. M. 16. 8. und 2. M. 12. 15., Stellen, die von den späteren Lehrern zur Bekämpfung der Lehre der älteren Richtung, der Boöthusäer, dass das Opfer nicht anders als an einem Sonntag dargebracht werden könne, angewendet wurden (Menachot 66a. Sifra zu Emor, zu 3. M. 2.3. 15.). Es unterliegt keinem Zweifel, dass in dieser hillelischen Bestimmung ebenfalls eine Bekämpfung der zitierten boethusäischen Richtung liegt. Die Angabe dieser hillelischen drei Bestimmungen wird mit dem Nachdruck hervorgehoben, dass nur ihretwegen Hillel nach Palästina gekommen war, sie bildet also die Grundlage seiner Lehrtätigkeit daselbst (Jerus. Pesachim 6. 1. siehe: Hillel). Die der dritten Klasse umfassen seine Bestimmungen, die er im Gegensatz und als Protest gegen die seines Präsidialgenossen Samai, des Vertreters der älteren Richtung, gefasst hat. Wir nennen von denselben die über die Vornahme der Zeremonie der Händeaufstützung bei der Darbringung der Festopfer, die von Samai verboten und von Hillel erlaubt gehalten wurde (Chagiga 7. Beza 19.). Wir erinnern uns, dass sie schon einen Streitpunkt zwischen den Synedrialpräsidenten Jose ben Joeser aus Zereda bildete. Ein anderer Gegenstand war die Darbringung eines Wallfahrtsopfers am Feste. Hillel behauptete auch hier gegen Samai deren Erlaubtsein (siehe: Hillel). Eine Dritte betraf die Shabbathfrage (s. Hillel), worin die Schule Hillels entschieden gegen die Gesetzeserschwerungen Samais protestierte, der die Vornahme der Arbeit am Freitag verbietet, wenn dieselbe noch den Shabbath zu ihrer Vollendung bedarf, auch wenn sie ohne jedwede menschliche Beihilfe zur Vollendung gelangt, als z. B. das Trocknen der Flachsstängel im Ofen, das Legen von Zeugstoffen in den Färbekessel, um sie zu färben usw. In den Gesetzesbestimmungen Hillels und seiner Schule war fast jedes Mal die neuere Gesetzesrichtung im Sinne von Samaria und Abtaljon vorherrschend gewesen, dagegen in denen von Samai und seiner Schule eine Hinneigung zur älteren Richtung hervortritt. Ein neues Moment macht sich nun geltend; die Differenz der Gesetzesentscheidungen wird nicht mehr, wir früher, durch die Majoritätsentscheidung ausgeglichen; die alte Einheit, zu deren Erhaltung man von seiner Meinung abstand, war jetzt gebrochen. Die beiden Synedrialhäupter Hillel und Samai und mehr ihre Schulen nach ihnen gaben einander nicht nach, standen von ihren Entscheidungen nicht ab, sondern hielten dieselben aufrecht, so dass ihre Jünger zwei völlig getrennte Schulen bildeten. »Erst«, lautet die Klage darüber, »gab es in Israel keine Gesetzesstreitigkeiten, bis Hillel und Samai aufstanden.« Doch kam es zu keiner wirklichen Sektenbildung. Wenn auch, heißt es in einem Berichte darüber, diese verboten und jene erlaubten, so verketzerten sie sich nicht gegenseitig und hielten sich zurück, sich mit einander zu verheiraten. Wir haben in dem Artikel »Samaiten und Hilleliten« ausführlich die Differenzpunkte sowie die übereinstimmenden Beschlüsse derselben angegeben, auch von deren Wichtigkeit und dem Einfluss derselben auf die damaligen Zeitverhältnisse gesprochen, und indem wir hier über das Spezielle dieser Geschichtsentwicklung der Halacha auf diese unserer Arbeit verweisen, gehen wir in unserer Darstellung zur Lehrtätigkeit des nun folgenden Synedrialpräsidenten R. Gamaliel I. über.Treu dem Prinzip seines Ahns, Hillel, sehen wir ihn an der Aufgabe »das Gesetz zu einem Gesetz des Lebens zu machen«, fortarbeiten. Es gehören hierher sämtliche in dem Artikel Gamliel I. gebrachten Bestimmungen. In allen suchte er den Zeitbedürfnissen zu entsprechen, den Zeitansprüchen helfend entgegenzukommen. Sein Nachfolger Simon Sohn Gamliels, der in den stürmischen Jahren, in der Zeit des jüdischen Krieges gegen die römische Oberherrschaft, das Synedrialpräsidium führte, schloss sich dem Aufstand der Juden an und wurde nach der Einnahme Jerusalems und der Zerstörung des Tempels von den Römern hingerichtet. Die Samaiten gewannen immer mehr an Macht und Ansehen, ihre Strenge und ihre schonungslosen Gesetzesbestimmungen stimmten mehr mit der damaligen Zeitströmung, wo die Zeloten die Oberhand errangen. Jene Gesetzeserschwerungen, die unter dem Namen »die achtzehn Beschlüsse« bekannt sind (Sabbat 13.) und in Folge der Überstimmung der Hilleliten von den Samaiten wohl noch unter Herodes oder bald in der darauf folgenden Regierungszeit zur Beschlussfassung kamen und so wohl ein festeres, engeres Zusammenschließen der Pharisäer in ihrem Unterschiede von den lauen Sadducäern als auch die Scheidung zwischen Juden und Heiden verschärften und vervielfältigten, hatten ihre Früchte getragen und eine zelotische Nationalpartei herangebildet. In dieser stark bewegten Zeit hat ihn die Willkürwirtschaft der römischen Prokuratoren auf die Seite der Kriegspartei gedrängt, aber in religiösen Sachen blieb er ein treuer Jünger Hillels, der im Geiste dieses seines Ahns fortarbeitete. So werden auch von ihm mehrere milde Gesetzesbestimmungen namhaft gemacht, die der Zeit volle Rechnung trugen. So traf er in einer Teuerungszeit, wo ein Paar Tauben auf einen Golddendar kam, die Anordnung, dass auf fünf Geburten nur ein Opfer gebracht wurde (Kherithot 8.). Ein anderer Beschluss war für die Sadducäer, sie den anderen Israeliten gleich zu achten (Erubin 6. 1.). Der Dritte bestimmte, dass man keine Gesetzeserschwerung über Israel verhänge, die von der Majorität nicht gehalten werden könne (Tosephta Sanhedrin Absch. 2.). Nach der Zerstörung des Tempels kam ein neuer Gegenstand zur Erörterung. Der Tempel lag zerstört, der Opferkult hörte auf und Jerusalem war nicht mehr der Mittelpunkt Palästinas, die Frage entstand, wie es mit einem großen Teile der an diese knüpfenden Bestimmungen stehe. R. Jochanan ben Sakai war der erste Gesetzeslehrer, der auszuhelfen verstand. Jabne (Jamnia), die Stadt, die er sich von Titus als Gnadengeschenk für sich und die Gelehrten erbat, wurde nun der Sammelplatz für die Gelehrten. Das Synhedrion konstituierte sich hier wieder, R. Jochanan b. S. erhob diese Stadt zum Mittelpunkt der Judenheit Palästinas, so dass ihr fortan gewisse gesetzliche Vorrechte zuerkannt wurden, deren sich früher nur Jerusalem erfreute. So verordnete er, dass daselbst am Neujahrsfeste, wenn daselbst auf einen Shabbath fällt, das Schofar geblasen werden darf; (Rosch haschana). Die Synagogen wurden in gewisser Beziehung dem Tempel gleichgestellt. Ferner bestimmte er, dass nach der Zerstörung des Tempels an allen Tagen des Laubhüttenfestes, wie früher im Tempel zu Jerusalem, der Lulab zum Gottesdienste mitgebracht werden soll (Sukka). Weiter sprach er die Proselyten von dem Geldopfer frei, da die Opfer aufgehört haben (Khetuboth 13. 1. 2.). Freilich ließ sich gegen viele dieser Bestimmungen eine Opposition vernehmen, besonders von Seiten der Bathyräer, aber sie drang nicht durch (siehe: Jochanan ben Sakai). Wie die Gesetzeslehrer in den darauf folgenden Zeiten in dieser Richtung fortgearbeitet, das Gebet an die Stelle des Opfers gesetzt usw. sowie über den weitern Entwicklungsgang der Halacha verweisen wir auf den Artikel »Tradition«.