Predigt - religiöse Rede
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Religionsvortrag, heilige Verkündigung, talmudisch: derascha; Prediger, Gottesverkünder;Religionsredner, Schrifterklärer, darschan, auch: deroscha; Dolmetscher, Meturgeman.
I. Entstehung, Einführung, Entwicklung und weitere Geschichte. Die Predigt oder die religiöse Rede als Bestandteil des Gottesdienstes am Shabbath und Fest, zu dem sie sich später entwickelt hatte, kennt das mosaische Kultusgesetz noch nicht; sie existierte auch nicht während des ersten Staatslebens der Israeliten in Palästina. Aber die Voreinrichtung, aus der sie entstanden und sich entwickelt hat, war mit dem Mosaismus schon mitgegeben.
Die oft sich wiederholenden Gesetze und Mahnungen, die Lehre Gottes dem Volke zu verkünden, die Verpflichtung, sie zu kennen und in ihr zu forschen, von ihr im Hause und auf dem Wege zu sprechen, sie den Kindern einzuschärfen u. a. m.; ferner das Gesetz, das der Behörde zur Pflicht macht, am Laubhüttenfeste des Erlassjahres das Volk zu versammeln, die Männer und Frauen, die Kinder und die Fremden, um ihnen die Thora vorzulesen, damit sie hören, lernen und Gott ehrfürchten; beobachten und vollziehen alle Worte dieser Thora, bilden gewissermaßen den Boden für die Predigt, die öffentliche Volksbelehrung. Und das mag es wohl sein, wenn die späteren Lehrer, die Agadisten (s. Agada), die Institution der religiösen Rede auf Moses zurückführen und sie im obigen Gesetze von der Vorlesung der Thora am Laubhüttenfeste des Erlassjahres mitangegeben bezeichnen. Die Stelle darüber lautet: »Versammle das Volk« (5. M. 31. 12.) befiehlt das Gesetz, als Andeutung für die künftigen Geschlechter, die Gemeinden jeden Shabbath zu versam-meln und sie in das Lehrhaus eintreten zu lassen, wo die Worte der Thora verkündet werden, um den Namen Gottes zu verherrlichen. Das Institut des Prophetentums, das in Israel so segensreich gewirkt hat, war es, bei dem die religiöse Rede sich nach den oben angegebenen Gesetzen zur herrlichen Blüte entwickelt hatte. Die Reden in Micha, Jesaja, Hosea, Amos, Jeremia, u. a. m. sind die bleibenden, ruhmvollen Denkmäler der prophetischen Beredsamkeit, wie sie in begeisterndem, hinreißendem Schwunge die religiöse Idee in allen ihren Teilen dem Gemüte zuzuführen und alle ihr entgegen tretenden Hindernisse durch die Macht des Feuerwortes zu vernichten suchte. Freilich waren diese Reden keine Bestandteile des Tempelgottesdienstes. Was hätten sie auch da sein sollen? — Beschränkte sich ja die Religion Israels nicht bloß auf den Tempel und dessen Kultus; umfasste sie doch das ganze Leben in allen seinen Teilen und Gestalten, in seiner ganzen Entfaltung! Politisches und Staatliches, die Rechts- und Staatsverwaltung, das Sittliche und das Volkswirtschaftliche waren ebenso wie der Kultus im Tempel Teile ihrer Lehren und Gesetze, wie sie für die Volksveredelung und das Volkswohl sorgte. Nein! Nicht der Tempel und nicht dessen Kultus waren die Stätte der religiösen Rede der prophetisch begeisterten Männer, der Propheten und Seher, sondern im Volke, vor allen Klassen desselben, vor den Königen, den Stammfürsten und den Volkshäuptern, vor den Richtern und Priestern, vor den falschen Propheten, vor Frauen, u. a. m. öffentlich auf freien Plätzen, in Volksversammlungen an den Toren, ebenso im Königspalast, auch an Opferplätzen, in den Vorhöfen und in den Hallen des Tempels, ja sogar im eigenem Hause der Propheten, wenn sie aufgesucht wurden, u. a. m.. Erst in späterer Zeit, im zweiten Staatsleben, nachdem die Prophetenstimme verklungen war, die Propheten nicht mehr existierten, und die Religions- und Gesetzeslehrer an deren Stelle traten, die bald in Gemeinschaft mit den Priestern, bald allein die Wächter des Gesetzes und die Bildner des Volkes waren, wurde das Gotteshaus, die Synagoge, die Stätte der religiösen Rede, wo sie einen Bestandteil des Gottesdienstes bildete. Auch das Lehrhaus, das neben der Synagoge entstanden war und die eigentliche Pflegestätte der religiösen Rede, wo neben der Lehre, dem Thorastudium, gebetet wurde, sodass jede vor dem Volke gehaltene religiöse Rede mit einem Gebete (dem Kaddisch) schloss. Neben einigen Wochentagen (s. weiter) waren es hauptsächlich die Shabbathe und Festtage, an denen religiöse Reden zur Volksbelehrung und religiösen Volksbildung gehalten wurden. Dieselben schlossen sich der Übersetzung der vorgelesenen Bibelabschnitte an, die sie erläuterten und paraphrasierten. So hat die Institution der Thoravorlesung mit der Übersetzung ihrer Stücke in die Landessprache als Bestandteil des Gottesdienstes, die auf Esra zurückgeführt wird, die religiöse Rede in den Gottesdienst eingeführt. Man las, übersetzte und erklärte den Pentateuch, und diese Erklärungen, wie sie uns teilweise heute noch in den Bruchstücken der Targumim vorliegen, enthielten die ersten Anfänge der religiösen Rede im Gottesdienste. Die Chronik verlegt den ersten mit Erläuterungen ausgestatteten öffentlichen Vortrag des Gesetzes an Fest- und Festtagen in Esras Zeitalter. Bezieht man hierher die Angaben über die »Große Synode«, deren Konstituierung um diese Zeit stattgefunden, so war die Institution der religiösen Rede (Predigt) als Teil des Gottesdienstes im 4. Jahrhundert v. schon vorhanden. Religiöse Volksbelehrung, Thora, neben dem Gottesdienst mit deren praktischen Verwirklichung fürs Leben durch Werke der Nächstenliebe — bilden die drei Teile, die Simon der Gerechte, ein Mann, der noch zu den Resten der »Großen Synode« gehörte und schon in die syrische Zeit hineinragte, dem Volke als die Grundpfeiler des Bestehens der Gesellschaft (der Welt) vorführt. Gewiss waren es die Früchte dieser Religionsvorträge, der religiösen Volksbelehrung, dass in der Zeit der makkabäischen Erhebung Tausende von Frommen und Gesetzestreuen sich um die Makkabäer scharten, die im vollen Bewusstsein der hohen Bedeutung ihrer Religion bereit waren, in den Tod für die Aufrechthaltung des Gesetzes zu gehen. Reste dieser religiösen Reden erkennen wir in den Lehren und Sprüchen der »Pirke Aboth« sowie in dem Teil der Talmuden, der unter dem Namen »Agada« bekannt ist und in den Midraschim seine eigentliche Stätte hat. Der Vortragende hieß: »Darschan« oder »Deroscha«, Schriftforscher; auch »Abba Doresch« oder »Ab Hadoresch«, vortragender Lehrer, und der Vortrag, die Predigt: »Derascha.« So werden schon die zwei Gesetzeslehrer und Häupter des Synhedrions, Schemaja und Abtaljon, »Darschanim« genannt. Philo erzählt darüber: »An den Shabbathen erschließen sich allgemein viele Lehranstalten, in denen Weisheit, Mäßigkeit, Unerschrockenheit, Gerechtigkeit und andere Tugenden gelehrt werden. Es erhebt sich einer der Gelehrtesten und trägt das Heilsamste und Nützlichste vor, wodurch das Leben (der Mensch) das Bessere anstrebt.. Ähnliches erzählt er von den Therapeuten (»Essäer« ) in Ägypten: »An den Shabbathen kommen sie zu gemeinschaftlicher Unterredung zusammen. Der Älteste und in den Grundsätzen Erfahrenste tritt auf und hält einen Vortrag.« Ebenso berichtet er von den Essäern in Palästina: »Sie kommen (am Shabbath) an heiligen Orten zusammen, die Synagogen genannt werden. Einer liest die Schrift vor und einer der Gelehrten erklärt die schwierigen Stellen.« Auch Josephus spricht von den am Shabbath in den Synagogen stattfindenden religiösen Belehrungen. Hierher gehört auch noch ein älteres Stück im Targum Jonathan zu Richter 5. 2 und 9., das die Lehrer Israels rühmt, dass sie auch in schwerer (gefahrvoller) Zeit an der Spitze der Gemeinde in den Synagogen über die Lehren der Thora Vorträge halten. Ebenso wird in. nicht-jüdischen Schriften von den religiösen Vorträgen in den Synagogen von Judäa, Galiläa, Antiochien, Damaskus, Ikonium, Eh-pesus, Athen, Salamis, Beröa, Korinth und Tessalonich in den letzten 50 Jahren vor der Zerstörung des Tempels berichtet. Von den Volks- und Gesetzeslehrern aus der Zeit vor und nach der Auflösung des jüdischen Staates, die sich die Volksbelehrung zur Aufgabe machten und in den Synagogen und Lehrhäusern Vorträge hielten, nennen wir: 1. Semaja und Abtaljon, die, wie wir schon oben erwähnten, Darschanim«, Gesetzeserläuterer hießen; 2. Hillel, dessen Lehren, Sprüche und Gleichnisse zu den schönsten des talmudischen Schrifttums gehören. Von ihm ist die homiletische Regel: »Zu der Zeit, da man heim bringt, streue aus, aber in der Zeit, wo man ausstreut (umher wirft), bringe heim. Siehst du, dass dem Zeitalter die Thora lieb ist, streue aus, merkst du, dass man sie nicht gern hat, halte ein.« 3. R. Jochanan ben Sakai, der sich durch die herzgewinnenden Gleichnisse (Parabel) auszeichnete und dessen Kenntnisse in der Bibel, Agada und Midrasch sehr gerühmt; 4. der Patriarch R. Gamliel II., dessen Volksvorträge an Shabbathen ausdrücklich rühmlichst erwähnt werden; 5. R. Elasar ben Asaria, dessen Vorträge an den Shabbathen für das Volk ungemein anziehend und sinnreich waren, so dass sein Zeitgenosse R. Josua, der sich von seinen Kollegen manches aus denselben erzählen ließ, ausrief: »Eine feine Perle war in eurer Hand und diese wolltet ihr mir vorent halten«, ferner: »Das Zeitalter ist nicht verwaist, in dem R. Elasar b. A. lebt«; 6. Ben Asai, dem zugerufen wurde: »Du predigst schön, aber du vollziehst es nicht schön! «; 7. R. Ismael, von dem ausgesagt wird, er war weise und heimisch in der Agada; 8. Ben Soma, über den der Nachruf lautete: »Da Ben Soma gestorben, hörten die Prediger auf!«; 9. R. Eliesar, der das Unglück hatte, dass an einem Feste seine Zuhörer sich einzeln von seinem Vortrage wegschlichen; 10. R. Akiba, dem man zurief, was hast du bei der Agada, gehe zu den Halachoth von Ohaloth und Negaim, was auf seine Begabung mehr als Gesetzeslehrer, als eines Volksredners dartun sollte. Trotzdem erfreute er sich in seinen späteren Vorträgen, die er im Auslande gehalten, eines ungeteilten Beifalls. In Gonsake predigte er über Hiob und dessen Leiden und die endlich ihm gewordene Befreiung von denselben als Bild für Israels Leiden in seiner Zeit und der ihm verheißenen Erlösung von denselben. Da waren sie alle zu Tränen gerührt und weinten. Auch in Palästina waren seine Agadavorträge, besonders die polemischen gegen das Heidentum, von gewaltiger Wirkung. Andere Lehrer dieses ersten Jahrhunderts n., die sich als Volksredner auszeichneten, waren: R. Josua ben Chananja, dem es durch seine geschickte Rede gelang, das Volk, das wegen Nichterfüllung eines kaiserlichen Versprechens, den Tempel in Jerusalem wieder zu erbauen, bis zum Aufstande gereizt war, zu beruhigen; ferner: R. Johe ben Kisma, der in den stürmischen Jahren der hadrianischen Verfolgungen gegen die Widersetzlichkeit seiner Kollegen oft das Wort ergriff. Nicht minder große Redner hat das zweite Jahrhundert nach der Zerstörung des Tempels hervorgebracht. Es war nach dem verunglückten barkochbaischen Aufstande, wo das Volk in tiefe Armut versunken war, die Städte meist entvölkert zurückblieben und die Äcker unbebaut dalagen. Den Volks- und Gesetzeslehrern fiel die Aufgabe zu, das Volk aus seiner Lethargie zu reißen und es wieder an die Arbeit zu führen. In Uscha wurde das wieder zusammengetretene Synhedrion gehalten und in seinen am Schlusse dessen Sitzungen an die Bewohner Uschas für deren erwiesene Gastfreundschaft gehaltene Dankreden spricht sich die volle Wärme für eine Regeneration des in Palästina zurückgebliebenen jüdischen Volkes aus. Die Volkslehrer dieser und der späteren Zeit waren: R. Elieser ben Pedat, R. Mair, R. Elaser, Sohn des R. Jose Haglili, R. Jizchak, R. Levi u. a. m. Von ersterem wird erzählt, dass seine Vorträge denen eines Moses glichen. R. Mairs Vorträge zeichneten sich durch die in ihnen neben der Halacha und Agada zur Verwendung gekommenen Gleichnisse und Fabeln aus. Er predigte oft, gewöhnlich freitagabends und am Shabbath nachmittags unter starkem Volksandrange, zu denen sich auch Frauen einfanden. Die Reden des Dritten waren so bedeutsam, dass es von denselben hieß: »Wo du findest die Worte der Agada von R. Elasar Sohn des Jose Haglili mache dein Ohr gleich einem Trichter auf, dass dir nichts verloren gehe.« R. Jizchak klagt über die veränderten Zeiten. »Früher«, sagte er, »war die Thora Hauptsache, man kam, um eine Sache aus der Mischna oder dem Talmud zu hören, aber gegenwärtig ist die Thora nicht die Hauptsache und man hört nur den Vortrag über einen Bibelvers oder eine Agada gern.« Dieselbe Klage vernehmen wir von seinem oben genannten Zeitgenossen R. Levi. »Früher herrschte Wohlstand unter den Leuten und man hörte gern die Sätze der Mischna und der Halacha, aber heute in der Zeit der Armut, wo die Wunden des Exils schmerzen, hat man nur an Trost- und Segensverheißungen Wohlgefallen.« So feierten im z. Jahrhundert n. die populären religiösen Reden, die ihre Themen aus der leicht fasslichen und zu Herzen sprechenden Agada hatten, ihre Triumpfe. Im dritten und vierten Jahrhundert n. machten sich als Redner berühmt: der Patriarch R. Juda I., R. Josua ben Levi, R. Jochanan, R. Simon ben Lakisch, Abbahu u. a. m. Von dem Patriarchen R. Juda I. ist bekannt, dass er in seinen Reden von den Leiden in Folge des barkochbaischen Aufstandes sprach, wobei die greisen Männer, die unter dem Drucke derselben lebten und ihrer sich noch erinnerten, weinten. Auf einer anderen Stelle hebt er die Wichtigkeit der Volksvorträge für die Anwerbung von Proselyten hervor. In denselben stellte er die Taube als Bild für Israel auf, in Bezug auf die Erscheinung, dass das Volk trotz der Zerstörung Jerusalems nicht aufhört, dreimal des Jahres dahin zu wallfahren. »Wie die Taube trotz ihrer Verscheuchung immer wieder ihr Nest aufsucht, so wallfahrt Israel noch immer nach Jerusalem drei Mal des Jahres.« R. Josua ben Levi war einer der gewandtesten Redner, besonders, wenn es galt, gegen die Minin (Sektierer) aufzutreten. Seine agadischen Kenntnisse waren weithin bekannt. Man suchte ihn oft um dieselben auf, aber er teilte sie nicht allen mit. Von R. Abbahu ist sein sonderbares Zusammentreffen mit R. Chia ben Abba in einer Stadt bekannt, wo beide Vorträge hielten, dieser einen halachischen, jener einen agadischen. Da traf es sich, dass der Vortrag R. Chias un-besucht blieb, dagegen der des R. Abbahu vollauf Zuhörer hatte. Das schmerzte ersteren, sodass sich letzterer veranlasst fühlte, ihn darüber zu beruhigen. Er brachte ihm folgendes Gleichnis vor. »Zwei Männer trafen in einer Stadt zusammen, der eine hatte Edelsteine und kostbare Kleinodien zu verkaufen, der andere nur einen Flitterkram von verschiedenen Kleinigkeiten. Da lief alles Volk zu letzterem, weil es für die Ware des ersteren, für die Edelsteine, an Kennern fehlte.. R. Chia verstand die Absicht seines Freundes, der so edel gesprochen hatte und gab ihm als Zeichen völliger Versöhnung das Geleit nach Hause. In dieser Zeit kam es auf, dass bei Lehrerordinationen der Ordinierte einen Vortrag zu halten verpflichtet war, ferner, dass die Gemeinden Prediger anstellten und sich solche von dem Patriarchen empfehlen ließen. Im vierten Jahrhundert endlich wurden die Vorträge vermischt mit Halacha und Agada üblich. R. Ami war der Erste, der einen solchen gehalten hat. Er kam, erzählte er, nach einer Stadt, wo die einen einen Halachavortrag hören mochten, aber die anderen einen agadischen wünschten. Er besann sich nicht lange und genügte beiden; er wählte ein halachisches Thema und ging davon zur Agada über. Diese neue Methode wurde bald allgemein und bildete später das Charakteristische des palästinensischen Midrasch.
II. Gesetze, Normen und Bedingungen. a. Der Prediger. Religiöse Volksvorträge hielten die Synhedrialpräsidenten, die Vorsteher der Akademien, sowie jeder Gelehrte, der die Ordination als Lehrer erhalten hatte. Wer diese Reife nicht hatte, sollte dem öffentlichen Lehramte fern bleiben. Die Lehre darüber lautete: »Viele Erschlagene hat sie hingestürzt«, das sind die Gelehrten, die keine Reife für das Lehramt haben und doch lehren; »und groß ist die Zahl ihrer Getöteten«, das sind die Gelehrten, »die die Reife als Lehrer haben, aber nicht lehren.« Nächst dem Wissen soll der Prediger Religion, wahrhafte Frömmigkeit besitzen. »Ein Weiser mit Gottesfurcht ist ein Weiser, der sein Werkzeug in seiner Hand hat« war die Lehre des R. Jochanan ben Sakai. Jeder Gelehrte, dessen Inneres nicht ist wie sein Äußeres (d. h. der äußerlich anders handelt, als er innerlich denkt), ist kein Gelehrter.« Als weitere Eigenschaften für den Prediger nennt man Bescheidenheit und freundliche Zuvorkommenheit gegen jedermann. »Der Gelehrte lebe zurückgezogen wie eine Braut, aber mache sich durch seine Werke bekannt.« »Der Mensch eigne sich Gelehrsamkeit an, rede in Sanftmut mit den Leuten«, so dass diese sprechen: »Heil dem, der Thora gelernt! Sehet diesen da, wie schön sind seine Wege, wie richtig seine Werke! « Von ihm kann es heißen: »Israel, du bist mein Diener, dessen ich mich rühme!« Das, was er predigt, darf kein Gegensatz zu seiner Lebensweise sein. Dem Ben Asai (im 1. Jahrh.) wurde in Bezug auf seine schönen Vorträge, zu denen sein Leben im Widerspruch stand, zugerufen: »Schön predigst du, aber nicht schön vollziehst du! « Nicht unerwähnt dürfen wir den interessanten Streit zwischen R. Tarphon und R. Eleasar b. Asaria über die Eigenschaften eines Predigers (Vermahners) lassen, der uns einen Einblick in die Sittengeschichte des ersten Jahrhunderts nach der Auflösung des jüdischen Staates gewährt. R. Tarphon sagt: »Es sollte mich wundern, ob es in der Gegenwart jemanden gäbe, der Zurechtweisung annehmen wollte. « Sagt einer: »Schaffe dir den Splitter aus deinen Augen!« Darauf bemerkt R. Eleasar b. Asaria: »Ich würde mich wundern, wenn ich jemanden fände, der zu vermahnen versteht!« Mit Nachdruck wird erinnert, dass der Volkslehrer eine strenge Konsequenz in seinen Lehren bewahre und keine Schwankung in denselben sich zu Schulden kommen lasse. »Der Gelehrte, der nicht so hart wie Eisen bleibt, ist kein Gelehrter.« Weiter soll der Redner seinen Vorgänger ehren und mit der Predigt warten, bis die Gemeinde sich versammelt hat. So oft der Patriarch R. Juda I. einen Vortrag halten wollte, fragte er, ob die ganze Gemeinde schon versammelt wäre! Denn auch von Moses heißt es: Da der Ewige zu mir sprach: »Versammle mir das Volk, ich will ihm meine Worte verkünden. «
b. Homiletische Normen und Gesetze. Als erste Norm der Homiletik gilt hier die genaue Erwägung dessen, was gesprochen werden soll. Wir hören darüber: »Ihr Weisen, seid vorsichtig mit euren Worten, vielleicht kommet ihr nach einem Orte bösen Wassers, es trinken die Schüler nach euch und kommen um, so wird der Gottesname entweiht.« Das zweite Gesetz ist, dass die Worte des Vortrages gewählt seien, nicht hart, sondern lieblich klingen und die Zuhörer anziehen. »Deine Lippen träufeln Honigseim, o Braut! Honig und Milch unter deiner Zunge« (Hohld. 4. 11.), diese Worte dienen als Anknüpfungspunkt zu folgenden hierher gehörenden Lehren. »Wer«, so lehrt R. Eleasar, »Worte der Lehre vorträgt und dieselben nicht, wie feines Mehl gesiebt, den Zuhörern angenehm vorbringt, sollte besser tun, sie nicht zu sprechen.« Ein anderer: »Wer Lehren vorträgt und dieselben von den Zuhörern nicht so angenehm wie feiner Honig aufgenommen werden, sollte lieber schweigen.« Der Dritte: »Wer einen Lehrvortrag hält, der den Zuhörern nicht so lieblich ist wie Milch und Honig, tut besser, denselben nicht zu halten.« Der Vierte: »Wer da predigt und die Predigt nicht so geziert und schmuckvoll den Zuhörern ergötzt, wie eine Braut unter dem Baldachin, sollte nicht predigen.« Das Bild für eine erfolgreiche Predigt hat der Bibelvers in 5. M. 32. 2. »Es triefe wie ein Regen meine Lehre, wie Tau träufle mein Wort, wie Sturmregen aufs Gras und wie Platzregen aufs Grüne!« Die Worte des Predigers sollen den Tau und den Regen bilden für die religiösen Pflanzen des Menschenherzens. Ein drittes Gesetz ist, die Zeit zu kennen und ihren Verhältnissen Rechnung zu tragen. »Zur Zeit, da die Worte der Lehre gern gehört werden, streue aus, sonst halte ein!«, war die schon oben genannte Lehre Hillels I. Auch die oben erwähnte Klage des Lehrers R. Jizchack (im z. Jahrh. n.) über die veränderten Zeitverhältnisse und das da erzählte Ereignis mit R. Chia und R. Abbahu sind die Mahnstimmen, die hierher gehören. Überhaupt soll man nur das den Zuhörern leicht Verständliche vorbringen. »Der Weise ist in seinen Augen reich«, dass ist der Mann, der Gemara lehrt, aber der Arme und Verständige durchforscht ihn, das ist der Agadist.« Ein viertes Gesetz will, dass der Redner sich ordentlich vorbereite, den Vortrag selbst mehrere Mal durchgehe und auswendig lerne. Der Schriftvers (Hiob 28. 27): »Da sah er sie, er verkündete sie, erwog sie und erforschte sie auch. Und er sprach zum Menschen: Gottesfurcht ist Weisheit, vom Bösen weichen ist Vernunft! « enthält nach dem Midrasch die Andeutung dafür. »So jemand«, heißt es darauf, »vor der Gemeinde einen Vortrag zu halten hat, sage er nicht, ich bin kenntnisreich, wenn ich auftrete, ich verstehe zu sprechen, sondern er lege sich alles sorgfältig zurecht.« Ferner: »Hast du dein Ohr meiner Thora zugeneigt, so werden alle, wenn du Vorträge hältst, dir still aufmerksam zuhören, gleich wie du es gegen meine Thora getan hast.« Bei Zurechtweisungen wird viel Vorsicht anempfohlen. Lehren, die von einem Autor entnommen sind, sollen in dessen Namen vorgetragen werden.
c. Thema, Inhalt, Bestandteile und Vortrag. Das Thema war, je nach dem Tage und der Bestimmung der Rede (siehe weiter über die Arten der Predigt) verschieden, es musste an Shabbathen und Festen der Bedeutung derselben entsprechend gewählt werden. Dasselbe Gesetz galt für den Inhalt der Predigt, der sich ebenfalls nach dem Tage und der Bestimmung desselben verschieden gestaltete. Die Lehre dafür war: »Man predige von der Bedeutung des Tages, von den Lehren und Gesetzen des Pessachfestes am Pessachfeste usw.« Man führte diese Anordnung auf Moses zurück. Zu dem Pessachfeste sollten die Predigten schon vier Wochen vorher beginnen, was einige auch für die anderen Feste in Anspruch nehmen. Im Allgemeinen sagte Philo von dem Inhalte der in den Synagogen gehaltenen Reden: »Dieselben zerfallen in zwei Hauptteile, der eine ist in Bezug auf Gott, hinsichtlich der Frömmigkeit und Heiligkeit; der andere in Bezug auf die Menschen, hinsichtlich der Menschenliebe und der Gerechtigkeit.« Diese Form der Predigt, die bei den alexandrinischen und griechisch redenden Juden überhaupt schon früh allgemein war, entwickelte sich bei den Juden in Palästina erst allmählich. Anfangs bestand die Predigt, wie dieselbe sich in der Mischna erhalten hat, in einfacher Erklärung der Bibelstellen und in der Weiterführung ihres Inhaltes, woraus mehrere praktische Lehren für gewisse Lebensverhältnisse abgeleitet wurden, wozu oft Sirachsprüche zitiert wurden. Um recht anschaulich in der Schriftstelle die Zeit abspiegeln zu lassen, wurde der Text in freier Übersetzung vorgetragen, wenn man auch diesen gleichsam änderte. Aber schon im 1. Jahrh. n. erhielt diese einfache Form der Predigt ihre weitere Entwicklung. Man gebrauchte Gleichnisse, Fabeln, pikante Sentenzen, nicht minder die Hyperbel zur Ausschmückung der Rede. Auch der Scherz, die Ironie und die augenblickliche Extase u. a. m. wurden als Mittel, die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu erwecken, in der Predigt gebraucht. So predigte einst R. Akiba und sah, wie die Zuhörer einschlummerten. Schnell gebrauchte er eine pikante Wendung, und alle hörten wieder aufmerksam zu. Er sprach: »Weshalb wurde Ester Königin in Persien über 127 Provinzen? Sie war eine Enkelin Saras, die 127 Jahre gelebt hat.« Zu einem ähnlichen Mittel musste R. Juda I. greifen, als er in seinem Vortrag die Gemeinde einschlummern sah. Er sprach: »Kennt ihr eine Frau, die 600 000 Mann geboren hat?. Alle erwachten und waren auf die Antwort gespannt. Er sagte: »Jochebed hieß diese Frau, sie gebar den Moses, der so viel wert war als ganz Israel.« Im Ganzen bestand die Predigt aus drei Teilen:
a. der Einleitung, b. der Erklärung und der weiteren Ausführung des Textes mit den aus demselben hergeleiteten Lehren fürs Leben unter Anwendung beliebiger Gleichnisse, Fabeln u. a. m. und c. dem Schluss, der gewöhnlich ein Gebet war, worin die Gemeinde mit einem »Amen« einfiel. a. Die Einleitung. Dieselbe hieß: pethicha, Öffnen, die Eröffnung des Vortrages und bestand darin, dass der Redner einen oder mehrere nicht pentateuchische Schriftverse vorbrachte, von denen er geschickt zum Paraschatext aus dem Pentateuch überging. Dieselben wurden meist aus den Propheten, aber auch aus den Hagiographen genommen. Durch diesen Vers wurde die Sache oft mittels einer Parabel oder durch ein anderes rhetorisches Mittel in den Text eingeleitet. Oft wurde mit einer agadischen Lehre, zuweilen auch mit einer Halacha begonnen und aus ihr kunstvoll zum Text übergegangen. Dieses Herausfinden des Gedankens aus den die Predigt einleitenden Versen, der direkt zum vorliegenden Pentateuchtext führt, nannte man: »Anreihen«, charas (durchbohren), ein Ausdruck, der von dem Durchbohren der Perlen, um sie an einer Schnur aneinanderzureihen, entnommen ist. »Mancher«, heißt es, »versteht (die Perlen) aneinanderzureihen, aber nicht kunstfertig zu durchbohren; mancher versteht zu durchbohren, aber nicht, sie aneinanderzureihen, ich dagegen verstand das Anreihen und das Durchbohren, d. h. »das Zusammenstellen der Lehren und sie in einander zu verweben« Es rühmte der Lehrer Ben Asai (im 1. Jahrh. n.) von sich: »Ich verstand die Worte der Thora aneinanderzureihen, diesen reihte ich dann die Lehren der Propheten an und den Lehren der Propheten reihte ich die der Hagiographen an, und die Sachen waren so einleuchtend, als wenn sie von Sinai herrührten.. Der Übergang selbst wurde durch die Worte angegeben: »Das ist es, was der Schriftvers (Text) sagt (enthält).« Viele solche Einleitungen haben wir im Midrasch Rabba, besonders ist der Midrasch zu den Klageliedern reich an denselben. Er hat zu Anfang dieses Buches ganze Abschnitte, die nichts als Einleitungen zu demselben bringen und unter dem Namen: »Einleitungen zu den Klageliedern«, Pethichta Echa rabbathi, daselbst ihre Zusammenstellung erhalten haben. Auch der Midrasch Rabba zum Buche Ruth beginnt mit größeren Einleitungsreden. Eine andere Midraschschrift, die von »Agadath Bereschith«, hat nach der Angabe des genannten Ben Asai Homilien für jedes Thema, die ihre Betrachtungen an die Schriftverse aus der Thora (dem Pentateuch), den Nebiim (den Propheten) und den Kethubim (Hagiographen) anknüpfen.
b. Die Behandlung, Ausdeutung und Ausführung des Textes, die eigentliche Rede und ihre Verdolmetschung fürs Volk. Durch die Einleitung war man bereits auf das Thema der Rede hingeleitet, welches durch den für es gewählten Text seine Behandlung und Ausführung erhält. Die Ausdeutung, Behandlung und Ausführung dieses Textes war zugleich die des Themas. Der Text, das Schriftwort, soll die Idee des Themas mit allen seinen Lehren fürs praktische Leben in sich implicite enthalten. Es versteht sich, dass die Ausdeutung des Schriftwortes mehr für das Thema als zur wirklichen Erklärung desselben geschah. Diese Ausdeutung, wobei die Schriftstelle im Dienst des Themas stand, hieß: derusch, Paraphrase, die nicht immer den einfachen, eigentlichen Wortsinn des Textes wiedergab und die dritte Form der talmudischen Exegese war. Dieselbe geschah durch Anführen eines Bibelverses, eines Gleichnisses, einer Fabel, einer Sage oder Mythe, auch einer biblischen Erzählung, die den Inhalt des Textes erläuterte oder in dem sich derselbe abspiegelte, so dass die aus denselben zu ziehenden Lehren sich von selbst ergaben. Auch die allegorische Deutung des Textes, welche das Thema in allen seinen Teilen fast erschöpfte, war beliebt. Wir führen aus dem großen Midraschschatz, der uns eine Menge solcher Homilien aufbewahrt hat, zur Erläuterung des Angegebenen einige Beispiele hier an. So gibt R. Jochanan zur Erklärung des Textes aus Klagelied Kap. 3. 22: »Diese führe ich meinem Herzen zu, darum hoffe ich seiner (Gottes)«, folgendes Gleichnis an: »Ein König vermählte sich mit einer Frau, die er sehr liebte und der er in dem Ehekontrakt große Verschreibungen machte. Eines Tages machte der König eine Reise übers Meer und er blieb ungewöhnlich lange fort. Die Nachbarinnen besuchten die zurückgebliebene Gemahlin des Königs und brachten ihr kränkende Worte vor: Dein Gemahl hat dich verlassen, seine Reise führt ihn in weite Ferne, von der er nicht zurückkehren wird. Sie jammerte und weinte sehr. Endlich begab sie sich nach ihren Gemächern, holte ihren Ehekontrakt hervor und las darin die vielen Verschreibungen, die ihr der Gemahl gemacht hat. Das betrachtete sie als Unterpfand der Liebe und war ruhig. Plötzlich kam der König von seiner Reise zurück. >Meine Tochter!<, sprach er zu seiner Gemahlin, >ich bewundere deine Treue gegen mich, wie du so viele Jahre ausharrtest! Sie antwortete: >Hätte ich nicht deine mir gemachten vielen Verschreibungen, die mir deine Liebesversicherungen vergegenwärtigten, ich wäre den Spöttereien meiner Nachbarinnen erlegen.<« So sind es die Völker, die Israel mit ihren Reden kränken: »Euer Gott hat sich von euch entfernt, seine Schechina ist nicht mehr bei euch, sie kehrt zu euch nicht wieder! « So verlassen, seufzt Israel. Doch es sucht seine Synagogen und Lehrhäuser auf, holt da die Thora hervor und liest in derselben die Verheißungen: »Und ich wende mich zu euch, ich breite euch aus und nehme meinen Wohnsitz wieder unter euch, ich wandle unter Euch (3. M. 26. 9-13), und es fühlt sich beruhigt. Aber wenn die Erlösungszeit eintritt, wird Gott ihm zurufen: »Meine Kinder, ich wundere mich, wie vermochtet ihr die vielen Jahre treu auszuharren!« Es antwortet alsdann: »Herr der Welt! Hättest du uns nicht die Thora mit ihren Verheißungen gegeben, wir wären in Folge der Spöttereien der Völker umgekommen!« Das ist der Sinn der Worte: »Dieses führe ich meinem Herzen zu, darum hoffe ich seiner.« Auch David hat so gesprochen: »Hätte deine Thora (Lehre) mich nicht erfreut, ich wäre in meinem Elende untergegangen« (Psalm 119). So hoffet, vertrauet Gott und bekennet zweimal täglich: »Höre Israel, der Ewige unser Gott, der Ewige, der Eine!. Diesem reihen wir die Auslegung eines anderen Textes durch eine Fabel an. »Die Vergänglichkeit der irdischen Genüsse« ist das Thema, wozu die Schriftworte in Koheleth 5. 14: »Wie er (der Mensch) aus Mutterleibe gekommen, so nackt scheidet er von dannen; nichts hat er für seine Mühe, das er in seiner Hand mitführt«, zum Text gewählt werden. Die Erklärung derselben wird durch folgende Fabel gegeben: »Ein Fuchs stand vor einem Weinberg, der von einer Mauer umgeben war. Die Trauben lockten ihn an und er untersuchte die Mauer, ob sie nicht wo eine Öffnung hätte, durch die er in den Weinberg kommen könnte. Er fand eine solche, aber viel zu klein, um durchzukommen. Da fasste er den Entschluss, drei Tage zu hungern, damit sein Leib so mager werde, um durch die Öffnung durchzukommen. Er tat es und gelangte in den Weinberg. Hier genoss er von den Trauben nach Herzenslust und sein Leib wurde wieder dick und stark. Doch es kam auch die Zeit, wo er wieder hinaus wollte. Er suchte die Öffnung in der Mauer auf, durch die er hinaus wollte, aber es ging nicht. Da musste er wieder seinen Leib durch Nichtessen abmagern lassen, so dass er hinaus konnte. Er war endlich wieder draußen, aber so mager und so verhungert, wie er in den Weinberg eingezogen. Nochmals wendete er seinen Blick auf den Weinberg und seine Früchte und sprach: Weinberg! Weinberg! Wie schön bist du und wie gut sind deine Früchte, aber was bringe ich denn mit von dir! Wie ich hinein gekommen, so musste ich heraus gehen!« »So ist«, lautet die Lehre daraus, »des Menschen Leben, nackt wird er geboren und nackt scheidet er von dannen.. Wir bringen noch ein Beispiel von der Erklärung der Texte durch die Allegorie oder die allegorische Schriftdeutung. R. Jochanan ben Sakai hält einen Vortrag über die Zeit der religiösen Bildung, für den er sich den Vers Koheleth 9. 8 wählte: »In jeder Zeit sollen deine Kleider rein sein, das Öl auf deinem Haupte fehle nie.« Er wendet dabei die allegorische Deutung an und sagt: »Wenn man in diese Schriftstelle an reine Kleider in gewöhnlichem Wortsinne und an wirkliches Öl denken soll, wie viel reine Kleider und wie viel Öl haben die Heiden! Aber hier soll unter >weiße Kleider< das Gewand der Tugend, die Vollziehung der Gottesgebote, die guten Werke, verstanden werden. « Ein anderer Lehrer predigt die Bedeutung des Laubhüttenfestes und hat die Gesetzesstelle von dem Feststrauß in 3. M. 23. 40 zum Texte. Er allegorisiert sämtliche zum Feststrauß gehörenden Pflanzenarten und stellt sie als die Symbole der in der Natur sich offenbarenden göttlichen Fürsorge auf. Endlich wollen wir noch die Predigtweise nennen, welche den Text durch Heranziehung eines anderen Schriftverses ausdeutet. Das Thema ist »das Institut des Prophetentums im Judentum« und der Text: 4 M. Kap. 22 die Berufung Bileams, »Israel zu fluchen.« Zur Erläuterung dieses Textes wird der Schriftvers 5. M. 32. 4 zitiert: »Der Fels (Gott), vollkommen ist sein Werk, denn alle seine Wege sind nach Recht, ein Gott der Treue und kein Unrecht; gerecht und redlich ist en. Gott hat, sagt derselbe in Bezug darauf, den Heiden keine Veranlassung gegeben, ihr frevlerisches Tun verteidigen zu können, dass sie sagen könnten: «Siehe, uns hast du entfernt, aber der Israeliten hast du dich angenommen.. Gott hat Könige, Weise und Propheten für Israel eingesetzt, aber ebenso den Heiden. Er ließ den König Salomo über ein großes Reich herrschen, aber ebenso den König Nebukadnezar. Jener erbaute das Heiligtum auf Zion, aber dieser zerstörte es. In Israel war Moses Prophet, bei den Heiden Bileam; jener lehrte Sittlichkeit, hielt die Menschen von der Sünde ab, aber dieser riet zur Sünde (4. M. 25). Die Propheten Israels waren voll Barmherzigkeit auch gegen Heiden, dass sie schmerzerfüllt ausriefen: »Darum klagt mein Herz um Moab gleich Trauerflöten; es klagt mein Herz um Kir Cheres ob des Restes, der zu Grunde geht!« »Menschensohn, ein Klagelied über Tyrus!« Aber der Prophet der Heiden, Bileam, wollte ein ganzes Volk vernichten. Diese Vorträge wurden bei großem Volksandrange von einem Dolmetscher Turgeman oder Meturgeman, auch Amora genannt, dem Volke verständlich wiederholt. Jeder Vortragende hatte einen solchen Dolmetscher, den er sich selbst gewählt oder der ihm gestellt wurde. Diese Dolmetscher verstanden die Lehren dem Volke recht klar zu machen und imponierten ihm durch ihre starke Stimme. Das erregte oft die Eifersucht des Vortragenden und rief manchen Tadel gegen dieselben hervor. »Besser zu hören die Drohung des Weisen« (Koheleth 7. 5), das bezieht sich auf die Prediger; »als aufzumerken auf den Gesang der Toren« (das.), das sind die Dolmetscher, die ihre Stimme wie zum Liede erheben, um sie dem Volke hören zu lassen«; ferner: «Die Worte der Weisen werden in Sanftmut gehört«, das sind die Vortragenden (Darschanim), »mehr als das Geschrei der Toren«, das sind die Dolmetscher (Meturgeman) für die Gemeinde.
c. Schluss der Predigt. Die Predigt hatte in ihrem letzten Teile eine kurze Wiederholung der vorgebrachten Lehren und schloss mit einem Gebete, einer Dankpreisung, ähnlich unserem Kaddischgebet.
III. Arten und Beispiele. Predigten, religiöse Reden gab es außer denen am Shabbath und Fest (siehe weiter) auch zu verschiedenen Gelegenheiten, bei Freuden- und Traueranlässen. Die Lehre darüber lautete: »Wenn drei an einem Tische gegessen und an ihm keine Worte der Thora gesprochen haben, ist es, als wenn sie von Totenopfern genossen hätten. Haben dagegen drei an einem Tische gegessen und an ihm Worte der Thora gesprochen, so ist es, als wenn sie am Tische Gottes ihr Mahl eingenommen hätten«, denn es heißt: »Und er redete zu mir, das ist der Tisch vor dem Herrn!. So kommen im talmudischen Schrifttume vor: Beschneidungs- und Barmizwa-, Hochzeits- und Leichenreden; auch Dankreden für empfangene Wohltaten, besonders für erhaltene Gastfreundschaft; ferner: Begrüßungs- und Abschiedsreden; Vorträge bei der Ordination der Volks- und Gesetzeslehrer, nach Beendigung des Studiums eines Buches, bei Einweihungen von Gotteshäusern u. a. m. Anreden waren üblich bei Besuch der von Unglück stark Heimgesuchten, bei Kranken und Leidtragenden. Nicht unerwähnt lassen wir die Fasten- und Bußreden, die Anreden an das Kriegsheer, bevor dasselbe in den Krieg zog, die Anrede an die des Ehebruchs verdächtigte Frau, die Mahnrede bei Aufnahme von Zeugen, die Reden gegen den Meineid bei Vornahme von Beeidigungen u. a. m., von denen uns in der Mischna mehrere Muster erhalten sind. Nach einer Zusammenstellung mehrerer Aussprüche verschiedener Lehrer aus dem 4. Jahrhundert n., wie dieselbe sich im Traktat Berachoth 6b vorfindet, werden sieben Klassen von religiösen Vorträgen gekannt. Der erste Ausspruch lautet: »Der Gewinn oder besser das Verdienst der Pirke-Vorträge, der Predigten am Shabbath und Fest, zeigt sich in dem Herbeiströmen der Volksmenge zu demselben«. Von religiösen Vorträgen an Shabbath und Fest wird auch an anderen Stellen gesprochen. Dieselben enthielten Erklärungen des an demselben Shabbath vorgelesenen Abschnittes aus dem Pentateuch, auch Unterweisungen im Gesetze (Halacha), sowie Moral- und Erbauungslehren. Der Name »Pirke« für dieselben ist die im I. und z. Jahrh. n. gebrauchte griechische Benennung »Perikope«, für den zum Vortrage genommenen Bibelabschnitt. Pirke-Vorträge sind Perikopen-Predigten, Reden über die an den Shabbathen zur Vorlesung gekommenen Pentateuchabschnitte. Der zweite Ausspruch ist: »Das Verdienst der Khalla-Vorträge, der Vorträge am Shabbath vor dem Feste, bezeugt das Gedränge der Zuhörer.. Die Monate der Hauptfeste sind »Nissan« und »Tischri« und die Monate vor denselben: »Adar« und »Elul.« Diese Monate vor den Festen hießen: »Monate der Khalla«, Monate der Khalla-Vorträge. An denselben wurde über die Bedeutung und die gesetzlichen Bestimmungen des Festes gepredigt. Es war der Andrang zu diesen Predigten sehr stark, besonders zu den in den Tagen der letzten Wochen. Diese letzte Woche, als die Festvorbereitungswoche, hieß » Festwoche«. Der Name »Khalla« als Bezeichnung der Festvorbereitungsvorträge ist in entlehnter Bedeutung, in dem Sinne, dass der Grundbegriff »Vorbereitung« auch dem Namen »Khalla«, Braut, unterliegt, deren Zustand eine Vorbereitung für den Ehestand ist. Diese Vorträge erstreckten sich oft bis in die Zwischentage der Feste selbst. So wird von einem Lehrer erzählt, dass er die Bibelabschnitte der Khallavorträge am Rüsttage des Versöhnungsfestes zu vollenden dachte. Auch von Samuel wird erzählt, dass er noch an den Halbfesttagen (chol ha-moed) seine Khalla-Vorträge zu halten pflegte. Die Zuhörer der Khallavorträge vor dem Feste wurden »Bne Khalla«, Jünger der Vorbereitungsreden, genannt, dagegen hießen die Zuhörer der Vorträge in den Zwischentagen des Festes »Bne Rigla«, Jünger der Festvorträge. Der dritte Ausspruch: »Das Verdienst des Halachavortrages liegt in der Beleuchtung des Gesetzes, dasselbe dem Verständnisse näher zu bringen.« Der Vierte: »Das Verdienst der Reden im Trauerhause ist, die Klage verstummen zu machen, den Schmerz zu lindern und das Gemüt zu beruhigen. « Die Reden im Trauerhause waren kurz, sie bestanden in der Erklärung eines Verses, der auf den Todesfall einige Beziehung hatte, dem sich eine Benedeiung an Gott anschloss, worin das Bekenntnis der Totenbelebung ausgesprochen wurde, und die gewöhnlich mit einem Segen über die im Trauerhause Anwesenden sowie für das gesamte Israel endete. Der Fünfte: »Das Verdienst der Leichenrede zeigt sich in der Erhebung und Aufrichtung der gebeugten Gemüter.« Der Sechste: »Der Gewinn der Hochzeitsrede sind die Worte, die Glücksverheißungen.« Hochzeitsreden fanden in der ganzen Hochzeitswoche statt. So hielt Bar Kappara an dem Hochzeitmahle des R. Simon, des Sohnes des Patriarchen R. Juda I., die Hochzeitsrede. Der Siebente: »Das Verdienst der Fastenpredigt besteht in der angeregten Wohltätigkeit. « Solche Fastenreden waren üblich an Fasttagen in Folge des Regenmangels u. a. m. Es bleibt uns hier nur noch die Rede an das Kriegsheer vor seinem Aufbruche zum Kampfe zu erwähnen übrig. Die Mischna enthält die Formel derselben, die je nach Zeit und Verhältnissen geändert werden konnte. Dieselbe lautete: »Höre Israel! Gegen eure Feinde, aber nicht gegen eure Brüder ziehet ihr in den Kampf; nicht wie Simon gegen Benjamin, so dass ihr auf Barmherzig, keit rechnen könnet, wenn ihr in deren Hände fallet (2. Chr. 28). Nein, ihr ziehet gegen euren Feind, der sich nicht eurer erbarmen wird, so ihr in seine Hände fallet. Bleibet ohne Furcht; es verzage nicht euer Herz bei dem Wiehern ihrer Rosse, bei dem Blitzen ihrer Schwerter; lasset es euch nicht bange sein vor dem Zusammenstoßen der Schilde und der Menge der Geharnischten, erschrecket nicht vor dem Schall der Hörner, zittert nicht vor dem Lärm des Krieggeschreis. Der Ewige, euer Gott zieht mit euch. Die Heiden ziehen in den Kampf mit dem Beistand des Menschen, aber ihr unter der Hilfe Gottes. Die Philister zogen in den Kampf mit dem Beistande Goliaths, er fiel durch das Schwert und sie mit ihm; die Ammoniter zogen unter Beistand des Feldherrn Schebach (2. S. 10. 16), da fiel dieser und die Ammoniter mit ihm. Nicht so ergeht es euch, denn der Ewige euer Gott zieht mit euch!.
IV. Zeit, Ort, Wert und Würdigung. Die Zeiten der Vorträge, wann dieselben gehalten wurden, haben wir bereits oben angegeben, die Stätte für dieselben waren die Synagoge und das Lehrhaus. In denselben wurden meist die Shabbath- und Festreden gehalten; dagegen war der Ort für die oben genannten Gelegenheitsreden, je nach der Bestimmung derselben, verschieden, als z. B. die Hochzeitsreden im Hochzeitshause, die Leichenreden auf dem Friedhof usw. Auf freien Plätzen wurden gewöhnlich die Fastenpredigten gehalten. Zu den Predigten fanden sich Männer und Frauen ein. Es saßen bei den Shabbath- und Festvorträgen die Frauen in einer geschiedenen Abteilung. Der Vortrag in der Synagoge schloss sich erst bald an die Übersetzung und Erklärung der stattgefundenen Vorlesung aus der Thora und der Propheten an, doch später war es bei längeren Vorträgen Sitte, dieselben am Schlusse des Morgengebetes oder nach dem Mussafgebete, seltener vor dem Beginn des Gottesdienstes, am häufigsten Shabbath-Nachmittags vor dem Minchagebet zu halten. Der Wert solcher Vorträge war, wenn sie den Zeitbedürfnissen entsprachen und dem Verständnisse des Volkes Rechnung trugen (s. oben), bedeutend. Der Andrang zu denselben war oft so stark, dass sie die Synagoge nicht immer fassen konnte und die Vorträge im Freien abgehalten werden mussten. Man betrachtete den Prediger gleich dem Priester im Tempel zu Jerusalem, der das Fett und das Blut auf den Altar Gottes darbringt. »So der Weise vor der Gemeinde den Vortrag hält, rechnet es ihm die Schrift an, als wenn er das Blut und das Fett auf den Altar dargebracht hätte.« Ein anderer Ausspruch lautet: »Wenn der Weise öffentlich Vorträge hält, wird er des heiligen Geistes teilhaftig.« Man nannte sie bildlich: »die Wasserbehälter« besonders in ihrer Wirksamkeit für die Jugend. Die Lehre lautete: »Ich habe mir Häuser gebaut« (Kobel. 2. 4), das sind die Synagogen und die Lehrhäuser; »errichtet Wasserteiche« (daselbst), das sind die Vorträge, »um durch sie die Bäume des Waldes zu tränken«, das sind die Kinder, welche lernen. Auch den Wert des Vortrages für den Vortragenden geben sie an. Durch seine Lippen nimmt er an Weisheit zu (Spr. Sal. 16, 23), d. h. er nimmt an Lehre zu, wenn er die Worte der Thora aus seinem Innern hervorbringt, sie vorträgt.