Liebeswerk - gemiluth chesed

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I. Name, Gestalt und Bedeutung. Der Name »Liebeswerk«, »Liebes­dienst« kommt in seiner hebräischen Bezeichnung: »gemiluth chesed«, Plu­ral: »gemiluth chassadim«, erst im tal­mudischen Schrifttum vor. In der Bibel haben wir ihn in umschriebener Form als z.B. »Liebe erweisen«, auch die Pluralbenennung »chasadim« wird da­für gehalten. Derselbe unterscheidet sich von dem ihm verwandten »Zeda­kah«, Wohltätigkeit, Almosen, dadurch, dass er nicht, wie dieser die »Tat aus Mitleid«, das »Werk aus erregtem Schmerzensgefühl« für Arme und Lei­dende, sondern das Wohltun aus Liebe, den Liebesdienst, das Liebeswerk be­deutet. Charakteristisch ist die talmu­dische Angabe darüber. »In drei Sachen sind Liebeswerke größer als Almosen­spenden, Zedakah. Almosenspenden geschehen durch Geld, aber Liebes­werke sowohl durch Geld, als auch durch persönliche Bemühung; Almosen sind nur für Arme und Reiche; Almosen werden nur Lebenden gereicht, aber Liebeswerke können an Lebenden und Toten vollzogen werden. « Andere Lehr­sätze geben diese Bezeichnung viel kür­zer und bestimmter. »Und die Liebe des Wohltuns«, das ist das Liebeswerk »ge­miluth chassadim«; »Almosen haben nur nach dem Liebeswerk in ihnen ei­nen Wert« oder wörtlich: »Almosen werden nur nach dem Liebeswerk in ih­nen belohnt.« »Du hast sie in deiner Liebe geführt«; das ist »Liebeswerk«; »Mit den Schatten meiner Hand decke ich dich«, das die Gestalt des Liebes­werkes; »Die Weise desjenigen, welcher Liebeswerke vollzieht, ist, den Armen nachzulaufen, um ihnen wohlzutun. «

II. Gebot, Kreis, Geschichte und Würdigung. Das Gebot zur Vollzie­hung von Liebeswerken ist in den Ge­boten der Nächsten- und Fremden- liebe, in den Gesetzen für Arme, Wehr- und Schutzlose, entlaufene Skla­ven usw., ferner in den Mahnungen zur Aufhilfe des Verarmten u. a. m., in den Gesetzen zur Errichtung von Asylstät­ten für schuldlose Mörder usw. ausge­sprochen. Mit Nachdruck werden voll­zogene Liebeswerke verzeichnet und zur Nachahmung aufgestellt. »Denn ich habe Liebe gegen euch erwiesen«; »So wollen wir gegen dich Liebe tun!«; »Und du hast Liebeswerk vollzogen an den Israeliten«; »Mein Vater hat gegen mich Liebe erwiesen«; »Die Liebes­werke des Ewigen besinge ich«. Eine weitere Würdigung und Darstellung haben die Gesetze und Lehren in den Aussprüchen des talmudischen Schrift­tums. »Almosen und Liebeswerke wie­gen alle Gebote der Thora auf«; »Wer mit der Thora sich beschäftigt, aber keine Liebeswerke ausübt, ist gleich­sam ohne Gott (Aboda sara 16b)«; »Wer da leugnet, das Gebot zur Voll­ziehung von Liebeswerken, verleugnet gleichsam Gott«; »Denn Liebe will ich, aber kein Opfer«, d. h. vorzüglicher ist mir die Liebe, die ihr euch einander er­weist, als die tausende Opfer, die Sa­lomo dargebracht hat.« »Drei Gaben erhielt Israel von Gott«, oder wie es von einer anderen Stelle heißt: »Drei Eigenschaften bezeichnen den Israeli­ten: Barmherzigkeit, Bescheidenheit und Wohltätigkeit.« Es dürfte hier am Platze sein, auch andere ähnliche Aus­sprüche nach ihrer Zeit kennen zu ler­nen und dieselben in chronologischer Ordnung folgen zu lassen. Es gab kei­nen hervorragenden Volks- oder Geset­zeslehrer, der nicht über Liebeswerke sprach und es existierte keine Schule, die nicht die Vollziehung derselben Thema ihrer Erörterung machte. So wird uns schon aus der vormakkabäi­schen Zeit der Spruch des Simon Haza-dik mitgeteilt: »Auf drei Gegenständen steht die Welt, auf der Lehre (Thora), dem Gottesdienst (Aboda) und den Liebeswerken, (Gemiluth Chassa-dim).« Spezieller lautet die Mahnung eines Lehrers in der makkabäischen Zeit: Jose Sohn Jochanan, der Jerusale­mite, sprach: »Dein Haus stehe weithin geöffnet, Arme seien deine Hausgenos­sen.« Im ersten Jahrhundert war es R. Jochanan ben Sakai, von dem erzählt wird, dass er nach dem Aufhören des Opfergottesdienstes die Vollziehung der Liebeswerke als das einzige Mittel zur Versöhnung der Sünden aufstellte. Mit R. Josua besuchte er die Ruinen des Tempels in Jerusalem, da seufzte ersterer und sprach: »Wehe, die Stätte ist zerstört, wo die Sünden Israels ver­söhnt wurden! « »Mein Sohn! «, sprach tröstend R. Jochanan b. S., »es gibt noch eine andere Versöhnung, die Voll­ziehung von Liebeswerken, denn also heißt es: Liebe will ich, aber kein Op­fer! « Eine ältere Lehre von ihm, wohl noch aus der Zeit vor dem Aufhören des Opferdienstes, war: »Wie das Sündopfer die Sünden Israels sühnt, so sühnt Wohltätigkeit die Sünden der Heiden.. Wir sehen, dass er nach der Zerstörung des Tempels dieselbe Lehre den Israeliten predigte, die er früher nur für die Heiden hatte. In diesem Sinne lehrte noch Rabbah, ein Lehrer im vierten Jahrhundert n.: »Was nicht durch Opfer gesühnt werden kann, wird durch Werke der Liebe gesühnt.. So machte sich der Märtyrer Chanina b. Teradhon in den letzten Stunden über die Vernachlässigung der Liebes­werke Vorwürfe und hob als Grund der Freisprechung des gefangenen R. Elasar b. Perata hervor, weil er sich mit der Vollziehung von Liebeswerken be­schäftigte. Von einem dritten Lehrer des ersten Jahrhunderts n., von Abba Saul, haben wir den schönen Spruch: »Das ist mein Gott, ihn verherrliche ich« (2. Mos. 15. 2.), d.h. »werde ihm ähnlich, wie er barmherzig, so sei auch du; wie er gnädig, so auch du.. Hier­her gehört noch die Lehre des am Schluss dieser Zeit lebenden R. Simon ben Jochais: »Wer sich mit der Thora und den Liebeswerken beschäftigt und mit der Gemeinde betet, erlöst gleich­sam die Gottheit und Israel von den Heiden«, d. h. er rettet den Gottesglau­ben und Israels Beruf, ihn zu verbrei­ten, vor dem Untergange. Auch die Lehrer der folgenden Zeit, des zweiten und dritten Jahrhunderts, werden nicht müde, über diese Tugend zu sprechen und sie dem Volke zu empfehlen. Es waren die unglücklichen Jahre nach dem barkochbaischen Aufstande, wo das Volk und seine Lehrer in tiefe Ar­mut versanken und in den gegenseitig zu erweisenden Liebeswerken ihre ein­zige Rettung erblickten. In Uscha ver­sammelten sich im Jahre 138 n. die zersprengten Glieder des Synhedrions, die Lehrer R. Mair, R. Juda, R. Neche­mia, R. Simon ben Jochai, R. Jose, R. Eleasar b. Jakob, R. Eleasar b. R., Jose Haglili und konnten in ihren Dankre­den für die ihnen erwiesene Gast­freundschaft nicht genug Rühmliches vorbringen. Sie sprachen in denselben über die Segnungen der Liebeswerke. Von denselben bringen wir r. die Dan­kesrede des R. Nechemia. Er sprach: »Ammon und Moab wurde der Eintritt in die Gemeinde Gottes verboten, weil sie Israel in der Wüste nicht mit Brot und Wasser zuvorkamen (5. M. 23. 5). Wenn dies zur Zeit, wo es dem Volke nicht an Brot (Manna) und Wasser (dem Brunnen) fehlte, von Gott gern gesehen worden wäre, so ist heute eure Gastfreundschaft gegen uns gewiss eine große Gott gefällige Tat, deren Lohn nicht ausbleiben dürfte!. 2. Die von R. Jose: »Obed Edom in Gath wurde von Gott gesegnet, weil er die Bundeslade in sein Haus aufnahm und das Licht vor derselben nach Vorschrift anzün­dete (2. S. 6. 10 — 15). Wenn für die Aufnahme der Bundeslade, mit der weiter keine Mühe und kein Kosten­aufwand verbunden war, ein solcher Segen erfolgt war, so könnet ihr auf eure Verdienste um uns, wie ihr uns mit Speise und Trank, mit Kleidung, Wohnung und Bedienung versorgtet, sicherlich eines größeren Segens gewärtig sein.« 3. Die des R. Simon ben Jochai: »Männer Uschas! Schunamit, die edle Frau, die den Propheten freundlich aufnahm und mit Speise und Trank bewirtete, erfreute sich des Segens, dass ihr schon für tot gehalte­ner Sohn wieder lebendig wurde (2. K. 4. 1 — 31). Wenn diese Frau, deren Haus ja ohnehin durch den Propheten gesegnet wurde, ihren Sohn lebendig zurück erhielt, so werden gewiss eure Wohltaten gegen uns viel schöner be­lohnt werden.« 4. Die des R. Elieser Sohn Jose Haglili: »Saul sprach zu dem Volksstamme Keni, dem Nachkommen Jithros, dass sie sich von Amalek tren­nen sollen, damit sie nicht mit ihm weggerafft werden, dass sie Gutes ge­tan an Israel, als es aus Ägypten gezo­gen war (1. S. 15. 7.). Aber Jithro zeigte sich ja nur gegen Moses gefällig, wa­rum heißt es: >An ganz Israel?< Das deutete die Lehre an: »Wer Wohlgefäl­ligkeit gegen die Führer Israels übt, hat dieselbe gleichsam gegen ganz Israel vollzogen. Ihr Brüder in Uscha, eure Liebeswerke gegen uns um wie viel mehr!« Endlich 5. die des R. Elieser ben Jakob, als die Schlussrede: »Ver­nimm und merke auf, Israel, denn heute bist du zum Volke geworden!. (5. M. 27. 9) redete Moses das Volk an, als er ihnen die Lehren und Gesetze wiederholte. Aber wie passen die Worte: »Heute bist du zum Volke er­wählt«, da es schon vor vierzig Jahren am Berge Sinai beim Empfange des Ge­setzes zum Volke Gottes bestimmt wurde? Die Antwort darauf ist: »Weil sie die Gesetzeswiederholung durch Moses gern und freudig angehört hat­ten, wurde das ihnen so hoch ange­rechnet, als wenn sie sich dadurch al­lein schon würdig als Gottesvolk gezeigt hätten. Nun, Söhne Uschas, ihr waret gegen die Lehrer in Israel so sehr liebreich, wie erst kann man euch zu­rufen: Höret, heute seid ihr zum Volke Gottes geworden! « Von den Lehrern des dritten Jahrhunderts n. nennen wir erst den R. Jochanan. Vor ihm wurde die Lehre vorgetragen: »Wer sich mit der Thora und den Liebeswerken be­schäftigt, dem werden alle Sünden ver­geben.« Er hörte sie an und zitierte zu ihr den Spruch aus Spr. Sal. 16. 6: »Durch Wohltun und Wahrheit wird die Sünde versöhnt. « Ein anders Mal hörte er von dem Lobe der Almosen­spenden und der Liebeswerke spre­chen; er fragt darauf: »Wisset ihr auch, welche von beiden wichtiger sei? Die Vollziehung der Liebeswerke, denn also heißt es: Das Liebeswerk Gottes ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, sein Wohltun besteht immer« (Ps. 103. 17). Von seinem Lehrer Benaa zitierte er oft den Spruch: »Heil den Israeliten, so sie sich mit der Lehre und mit edlen Lie­beswerken beschäftigen, ist ihr böser Trieb in ihren Händen, wo nicht, sind sie in seiner Gewalt.« Ein anderer Leh­rer aus dieser Zeit, R. Mani, deutet die Worte: »Durch diese Sache werden eure Lebenstage sich verlängern ( 5. M. 32.) auf die Vollziehung von Liebeswerken.« Aus dem vierten Jahrhundert nennen wir den Lehrer R. Simlai, der die schöne Lehre mitteilte: »Die Thora (der Pentateuch) spricht am Anfange und am Ende von Liebeswerken; am Anfange, denn also heißt es: >Er machte für sie Röcke aus Fellen und bekleidete sie< (1. M. 3. 5 ), und am Ende: >Man begrub ihn (den Moses) im Tal gegenü­ber von Bethpeor.<« Hierher gehört die Lehre der Mischna, welche die Vollzie­hung der Liebeswerke zu den Geboten rechnet, deren Früchte man im Dies­seits genießt, während ihr Stamm (der eigentliche Lohn) für das Jenseits auf­bewahrt bleibt. Fragen wir nach den Personen, gegen welche Liebeswerke vollzogen werden sollen, so ist die Ant­wort: »Gegen jeden Menschen, der de­ren bedarf, gegen Lebende und Tote, gegen den Feind wie gegen den Freund.« »Alle«, heißt es, »bedürfen der Liebeswerke, auch Abraham be­durfte derselben«, denn also heißt es: »Und tue Liebe gegen Abraham, mei­nen Herrn« (1. M. 24. 12). Ferner: »Immer erweise der Mensch Liebe, auch gegen den, der ihm Böses getan; er räche sich nicht und trage keinen Hass nach; das ist die Sitte der Israeli­ten zum Unterschiede von den Heiden, die verstockten Herzens sind, sich rä­chen und den Zorn ewig bewahren.« So wird von David nachgerühmt, dass er allen Liebe bezeugte, auch gegen Mörder und Ermordete (sie zu begra­ben), gegen Verfolger sowie gegen Ver­folgte. Mit Nachdruck werden die Liebeswerke gegen Verstorbene empfohlen. »Welches ist die wahre Liebe? Die ge­gen Verstorbene, weil man da auf keine Vergeltung zu hoffen hat.. Eine der schönsten Institutionen im Judentum ist die Bildung von Bruderschaften, Verei­nen, zu Liebeswerken, die unter dem Namen »Chebroth Gemiluth Chassa-dim« in jeder jüdischen Gemeinde ange­troffen wird.