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Rabbinismus

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Rabbinismus, Bestimmungen der Gelehrten, oder Lehre der Rabbinen; Rabbinertum, Lehre der Alten, auch, Gebote der Alten; Rabbinische Institu­tionen, Tekanoth, Einrichtungen; ge­seroth, Besorgnisverbote; sejagoth, Zäune, Anordnungen aus Vorsicht oder zur Verhütung; Rabbinische Ge­setzeserleichterungen, kulim, auch ku-loth, Erleichterungen; Rabbinische Ge­setzeserschwerungen, Chumrim oder chumroth, Erschwerungen.

I. Name und Bedeutung. Unter »Rabbinismus« oder »Rabbinertum« verstehen wir den ganzen Ausbau der Lehre und des Gesetzes der Heiligen Schrift, wie derselbe seit Esra begon­nen und sich über den Schluss des Tal­muds hinaus (von 450 n. bis über 500 n.) erstreckt hat, also einen Zeitraum gegen 1000 Jahre einnimmt. Derselbe enthält die Wiedergabe des Mosaismus und des Prophetentums in ihrer Lehre und in ihrem Gesetze in einer nach dem Inhalte der Schrift, der Tradition, der Volks- und Landessitte, minhag, Ge­wohnheitsrecht, und den Zeitbedürf­nissen ausgelegten, entwickelten, er­weiterten und fortgebildeten Gestalt, die in dem Schrifttum des Talmud, des Midrasch und der Targumim niederge­legt ist. Es sind dies die neben den tradi­tionellen Gesetzen, den Sitten und Ge­wohnheiten, Minhagim, und den durch die Auslegung hervorgegangenen Be­stimmungen in den verschiedenen Zeiten veranstalteten Institutionen, Tekanoth; Gesetzesvorbeugungen geseroth und se­jagoth; die Gesetzeserleichterungen, kulim, und die Gesetzeserschwerungen, Chumrim, welche die Teile seines Grund­baues ausmachen. Die Institutionen, Te­kanoth, sind die in Folge der veränderten Zeitverhältnisse notwendig gewordenen neuen Einrichtungen, gesetzliche Zeitbe­stimmungen, für die im Schriftgesetz nicht vorgesehen war. Ebenso verhält es sich mit den andern, den Gesetzesvor­beugungen, geseroth und sejagoth, die zum großen Teil auch nur durch die Ver­schiedenheit der Zeit hervorgerufen wur­den. Erstere, die Tekanoth, sind die positiven Bestimmungen und größtenteils die Gesetzeserleichterungen, dagegen beste­hen letztere, die geseroth und sejagoth, aus verneinenden Anordnungen, Verbo­ten, welche die Gesetzeserschwerungen, Chumrim, des Rabbinismus bilden.

II. Wesen, Gestalt, Gewalten, Um­fang, Teile, Arbeit, Gesetzeserleichterung, Gesetzesaufhebungen, Gesetzeserschwe­rungen, Gegner und Gegenkämpfe, Nachweis, Bevollmächtigung, Autorität, Gründe, Normen. Nach der oben ange­gebenen Definition ist der »Rabbinis­mus« die Restitution der Lehre und des Gesetzes des Mosaismus und des Pro­phetentums in erweiterter Gestalt nach den vier Faktoren, dem Inhalte der Schrift, der Tradition, den Volks- und Landessitten, minhagim, und den Be­dürfnissen der Zeit. Er behandelt, gleich dem Mosaismus und dem Pro­phetentume, nicht bloß den Kultus und die Dogmatik, sondern auch die Rechts- und Sittenlehre; er sorgt nicht bloß für den Tempel und dessen Pries­ter, für die Synagoge und deren Besu­cher, sondern macht auch das Volks­wohl und die Volksbildung, die Rechts- und Staatsverwaltung zum Ge­genstand seiner Arbeit. In diesem wei­ten Umfange seiner Tätigkeit entwi­ckelt er sich als das Produkt des noch immer mehr verkannten als richtig er­kannten Pharisäismus, der Vereinigung und Verschmelzung der Verstandes­richtung mit dem Mystizismus. Wie der Mosaismus und das Prophetentum in sich Verstandesarbeit und Mystik vereinigen, für die Befriedigung des Geistes und des Herzens Sorge tragen, so arbeitet der Pharisäismus, als Wie­derhersteller deren Lehren und Ge­setze, an der Vereinigung und Ver­schmelzung der Verstandesrichtung und des Mysitzismus; beide sind die Grundsteine seines Baues. Der Rabbi­nismus beginnt sein Wirken nach au­ßen mit der Bildung des Chaberbundes, jener Vereinigung, die sich die Sorge für die Ausbreitung der Gesetzesbe-ob­achtung zur Aufgabe machte, aber auch die dem Chassidäismus, der über­triebenen Frömmigkeit, seine Grenzen bestimmte. Im Lehrhause war seine Tätigkeit die Halacha, die Gesetzeserör­terung, und die Agada, die Lehre, die Volksbelehrung. Teile der ersteren wa­ren, wie bereits angegeben: die Gesetze in der Schrift, die Bestimmungen der Tradition, der Zeitinstitutionen, Teka­noth, der Erleichterungen, kulim, und die der Vorsichtsbestimmungen, der Ge­setzeserschwerungen, Chumrim. Es ist daher durchaus unrichtig, wenn man, wie dies so oft geschieht, den Rabbinis­mus nur nach dem genannten letzten Teile seiner Tätigkeit, den Gesetzeser­schwerungen, beurteilt und die ersten drei Teile desselben verschweigt und denselben nur in seiner Gesetzesanhäu­fung darstellt, während er doch auch und zwar in nicht unbedeutender Zahl, besonders in den Institutionen, Teka­noth, Gesetzeserleichterungen und Ge­setzesaufhebungen hat. Wir beabsich­tigen hier keine Apologetik des Rabbinismus zu geben, sondern haben einzig und allein das wissenschaftliche Interesse im Auge, die Sache an sich nach allen ihren Seiten anzuschauen, zu beurteilen und darzustellen. Wir be­handeln hier den Rabbinismus, da wir dessen Erörterung des Schriftgesetzes in den Artikeln »Halacha« und »Exe­gese « und dessen Berücksichtigung der Traditionen in dem Artikel »Tradition» gegeben, nur in seinen zwei letztge­nannten Arbeiten: a. den Zeiteinrich­tungen, Tekanoth, mit den mit ihnen im Zusammenhang stehenden Gesetze­serleichterungen, und b. den Verhü­tungs- oder Besorgnisbestimmungen, geseroth und sejagoth, den Zäunen um das Gesetz, den Gesetzeserschwe­rungen. Das Leben und das Gesetz sind die zwei Gewalten, die in denselben ih­ren Ausgleich erhalten. Nicht das eine soll durch das andere unterdrückt oder gar vernichtet werden, sondern beide ineinander ihre Entfaltung und Erfül­lung finden. Die vom Rabbinismus ge­schaffenen Institutionen, Tekanoth, zeitgemäße Einrichtungen, sind es, die das Leben vor Zerstörung schützen, sein Wachstum heben und fördern sol­len. Aber andererseits haben seine Ver­hütungsbestimmungen, die Besorgnis-und Vorsichtsverbote, geseroth und se­jagoth, die Bestimmung, etwaiger Zerstörung (Übertretung) des Gesetzes vorzubeugen. Es ist hier nicht der Ort, schon wegen des Mangels an Raum, sämtliche Institutionen und Verhü­tungsbestimmungen aufzuzählen, aber wir bringen von denselben die wich­tigsten, um den Leser einen Einblick in diese Arbeit des Rabbinismus gewin­nen zu lassen. Die Institutionen haben ein hohes Alter, sie reichen bis in die Zeiten Esras und Nehemias 458-430 v.) hinauf und nehmen mit der Wieder­begründung des zweiten jüdischen Staates in Palästina ihren Anfang. Die Wiedereinführung des mosaischen Ge­setzes allein reichte für die veränderten Zeiten nicht aus; es mussten mit dersel­ben mehrere Institutionen geschaffen werden, die das Gesetz nach den neuen Zeitverhältnissen erweitern und ergän­zen sollten. Die erste Institution war die Schaffung und Einsetzung einer Oberbehörde aus der Mitte des Volkes, die unter dem Namen » Große Synode« (von 444 bis 196 v.) gegen 248 Jahre ihre Tätigkeit entfaltete. Mit Hilfe der­selben haben Esra und Nehemia meh­rere andere Institutionen zur Ergän­zung des Gesetzes geschaffen. Das Leben und das Gesetz, diese zwei Ge­walten, standen sich gegenüber, jenes war diesem entfremdet worden, es sollte ihm wieder zugeführt werden; und dieses (das Gesetz) reichte nicht mehr, nach den veränderten Zeiten, für jenes (das Leben) aus, und es musste durch neue Bestimmungen erweitert und ergänzt werden. Nach diesen zwei Seiten hin war die Arbeit des Rabbinis­mus in seinem ersten Auftreten durch die Werke Esras und Nehemias. Diesel­ben schieden sich schon damals in den später immer mehr hervortretenden zwei Gestalten, in positiven und nega­tiven Bestimmungen. Die positiven sind die Tekanoth, und waren hier: 1. die Vereidigung des Volkes zur treuen Befolgung des Gesetzes; 2. die Bestim­mung einer jährlichen Kopfsteuer von 1/3 Schekel zur Erhaltung des Opfer­kultes; 3. die Einführung von Volksbe­lehrungen durch öffentliche Vorlesung aus der Thora, verbunden mit Überset­zung und Erklärung derselben; 4. die Anordnung von Opferbeistandsmann­schaften, die das Volk beim Opfer ver­treten sollten; 5. die Zehnteinforderung durch die Leviten und deren gesetzliche Verteilung in Jerusalem; 6. die Holzlie­ferungen für den Tempel u. a. m. Die negativen Bestimmungen sind die gese­roth, die Vorsichts- oder Verhütungs­gesetze: 1. Die Auflösung der Misch­ehen und die Wegschickung der heidnischen Frauen. 2. Die Nichtzulas­sung der Samaritaner, später auch zur strengen Scheidung von denselben: die Verdrängung der alten hebräischen Schrift und die Einführung der assyri­schen Schriftzeichen, unserer Quadrat­schrift, an deren Stelle; ferner die Fest­stellung des Pantateuchtextes gegen die von den Samaritanern vorgenommene Fälschung desselben an mehreren Stel­len sowie die des Handels, des Einkaufs und Verkaufs am Shabbath u. a. m. Zur Tätigkeit der großen Synode späterer Zeit rechnet die Tradition: die Abfas­sung von Gebeten, die Einsetzung der Neumondsbestimmung und der Neu­mondseinsegnung, die Bestimmung zweier Tage, Montag und Donnerstag, zur Abhaltung von Gerichtssitzungen, die Anordnung zur Vorlesung des Estherbuches u. a. m. Das Charakteris­tische der Institutionen dieser Periode wird durch den in der Mischna der großen Synode zugeschriebenen Aus­spruch angegeben: »Seid bedächtig (und nicht vorschnell) im Entscheiden, stellet viele Schüler aus und machet ei­nen Zaun um das Gesetz.« Es war dies die Tätigkeit des Rabbinismus für das Gesetz, um das Leben demselben wie­der zuzuführen, es religiös und sittlich zu heben und zu bilden. Die zweite Ge­stalt der Institutionen, die zur Hut und Pflege des Lebens, zur Förderung des Volkswohls, nämlich die Gesetzeser­leichterungen, Gesetzesdispensationen und Gesetzesaufhebungen unter gewis­sen Bedingungen, beginnt in der jetzt folgenden zweiten Periode. Mit dem Tode des Hohenpriesters Simon II, ge­nannt Simon der Gerechte, im Jahre 196 v., hörte die Existenz der »Großen Synode« auf; Palästina kam unter die Herrschaft der Syrer und mit derselben trat eine neue Periode, die zweite der Institution ein, die vom Jahre 196 bis 135 v., vom Tode Simon des Gerechten bis zur Regierung des Königs und Ho­henpriesters Johann Hyrkan, währte. In diese Zeit fällt die Tätigkeit des jüdi­schen Hellenisten in Palästina zur ge­waltsamen Hellenisierung der Juden, welche die Gegenkämpfe der Hasmo­näer und das Märtyrertum der Chassi­däer hervorriefen, die mit der Befreiung der Juden von der syrischen Herrschaft und der Wiedereinführung der unterdrückten Religion des Juden­tums glücklich endeten. Die Gesetzes­arbeit des Rabbinismus dieser Periode war ebenfalls nach oben angegebenen zwei Gestalten; sie bestand aus negati­ven und positiven Bestimmungen. Von den Erstem nennen wir die der Unrein­erklärung der Länder der Heiden, das Verbot des Glasgeschirrs, das der Er­lernung des Griechischen, der Gemein­schaft mit Heidinnen u. a. m.; es waren Verhütungsgesetze, die gegen das Trei­ben der Hellenisten gerichtet waren und den Übergang zum Heidentum verhüten sollten. Wichtiger als diese waren die Bestimmungen der zweiten Gestalt, der positiven Bestimmungen, die eigentlichen Institutionen, Teka­noth. Das Shabbatgesetz war eines der größten Hemmnisse in der Kriegsfüh­rung der Makkabäer gegen die Syrer. Von den jüdischen Aufständischen wurden zu Hunderten, die am Shab­bath nicht kämpfen wollten, durch die Feinde niedergemacht. Solche Ereig­nisse veranlassten die Hasmonäer und ihr Gelehrtenkollegium zu dem Be­schlusse, dass die Kämpfer das Shab­batgesetz nicht zu beobachten brau­chen. Im r. Buch der Makkabäer 2, 30. 4o haben wir darüber: »Und es sprach einer zum andern, wenn wir alle so tun, wie unsere Brüder getan, und nicht streiten (am Shabbath) für unser Leben und unser Gestez gegen die Heiden, werden sie uns bald von der Erde vertilgen. Sie berieten sich an demselben Tage und sprachen: Wenn jemand zu uns am Shabbath zum Streite kommt, so wollen wir gegen ihn streiten! « Die­ser Beschluss wurde dann auch von ei­nem Teil der Chassidäer gebilligt, denn bald darauf heißt es: »Es versammelten sich sodann zu ihnen ein Haufen der Assidäer. « Dieser Beschluss war für die folgenden Zeiten von außerordentli­cher Wichtigkeit; er kennzeichnete die Richtung der Hasmonäer und war der erste Schritt zur Vereinigung der Chass­didäer mit der Partei der Gesetzesge­rechten, derjenigen Hellenisten, die Si­mon den Gerechten zum Vorbild hatten und den Hellenismus nur soweit zulie­ßen, als das jüdische Gesetz dies gestat­tete. Weiter ging man in dieser neuen Richtung in der jetzt eintretenden drit­ten Periode vom Jahre 135 bis 70 n. Es werden nicht bloß Gesetze gegeben, sondern auch Gesetze, die bedeutungs­los geworden oder die das Leben drück­ten, abgeschafft. Hyrkan I (135 bis 106 v.), der das Hohepriesteramt eine Reihe von Jahren verwaltete und zugleich Synhedrialpräsident war, hat in Folge eingeholter Erkundigung der Nichtab­lieferung des Ersten und Zehnten die Anordnung getroffen, dass der Landwirt zur Ablieferung der ersten Hebe ver­pflichtet sei, dagegen soll all sein Ge­treide, das er zum Verkauf auf den Markt bringt, als zweifelhaft verzehrt, demai, betrachtet werden, von dem der Käufer den gesetzlichen Levitenzehnt abzugeben habe. Diese Institution führte zur Abschaffung des Gesetzes über die Ablegung des Zehntbekenntnisses in 5. M. 26. 2-12, weil dasselbe nicht mehr wahrheitsgemäß gesprochen wurde und werden konnte. Eine fernere An­ordnung hat die Absingung des Verses in Psalm 44: »Wache auf, Herr! Wa­rum schläfst du« im Tempelmorgen­gottesdienste, der in den Tagen der sy­rischen Religionsverfolgung unter Antiochus Epiphanes eingeführt wurde, aber jetzt keine Bedeutung mehr hatte, abgeschafft. Ebenso wurde der Brauch aufgehoben, Opfertiere zwischen den Hörnern blutig zu ritzen, um dasselbe schnell zu Boden zu stürzen. Positive Verordnungen von ihm waren: 1. in den Urkunden den jedesmaligen fun­gierenden Hohenpriester mit dem At­tribut »des höchsten Gottes« anzuge­ben; 2. dass die von ihm eroberten Gebietsteile der Städte Bethsean, Semaga, Kefar Zemach als palästinen­sischer Boden zu betrachten seien und zehntpflichtig werden. Von diesen Be­stimmungen stieß nur die vorletzte auf Opposition; die Protestierenden mach­ten geltend: »Solche Urkunden mit dem Gottesnamen könnten, wenn sie wertlos geworden, auf den Dung ge­worfen werden, und eine Entheiligung des Gottesnamens wäre unausbleib­lich! « und schritten darauf zur Aufhe­bung dieser Anordnung. Man hielt diese Ausführung so wichtig, dass der Tag der Aufhebung derselben lange da­nach als ein Halbfest gefeiert wurde. Auch die letzte Anordnung wurde, aber erst im 2. Jahrh. n., von dem Pa­triarchen R. Juda I. aufgehoben. Die Kämpfe der Sadducäer gegen die Pha­risäer hatten bei letzteren mehrere Be­stimmungen gegen das Vorgehen der ersteren zur Folge. Wir nennen von denselben: a. dass das tägliche Mor­gen- und Abendopfer von den Tempel­beiträgen des gesamten Volkes, den Drittel-Schekalim, aber nicht von den Spenden der Einzelnen angeschafft werde; b. dass im Tempelgottesdienste gegen die Leugnung des Auferstehungs­glaubens durch die Sadducäer die Schlussformel der Benediktion lauten soll: «Gepriesen — Herr von Ewigkeit zur Ewigkeit!« oder »von Welt zur Welt!«, die früher nur: »Gepriesen — Herr von Ewigkeit!. hieß. Eine nicht minder große Zahl von Vorbeugungs­verboten und andern Anordnungen war gegen den Hellenismus aus der Maskkabäerzeit, zu denen im I. Jahrh. n. die gegen den Alexandrinismus, der mehrere neue Gesten im Judentume hervorgerufen hatte, hinzukamen. Wir heben von ihnen eine ältere hervor, sich im Gruße wieder nach alter biblischer Sitte des Gottesnamen, Jhvh, zu bedie­nen, wozu die Grußbeispiele aus der Bibel zur Nachahmung aufgestellt wer­den, z. B. der Gruß von Boas an seine Schnitter: »Der Ewige, Jhvh, mit Euch! « und die Erwiederung derselben: »Der Ewige, H, segne dich!« »(Ruth 2); ferner der an Gideon: »Der Ewige (H) mit dir, tapferer Held!« (Richter 6. 13). Unzweifelhaft war dies eine Demonstration gegen das Streben des Hellenismus, alles Jüdische aus dem Leben zu verdrängen. Eine andere Ge­stalt nehmen die rabbinischen Anord­nungen für das Volkswohl in dem letz­ten Jahrhundert vor und im 1. Jahrh. nach der üblichen Zeitrechnung an. Von dem Gesetzeslehrer Simon ben Schetach wurde zur Festigung des Ehe­lebens, damit die Frau vor der Willkür des Mannes, sie zu jeder beliebigen Zeit als Geschiedene aus dem Hause zu treiben, geschützt werde, die Institu­tion der Kethuba eingeführt, eine Ver­schreibung, wo der Frau zur Sicherung ihres Mitgebrachten und des ihr vom Manne Zukommenden sämtliche un­beweglichen Güter verpfändet wurden. Nicht minder heilsam war eine zweite Anordnung von ihm, welche die Eltern verpflichtet, ihre Kinder in die Schule zu schicken; der Schulbesuch wurde durch ihn obligatorisch. Ferner wird auf ihn die Verordnung zurückgeführt, dass die Aussage der Zeugen nur Gül­tigkeit habe, wenn dieselben wirklich selbst das gesehen, was sie bezeugen; ferner, dass die der falschen Aussage überführten Zeugen erst dann bestraft werden, wenn die Überführung des fal­schen Zeugnisses beide betraf u. a. m. Viel segensreicher noch waren die da­rauf folgenden Institutionen des Syn­hedrialpräsidenten Hillel I (70 v. — 10.). Als Erste nennen wir die des Verwah­rungsscheines, Prosbul, die den Gläu­biger vor dem Verlust seiner Ausstände durch die Gesetze des Erlassjahres schützen sollte und darin bestand, dass der Gläubiger vor Gericht zu Protokoll gab, und sich eine gerichtliche Ermäch­tigung ausstellen ließ, seine Schulden zu jeder Zeit einkassieren zu dürfen. Hervorgerufen wurde dieselbe in Folge der Verweigerung jedes Darlehens von Seiten der Begüterten aus Furcht, die Gesetze des Erlassjahres werden die Schuld annullieren. Die Institution des Prosbuls hat das mosaische Gesetz von dem Schuldenerlass am Erlassjahre au­ßer Kraft gesetzt. Eine zweite Institu­tion war die Maßregel zur Sicherung des ein Jahr dauernden Rückkaufs-rechts bei Häusern in den ummauerten Städten, dass der Rückkäufer am letz­ten Tage desselben Jahres, wenn er an demselben den Besitzer zur Übergabe der Verkaufssumme nicht auffinden kann, dieselbe beim Gericht des Ortes nur zu deponieren brauche, um von dem rückgekauften Hause wieder Be­sitz zu nehmen. Auch hierzu war der Grund, weil die Besitzer solcher Häu­ser sich an demselben Tage oft ver­steckten. Andere ihm zugeschriebene Zeitinstitutionen, zeitgemäße Anord­nungen, bitten wir in den Artikeln »Halacha« und »Hillel« nachzulesen. Von seinen Verhütungsverboten, gese­roth, sind bekannt, dass er auch für den Genuss der Theruma die Händer­einheit bestimmte und das Metallge­schirr, wie früher das Glasgeschirr (siehe oben), als unrein erklärte. In demselben Geiste wirkten auch die fol­genden Synhedrialpräsidenten, die Nachkommen Hillels. Von seinem En­kel Gamaliel I ist eine nicht geringe Anzahl von neuen Gesetzesanordnun­gen. Wir nennen von ihnen: a. dass ein Zeuge über den Tod des Ehemanns ge­nügt, um der Witwe die Wiederverhei­ratung zu erlauben; b. dass der Mann und die Frau in dem Scheidebrief ihre sämtlichen Namen, auch die nicht heb­räischen Bei- und Zunamen, aufneh­men lassen sollen; c. dass der Mann den einem Boten übergebenen Scheide­brief wieder nur in Gegenwart dessel­ben aufheben kann; d. dass die Namen der Zeugen in die Urkunden aufge­nommen werden müssen; e. dass die Frau nach dem Tode ihres Mannes bei Beanspruchung des ihr Verschriebenen zur Ablegung eines Eides angehalten werde soll, ob sie nicht schon früher davon etwas erhalten habe. Diesem Lehrer werden auch die Gesetze für die Armen unter den Heiden, sie von allen Wohltätigkeitswerken genießen zu las­sen, zugeschrieben. Einen ehrenvollen Platz in der Geschichte des Rabbinis­mus haben sich die zwei jetzt zu nen­nenden Männer errungen. Der Hohe­priester Josua aus Gamala und der Synhedrialpräsident R. Jochanan ben Sakai. Von ersterem nennen wir die Anordnung, Schulen für den Jugend­unterricht in jeder Stadt einzurichten. Letzterer überlebte die Zerstörung des Tempels in Jerusalem und die Auflö­sung seines Opferkultus und stand nach der Hinrichtung des Synhedrial­fürsten Simon Sohn Gamliel bis zur Wiedereinsetzung R. Gamliel II an der Spitze des Synhedrions. In dieser trau­rigen Zeit der Verwüstung und Zer­rüttung hatte er die Aufgabe, durch zutreffende Einrichtungen für die all­mähliche Sammlung des religiösen Lebens und die Wiederherstellung eines gesetzlichen Zustandes zu arbeiten. Aus seiner Tätigkeit vor der Zerstörung des Tempels ist seine Anordnung bekannt, welche in Betracht der Zeitverhältnisse das Gesetz von dem Fluchwasser für die des Ehebruchs verdächtige Frau ab­stellte. Nach der verhängnisvollen Ka­tastrophe der Zerstörung des Tempels verwendete er seinen Einfluss bei der römischen Behörde für die Begnadi­gung Gamliels II, des Sohnes des hinge­richteten R. Simon b. Gamliel I und arbeitete für dessen Einsetzung zum Synhedrialfürsten. Bis dahin verwaltete er dieses Amt und traf mehrere, recht heilsame Anordnungen. Er verlegte das Synhedrion von Jerusalem nach Jabne und erhob dasselbe zur vollen Tätig­keit einer Oberbehörde der Juden Pa­lästinas, gleich dem frühern in Jerusa­lem. In einer zweiten Anordnung übertrug er teilweise die Heiligkeit Je­rusalems auf Jabne und für die Zukunft auf jede Stadt Palästinas, wo ein Syn­hedrion an einem Neujahrs-Shabbath, wie früher in Jerusalem, das gesetzliche Schofarblasen vornehmen darf. Es war ein neues Prinzip, das zur Geltung kam: »Nicht der Ort an sich, sondern die Männer in demselben machen die Heiligkeit desselben aus! « Eine dritte Anordnung von ihm betraf die Bevoll­mächtigung dieses Synhedrions zur Vornahme von Neumondsbestimmun­gen und deren Verkündigung außer­halb Jersualems, auch in Abwesenheit des Gerichtspräsidenten, gegen eine frühere Bestimmung, welche die Mittä­tigkeit desselben forderte. Eine vierte bestimmte die Beibehaltung der sieben Prozessionen mit dem Palmstrauß am sechsten Tage des Laubhüttenfestes aus dem Tempelgottesdienste in Jerusalem auch für den Synagogengottesdienst. Eine fünfte bringt die Aufhebung des Gesetzes, dass der Proselyt bei seiner Aufnahme ins Judentum einen Geldbe­trag für das für ihn zu bringende Opfer abzugeben habe. Eine sechste endlich schaffte die Verordnung ab, dass die im Umkreise von Jerusalem Wohnen­den die Pflicht haben, die Früchte von neugepflanzten Bäumen am vierten Jahre nach Jerusalem zu bringen und sie daselbst zu verzehren. Die Ursache hiervon war, weil der Grund dieser Verordnung, um die Plätze Jerusalems mit Früchten zu schmücken, nach der Zerstörung Jerusalems weggefallen war. (Beza 5.) Wir gehen nun zur Dar­stellung dieser Tätigkeit bei den auf ihn folgenden Lehrern über. Der Erste, von dem wir jetzt zu sprechen haben, ist der Synhedrialfürst R. Gamliel II. Eine Menge von Institutionen, die das von seinem Vorgänger unternommene Werk der Ausgleichung des Lebens mit dem Gesetze vollenden sollen, werden wieder hervorgerufen; es hat der jüdische Geist nach dieser Richtung hin kräftig weiter gearbeitet und das Ju­dentum vor Vernichtung bewahrt. An die Stelle des Opferkultus trat jetzt der Synagogengottesdienst, und R. Gama­liel II nahm eine Revision und Feststel­lung der Gebete für denselben vor. Das Gebet Schemone Esre von den 18 Be­nediktionen ließ er von Simon Pekuli revidieren und festsetzen, mit Aus­nahme des Gebtstückes in demselben gegen die Sektierer, das aus der Zeit der syrischen Religionsverfolgung her­rührte und das unter dem Namen »Birchath Haminim« bekannt war, dessen Redaktion Samuel der Jüngere übernahm. Eine zweite Anordnung be­traf die Gesetze des Erlassjahres, die auf dem durch die Kriege verarmten Landvolke schwer lasteten und dem Landbau sehr hinderlich wurden. R. Gamliel mit seinem Synhedrion trug der Zeit volle Rechnung und hob ein altes Verbot auf, nach dem man das halbe Jahr vor dem Eintritt des Erlass­jahres die Äcker nicht bebauen durfte. Eine Dritte, die von den Zeitgenossen nicht genug gerühmt werden konnte, bezog sich auf die Leichenbestattung, die bis dahin mit vielem Luxus und großem Aufwand üblich war, und in seiner Zeit so sehr das Volk drückte, dass viele aus Furcht vor den Bestat­tungskosten die Leichen der Ihrigen unbeerdigt ließen. Gegen diesen Miss­brauch verbot er jeden Luxus bei der Leichenbestattung und führte die ein­fache Beerdigungsweise ein. Er selbst befahl den Seinigen, ihn nach dem Tode nur in einem leinenen Gewande zu begraben. Das Volk ahmte dem Bei­spiele R. Gamliels nach und die ein­fache Beerdigungsweise wurde bei den Juden allgemein. Eine vierte Verord­nung war zu Gunsten der Heiden, dass deren Beraubung gleich der der Juden verboten sei. Ebenso mild ging er ge­gen die Sadducäer vor, er bot ihnen und ihren Gesinnungsgenossen, den Baithusäern, aufs Freundlichste die Hand und bestimmte, die Sadduucäer nicht wie Heiden anzusehen, sondern sie gleich andern Israeliten zu achten. Auf gleiche Weise zeigte er sich tole­rant gegen die Samaritaner, deren Zeu­genschaft er gleich der eines Israeliten, sogar auf Scheidungsurkunden, für vollgültig ansah, und deren Früchte er, wie die eines Nichtchabers (Am-Haa­rez) für Demai zweifelhaft verzehnt er­klärte. Erst später, nachdem er sich auf seinen Reisen von deren gesetzwid­rigem Leben überzeugt hatte, kam er von dieser Bestimmung ab und verbot von ihrem geschlachteten Vieh Fleisch zu genießen. In einer Synhedrialsitzung seiner Zeit, der er zwar nicht präsi­dierte, kam es zur völligen Aufhebung des Verbots 5. M. 23, 4: »Es komme kein Ammoniter und Moabiter in die Gemeinde der Ewigen.« Von der größ­ten Wichtigkeit waren die Beschlüsse der Gesetzeslehrer dieser Zeit, des R. Akiba, R. Tarphon und R. Jose, des Galiäers, die in einer gemeinsamen Be­ratung in dem Dachzimmer eines Nithsa zu Lydda gefasst wurden, »dass man in Lebensgefahr jedes Gesetz übertreten darf, mit Ausnahme des Götzendienstes, des Mordes und der Unzucht.« Ein Vierter, R. Ismael, er­laubte in solchem Falle auch die Über­tretung des Verbotes des Götzendiens­tes, wenn solche nicht öffentlich geschieht. Dieselben waren gegen die Religionsverfolgungen der vorbarkoch­baischen Zeit gerichtet und galten noch als gesetzlich in der Zeit der hadriani­schen Verfolgungen nach der barkoch­baischen Revolution. Nicht minder be­deutsam erkennen wir die späteren Institutionen unter dem Synhedrialfürs­ten Simon II, dem Sohne Gamliels II, (140-163 n.), die der Zeit nach dem barkochbaischen Aufstande angehören. Der verunglückte Barkochbaische Auf­stand und die hadrianischen Verfolgs­edikte nach ihm haben die jüdische Be­völkerung so sehr verringert, dass ganze Ländereien nicht mehr bearbeitet wer­den konnten. Eine schreckliche Armut hat sich des noch übrigen Teils bemäch­tigt und Aushilfe war ein dringendes Gebot. Dieselbe wurde dem jüdischen Volke durch seine Oberbehörde, das Synhedrion, geboten; es waren die denkwürdigen Bestimmungen, die von den Synhedristen unter ihrem Vorsit­zenden R. Simon b. G. II getroffen wur­den. In Uscha trat das Synhedrion zum ersten Mal nach der Aufhebung der ha­drianischen Verfolgungsedikte wieder zusammen, wo es folgende Beschlüsse als Gesetze proklamierte: 1. Der Vater hat für seine unmündigen Kinder zu sorgen; 2. Die Überlassung der Ver­schreibung der Besitzungen an die Kin­der verpflichtet sie zur Ernährung der Eltern; 3. Der Freigebige verteile nicht über ein Fünftel seines Vermögens; 4. Der Vater ist verpflichtet, sich mit der Erziehung seines Sohnes bis zu dessen zwölftem Jahre zu beschäftigen, von da ab soll er ihn zur Erlernung eines Gewerbes anhalten; 5. Der Mann hat auf die Besitzungen seiner Frau, die sie bei ihrem Leben verkauft hat, nach ih­rem Tod berechtigten Anspruch; 6. Wer einen Alten beschämt, hat einen Golddenar Strafgeld zu zahlen; 7. Der Bann darf nicht über einen Gelehrten, der gegen einen von der Mehrheit des Synhedrions gefassten Beschluss han­delt, verhängt werden u. a. m. Einen lebhaften Aufschwung nahmen diese Art von Institutionen in den darauf fol­genden Zeiten unter dem Patriarchen R. Juda I. (137-194 n.) und R. Juda (220 — 270 n.). Man erholte sich und hatte wieder den Mut, nicht bloß Ge­setze zu geben, sondern auch Gesetze abzuschaffen. R. Juda I. befreite die Grenzstädte Bethsean (Soythopolis), Kefar Zemach am Jordan, Cäsarea am Meere und Bethgoberim im Süden mit ihren Gebieten, die früher nicht unter jüdischer Botmäßigkeit standen und meist von Griechen bewohnt waren, von der Pflicht des Erlassjahres und der Zehntabgaben, weil sie nicht als zu Pa­lästina gehörig betrachtet wurden. Als man ihn über diese Neuerung mit Vorwürfen überhäufte: »Du erlaubst, was deine Väter verboten hielten! «, ant­wortete er: »Meine Väter ließen mir diesen Platz für meine Verdienste! « Der König Hiskia hat die von Moses in der Wüste angefertigte eherne Schlange vernichtet, weil sie das Volk zu Abgöt­terei verführte. Aber es gab ja vor ihm genug fromme Könige: Assa, Josaphat u. a. m., die gegen die eherne Schlange von Moses nichts unternahmen, wenn sie auch alles Abgöttliche aus dem Lande schafften, wie durfte Hiskia das, was seine Ahnen verschont hatten, zer­stören? »Es war dies sein eigenes Ver­dienst!«, werdet ihr antworten. »Nun, so rechne ich mir auch mein Werk mit dieser Aufhebung als Verdienst an!« Der Patriarch ging weiter und machte einige Gesetzeserleichterungen, betref­fend das Erlassjahr. Er erlaubte am Ausgange des Shabbathjahres von dem Anbau auf den Feldern, wenn auch derselben am Shabbathjahre gemach­ten, sofort zu genießen. Später machte er sogar einen Anlauf, die Bestimmun­gen des Erlassjahres ganz aufzuheben, was er jedoch wegen der Opposition des beim Volk gleich einem Heiligen hochverehrten Pinchas ben Jair aufgab. Er schaffte ferner die üblichen Berg­feuer zur Ankündigung der Neumonds­bestimmungen ab, da dieselben bei der Absendung von Boten hierzu keine Be­deutung mehr hatten. In Bezug auf die Bestimmung von Fasttagen mahnte er, nicht die Gemeinde zu viel zu belästi­gen, und wollte sogar den Nationalfasttag des 9. Ab abschaffen, aber auch davon brachten ihn die dagegen sich erhebenden Stimmen im Synhedrion ab. Bedeutende Gesetzeserleichterun­gen führte er in Bezug auf das Shab­bathgesetz ein. Er erlaubte den Ga­daräern nach dem nahe gelegenen Hamtha, am Shabbath zu gehen; die Berührung und Wegschaffung von Ge­fäßen, die sonst verboten war u. a. m., besonders wo es der Rettung eines Menschenlebens galt. Indessen wurde diese von ihm angeregte Strömung nach Gesetzeserleichterungen so allge­mein, dass sie unsern Patriarchen zu überflügeln drohte und sich gegen ihn zu wenden begann. Da machte er Halt und stemmte sich mit aller Kraft gegen weitere Neuerungen. Man stellte in ei­ner Synhedrialsitzung den Antrag auf die Emanzipierung der Nethinim. Der Patriarch protestierte und sprach: »Wollten wir auch unsern Anteil auf­geben, wissen wir, ob der Altar, zu des­sen Bedienung die Nethinim da sind, auf seinen Teil verzichten werde!. Ebenso trat er gegen einen andern An­trag, die Abkunftsreinheit der Juden Palästinas höher als die der Juden Ba­byloniens zu stellen. Er rief ihnen zu: »So werfet ihr mir gar Domen in die Augen!. Indessen blieb diese freie Richtung das Erbe seines Hauses. Sein Enkelsohn, der oben genannte Patri­arch R. Juda II., setzte das Werk der Gesetzeserleichterung mutig fort. Er hob das die Juden in Palästina seiner Zeit sehr drückende Verbot des Genusses vom 01 der Heiden auf, das nach der Tradition schon von Daniel her­rührte und zu den 18 Bestimmungen aus der Zeit vor der Zerstörung des Tempels gehörte. Diesem folgten zwei andere Gesetzeserleichterungen bald nach. Er bestimmte, dass ein Scheide­brief mit der Klausel, die Gültigkeit desselben trete erst nach dem Tode des Mannes ein, wodurch die Frau, wenn sie kinderlos ist, von der Pflicht der Schwagerehe befreit wird, volle Rechts­kraft besitze, so dass die Witwe von der Pflicht der Schwagerehe entbunden ist. Das Zweite war die Anordnung, dass eine Frau nach einem Abort, ähn­lich einem Schuhe, an dem keine menschliche Gestalt sichtbar gewor­den, keine gesetzliche Reinigungswo­chen zu halten brauche. Es versteht sich, dass es auch hier nicht an Gegen­erklärungen und Gegenkämpfen ge­fehlt hat, aber gab es noch immer Ge­lehrte, die solche Bemühungen vollauf zu würdigen verstanden. Sie lehrten: »An drei Stellen erhielt das Kollegium R. Judas II den Namen >Unsere Leh­rer<, bei der Aufhebung des Ölverbots, bei den Scheidebriefbestimmungen und der Abortserlaubung.« Seine Nachfol­ger gingen auf dem von ihm betreten- den Wege weiter und hoben auch das Verbot des Genusses von heidnischem Brot auf. Aus dieser kleinen Skizze, die wir, wenn es uns nicht an Raum fehlte, bedeutend vergrößern könnten, erse­hen wir zu Genüge, wie unrichtig es sei, den Rabbinismus als den Gesetzeserschwerer und Anhäufer von Zere­monien darzustellen, die das Leben knechten und ihm jede Freiheit der Selbstbestimmung rauben. Der Rabbi­nismus betrachtete es als seine Auf­gabe, nicht bloß Gesetze zu mehren, sondern sie auch zu mindern oder ganz abzuschaffen. Wie unerschrocken er diesem Ziele zusteuerte und trotz der vielen Hemmungen im Inneren immer wieder an dieses Werk ging, werden wir aus dem zweiten Teile dieses Arti­kels sehen, der von inneren Kämpfen des Rabbinismus handelt. Wer hat die Rabbiner zu dieser Arbeit ermächtigt? Oder von wem wurden sie zur Vor­nahme solcher Gesetzeserleichterungen oder Herbeischaffung von Gesetzeser­schwerungen autorisiert? Ist nicht bei­des gegen das ausdrückliche Verbot: »Ihr sollet zur Sache, die ich euch be­fehle, nichts hinzutun, und nichts da­von abnehmen, um die Gebote des Ewigen, Eures Gottes, zu beobachten, die ich euch befehle!. So erhoben sich Gegenstimmen gar gegen den Rabbi­nismus, die das Vorgehen desselben als gesetzwidrig bezeichneten. Sie bildeten die Gegenpartei gegen die Institutionen Esras, des ersten Begründers des Rab­binismus, riefen später die Partei der Sadducäer hervor, veranlassten die Entstehung und die Bildung des Chris­tentums, erweckten von Zeit zu Zeit selbst im Schoße des Rabbinismus (siehe weiter) Gegner gegen die Bestim­mungen der Synhedrialpräsidenten in den verschiedenen Zeiten, bis sie zuletzt lange nach dem Schlusse des Tal­mud im B. Jahrh. n. im Karäertum ein Judentum ohne Rabbinsimus zu bilden suchten. Aber auch der Rabbinismus schwieg nicht zu den Protesten der Gegner und wies das Gesetzmäßige sei­ner Arbeiten, seine Ermächtigung zur Begründung von zeitgemäßen Instituti­onen, für die Gesetzeserleichterungen und Gesetzeserschwerungen im Schrift­gesetze nach. Das Gesetz in 5. M. 17. 9 - 14 von der Aufgabe und der Macht­vollkommenheit des Obergerichtes und von dem schuldigen Gehorsam gegen dasselbe wird zur Begründung der Er­mächtigung der Rabbiner, zum Nach­weis ihrer Autorität für ihre Gesetzes-arbeiten zitiert. Daselbst heißt es: »Und tue nach dem Ausspruche, den sie dir verkünden, von dem Orte, den der Ewige erwählt, und beobachte zu voll­ziehen, ganz so, wie sie dich lehren. Nach der Lehre, die sie dich lehren und nach dem Rechte, welches sie dir ver­künden, tue; weiche nicht von der Sa­che, die sie dir sagen, weder rechts, noch links. « Zu Bezug darauf erklären sie: »Du hast nur den Richter deiner Tage aufzusuchen. Sage nicht, dass die Richter früherer besser waren als die gegenwärtigen. Sollte es auch der Leichtsinnige unter den Leichtsinnigen sein, wird er zum Vorgesetzten ge­wählt, so betrachte ihn gleich dem Würdigen unter den Würdigen.« »Jephta in seiner Zeit war gleich Sa­muel zu seiner Zeit. « Weiche nicht, weder rechts, noch links, d. h. wenn es dir auch scheinen sollte, dass die Be­stimmungen der Weisen nach rechts links und die nach links rechts wären. Im Zusammenhang damit stellte Mai­monides darüber folgende Grundlehre auf: »Das Obergericht in Jerusalem war die Wurzel der mündlichen Lehre; sie (die Synhedriten) waren die Stützen der Gesetzesentscheidungen, von ihnen kam Gesetz und Recht auf ganz Israel. Jeder, welcher an die Lehre Moses glaubt, hat die Pflicht, die gesetzliche Praxis nach ihnen zu nehmen. Sowohl was sie nach der Tradition, als auch was sie nach ihrer auf Schriftforschung begründeten Meinung lehren, aber was sie als Gesetzeszaun aufstellen, als eine Institution hervorrufen und als Sitten bezeichnen, auf jede einzelne dieser drei Kategorien von Gesetzesbestim­mungen bezieht sich das Gebot, ihnen Folge zu leisten, wer gegen diese Be­stimmungen handelt, übertritt ein Schriftverbot.« »Nach der Thora, die sie dich lehren«, »das sind die Instituti­onen, die Vorbeugungsgesetze und die Sitten«; »und nach dem Rechtsan­spruch«, »das sind die aus der Schrift hergeleiteten Gesetze«; »was sie dir sa­gen«, »d.i. die Tradition.« Hiermit war die Ermächtigung für die Rabbiner, In­sititutionen hervorzurufen, Gesetzeser­leichterungen zu bestimmen usw., nachgewiesen. Aber wie verhielt sich dieses zu dem oben zitierten Ausspruch, dem Schriftgesetze nichts hinzuzufügen und von ihm nichts abzunehmen? Diese Frage macht keine Schwierigkeit, da rabbinische Bestimmungen als keine mosaischen Gesetze gelten sollen, auch gar nicht für dieselben ausgegeben wurden, daher weder als Zutat, noch als Abnahme des Gesetzes gelten kön­nen. Doch die begnügten sich damit nicht, sondern gaben außerdem noch bestimmte Gründe für ihr Tun an, be­sonders wenn es galt, von Gesetzen zu dispensieren oder gar sie aufzuheben. »Oft«, lehrte Simon Sohn Lakisch, »ist die Aufhebung des Gesetzes die Erhal­tung des Gesetzes.« R. Nathan deutet den Psalmvers: »Zeit ist für den Ewi­gen zu tun, sie zerstören deine Lehre « (Ps. 119), »sie zerstören deine Thora, weil es Zeit ist zu handeln, Institutio­nen zu errichten.« So wird als Grund bei Dispensation vom Shabbathgesetz angegeben: »Es ist besser, man ent­weiht einen Shabbath, damit man nicht viele Shabbathe entweihe«; oder: »Man entweihe immerhin einen Shabbath, damit man später viele Shabbathe halte.« Ferner: »Der Shabbath ist euch überwiesen, aber ihr nicht dem Shab­bath.. Bei Gesetzesdispensationen zur Rettung eines Menschenlebens waren ihre Grundsätze: »Der Mensch lebe durch das Gesetz aber sterbe nicht in Folge desselben.« Dass man oft in mehreren Fällen Gesetzesübertretun­gen übersehen und nicht rügen soll, diese Anordnungen belegten sie mit dem Spruch: »Besser, sie sündigen un­wissend, als dass sie später wissend und vorsätzlich das Gesetz, übertre­ten.« Ferner: »Es ist besser, wenn du ein geringes Verbot übertrittst, als dass der Nächste ein wichtiges übertreten soll.« Hierher gehören die Gesetzesdis­pensationen wegen der Menschenehre, zur Ehre eines Königs, auch für den, der mit der Regierung verkehrt u. a. m., ferner andere Gesetzeserleichterungen mit der Bezeichnung des Grundes: »Man erlaubte das Ende wegen des Anfangs«; »Wenn er sie doch heiratet verboten, so ist es besser, dass er sie er­laubt heirate«; »Wenn er es verboten genießt, ist es besser, dass er es erlaubt genieße« u. a. m. So wiesen sie auf Esra 10. 8 hin und bestimmten: »dass die Freigebung durch das Gericht als ge­setzliche Freigebung zu betrachten sei. « Bei Gesetzeserleichterungen in Geldsa­chen bemerkten sie, dass es geschehe, um keine Geldausgaben zu verursa­chen; oder: »damit man nicht vor den Armen, welche Geld leihen, die Türe verschließe«; oder: »damit der Finder das Gefundene zurückgebe«. Für Ge­setzeserleichterungen oder Institutio­nen in Ehesachen lautete der Grund: »um etwaiger Feindschaft in der Ehe vorzubeugen«; oder: »wegen Gunst der Frau«; oder: »damit dem Manne es nicht leicht wird, sich von der Frau zu scheiden«; »damit kein schlechter Ruf sich verbreite«, u. a.m. Maimonides hat diese sämtlichen Bestimmungen in wenige Worte, die gar viel sagen, zu­sammengefasst. Er sagte: »So soll man zeitweilig ein Gebot oder Verbot auf­heben, um viele für das Gesetz wieder zu gewinnen, oder mehrere von vielen Vergehungen zu retten. Wie ein Arzt die Amputation einer Hand oder eines Fußes ausführt, um den Menschen am Leben zu erhalten, so dürfen die Lehrer in den verschiedenen Zeiten auf eine Zeit Gesetze abschaffen, damit alle an­deren erhalten bleiben und vollzogen werden.« In der Weise wie schon die Weisen der Vorzeit lehrten: »Entweihe einen Shabbath, damit du mehrere Shabbathe halten kannst.« Auch in der zweiten Tätigkeit der Rabbinen bei Be­stimmung von Vorbeugungsgesetzen suchen die dieselben durch Angaben von Gründen gleichsam zu rechtferti­gen. Die Pflicht für die Rabbinen, Vor­beugungsmaßregeln zu treffen, um das Gesetz vor Übertretung zu schützen, finden sie in 3. M. 18. 30: »Ihr sollet hüten meine Vorschrift« angedeutet, d. h. machet eine Hut für meine Vor­schrift. Als einzelne Gründe für solche Verhütungsverbote werden genannt: »Um den Menschen von der Sünde zu entfernen«; »ihn nicht zur Gesetzes­übertretung kommen zu lassen«; »da­mit er sich nicht an die Sünde ge­wöhne«; »damit er zu keiner Untat verleitet werde. « » Gehe, gehe, nahe dich nicht dem Weinberge!« ist der Spruch an den Nasiräer, damit er nicht zum Traubengenuss verlockt werde. Ferner: »Um jeden Schein der Sünde fern zu halten«, jeden Verdacht zu ent­fernen (Schekalim 3. 2), einer Lebens­gefahr vorzubeugen (Aboda sara 17b), keine Untreue gegen fremdes Gut zu veranlassen, oder jedem Raube, auch dem geringsten, fern zu bleiben« u. a. m. Im Allgemeinen gebrauchten sie dafür den Spruch: »Halte dich zu­rück vom Hässlichen (Sündhaften) und von dem, was ihm gleicht.. Doch mahnten sie auch hier gar sehr und oft vor dem Zuviel und stellten zur Be­grenzung dieser Gesetzesarbeiten ge­wisse Normen auf. Von denselben nen­nen wir die Bestimmung: »Man verhänge nichts über die Gemeinde, was die Mehrheit derselben nicht er­tragen kann«; »Man mache kein Ver­hütungsverbot zu einem Verhütungs­verbot«; »Für eine Sache, die nicht immer existiert, oder selten vorkommt, errichte man kein Verhütungsverbot.« Ferner mieden sie Verhütungsverbote aufzustellen in den Sachen und Fällen, wo man ohne dies sich in Acht nimmt oder zurückhält, oder wo die Leute pflichtgetreu und pflichteifrig sind. Am nachdrücklichsten hören wir den Leh­rer R. Chia vor allzu viel Gesetzesum­zäunung warnen: »Man mache nie den Zaun höher als das Gesetz, er fällt sonst ein und man schneidet die Pflanze weg.« Als Beispiel wird auf die Ver­botsübertretung des ersten Menschen­paares hingewiesen. Es dürfte nicht uninteressant sein, die differierenden Ansichten über den Wert der zur Zeit der jüdischen Kriege gefassten 18 Be­schlüsse von Verhütungsgesetzen gegen jede Vermischung mit den Heiden zu hören. R. Elieser sagt über dieselben: »An jenem Tage, wo die achtzehn Be­schlüsse gefasst wurden, häufte man das Maß der Gesetze. Ein Maß, voll mit Nüssen, füllte man noch mit Mohn aus«, womit er bildlich angeben wollte, dass die hinzugefügten rabbinischen Satzungen die Lücken des biblischen Gesetzes ausfüllten. Nein, rief ihm sein Zeitgenosse R. Josua zu: »An jenem Tage strich man das Maß der Gesetze gar sehr ab! « »Wenn man in ein Maß voll Öl Wasser hineingießt, geschieht es nicht, dass je mehr man an Wasser hineingießt, desto mehr Öl hinaus­strömt, d. h. je mehr man Verhütungs­verbote schafft, desto mehr verliert das Schriftgesetz an Wert und Gehalt!. Auch die Ermächtigung der Rabbiner zur Gesetzesaufhebung erhielt einige Einschränkungen, z. B. durch die Be­stimmung: »Ein Rabbinerkollegium darf die getroffenen Bestimmungen und Institutionen eines anderen Rabbi­nerkollegiums nicht aufheben, wenn es dieses nicht an Weisheit und Zahl über­trifft! Diese sämtlichen Lehren und Be­stimmungen bilden das Ergebnis der vielen verschiedenen Kämpfe, die der Rabbinismus von seiner Entstehung bis lange nach dem Schluss des Talmud durchzumachen hatte. Es war in unse­rer Absicht, auch diesen Kampfesgang des Rabbinismus zu schildern, aber der Umfang dieses Artikels hat ohnehin schon die ihm gesteckte Grenze über­schritten. Gegen die Gegner des Rabbi­nismus stellten sie die Lehren auf: »Al­les, was die Rabbiner verordnet oder eingerichtet haben, ist als wenn es die Thora verordnet hätte«; »Die Thora bedarf keiner Befestigung, dagegen müssen sie Worte der Sopherim ha­ben«, u. a. m.