Proselyt
Posted 6 yrs ago
Proselyt am Tore, oder Beisaß-Proselyt. »Proselyt« ist eine griechische Benennung, die bei den griechisch redenden Juden und im jüdisch-griechischen Schrifttum eine allgemeine Bezeichnung für »Fremder« im Sinne von »Einwanderer« und »Übergetretener« zur jüdischen Religion war und in der griechischen Bibelübersetzung »Septuaginta«, für das hebräische »ger«, gesetzt wird. Da das jüdische Staatsgesetz von Fremden, die sich dauernd in Palästina niederlassen wollten, die Anerkennung und Nichtübertretung gewisser Religionsgesetze forderte (s. weiter), sodass dieser, wenn er sich hierzu verpflichtete, schon dadurch sich teilweise zur Religion des Judentums bekannte, so wurde das Wort »Proseleyt«, hebräisch »ger«, im Sinne von »Übertreter« zum Judentum, »Neujude« gebraucht. Diese Gesetze, deren Beobachtung von den Fremden, Proselyten, gefordert wurden, waren: nicht den Götzen zu opfern und überhaupt Götzendienst zu treiben, nicht Gott zu lästern, sich des Blutgenusses zu enthalten u. a. m. Die Beschneidung war nur dann ihm unerlässlich, wenn er am Pessachmahl teilnehmen wollte, sonst wurde dieselbe nicht von ihm gefordert. Die Lehre der talmudischen Zeit haben diese Gesetze unter der Benennung »Noachidische Gebote« zusammengefasst und in Folgendem angegeben: keine Götter zu verehren, nicht Gott zu lästern, keinen Mord zu begehen, jede Blutschande und andere Buhlereien zu vermeiden, nicht zu rauben, die Obrigkeit und deren Gesetze zu respektieren, keine von noch lebenden Tieren abgeschnittenen Gliedteile sowie deren Blut zu genießen. Mit der Verpflichtung, nach diesen Gesetzen zu leben, erhielt er nicht bloß das Recht, im Lande zu wohnen, sondern war auch politisch mit den anderen Israeliten völlig gleichberechtigt. Ausdrücklich befiehlt das Gesetz: »Gleich dem Einheimischen unter euch soll der Fremdling sein, der bei euch weilet, und du sollst ihn wie dich selbst lieben, denn Fremde wart ihr im Lande Ägypten, ich der Ewige, euer Gott!« »Ein Gesetz sei für euch und den Fremden«; »Hält sich ein Fremder in eurem Lande auf, so drückt ihn nicht, denn Fremdlinge waret ihr im Lande Ägypten«; »Liebet den Fremdling«; »Der Ewige, euer Gott, der Gott aller Götter, der Herr der Herren, der keinen Unterschied der Person kennt, er liebt den Fremden, gibt ihm Brot und Kleidung; so liebet auch ihr den Fremden«; »Der Fremde soll mit dir leben.« So schützte ihn das Gesetz vor Totschlag, körperlicher Beschädigung, Eigentumsberaubung, Übervorteilung, vor jeder Unterdrückung im Gericht u. a. m., so dass sich ihm auch bei begangenem unvorsätzlichem Morde die Thora der Asylstätten öffneten. Ebenso genoss er die Wohltaten aller staatlichen Institutionen und war es den Israeliten befohlen, ihn am Shabbath nicht zur Arbeit anzuhalten u. a. m.. Proselyten, die sich ganz zum Judentum bekannten, werden im biblischen Schrifttum aus der Zeit des ersten Staatslebens selten genannt. Desto mehr wird von solchen Proselyten im zweiten jüdischen Staat und nach demselben gesprochen. Dieselben hießen zum Unterschied von den obigen: »die Fremden, die sich dem Ewigen anschlossen«; oder: »die sich zum Judentum bekehrten.« So werden im Schrifttum des Talmud zwei Klassen von Proseyten unterschieden: a. die der Proselyten, die sich nur zur Beobachtung der sieben noachidischen Gesetze verpflichteten, und b. die sich zur ganzen Religion des Judentums mit allen seinen Lehren und Gesetzen bekannten. Der Proselyt der ersten Klasse hieß: »Beisaßproselyt«, ger toschab, d. h. ein Proselyt, der das Recht der Ansässigkeit erworben hat; oder »Proselyt des Tores«, ger schaar, d.h. ein Proselyt, dem man verpflichtet ist, wenn er arm geworden, zu erhalten, nach der ausdrücklichen Angabe: »Dem Fremden in deinem Tore sollt du es geben.« Beide Namen kommen schon im Pentateuch vor, aber sie wurden zur genaueren Angabe der Klasse des Proselyten erst gegen Ende des zweiten jüdischen Staatslebens und nach demselben, als die Zahl der Proselyten beider Klassen sich stark vermehrt hatte, gebraucht. So heißt es in Bezug darauf im Talmud: »Wer ist ein Ger Toschab, ein Beisaßproselyt?« R. Mair (im 2. Jahrh. n.) sagt: »Wenn er sich vor drei Gelehrten (Chaberim) verpflichtet hat, keine Götzen zu verehren.« Andere Gelehrten geben an, dass er sich zur Beobachtung der sieben »Noachidischen Gesetze« verpflichten muss. Der Grund der Nichtzulassung von Heiden, sich in Palästina unter jüdischer Herrschaft niederzulassen, war die Besorgnis, sie würden die Israeliten zum Götzendienst verführen (2. Mos. 13). Der bei den Proselyten wegfiel, die sich wenigstens zur Beobachtung der »Noachidischen Gesetze« verpflichteten. Die Form der Aufnahme solcher Proselyten wird von den späteren Lehrern angegeben; sie bestand darin, dass der Proselyt vor drei Gelehrten feierlich versprechen musste, von nun ab keine Götzen mehr zu verehren, aber nach anderen, die sieben noachidischen Gebote zu beobachten. Diese »Proselyten am Tore« oder »Beisaßproselyten« waren gegenüber den anderen Juden gleichsam die »Halbjuden« oder die »Heidenjuden« innerhalb des Judentums, eine Teilung ähnlich der im Christentum, wie sie daselbst in den ersten zwei Jahrhunderten n. durch Paulus hervorgerufen wurde, wo die Christen, die an der Beobachtung des mosaischen Gesetzes festhielten, die Beschneidung und die Speisegesetze usw. beobachteten, »Judenchristen« hießen, dagegen die anderen, die sich teilweise davon lossagten, »Heidenchristen« der Proselyten am Tore, unterschieden sich die griechisch redenden Juden, die Hellenisten, von ihren Brüdern, den palästinensischen Juden, den Nationaljuden. Erstere erkannten und ehrten in diesen Proselyten den starken Zug zum Judentum und entschuldigten ihre Halbheit in der Beobachtung des Gesetzes in Erwägung ihrer bisherigen Lebensgewohnheit. So kam es, dass die Zahl solcher Halbproselyten in den Ländern, wo die hellenistischen Juden lebten, ungeheuer zunahm. Dagegen waren die letzteren jeder Halbheit abgeneigt und drangen auf den ganzen Eintritt derselben in das Judentum, auf die volle Anerkennung seiner Lehre und die vollständige Beobachtung seines Gesetzes. Diese zwei Gestalten im Judentum traten sichtbar bei der Bekehrung des adiabenischen Königs Iza-tes hervor. Der hellenistische Jude, der Izates erst das Judentum lehrte, drang auf keine Beschneidung und begnügte sich mit der Anerkennung der Lehre des Judentums. Nicht dieser Meinung war der später eingewanderte palästinensische Jude, der Izates offen erklärte, er sei erst mit der Vollziehung des Gesetzes der Beschneidung an sich ein wahrer Bekenner des Judentums. Die Aufnahme von Halbproselyten, von Proselyten am Tore, betrachteten diese Nationaljuden als ein Notbehelf, eine Konzession, zu der sie sich in den Zeiten des jüdischen Staatslebens verstehen mussten. So kam es dazu, dass nach der Zerstörung und Auflösung des jüdischen Staates, wo die Juden nur noch eine religiöse Gemeinschaft bildeten, diese Halbproselyten im Judentum keinen Anhalt mehr fanden; ihre Aufnahme unter dieser Form wurde ihnen völlig verweigert. Von einem Gesetzeslehrer des 3. Jahrhunderts n., von R. Simon b. Elasar wird der bedeutungsschwere Ausspruch zitiert: »Der Beisaßproselyte, ger toschab, hat im Judentum zur Zeit, da es kein Jubeljahr mehr gibt (d. h. seitdem die politische Herrschaft der Juden aufgehört hat), keine Stätte mehr. Von R. Jochanan (ebenfalls im 3. Jahrh. n.) wurde die Lehre verbreitet: »Ein Beisaßproselyt, ger toschab, der nach zwölf Monaten sich nicht der Beschneidung unterzogen hat, ist einem Min (Sektierer) unter den Heiden gleich zu achten«, d. h. die Israeliten sind von den gegen ihn vorgeschiebenen Pflichten frei. Andere aus dieser Zeit stellen von vorne herein die Bedingung an den Beisaßproselyten, dass er alle Gebote des Judentums mit Ausnahme der Speisegesetze zu erfüllen habe. So hat Maimonides in Bezug auf diese Aussprüche ein für allemal normiert: »Man nimmt keinen Beisaßproselyten, ger to- schab, auf, als nur zur Zeit, da das Jubeljahr in seiner vollen Gesetzlichkeit besteht. « Das Judentum hat hiermit den entgegengesetzten Weg des Christentums eingeschlagen; es hat jede Halbheit von sich gewiesen und öffnete seine Pforten nur den ganzen und wirklichen Proselyten, eine Maßregel, die dem Christentum gar zugute kam; die Zahl seiner Anhänger wurde dadurch ungeheuer vermehrt. Doch waren mit dieser Maßregel nicht alle Gesetzeslehrer einverstanden. Noch im 4. Jahrhundert n. betrachtet Rab Juda einen Nichtjuden, der den Götzendienst verworfen hat, als einen Beisaßproselyten, dem er an seinem Festtage Geschenke zusandte und behauptete, dass die öffentliche Ablegung des dem Beisaßproselyten vorgeschriebenen Bekenntnisses nur im Bezug auf die Übernahme der Verpflichtung seitens der Juden, ihn zu ernähren, angeordnet war, aber sonst nicht nötig sei. Greifen wir weiter hinauf, so sind es die Lehrer des zweiten Jahrhunderts n., die für die Würdigkeit eines solchen Proselyten und für die Aufrechterhaltung der Verpflichtungen gegen ihn das warme Wort sprechen. R. Juda hebt ausdrücklich die Verpflichtung des Israeliten gegen ihn hervor und lehrt: »Diesen, den Beisaßproselyten zu ernähren, ist deine Pflicht.« Von R. Mair ist der Ausspruch bekannt: »Ein Nichtjude, Goj, der sich mit der Thora beschäftigt, ist einem Hohenpriester gleich zu achten.« Im ersten Jahrhundert n. war es R. Josua, der den Gerechten unter den Heiden einen Anteil im Jenseits verheißt. Ebenso erklärt der Patriarch R. Juda I. den Kaiser Antoninus als der ewigen Seligkeit würdig. Diese sämtlichen Lehrer, die für den Beisaßproselyten hier eintreten, gehören zur Zeit nach der Auflösung des jüdischen Staates, und dennoch erkennen sie den Beisaßproselyten vollständig an. Auch Maimonides, der nach obigem Zitat, nach der Zerstörung des Tempels nichts von der Aufnahme eines Beisaß-Proselyten wissen will, kann sich den Meinungen der anderen hier genannten Lehrer nicht völlig entziehen und erklärt ausdrücklich: »Wer sich zur Beobachtung der sieben Noachidischen Gebote verpflichtet und dieselben wirklich vollzieht, gehört zu den Frommen unter den Heiden; er hat einen Anteil im Jenseits.«