Kultus

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Kultus, Gottesdienst, Dienst; deut­licher: Dienst Gottes; ferner: Dienst des Herrn.

I. Name und Bedeutung. In der An­gabe der Bedeutung obiger biblischen Namen für »Kultus«, Gottesdienst, ha­ben wir ihren engeren Sinn von dem weiteren zu unterscheiden. Im engeren Sinn bezeichnen dieselben ausschließlich nur den Altar- und Tempeldienst in seinen verschiedenen Teilen: des Op­fers, des Gebets und der religiösen Be­lehrung (s. weiter), dagegen bedeuten sie in ihrem weiteren Sinne die in dem religiösen Wandel zum Ausdruck kom­mende Gottesverehrung durch die Beo­bachtung der Gotteslehre und des Got­tesgesetzes, die Vollziehung der Lehren und Gebote des Mosaismus, der gegen Gott sowie der gegen den Menschen. Auch die Ausübung der Liebeswerke gegen unseren Nächsten heißt in der Bibel »Gottesdienst« und wird als sol­cher empfohlen. Unsere Arbeit in die­sem Artikel beschäftigt sich mit dem Gottesdienste in seiner engeren Bedeu­tung, mit der Darstellung und Bespre­chung des Altar- und Tempeldiensts in den verschiedenen Epochen seiner in­neren und äußeren Gestaltung der Lehre und der Form.

II. Gebot, weitere Gesetze, Wesen und Gestalt. Der Mosaismus hat kein spezielles Gebot für den Gottesdienst in seinen zwei Hauptteilen, des Opfers und des Gebetes. Dieselben sollten eine freie Regung der Seele, ihren Auf­schwung zu Gott bilden, aber keine durch das Gesetz befohlenen Werke werden. Nur allgemeinhin ist in den Lehren und Gesetzen über den Gottes­dienst in seinem weiteren Sinne, als die Vollziehung des Gesamtgesetzes, auch das Gebot von dem Gottesdienst in sei­ner engeren Bedeutung, des Altar- und Tempeldienstes, mit ausgesprochen. »Ihr sollet dem Ewigen, eurem Gotte, dienen; er segnet dein Brot und dein Wasser; ich schaffe weg die Krankheit aus deiner Mitte!«; »Und nun Israel, was fordert der Ewige, dein Gott, von dir, als dass du den Herrn, deinen Gott, ehrfürchtest, auf allen seinen Wegen wandelst; ihn zu lieben und ihm zu die­nen mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele«; »Den Herrn, deinen Gott, sollst du ehrfürchten, ihm dienen, an ihm hängen und bei seinem Namen schwören«; »und ihm zu die­nen mit eurem ganzen Herzen. « Dage­gen hat der Pentateuch über die Gestal­tung, Regelung und Reinerhaltung des Altar- und Tempeldienstes, als des Got­tesdienstes im engeren Sinne, von jeder heidnischen Beimischung eine Menge spezieller Gesetze. Von denselben nen­nen wir als erste das Gebot zur Errich­tung eines Altars. Im Gegensatz zum Heidentum, dem luxuriösen Aufwand desselben bei seinen Kultusgegenstän­den, lautet nach dem Verbote »keine Götter aus Silber und Gold anzuferti­gen« das Gebot: »Einen Altar aus Erde sollst du mir machen, auf ihn bringe deine Brand- und Friedensopfer«, mit dem Nachsatz: »Überall, wo ich mei­nen Namen erwähnen lasse, komme ich zu dir und segne dich.« Ferner: »Wenn du mir einen Altar aus Steinen errichtest, erbaue ihn nicht aus gehaue­nen Steinen, denn so du dein Schwert darüber gehoben, hast du ihn ent­weiht.« Die einfachste Weise zur Be­friedigung des religiösen Bedürfnisses sowie die Sorge über die Reinerhaltung des Gottesdienstes vor heidnischem Einflusse ist in diesem Gesetz klar und mit Nachdruck ausgesprochen. »Kein Silbet und Gold ist nötig, Erde allein genügt schon; auch der Altar an sich ist nicht das Gottgefällige, sondern das Gedenken des Gottesnamens und zwar letzteres so sehr, dass es an keiner Stätte gebunden ist und überall den Gottesse­gen herab beschwören könne.« In Be­zug auf die symbolische Bedeutung des Altars ist besonders das Verbot des Ge­brauchs von Eisen bei seiner Anfertigung wichtig. »Das Eisen, das Schwert«, heißt es in einer alten Deutung, »ist zur Verkürzung des Menschenlebens ge­schaffen, der Altar zu dessen Verlänge­rung; daher durfte jenes sich nicht über dieses erheben.« Altäre nach diesem Gesetz wurden erbaut von Moses nach dem Sieg über Amalek, ferner bei der Bundesschließung mit Israel nach Emp­fang des Gesetzes. Übrigens hat dieses Gesetz nichts Neues geschaffen, da Er­bauung von Altären und Altardienst schon in der vormosaischen Zeit in Is­rael stattfanden; es hat die Bestimmun­gen über ihn nur festgestellt und gere­gelt. Das zweite Gesetz, das hierher gehört, ist das zur Erbauung eines Hei­ligtums, der Stiftshütte. »Und sie sollen mir ein Heiligtum machen und ich wohne in ihrer Mitte.« Hiermit war eine Erweiterung obigen Gesetzes gege­ben. Der Altardienst wurde zu einem Tempeldienst umgestaltet. Die Verge­genwärtigung Gottes, das Wohnen (Verweilen) Gottes in Israels Mitte, wurde dadurch versinnbildlicht. Israel war durch den Empfang der zehn Ge­bote und den darauf erfolgten Bundes­schluss zu einem religiös-ethischen Ge­meinwesen, zum Gottesvolke, gebildet; es sollte daher auch seinen Gott, mit dem es in engere Beziehung getreten, in seiner Mitte wohnend wissen. »Ihr seid die Herde«, heißt es in einer sinnigen agadischen Erklärung dieses Gebotes, »und ich, Gott, der Hirte, bereitet mir eine Stätte, dass ich euch weide; ihr seid der Weinberg und ich dessen Hüter, bauet mir eine Hütte, dass ich euch hüte; ihr seid die Kinder und ich euer Vater, die Ehre der Kinder ist, bei ihrem Vater zu weilen sowie die Ehre des Va­ters, bei seinen Kindern zu sein. Machet dem Vater ein Haus, dass er komme und bei seinen Kindern weile!. Das dritte Gesetz, das hierher gehört und diese beiden ergänzt, ist das über die Erwählung, Einsetzung und Weihung der Gottesdiener, der Priester und Levi­ten, die den Dienst im Tempel verrich­teten. Ein enger Kreis von Auserwähl­ten, wie Israel unter den Völkern, sollten die Aaroniden und Leviten, die Priester in Israels Mitte, zur Pflege des Heiligen dastehen. Mit diesen dreien, dem Altar, dem Heiligtum, der Stifts­hütte und den Priestern, den Altar- und Tempeldienern, waren die Institutionen des Gottesdiensts gegeben. Der Gottes­dienst selbst sollte seinem Grundwesen nach aus drei Teilen bestehen, aus:

1. dem Opfer, dem Symbol der Hin­gabe an Gott oder Weihung für Gott;

2. der Bitte oder dem Gebete, und

3. der Belehrung. Zu ersterem ge­hörten: a. das Opfer in allen seinen Ge­stalten; b. die Kasteiung, das Fasten, die Entsagung, das Nasiräat, als die Leibesopfer, und c. die Feier des Shab­baths und der Feste, als die Hingabe und Gottweihung von unserer Lebens­zeit, den Lebenstagen.

Das Zweite, die Bitte oder das Ge­bet, wird in drei Gestalten gekannt: das Dankgebet, Bittgebet und Bußge­bet. Von diesen kommen im Pentateuch nur drei bestimmte Formeln, festste­hende Gebete, vor: a. der Priestersegen, b. das Sündenbekenntnis und c. das Dankgebet oder das Dankbekenntnis bei der Überreichung der Fruchterst­linge im Heiligtum.

Das Dritte, die Belehrung, der End­zweck des Gottesdienstes, ist im Mosa­ismus in der für den Festgottesdienst bestimmten »Heiligen Verkündigung«, aus der sich später (s. weiter) die Insti­tution der Thoravorlesung mit den an dieselben sich knüpfenden religiösen Vorträgen herausgebildet hat, angeord­net. Zum Schutze und zur Reinhaltung des Kultus waren eine Menge von Ver­boten und Bestimmungen, welche die Entfernung heidnischer Sitten und Bräuche bezwecken und den Gottesal­tar gleichsam schützend wie ein Mauer umgeben, um das Eindringen heidni­scher Elemente abzuwehren. Wir rech­nen hierher das Verbot des Götzen­dienstes und der Abgötterei, der Anfertigung und Abbildung von Göt­ tern; ferner das Verbot, keinem Wesen, keiner Naturmacht Opfer darzubrin­gen; die Bestimmung, dass Opfer nur auf dem Altar der Stiftshütte und spä­ter auf dem des Tempels zu Jerusalem dargebracht werden dürfen; das Verbot der Zauberei, der Totenbeschwörung und jeder Art des Aberglaubens. Mit Androhung der schwersten Strafen ist jede sinnliche Ausschweifung, die Be­friedigung sinnlicher Lust, vom Kultus ausgeschlossen. Dagegen wird die Ver­innerlichung des Gottesdienstes, die Erhebung und Vertiefung in Gott nach­drücklich geboten. »Und es sollen diese Worte, die ich dir heute befehle, in dei­nem Herzen sein«; »Dass du den Ewi­gen, deinen Gott, liebest, ihm dienst mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele«; »Und wenn dich dein Sohn ei­nes Morgens fragt: Was ist dieses?«, so sage ihm: »Mit starker Hand hat uns der Herr aus Ägypten geführt. « Solche Mahnungen zur Verinnerlichung des Gottesdiensts, dass Gebet kein bloßes Lippenwerk werden, Opfer nicht allein ein Abfinden mit Gott bilden, sondern ihre heiligende Wirkung in uns zurück­lassen, durchziehen die ganze Bibel und machten den Hauptteil der begeis­ternden Prophetenreden aus. Dieser Gottesdienst blieb seinem Grundwesen nach auch der der Synagoge. Nur das Opfer hatte keine Stätte mehr in dem­selben.

III. Lehre, Prinzip, Symbol und Auf­gabe. Der Kultus eines Volkes ist das Sinnbild seiner Gottesanschauung, er repräsentiert den Grad seines Gottes­bewusstseins, seines Gottesglaubens. Auch der Kultus des Judentums ist der lebendige Ausdruck seiner Gottesidee mit ihren Lehren der Liebe, Heiligkeit, Gerechtigkeit und Freiheit. Der Gott im Judentum ist keine bloße Idee, kein so genannter philosophischer, höchster Gedanke, sondern ein reales, absolutes Sein. Er ist nicht bloß ein erhabenes, im Himmel thronendes, ein fernes und jenseitiges Wesen, sonder der den Wel­ten und den Geschöpfen nahe Gott, der Lenker und Leiter ihrer Geschicke. Er ist nicht nur der Größte, Mächtigste und Heiligste, der keine Sünde duldet, jedes Vergehen ahndet, sondern auch der Barmherzige und Gnädige, der Sünde und Abfall vergibt, nicht den Tod des Sünders, sondern dessen Rück­kehr und Leben will. Er ist kein Natio­nalgott, der Gott eines Volkes, sondern ein universeller Gott, ein Gott aller Welten und aller Völker, der alle Men­schen in Liebe umfasst, in Israel eine Heilsstiftung gegründet hat, um alle Völker der Erkenntnis Gottes zuzufüh­ren. Dieses im Herzen des Israeliten tief liegende Gottesbewusstsein mit den an dasselbe sich knüpfenden Lehren und Pflichten fand in den Gestalten des Kultus seine symbolische Abspiege­lung: »Gott mit und für die Welt«; »Gott mit und um den Menschen«; »Gott mit und in Israel« mit den Ei­genschaften der Gerechtigkeit, Heilig­keit, aber auch der Liebe und Gnade wird durch den Altar, die Stiftshütte, sowie später durch den Tempel in Jeru­salem und nach ihm durch die Syna­goge bildlich vergegenwärtigt. Schon die verschiedenen biblischen Benen­nungen für »Gotteshaus« als »Woh­nung Gottes«, »Haus der Versamm­lung, Synagoge«, wo Israel sich um seinen Gott sammelt, sprechen dafür. Deutlicher treffen wir diesen Gedan­ken in den vielen Aussprüchen über die Bedeutung des Altars und des Gottes­hauses. »An jeder Stätte, wo ich mei­nen Namen erwähnen lasse, komme ich zu dir und segne dich«, lautet der Schluss des Gesetzes über die Errich­tung eines Altars. Ferner: »Und sie sol­len mir ein Heiligtum machen und ich wohne in ihrer Mitte«; »Und dort komme ich mit euch zusammen, um mit euch zu reden«; »Ich wohne in der Mitte Israels, und sie erfahren, dass ich der Ewige, ihr Gott bin, der in ihrer Mitte wohnt, ich der Ewige, ihr Gott!« Am klarsten spricht sich diese symboli­sche Bedeutung in dem salomonischen Weihgebet 1. K. 8. 27 — 53 mit den Worten aus: »Denn ob doch Gott auf der Erde wohne; siehe, die Himmel und Himmels Himmel fassen dich nicht, viel weniger das Haus, das ich dir erbaut habe. Aber du wendest dich, Herr mein Gott, zum Gebet deines Dieners und zu seiner Andacht!. So wird im Verlaufe des Gebetes Gott in den Eigenschaften der Gerechtigkeit und Heiligkeit, aber auch in denen der Leibe und Gnade vorgeführt und mit starkem Nachdruck als Gott aller Völker verkündet mit dem Schluss: »Da­mit alle Völker der Erde deinen Namen erfahren, dich ehrzufürchten.« Diese Lehre von »Gott mit und für die Welt«; »Gott mit und um den Menschen«; »Gott mit und in Israel« findet ihre Er­gänzung in einer anderen, die ebenfalls im Kultus symbolisch vergegenwärtigt wurde. »Die Welt mit und für Gott«, »der Mensch mit und um Gott«, »Is­rael mit und in Gott« ist diese Lehre, welche mit der obigen ein Ganzes bil­det, und hier in dem Opfer, dem Gebet und der Belehrung ihren symbolischen Ausdruck findet. Das Opfer, als das erste, vergegenwärtigt die Hingebung der Welt für Gott, die Weihung und Er­hebung des Menschen zu Gott in der Bedeutung, dass sie und wir nur mit und durch Gott unser Heil und Ziel er­reichen; als Bekenntnis, dass sie und wir in Gott unser Dasein und unsere Erhaltung haben; als ein Geloben, in stetem Aufblick zu Gott zu leben, sich zu heiligen und zu vollenden. Das Ge­bet, das Zweite, spricht das aus, was das Opfer nur symbolisch ausdrückte. Endlich ist das Dritte die Lehre oder die Belehrung, welche die Zeichnung der daran sich knüpfenden Pflichten entwirft und zur Erfüllung derselben mahnt. »Und siehe, eine Leiter steht auf der Ede, deren Spitze in den Him­mel reicht; die Engel Gottes steigen auf derselben auf und nieder!« (1. M. 28. 12); »Eine Leiter steht auf der Erde«, d.i. der Altar; »ihre Spitze reicht in den Himmel, »das ist das Opfer, und »die Gottesengel steigen auf und nieder« — das sind die Priester, die den Altar­dienst versehen. «

IV. Geschichte und Würdigung. Keine Institution des Judentums hat so sehr in ihrer Bildung und Gestaltung eine geschichtliche Entwicklung durch­gemacht, als die des Kultus. Der jüdi­sche Kultus, wie er sich zum Synago­gen-Gottesdienst herausgebildet hat, und aus Gebet und Lehre (Belehrung) besteht, ist die Arbeit eines langen, re­gen, jüdischen Geschichtslebens, und kann nur nach den verschiedenen Epo­chen desselben verstanden, beurteilt und dargestellt werden. Der Gottes­dienst der vormosaischen Zeit in den biblischen Erzählungen von den Stammvätern, der Bildung des israeliti­schen Volkes bis auf dessen Auszug aus Ägypten; der Kultus der Israeliten auf ihren Wanderungen in der Wüste vor und nach dem Bau der Stiftshütte, die langsame, schwache Befestigung des­selben, seine gebrechliche Gestalt nach ihrem Einzuge in Kanaan bis auf Sa­muel; sein Aufschwung durch die Ar­beiten Davids und dessen weitere Voll­endung durch Salomo; der Tempeldienst im zweiten jüdischen Staatsleben; der Synagogenkultus nach der Zerstörung des Tempels; die weitere Ausbildung und Befestigung desselben in den trü­ben Jahren der hadrianischen Verfol­gungen in Palästina und der späteren in Babylonien, auch die in den besseren Zeiten Israels in den verschiedenen neuen Heimatländern — bilden die verschiedenen Epochen dieser Entwick­lung. So hat, wenn wir nach allgemei­nen Umrissen sprechen sollen, der Altardienst in der vormosaischen Zeit mehr Gebet als Opfer, ebenso kein ei­genes Priesterpersonal. Nach dem Aus­zug aus Ägypten wird dieser einfache Altardienst zu einem Tempelgottes­dienst umgeschaffen. Ein eigenes Pries­terpersonal, eine Menge Opferarten mit Gebet, Priestersegen und heiliger Verkündigung an Festen wurden einge­führt. Unter David wird dieser Tempel­gottesdienst durch Lied, Musik und Sang der Levitenchöre gehoben und verschönert. Salomo hat ihn durch den Bau eines prachtvollen Tempels mit luxuriöser Ausstattung seine Blüte er­reichen lassen. Eine einfachere und zweckentsprechendere Gestalt erhielt der Tempelgottesdienst im zweiten jü­dischen Staatsleben. Lehre und Gebet traten in den Vordergrund und gelang­ten neben dem Opfer zu immer größe­rer Anerkennung. Nach der Zerstörung des Tempels durch Titus war es der Sy­nagogen-Gottesdienst, der an dessen Stelle trat und ihn zu ersetzen suchte. Das Opfer hatte da keine Stätte mehr, aber dafür erhielten die zwei anderen Teile des Gottesdienstes, das Gebet und die Lehre, eine bedeutende Erweite­rung. Nach dieser allgemeinen Charak­teristik versuchen wir eine speziellere Darstellung des Kultus in den eben an­gegebenen Epochen seiner Geschichte.

a. Die vormosaische Zeit. Der Pen­tateuch lässt Abraham, den Stammva­ ter der Israeliten, zur besseren Gotte­serkenntnis und mit ihr zur reineren Gottesverehrung gelangen. Die Ver­werfung der Menschenopfer ist in der Erzählung von der Opferung Isaaks ausgesprochen. Der Kultus bestand aus der Erbauung eines Altars und der An­rufung Gottes. Von den Opferarten kennt man nur das Dankopfer. Das­selbe war das Opfer Abels, das Opfer Noachs, das von Abraham, Isaak und Jakob. Dagegen kommt das Sünd- und Schuldopfer noch nicht vor; ebenso weiß man noch nichts von einer eige­nen Priesterfamilie. Priester war das Familienoberhaupt oder der ihn vertre­tende erstgeborne Sohn. In Ägypten waren die Israeliten nicht frei vom Götzendienst, was bei der Anfertigung des goldenen Kalbes noch stark her­vortrat.

b. Die mosaische Zeit. Von demsel­ben kommt hier nur in Betracht, was unter Moses zur Vollziehung gekom­men. Hierher gehören das Pessachop­fer, die Feier des Shabbaths und ande­rer Feste, soweit dieselben in der Wüste gefeiert werden konnten: Die Beschnei­dung musste aus Gesundheitsrücksich­ten unterbleiben. Nach Amos 5. 25. sind auch keine Opfer in der Wüste ge­bracht worden, was sich wohl auf die freiwilligen Opfer beziehen mag, wo­mit auch Jeremia 7. 22. zu stimmen scheint, wenn es daselbst heißt, dass dieselben gar nicht befohlen wurden. Weiter kommt von dem Kultus der mosaischen Zeit vor die Errichtung von Altären und die Feier des Bundes­schlusses mit Israel auf das empfangene Gesetz; die Erbauung und die Weihe der Stiftshütte, in die ein schon ausge­bildeter Tempelgottesdienst mit Op­fern, Segenserteilung, Gebet und heili­ger Verkündigung am Fest, den ein eigenes Priesterpersonal, Aharon und seine Söhne unter Beihilfe der Leviten verrichteten, eingeführt wurde.

c. Die nachmosaische Zeit bis Sa­lomo. Erst nach dem Einzuge der Isra­eliten in Kanaan konnte das mosaische Kultusgesetz in seinen verschiedenen Teilen zur Vollziehung kommen. Aber die Berichte darüber sind sehr spärlich, und manche Angaben von dem Kultus unter den Richtern stehen im Wider­spruch mit den mosaischen Kultusge­setzen. Die Ausgleichung dieses Wider­spruchs, besonders in Bezug auf die Opferdarbringung außerhalb der Stifts­hütte und in Betreff des Höhendiens­tes, hat verschiedene Annahmen veran­lasst, von denen einige die Existenz des mosaischen Gesetzes in dieser Zeit völ­lig in Abrede stellen wollen. Nach un­serem Dafürhalten waren die ersten zwei Jahrhunderte der nachmosaischen Zeit die Zeit des Durchkampfes für das Gesetz, wie es allmählich unter vielen und verschiedenen Gegensätzen und Widersprüchen zur Ausführung kom­men konnte. Nach Josua 24. 31. waren die Israeliten in den Jahren unter Josua und den Ältesten dem mosaischen Ge­setz ergeben. In Josua 5. 11. werden die Feier des Pessachfestes und der Ge­ nuss der Mazzoth angegeben. Erst aus der Zeit nach den Ältesten bis Samuel wird von starken Abweichungen vom Gesetz berichtet. Das Gesetz verbietet jede Opferdarbringung außerhalb des Heiligtums; auch bestimmte es nur die Aaroniden zur Darbringung der Opfer als die eigentlichen Priester. Trotzdem erzählen die Berichte aus dieser Zeit von Altären auch an anderen Orten, auf denen geopfert wurde, was Nicht­aaroniden vollzogen. Es erbauten Al­täre und opferten: das Volk zu Bochim, Bethel und Mizpeh; Gideon in Ophra, Manoah in Zarea, Jephta im ostjorda­nischen Mizpeh, Samuel in Rama, Gil­gal und Bethlehem. Bei der Krönung Sauls opferte man in Gilgal. Saul selbst opferte nach seinem Siege über die Phi­lister in Gilgal, ebenso in Michmas. Auch von dem Gottesdienst am Heilig­tum unter den Söhnen Elis wird nur Nachteiliges berichtet. In einem großen Volksteile herrschte Götzendienst, den sie von der heidnischen Umgebung ge­lernt und angenommen hatten. Doch fehlt es auch nicht an Nachrichten von jährlichen Wallfahrten nach dem Hei­ligtum in Silo, wie sie von Elkana und seiner Frau Hanna, der Mutter Samu­els, unternommen wurden. Überhaupt war die alte Anhänglichkeit am mosai­schen Kultus der Stiftshütte im Volke noch nicht erloschen. Aus seiner Mitte erhob sich Samuel, der Mann, dessen Tätigkeit sich auch auf die Restaura­tion des alten Kultus erstreckte. Er stellte dem Priester Eli die Schändung des Heiligtums durch seine Söhne vor und weissagte die schweren Folgen sol­cher Taten. Bei einer anderen Gelegen­heit sprach er sich gegen den alleinigen Formendienst des Kultus aus: »Gehor­sam ist besser als Opfer, Aufmerken vorzüglicher als Fett der Widder.« In Miz-pa hielt er eine Volksversammlung ab, wo er zur Verwerfung des Götzen­dienstes und zur Rückkehr zur Gottes­verehrung aufforderte. Störend für den glücklichen Fortgang dieser Tätigkeit war die Gefangennahme der Bundes­lade durch die Philister. Das Zeltheilig­tum, die Stiftshütte, war darauf ohne Bundeslade in Nob, später zu Gibeon, bis David sie später von Kirjath-Jearim in feierlichem Zuge nach Zion brachte, wo er für sie einen Zelttempel errich­ten ließ. David hatte die Absicht, ein Prachtheiligtum zu erbauen, wovon er jedoch nur durch die Gegenvorstel­lung des Propheten Nathan, »ein Mann des Krieges sei für die Erbauung einer Gottesstätte ungeeignet«, abgehalten wurde. Indessen hat er den Tempelbau nicht nur vorbereitet, sondern suchte auch den Gottesdienst schon jetzt durch Musik und Einführung von Psal­men, die er selbst gedichtet hatte, zu heben und dem Leviten- und dem Tem­pelpersonal eine neue Ordnung zu ge­ben. Bekannt ist, dass bei Davids Zelt­heiligtum eine Opferstätte gewesen mit einem vollständigen Priesterpersonal und mit zwei Hohenpriestern, Ebja­thar, der sich zu David von Nob nach Kegila geflüchtet hatte, und Zadok, der diese Würde schon beim Zeltheiligtum in Gibeon bekleidete.

d. Von Salomo bis zur Zerstörung des Tempels. Bei dem Regierungsan­tritt Salomos gab es neben dem Zelt­heiligtum auf Zion noch immer ein Heiligtum in Gibeon, wo sich die Stifts­hütte befand, und wo auch Salomo Opfer darbringen ließ; ebenso waren an verschiedenen Orten Opferhöhen, Bamoth. Nun sollte ein Zentralheiligtum für die Einheit des Gottesdienstes, wie dieselbe früher schon durch die Er­richtung der Stiftshütte beabsichtigt wurde, geschaffen werden. Der Mann, der dieses große Werk auszuführen hatte, war Salomo. Wir heben aus dem Weihgebet die Angabe hervor, dass das Heiligtum auch den Heiden als Symbol der Gottesgegenwart gelten sollte. Dass es als solches betrachtet wurde, bewei­sen die Berichte von den Wallfahrtsfes­ten, an denen Salomo besonders viele Opfer darbringen ließ. Eine neue An­ordnung von Salomo war die Bestim­mung der Hohepriesterwürde für Za-dok und seine Nachkommen. In allem Übrigen wurden die oben genannten davidischen Einteilungen der Priester und Leviten etc. beibehalten. Fragen wir, ob dieser salomonische Tempel wirklich eine Einheitsstätte des Kultus geworden, ob die Gesetze 3. Mos. 17. 3. 9; 4. M. 33. 52.; 5. M. 11. 12. 14; 3. M. 26. 36. u. a. m.. beobachtet wur­den, die den Opferdienst an anderen Stätten verboten, so müssen wir ent­schieden diese Frage verneinen. Schon die heidnischen Frauen Salomos erbau­ten Opferhöhen für den Chamos und Moloch in der Nähe Jerusalems und gaben der alten Kultuszerrissenheit neue Nahrung. Hierzu kam die Teilung des Reiches unter Nehabeam, wo im nördlichen Reiche durch Jerobeam der Höhendienst förmlich organisiert wurde, um den Rest jeder Kultusein­heit zu vernichten. Derselbe erstreckte sich von Bethel über ganz Samaria, wo­mit sich allmählich Götzendienst ver­band, der unter Ahab durch die heid­nische Jsebel zur Staatsreligion erhoben wurde. Eine Gegentätigkeit von dem Propheten Elia war von keinem blei­benden Erfolg. Auch im Reiche Juda riss der Höhendienst um sich, wenn auch der Tempel in Jerusalem als Zen­tralheiligtum galt. So hören die Klagen nicht auf, dass die Opferhöhen nicht abgeschafft wurden. Erst der König Assa war wieder der Erste, der gegen die Überhandnahme des Höhendienstes kämpfte und für den Einheitsgottes­dienst des Tempels eintrat. Er berief das Volk zu einer großen religiösen Landesfeier, wo er den durch Götzen­dienst entweihten Brandopferaltar wie­der weihte und auf ihm Opfer darbrin­gen ließ, verpflichtete das Volk durch einen Eid zum treuen Festhalten am al­ten Gottesglauben und bedrohte die Götzendiener mit Strafen. Ein weiterer Schritt zum Besseren war das Werk Jo­saphats, die Absendung von Priestern und Leviten nach den Städten, um das Volk mit dem jüdischen Gesetz bekannt zu machen. Aber auch unter ihm wird noch über den Fortbestand des Höhen­dienstes geklagt. Erst dem Könige His­kia wird eine gründliche Säuberung des Landes vom Götzendienst zugeschrie­ben. Einen Versuch zur Kultusreform unternahm derselbe bald im Anfange seiner Regierung. Ein anderes Werk von ihm war die Vereinigung der in dem Zehnstämmereich zurückgeblie­benen Volksreste zu einem gemein­samen Gottesdienst mit Juda im Tem­pel zu Jerusalem. Endlich sorgte er auch für die Ordnung des Tempelgot­tesdientes, organisierte eine Tempelmu­sik und lud das ganze Volk, auch von den Städten des Zehnstämmereiches, zu einer allgemeinen Feier des Pessach­festes ein. So kam es endlich dahin, dass der Höhendienst völlig abgeschafft wurde. Am weitesten erstreckte sich nach dieser Richtung hin die Tätigkeit des Königs Josia (640 — 609), unter dessen Regierung das große Ereignis des Wiederauffindens des Buches der Lehre Moses durch den Hohenpriester Hilkia stattfand. Die in demselben ver­zeichneten Gesetze suchte er nun einzu­führen. Mit der größten Strenge ließ er die Opferhöhen, die von Hiskia abge­schafft wurden, zerstören und die heid­nischen Priester töten. Die Höhenpries­ter von Juda sandte er nach Jerusalem, wo für ihren Unterhalt gesorgt war, je­doch wurden sie von jeder Mittägigkeit am Tempelgottesdienst ausgeschlossen. Diese großartige Restauration des mo­saischen Kultus fand ihre Ergänzung in der Tätigkeit der Propheten dieser und späterer Zeit. Dieselben begnügten sich nicht mit der Rückkehr der Formen al­lein, mit der Wiederherstellung des äu­ßeren Gottesdienstes, sondern drangen darauf, dass sich mit dem Leib auch dessen Geist wieder verbinde, dass die äußere Frömmigkeit von einer inneren getragen werde. Doch waren dies nur Saatkörner für eine spätere Zeit. Es traten bald tief erschütternde Ereig­nisse ein, die das Herz des jüdischen Volkes für seinen reinen Gottesglauben auf immer empfänglich machen und die Sehnsucht nach der wahren Gottes­verehrung wecken und erneuern soll­ten. Diese waren die verheerenden Kriege Nebukadnezars gegen das Reich Juda, die mit der Zerstörung Jerusa­lems und der Einäscherung des Tem­pels endeten. Mit lebendigen Farben schildern die exilischen Propheten diese durch die schweren Leiden hervorgeru­fene innere Umwandlung. »Siehe«, heißt es in einer der Reden Jeremias, »es kommen Tage, und ich schließe mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund. Nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern am Tage, da ich sie aus Ägypten geführt, geschlossen habe. Denn dieser Bund, den ich mit dem Hause Israel schließe, spricht der Ewige, ist: ich gebe meine Lehre in ihr Inneres, und auf ihr Herz werde ich sie schreiben; ich werde ih­nen ein Gott sein, und sie sollen mir ein Volk sein. Sie werden nicht mehr einer den anderen Lehren: >Erkenne den Ewigen!<, denn alle, von Klein bis Groß, werden mich erkennen; ich ver­zeihe ihre Sünden, und ihre Vergehun­gen gedenke ich nicht mehr.« »Ich schaffe ihnen ein Herz und einen Wan­del, mich täglich zu ehrfürchten, damit es ihnen und ihren Kinder nach ihnen wohlgehe. « Eine noch eingehendere Schilderung gibt der Prophet Ezechiel. »Werfet von euch all euren Abfall, wie ihr abgefallen seid, machet euch ein neues Herz und einen neuen Geist, wa­rum sollet ihr sterben, Haus Israel!. »Ich gebe euch ein neues Herz, einen neuen Geist senke ich in euch, ich schaffe weg das Herz des Steines aus eurem Leibe, ich gebe euch ein Herz des Fleisches. Meinen Geist senke ich in euch, das tue ich, damit ihr in mei­nen Gesetzen wandelt, meine Rechte beobachtet und sie ausübet.« Ferner: »Und ich schließe mit ihnen den Bund des Friedens, einen ewigen Bund; ich vermehre sie und setze mein Heiligtum in ihre Mitte, ewig!« Das Exil Israels in den babylonischen Ländern hatte diese religiöse Umwandlung geschaffen. Man sammelte sich um den Propheten, hörte dessen Reden an, betete und fas­tete. Es bildeten sich religiöse Vereine zu Gebet und Belehrung. Man hielt Gottesdienst ohne Tempel und Altar, ohne Priester und Opfer; es waren die ersten Anfänge des synagogalen Got­tesdienstes, der auch nach dem Wie­deraufzug der Israeliten nach Palästina unter Esra aus Israels Mitte nicht wie­der geschwunden war. Derselbe hatte sich im Volke so sehr eingelebt, dass seine zwei Hauptbestandteile: »Gebet und Lehre« auch die Grundlage des wiedererstandenen Tempelkultus in Je­rusalem wurden. Die Lehre oder die Belehrung war im zweiten Tempel so sehr vorwiegend, dass der ganze Op­fer- und Priesterdienst nur Wert hatte, weil er die Lehre versinnbildlichte, symbolisch das Gotteswort lehrte. Esra hatte für die Regeneration des Juden­tums kein besseres Mittel als die Volks­belehrung aus der Thora, und ein großer Teil der synagogalen Gebete da­tieren aus der Zeit des zweiten Tempels ihre Entstehung. Wer kennt nicht die schönen tiefen Gebete in den Büchern Esra und Nehemia. Der Tempelgottesdienst hat die Synagoge nicht ver­drängt, sie blieb neben ihm nicht bloß weiter bestehen, sondern bildete sich immer mehr aus. Der Tempel selbst musste eine Halle, die Quaderhalle, zur Synagoge hergeben; es wurde in ihr ge­betet und gelehrt. Und als der Tempel wieder zerstört wurde und sein Opfer­dienst aufgehört hatte, war es die Syn­agoge, die die heilige und große Auf­gabe erfüllte, der Mittelpunkt des jüdischen Volkes zu werden. Da sam­melten und fanden sich seine zerspreng­ten und zerstreuten Reste zu einem Ganzen zusammen, um mit und in sei­nem Gott wieder zu erstarken, fortzu­leben und weiter zu wirken.