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Rabh

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Rabh, oder Abba R., auch: Abba der Große (der lange), Gesetzes- und Volkslehrer, Amora, bedeutende tal­mudische Persönlichkeit (vom J. 167 - 247 n.), Mitschöpfer des neuen Auf­schwunges des Halachastudiums auf babylonischem Boden.

I. Sein Leben und Wirken. Der Va­ter Abbas war Akiba bar Abba aus Kaphri, der Bruder des rühmlichen be­kannten Gesetzeslehrers Chija; seine Mutter hieß Martha, welche die Stief­schwester ihres Gatten war. Seinen ers­ten Unterricht erhielt er im Elternhause von seinem Vater; seine Mutter war ihm früh gestorben. Aber auch seines Vaters hatte er sich nicht lange zu er­freuen, denn auch er starb bald darauf. So blieb ihm nichts übrig, als seinen oben genannten Oheim R.Chija aufzu­suchen, der nach Palästina zum Lehr­hause des Patriarchen R. Juda I. in Se­phoris ausgewandert war. Abba begab sich dahin und wurde freundlich auf­genommen, das Haus des Oheims er­setzte ihm das Elternhaus. Unter der Leitung desselben entwickelte sich rasch sein reich begabter Geist. Voll Lernbegierde überhäufte er seinen Oheim mit Fragen, sodass dieser ihm oft zurief: »Wann wirst du endlich be­greifen, dass man den Lehrer nicht mit zu vielen Fragen quälen darf! « So wurde er von ihm für das Lehrhaus, wo der Patriarch seine halachischen Vorträge hielt, vorbereitet, das er, wenn auch noch in jugendlichem Alter, mit seinem Oheim oft besuchte, von dem er sich alles, was ihm unverständlich schien, erklären ließ. R. Chija wurde nicht müde, die Kenntnisse seines wiss­begierigen Schülers zu erweitern, so­dass er bald die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich lenkte. Auch der Pa­triarch erkannte in ihm den vielver­sprechenden Geist und bestimmte ihn für die Schülerreihe, die unmittelbar vor ihm während des Vortrages ihren Platz einnahm. R. Jochanan, sein Zeit-und Studiengenosse, erzählte von ihm, er habe es aus der 17. Reihe seines Sit­zes mit Bewunderung gesehen, wie in den Gesetzesdiskussionen aus dem Munde des Abba zum Munde des vor­tragenden Patriarchen die Beweise und Gegenbeweise gleich Feuerfunken sprühten, ohne dass er deren Inhalt zu fassen im Stande war. Von großem un­berechenbarem Nutzen waren für ihn die 30 Tage, wo sein Oheim in Folge eines sich zugezogenen Verweises (Nesiphabannes) das Lehrhaus nicht besuchen durfte. Er hatte nun Zeit, den Wissensdrang seines Neffen zu befrie­digen, ihn mit allen Fächern des Ha­lachastoffes bekannt zu machen und ihn für seinen künftigen Beruf vorzu­bereiten. Das Halachastudium in Pa­lästina hat in dem Lehrhause des Patri­archen seinen höchsten Gipfelpunkt erreicht, es war ein Sinken desselben zu befürchten. Dagegen sollte für dasselbe in Babylonien eine zweite Heimat ge­gründet werden. Dahin neu verpflanzt, dachte sich R. Chia, würde das Stu­dium des Gesetzes einen ergiebigen Bo­den auf Jahrhunderte hinaus finden. Die lernbegierige Schar der babyloni­schen Jünger in dem Lehrhause des Pa­triarchen schien in der Tat solchen Hoffnungen entsprechen zu können. Sein Neffe Abba sollte unter denselben einer der Ersten sein, die ihrem Vater-lande eine solche Zukunft zu bringen berufen waren. Mit seinen seltenen Geistesfähigkeiten verband er eine be­wusste Selbstständigkeit, gepaart mit strenger Gewissenhaftigkeit und Men­schenliebe, Eigenschaften, die ihn für den Gesetzes- und Volkslehrer befähig­ten. Einst, erzählte man, hielt Abba ei­nen Vortrag, den er mehrere Mal, so oft ein Lehrer eintrat, unterbrach und vom Anfang wiederholte. Das tat er beim Eintritt des Patriarchen, des Oheims R. Chia, des gelehrten Bar Kappara und des R. Simon. Aber bald wurde er dessen überdrüssig und un­terließ diese Wiederholung, als darauf später noch R. Chanina erschienen war. Da fühlte sich dieser beleidigt, was man unserem Abba hinterbrachte. Sofort machte sich dieser auf, ihm Ab­bitte zu tun, und es war ihm nicht zu­viel, den Weg zu ihm dreizehn Mal an einem Tage zu wiederholen. Wieder einmal hatte er einen Streit mit einem Manne aus dem Volke, der ihn arg be­leidigt hatte. Abba dachte, er werde sich bald zur Abbitte einfinden. Aber derselbe erschien nicht. Der Rüsttag des Versöhnungstages kam heran, da machte sich Abba auf und hielt bei dem Beleidiger um Aussöhnung an. So ausgerüstet, kehrte er nach seinem Hei­matlande, Babylonien, zurück, um das­selbe den Anfang seiner Lehrtätigkeit zu beginnen. Sein Oheim R. Chija hielt für ihn beim Patriarchen um die übli­che Ordination an. Dieselbe wurde ihm erteilt, aber in beschränkter Form, sie erlaubte ihm, alle Funktionen als Rabbiner und Richter vorzunehmen, mit Ausnahme der Fehlerbesichtigung und Fehlerbeurteilung bei den Erstge­burten des Viehes. Er trat trotzdem seine Rückreise im Jahre 189 n. an, in der Absicht, sich da für immer nieder­zulassen. Er langte in Babylonien an, aber nicht auf lange Zeit; immer wie­der erwachte in ihm die Sehnsucht nach der Lehrtätigkeit in Palästina. Der Grund hierzu war, weil er noch immer Lücken in seinem Wissen be­merkte, auch um eine vollständige Or­dination von dem Patriarchen zu erhal­ten. Eine Quelle erzählt, dass Abba bei seiner Rückkunft von sich gerühmt hatte, er wäre der Ben Usai (Simon ben Usai) in Babylonien! Worauf ihn ein Greis um Auskunft über seine Lehre ersuchte, die er nicht zu geben ver­stand. Dieser Vorfall soll ihn zur Rück­kehr nach Palästina, zum Lehrhaus in Sephoris bewogen haben. Zur Erlan­gung einer vollständigen Ordination hielt er sich auch 18 Monate bei einem Viehhirten auf, um sich genau mit den vorkommenden Fehlern bei dem Vieh vertraut zu machen, so dass er sein Wissen auch zur Beurteilung an den Erstgeburten ergänzte. So verweilte er nochmals eine Reihe von Jahren in Se­phoris und kehrte erst nach dem Tode des Patriarchen im Jahre 219 n. nach Babylonien wieder zurück. Sein Wunsch ward ihm nicht erfüllt, er er­hielt keine erneuerte, vollständige Or­dination, die ihm auch noch später vom Patriarchen R. Gamliel II, dem Nachfolger R. Juda I., verweigert wurde. In Babylonien, wo sich die Nachricht seiner Ankunft verbreitete, eilten ihm seine zwei Freunde, Samuel und Karna entgegen. Bei den Juden in den babylonischen Städten herrschte in religiösen Sachen Unwissenheit und Gleichgültigkeit, ein Zustand, der mit Schmerz die aus Palästina zurückge­kehrten Gesetzesjünger erfüllte und in ihnen den Wunsch nach einem Um­schwung lebhaft rege machte. Sie er­warteten daher mit Sehnsucht ihren Freund Abba, vielleicht in Gemein­schaft mit ihm dem daniederliegenden religiösen Leben aufhelfen zu können. Abba langte endlich an und wurde von seinen Freunden herzlich empfangen. Ungekannt besuchte er später das Lehrhaus in Nehardea, wo er dem vor­tragenden Schuloberhaupte R. Schela als Dolmetscher, Meturgeman, diente. Als solcher erklärte er eine Mischna gegen das Herkommen und erregte da­durch die Aufmerksamkeit der Anwe­senden. »Warum«, fragte R. Schela, »ist deine Erklärung so fremd?« »Mit einem gewissen Stolze antwortete er: Die Musik, die den Vornehmen erfreut, missfällt den Laien! So habe ich es im­mer erklärt, und R. Chija war damit zufrieden.« Sofort erkannte R. Schela in ihm den berühmten Gesetzesjünger Abba und bat ihn, das unpassende Amt eines Meturgeman niederzulegen. Er lehnte bescheiden diesen Antrag ab und blieb in dieser Stellung als Dolmet­scher bis zum Tode des Schuloberhaup­tes. Vom Exilarchen, dem Oberhaupte der Juden Babyloniens, wurde Abba zum Marktmeister, Agoranomos, er­nannt; er hatte als solcher das richtige Maß und Gewicht bei den Verkäufern zu beaufsichtigen. Auch sollte er nach Vorschrift die Marktpreise überwa­chen, um jede Verteuerung der Lebens­mittel zu verhüten. Dieses neue Amt hielt er als mit seinem Beruf als Volks-und Gesetzeslehrer unvereinbar und verweigerte die Annahme desselben. Der Exilarch betrachtete diese Ableh­nung als Widerspenstigkeit und ließ ihn ins Gefängnis werfen, aus dem ihn nur die Fürbitte seines Freundes be- freite. Ein anderes Beispiel seiner Selbstständigkeit gab er, als aus Paläs­tina die Nachricht von der Aufhebung des Verbotes des Heidenöls in Babylo­nien angelangte. Abba verweigerte die Anerkennung desselben. Da verfügte sich Samuel zu ihm und vermochte ihn erst durch die Drohung, ihn als gegen die Befehle des Patriarchen widerspens­tigen Gelehrten zu behandeln, zum Nachgeben zu bewegen. Diese Energie und Selbstständigkeit waren indessen für einen Mann notwendig, den wir bald in einem größeren Wirkungskreise sehen werden, wo er für die Hebung des religiösen Lebens und der sittlichen Bildung der Juden Babyloniens so sehr segensreich gewirkt hatte. In Nehardea starb R. Schela, des­sen Stelle als Schuloberhaupt er jetzt übernehmen sollte. Aber Abba lehnte diese Wahl zu Gunsten seines Freundes Samuel ab; dagegen gründete er ein ei­genes Lehrhaus in Sura. Diese Stadt und deren Umgebung lagen in arger, religiöser Verwahrlosung. So hörte er auf dem Markte zu Tatlaphasch, un­weit Sura, wie eine Frau die andere fragte, wie viel Milch sie denn zu ei­nem Pfunde Fleisch nehme. Auch die Ehe wurde da nicht in ihrem sittlichen Prinzipe aufrechterhalten, so dass meh­rere Klagen darüber laut wurden. Ge­rade diesen Ort wählte er für seine Tä­tigkeit. »Rabh fand ein ödes Tal und verstand es zu umzäunen!. lautete eine spätere Würdigung seiner Wirksamkeit daselbst. So trat er seinen sich selbst geschaffenen Wirkungskreis an. Er war ganz der Mann, auf den die Zeit ge­wartet hat. Das Erste, was er unter­nahm, war die Hebung der Sittlichkeit im Volke. Die Heiligkeit der Ehe sollte wieder hergestellt werden. Er verord­nete, das jeder Verehelichung eine Ver­lobung vorausgehen muss, damit beide Teile Zeit haben, sich gegenseitig ken­nen zu lernen; dass Eltern ihre unmün­ digen Töchter ohne deren Zustimmung nicht verheiraten dürfen; dass der Bräutigam bei Strafe des Bannes vor der Hochzeit nicht im Hause des Schwiegervaters wohne; dass die An­trauung einer Frau nicht, wie es bisher vorkam, beim Begegnen auf dem Markte geschehe; dass dieselbe nicht durch Ehelichung allein vorgenommen werde u. a. m. In Ehescheidungssachen belegte er den mit Strafen, der einen abgeschickten Scheidebrief widerrief, da dadurch die Ehefrau leicht in eine ungesetzliche Wiederverheiratung wil­ligen könnte u. a. m. Zur Herstellung der Autorität des Gerichts bestimmte er: »Wer auf eine gerichtliche Vorla­dung in 2.9 Tagen nicht erscheint, ver­fällt der Bannstrafe. Har er dieselbe ge­flissentlich verabsäumt, unterlag er noch der körperlichen Züchtigung. « Gleiche Strafe traf auch den, der sich gegen den Gerichtsdiener Verletzungen erlaubte. In Tatlafas, wo große Unwissenheit be­treffs der Fleisch- und Milchgesetze herrschte, verbot er, um fernere Über­tretungen zu verhüten, auch den Genuss des Milchgefäßes, von geschlachteten Viehe u. a. m. Nach außen strebte er, Ba­bylonien in vielen Sachen Palästina gleichzustellen. Er erklärte, dass hin­sichtlich des Scheidebriefes Babylonien vollständig Palästina gleich sei. Sein Schüler Rab Juda ging weiter und er­klärte jede Auswanderung der Juden aus Babylonien nach Palästina als eine Übertretung des Schriftgebotes in Jere­mia 28. 27: »Daselbst sollen sie verbleiben bis zum Tage, da ich sie be­denke, spricht der Ewige.« Aus solchen Diskussionen leitete Abba für die den Ackerbau treibenden Juden in Babylo­nien die Anordnung her, dass zu ihrem Nutzen jedwede einmal ausgespro­chene Gesetzeserleichterung betreffs der Aussaat von Mischgattungen (ki­laim) und der Orlafrüchte statthaft sei. Einen festen Boden schuf er für diese und ähnliche Anordnungen durch seine Lehrvorträge, die er nicht bloß für sei­nen Jüngerkreis, sondern auch fürs Volk hielt. Der Jüngerkreis seines Lehr­hauses stieg nicht selten auf 1200 Schü­ler heran, die aus den entlegensten Tei­len Babyloniens herbeigeströmt waren. Der Meister sorgte auch für den leibli­chen Unterhalt derselben. Für sie hielt er fast täglich Vorträge; sie bildeten den kleinen und engeren Jüngerkreis seiner Schule. Ein größerer war der, welcher sich je auf zwei Monate des Jahres, in Adar und Elul, versammelte und über 2000 Köpfe zählte. Die Vor­träge in diesen zwei Monaten hießen Kalla-Vorträge und waren die Vorbe­reitungen über die die Feste betreffen­den Lehren und Gesetze, um das Volk auf die Feste vorzubereiten und es mit dessen Lehren und Gesetzen bekannt zu machen. Auch von diesen haben wir noch die Vorträge der letzten Woche vor dem Feste und während der Feste und an deren Zwischentagen zu unter­scheiden, die den Namen »Rigla«, »Ri­glavorträge« führten. Der Andrang zu denselben soll so stark gewesen sein, dass die Stadt Sura nicht alle beherber­gen konnte und viele im Freien am Su­rasee übernachten mussten. Wir wer­den später von dem Inhalte dieser Vorträge sprechen, um zu zeigen, wie sehr er in denselben auf die religiöse und sittliche Volksbildung hinarbeitete. So errang sich Abba eine allgemeine Verehrung, die sich über Babylonien hinaus erstreckte. Der berühmte Geset­zeslehrer R. Jochanan verschmähte es nicht, sich von ihm Rat und Aufschluss in Gesetzesfragen zu holen. Er nannte ihn: »ein Mann (heimisch) in allen« und die Briefe waren betitelt: »An un­sern Lehrer in Babylonien.« Man sprach von ihm mit großer Achtung; er wurde nicht anders als »Lehrer«, Rabh genannt, ein Ehrentitel, ähnlich dem des Patriarchen R. Juda I., »mein Leh­rer«, Rabbi, und »unser heiliger Leh­rer«, Rabbenu Hakadosch. Auch sein Lehrhaus hieß: »Be Rabh«, d.h. zum Lehrer; ebenso nannte man die ihm zu­geschriebenen Midraschsammlungen: »Sifre de be Rabh«, die Schriften des Lehrers, und dessen verfasste Gebete, besonders zum Neujahrsfeste, »Tekiata de be Rabh«, d.h. Schofargebete des Lehrers. Auch Samuel, das Schulober­haupt zu Nehardea, schätzte ihn hoch und sprach von diesem selbst, dass er zu ihm wie Wein mit Essig zu verglei­chen sei. Ebenso nannte ihn der schon oben erwähnte Karna: »eine Dattel voll Saft.« Aber was ihm am meisten die Liebe und Verehrung des Vokes zu­wendete, war sein völlig anspruchsloses Wesen. Oft hörte man von ihm den Spruch: »Wegen Chanina wurde die ganze Welt gespeist, aber Chanina be- gnügte sich mit einem Maße dürrer Datteln.« Sah er sich in der Mitte einer ihn umgaffenden Menge, sprach er: »Steigt des Menschen Größe noch so hoch, traue ihr nicht, denn sie schwin­det plötzlich! « Auch der König Ar­taban überhäufte ihn mit Ehrenaus­zeichnungen. Er machte von dieser Gunst nur für das Wohle des Volkes Gebrauch. Ein reicher Mann weigerte sich, dem Urteile des Gerichts nachzu­kommen und wurde deshalb vom Kö­nig mit der Konfiskation seines ganzen Vermögens bestraft. In seiner Not suchte er den Gesetzesgelehrten Abba auf. Er söhnte sich mit ihm aus und bat ihn, sich für ihn bei der Regierung zu verwenden. Abba verzieh ihm nicht nur, sondern verschaffte ihm auch die Herausgabe des konfiszierten Vermö­gens. Ein entschiedener Gegner war er von jeder Diskussion mit den Sektie­rern, deren Lehrhäuser und Versamm­lungen er absichtlich mied. Als man ihm deshalb Vorwürfe machte, ant­wortete er: »Was soll ich da suchen, wo ich nichts verloren habe!« Die Ma­gier nannte er »Gotteslästerer«, deren Umgang man fliehen soll. Unzerstörbar erhielt er sich seine Freundschaft gegen Samuel, seinen Jugend- und Studienge­nossen. Beide besuchten sich und tau­schen einander ihre Meinungen über verschiedene Gegenstände aus. Rabh war einst im Begriff, eine falsche Halachaentscheidung zu treffen, da hielt ihn Samuel noch zur rechten Zeit davon ab und wandte auf ihn die Worte an: »dem Frommen begegnet nichts Sünd­haftes! « Nur wo es sich um Prinzipien handelte, liebte jeder seine eigene Mei­nung und traf selbst die Entscheidung. Von seinem Privatleben wissen wir, dass er sehr reich war. Er besaß viele Güter, die er selbst verwaltete, und von deren Ertrag er zum Unterhalt seiner Schüler hergab. Nicht so glücklich war er in seinem Eheleben. Sein Oheim R. Chia wünschte ihm bei seinem Ab­schiede, als er Palästina verließ: »Gott behüte dich vor dem, was bitterer ist als der Tod, das ist ein böses Weib!« Doch Abba sollte nicht davon bewahrt werden. Er hatte eine sehr böse Frau, die ihn fortwährend zu kränken suchte. Oft wiederholte er: »Jede Krankheit, nur keine Darmkrankheit; jeder Schmerz, nur keine Herzschmerzen; je­des Weh, nur kein Kopfweh; jedes Böse, nur keine böse Frau!« Ebenso sprach er: »Durch ein nichtswürdiges Volk werde ich sie erzürnen, das ist ein Weib!« Trotzdem hatte er auch ein Wort des Lobes für seine Frau: »Sie ge­stattete es mir«, sprach er oft, »im Auslande (Palästina) die Lehre aufzu­suchen, wartete geduldig die Zeit mei­ner Rückkehr ab und besorgte die Er­ziehung meiner Kinder!« Aus der Ehe mit dieser Frau hatte er drei Kinder, zwei Söhne, Chija und Aiba, und eine Tochter. Chija widmete sich dem Stu­dium, dagegen Aiba, der schwächer an Geist war, dem Ackerbau. Die größte Freude erlebte er an seiner Tochter; sie verheiratete sich in das Haus des Exilar­chen, von der würdige gelehrte Fürsten, Ukba und Nehemia, abstammten. Zärt­liche Aufmerksamkeit erfuhr er von sei­nem Sohne Chija. Die Mutter hatte die Gewohnheit, das Entgegengesetzte von dem, was der Mann wünschte, auszu­führen. Um jeder Misshelligkeit zwi­schen Vater und Mutter vorzubeugen, kam er auf den Gedanken, die Aufträge des Vaters der Mutter verkehrt auszu­richten. Der Versuch gelang, und der Vater erhielt von da ab immer, wie er es verlangt hatte. Als er sich einst darüber wunderte, löste sein Sohn das Rätsel. Der Vater, besorgt, er würde sich da­durch an Lügen gewöhnen, verwies ihn darüber und erinnerte ihn an die Worte Jeremias 9. 4: »Sie gewöhnen ihre Zun­gen lügen und befleißigen sich der Ver­kehrtheit! « Außer diesen drei werden uns noch andere Söhne und Töchter Abbas genannt, die ihm wohl in spä­terem Alter und vielleicht von anderen Frauen geboren wurden. Diese Söhne heißen: Chanan, Acha und Ulla. Erste­rer stand im gelehrten Verkehr mit Chasda, dem Nachfolger seines Vaters; er begründete später ein eigenes Lehr­haus. Der Zweite wird oft neben dem Amora Rabina erwähnt, und der Dritte gehörte zu den Jüngern des Raba und Abaji. Auch von den Töchtern werden Söhne genannt. Unter solch sichtbarem Gottessegen stand er seinem Lehrhause 28 Jahre vor und starb im 82. Lebens­ jahr. Sämtliche Schüler legten um ihn Trauerzeichen an. Samuel in Nehardea zerriss um ihn 13 paar Kleider, ebenso R. Jochanan, das Schuloberhaupt in Ti­berias, der wehklagend ausrief: »Ein Mann hat uns verlassen, dem ich große Achtung schulde!« Ein Jünger des Ver­storbenen setzte bei dem Exilarchen die Anordnung einer allgemeinen Landes­trauer für die Juden durch. Ein ganzes Jahr sollten Musik und die bei Hoch­zeiten übliche Blumen- und Myrthen­kränze des Brautpaares wegbleiben. Lange noch vermisste man bei zweifel­haften Gesetzesentscheidungen den Lehrer und rief von neuem: »Der Lehrer ist dahin und seine Lehre haben wir nicht gelernt!« Indessen verbreitete eine große Schülerzahl seine Lehren, unter denen die bekannten waren: Rab Juda, Rab Giddel, Rab Huna, Sutra ben To-bia, Chia bar Aschi, Chama ben Goria, Chanan ben Abba, Chananel, Jehuda Sohn Samuels, Nachman ben Jakob, Amram, u. a. m.

II. Lehren der Agada. Die Agada hat durch ihn eine bedeutende Berei­cherung erhalten. Er hielt Volksvor­träge in Nehardea, Sura, Kimhona u. a. O. über fast alle Teile der Religions­lehren, über Dogmatik, Kultus, die Rechts- und Sittenlehre, über verschie­dene biblische Personen und biblische Bücher u. a. m., die stets mit Aufmerk­samkeit gehört wurden, sodass seine Agadalehren ein ganzes Jahrhundert nach seinem Tode wiederholt wurden. Wir bringen von denselben:

a. Die Dogmatischen

  1. Gottesnamen. Der vierbuchsta­bige Gottesname, Jhvh, dessen Aus­sprache gemieden, verboten und zu­letzt vergessen wurde, war für die Mystiker ein Thema, das sie oft be­sprachen. Unser Abba bekannte sich zur Lehre der Mystik; er kennt den vierbuchstabigen Gottesnamen nach seiner Bedeutung als Bezeichnung des Urwesens, des Seins alles Seienden, nennt ihn den 42. buchstabigen Gottes­namen, und mahnt zu dessen Geheim­haltung und sehr vorsichtiger Mittei­lung an andere. »Den 42. buchstabigen Gottesnamen überliefere man nur dem, der sittsam und bescheiden ist, in der Hälfte seiner Lebensjahre steht, nicht zornsüchtig ist, sich nicht berauscht, nicht eigensinnig ist. Wer ihn (den Got­tesnamen) kennt, ihn in Acht nimmt und in Reinheit bewahrt, ist oben be­liebt, bei den Menschen wohl gelitten, er erregt Ehrfurcht bei den Leuten und ist Erbe zweier Welten, des Diesseits und des Jenseits.« Ein zweiter Aus­spruch von ihm behauptet, dass Be­zalel, der Anfertiger der Stiftshütte, die Zunft der Buchstabenzusammenset­zung verstand, mit deren Hilfe Himmel und Erde erschaffen wurden, denn es heißt: »Er erfüllte ihn mit dem Geiste Gottes, mit Weisheit, Einsicht und Er­kenntnis.« Diese drei letzten Ausdrü­cke werden auf einer anderen Stelle von ihm als die Bekennung der drei ersten Urpotenzen bei der Weltschöp­fung angegeben.

  2. Die Schöpfung. Gegen die An­nahme eines Urstoffes bei der Schöp­fung sträubte sich der bibelgäubige Sinn der Talmudlehrer. Die jüdische alexandrinische Philosophie hat die Logoi, die geistigen Urpotenzen, die Urideen aufgestellt, mittles deren die Welt erstanden sein soll. Diese Vorstel­lung fand in weniger Modifikation bei den Gesetzeslehrern R. Josua ben Cha­nanja u. a. m., die sich in Alexandrien aufhielten und sie dort kennen lernten, Aufnahme und wurde in Palästina als Geheimlehre nur den Auserwählten mitgeteilt. Auch unser Abba, den wir schon oben als • Mystiker kennen ge­lernt haben, teilte diese modifizierte alexandrinische Annahme von den Äeonen, mit deren Hilfe die Schöpfung der Welt geschehen sein soll; er lehrte: »Durch zehn Worte, Logoi, wurde die Welt geschaffen: durch Weisheit, Ein­sicht und Erkenntnis, Macht, Strenge, Gerechtigkeit und Recht, Liebe und Erbarmen.« Diese Mitteilungen will er auch nur als Geheimlehre behandelt und aufbewahrt wissen.

  3. Gesetz und dessen Studium. Wichtig erscheint uns sein Ausspruch über den Zweck des göttlichen Geset­zes; derselbe lautet: »Die Gebote sind Israel nur gegeben, damit die Men­schen durch dieselben sittlich geläutert werden«, denn also heißt es: »Das Wort Gottes ist eine Läuterung, Schild allen, die ihm vertrauen. « Ebenso tref­fend sind seine Lehren über die Pflicht und den Wert des Gesetzesstudiums. »Wer einem Schüler den Unterricht in der Thora verweigert, begeht gleich­sam einen Raub«; ferner: »Wer den Sohn des andren das Gesetz lehrt, er­wirbt sich in der Lehre die Unsterblich­keit.« »Wer den Sohn eines Idioten in der Thora unterrichtet, von dessen Haupte weicht jedes Verhängnis.« Im Allgemeinen lehrte er: »Wer in reiner Absicht die Thora studiert, hat sich gleichsam im Himmel und auf der Erde eine Veste gebaut«, denn es heißt: »Und ich lege meine Worte in deinen Mund, bedecke dich mit dem Schatten meiner Hände, um den Himmel auszuspannen und die Erde zu gründen.« Doch kennt man von ihm auch den Spruch: »Im­merhin beschäftige man sich mit dem Thora-studium auch in unedler Ab­sicht, denn von dem Thorastudium in unedler Absicht gelangt man zu dem in edler Absicht, d. h. um ihrer selbst wil­len.« Er stellte das Thorastudium höher als das Opfer. Weiter bezeichnete er die Lehre als die Propheten und die Schü­ler, die Gesetzesjünger, als die Gottesge­salbten, Messiasse, welche die Erlösung der Welt bringen. Nichtsdestoweniger hat er für die Zukunft dieses Studiums nur den hoffnungslosen Ausruf: »Die Thora wird in Israel vergessen wer­den! « Speziell zum Studium empfiehlt er die Mischna, weil sie den Menschen mehr befriedigt. Den Talmud, d. h. die Diskussion der Mischna oder des Ge­setzes im Allgemeinen, nennt er das Studium, wo man sich immer arm und unbefriedigt, böse, fühlt.

  4. Mensch und Israel. Als Bestim­mung des Menschen erscheint ihm nicht der beschränkte Nationalismus, sondern der Kosmopolitismus; er lehrte: »Der Mensch gehört seinem Kopfe nach Palästina an, in Betracht seines Leibes nach Babylonien. Und in Folge seiner anderen Körperteile den anderen Ländern an.« Von Israel be­hauptete er, dass es zum Unterschiede von den heidnischen Völkern und ge­mäß seines Gottesglaubens nicht unter dem Fatum unter dem Einflusse eines Gestirnes, sondern unmittelbar unter Gott stehe. Als Grund des öfteren Ab­falls Israels zum Götzendienste gibt er das sittenlose Leben der Heidenwelt an, von dem es verlockt wurde.

  5. Sünde, Zurechtweisung und Buße. Voll Liebe und Erfahrung atmen hier seine Lehren: »Wer ein Gebot ein-und zweimal übertritt, zum dritten Mal erscheint es ihm als erlaubt«; »Wer bei einem Vergehen errötet, offenbart ein gutes Zeichen.« »Die Sünden der meis­ten Menschen bestehen in Raub, die der wenigsten in Unzucht, aber die von allen in Verleumdung.« Die in 3. M. 19. 17. zur Pflicht gemachte Zurecht­weisung soll so lange wiederholt wer­den, bis der Sünder gegen den Vermah­ner die Hand zum Schlagen erhebt. Über die Buße hat er die recht eindring­liche Lehre: »Alles, was Gott am Tiere missfällt, das gefällt ihm bei Menschen. Das Tier wird durch ein Gebrechen als Opfer unbrauchbar«, dagegen heißt es vom Menschen: »Die Opfer Gottes sind ein gebrochenes (reumütiges) Gemüt.

  6. Messias und Erlösung. In der Zeit der trostlosen Verfolgung der Ju­den durch die Neuperser in den baby­lonischen Ländern warf er seinen Blick auf Rom, von dessen Weltherrschaft, die sich auch über Persien erstrecken werde, er Israels Erlösung erwartete. Er lehrte: »Der Messias kommt nicht eher, bis Rom auf der ganzen Ebene neun Monate geherrscht hat.« Doch war darüber auch sein Spruch: »Die künftige Erlösung hängt von keiner Zeit ab, als nur von unserer Reue und Buße mit den guten Werken. « Den Er­löser, Messias, bezeichnete er als einen zweiten David, einen Mann wie Daniel oder gleich dem Patriarch R. Juda I..

  7. Unsterblichkeit, Jenseits. In sei­nen Lehren spricht er von zwei Un­sterblichkeiten, von der einen auf der Erde, die der Lehrer erhält, wenn seine Schüler die Lehren von ihm zitieren, und von der anderen im Jenseits, im Himmel oben. Über erstere hören wir ihn: »Ich wohne in deinem Zelte ewig«, d.i. wenn Schüler die Halacha im Na­men ihres Lehrers zitieren; es weilen die Lehrer alsdann in zwei Welten, in der des Lebens und der nach dem Tode. Das jenseitige Leben im Himmel be­zeichnete er in rein geistigem Sinne: »Nicht dieser Welt gleicht jene. Da ist weder Essen, noch Trinken; es gibt da keinen Handel und Wandel; weder Hass noch Neid. Die Frommen weilen dort mit ihren Kronen auf ihren Häup­ tern und genießen den Strahle der Got­tesmajestät. «

b. Kultus.

  1. Der Shabbath. Der Shabbath soll nicht bloß ein Ruhetag sein, sondern auch ein Freudentag. Er lehrte: »Wer den Shabbath zum Vergnügenstag macht, dem werden seine Herzenswün­sche erfüllt.« Die Wichtigkeit seiner Heilighaltung spricht er in folgender Lehre aus: »Hätte Israel einen Shab­bath (den nach der Gesetzgebung) beo­bachtet, keine Nation hätte sich seiner bemächtigen können. Aber da an die­sem Shabbath einige aus dem Volke Manna zu sammeln ausgingen, kam Amalek und stritt gegen Israel. «

  2. Gebet und Liturgie überhaupt. Das Gebet soll mit Ruhe des Gemüts und in Andacht verrichtet werden. »Dessen Sinn nicht ruhig ist, bete nicht.« Die Andacht stellt er als eine der Hauptbedingungen des Gebetes auf. Das Morgengebet soll das erste Tageswerk des Menschen sein, vor demselben soll man sich auch des Gru­ßes an seinen Nächsten enthalten, um nicht dem Menschen erst die Ehre zu geben. Als Mystiker ist er natürlich für langes Beten. »Langes Beten gehört zu den Gegenständen, die das Leben ver­längern.« Zu Dankensgebeten sind be­sonders verpflichtet: die Seefahrer, die Wüstenreisenden, die von einer Krank­heit Genesenen und die vom Kerker befreiten. Große Tätigkeit entfaltete er zur Herstellung einer geordneten Syna­gogalliturgie. Er verfasste für dieselbe mehrere Gebete und Benediktionen, ordnete zur Shabbathlichen Thoravor­lesung eine neue Ausschnittseinteilung des Pentateuchs an u. a.m.

c. Ethik.

  1. Aberglaube. Obenan stellen wir hier seinen Ausspruch gegen den seine Zeit beherrschenden Aberglauben der Astrologie. »Wo verbietet das Gesetz das Befragen der Chaldäer, der Stern­deuter?« In 5. M. 18. 13: » Ganz sollst du mit dem Ewigen deinem Gotte sein.« Schon an Abraham erging die Mahnung, sich über das astrologische Schauen zu erheben, was die Worte: »und er führte ihn hinaus« andeuten.

  2. Ehe, Eheleben und das Hauswe­sen. Das Zusammenfinden des Mannes und des Weibes zur Führung eines ge­meinsamen Ehelebens geschieht nach einer göttlichen Vorherbestimmung. »Vierzig Tage vor der Schöpfung des Kindes ruft eine Himmelsstimme: die Tochter des N. sei für den Sohn des N.« Gegen Ehen ungleichen Alters ist seine Lehre: »Wer seine Tochter an ei­nen alten Mann verheiratet oder eine ältere Frau für seinen noch jungen Sohn bestimmt«, von dem heißt es 5. M. 29. 18: »Um die Fällerei auf die na­türliche Begierde zu häufen.« Ein drit­ter Spruch von ihm mahnt, sich nicht früher mit einer Frau zu verloben, bis man sich gesehen, man könnte an ihr nach der Verheiratung Fehler entde­cken und ihr abgeneigt werden, was eine Übertretung des Gesetzes zur Folge hätte: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.« Bei der Wahl einer Frau mahnte er, nicht auf Geld zu se­hen. »Wer eine Frau ihres Geldes we­gen heiratet, wird unwürdige Kinder haben.« Für die Bewahrung des Ehe­friedens ist seine Lehre: »Man hüte. sich, seine Frau zu kränken, denn da sie leicht Tränen vergießt, sind die Ver­gehungen gegen sie desto größer«; fer­ner: »Wer viel Furcht auf seine Haus­leute wirft, bewirkt Sünde. « Gegen den Ehebruch war seine Mahnung: »Wer Ehebruch treibt, wird sich der Höllen­strafen nie entledigen. «

  3. Kindererziehung und Jugendbil­dung. Über ersteres war seine Mah­nung, nicht ein Kind dem anderen vor­zuziehen. Für den Lehrer stellte er als Normen auf: Kinder unter sechs Jah­ren nicht in die Schule aufzunehmen; bei den Kindern von höherem Alter streng zu sein; man treibe sie zum Un­terricht an und bediene sich zu deren Bestrafung nur des Lederriemens, um ihnen keine Körperverletzungen beizu­bringen. Bessern sie sich nicht, dann lasse man sie eine Zeit lang so und halte sie nur zur Sittsamkeit an, bis die Luft zum Lernen sich bei ihnen von selbst findet. Zur Unterrichtsmethode empfiehlt er, die Sätze kurz und deut­lich zu wählen. Der Schüler soll stets sanfte Rede gegen den Lehrer haben. Die Wichtigkeit des Jugendunterrichts findet er in Ps. 94. 8 angedeutet. »Sie wallen von Kraft zu Kraft, um vor Gott in Zion zu erscheinen.« »Nur den Ju­gendlehrern hat die Thora ihr Fortbestehen zu verdanken«; »Der Lehrer soll Wissen und Lehrmethode vereinigen, doch soll man bei Lehrern, wo diese Eigenschaften nicht vereinigt sind, dem Kenner den Vorzug geben. «

  4. Lebensunterhalt und Wahl des Wohnortes. Wir hörten von ihm darü­ber: »Alle Ämter, auch das des Brun­nenaufsehers sind von Gott bestimmt«; »Jedem erscheint sein eigener Beruf schön«; Immerhin schäme dich nicht für deinen Lebensunterhalt selbst ei­nem Aase das Fell abzuziehen, und sprich nicht: »Ich bin ein Priester, ein großer Mann, das entwürdigt mich«; »Wegen vier Gegenständen gehen die erworbenen Güter zu Grunde, wegen der Verkürzung des Tagelohnes des Ar­beiters; in Folge der Vorenthaltung desselben; ferner: wenn man das Joch (der Steuern) von sich abnimmt und es auf andere legt und endlich wegen des Hochmutes.« Seine Lehren über die Wahl des Wohnortes waren: »Man su­che eine noch junge Stadt zu seinem Aufenthalte aus; wohne nicht in der Stadt, wo es keinen Arzt, kein Bad und kein Gericht mit Strafbefugnis gibt. «

  5. Leibeswerke. Den ersten Platz nimmt hier seine Lehre ein: »Man soll nichts früher genießen (sich nicht frü­her zum Mahle setzen) bis man seinem Viehe Futter gegeben«, denn es heißt: »Und ich werde Gras auf deinem Felde für dein Vieh zu Futter geben, und du wirst essen.« Zur Gastfreundschaft wird in folgendem Spruch gemahnt: »Wichtiger ist die gastfreie Aufnahme des Fremden, als die der Gottheit.« Die Gastfreundschaft Abrahams lohnte Gott an seinen Nachkommen. Im All­gemeinen schärfte er Liebeswerke durch die Lehren ein: »Wer kein Erbar­men mit Menschen hat, gehört nicht zum Nachkommen Abrahams«; »Wer für seinen Nächsten Erbarmen zu er­bitten versteht und es unterlässt, ist ein Sünder«; »Lieber werfe man sich in ei­nen Feuerofen, als dass man einen Menschen öffentlich beschäme«; »Die Reichen in den babylonischen Provin­zen verfallen der Hölle, weil sie ihren Brüdern weder durch ein Gewerbe noch durch Almosen aufhelfen«; »Wer auf die Gabe eines anderen wartet, dem ist die Welt eine finstere Nacht.« Wie­der ist es der Krankenbesuch, der be­sonders hervorgehoben wird. »Wer Kranke besucht, wird von den Strafen der Hölle gerettet.« Gegen Hass und Verfolgung war seine Mahnung: »Je­der Fluch, den David gegen Joab aus­gestoßen hat, erfüllte sich an seinem Nachkommen«; »Gehöre lieber zu den Verfluchten, als zu den Fluchenden. «

  6. Genüsse und Genügsamkeit. Von der Genügsamkeit dieses Lehrers ha­ben wir schon oben gesprochen. Nichtsdestoweniger versteht er auch den Genüssen das Wort zu reden. »Der Mensch wird einst Rechenschaft able­gen, dass er von allem, was seine Au­gen gesehen, nicht genossen hat.« Es war dies ein Wort gegen die über­fromme Enthaltsamkeit der Frömmler seiner Zeit. Noch schärfer geißelt er dieselben in einem andren Spruch: »Mein Sohn! Hast du, tue dir gütlich, denn im Grabe gibt es kein Vergnügen und der Tod wartet nicht; doch viel­leicht fragst du, ich lasse es meinen Kindern! Wer verkündet dir denn den Dank, wenn du im Grabe liegst.«

III. Lehre des Halacha. Von seinen halachischen Lehren und Institutione­nen haben wir schon oben gesprochen. Als Ergänzung derselben bringen wir die ihm zugeschriebene Halacha: »Al­les, was die Weisen wegen Schein und Verdacht verboten haben, ist auch im innersten Schmach, wo kein Mensch sieht, verboten. « Das Charakteristische an seiner Halacha sind Strenge und ge­wissenhafte Folgerungen aus ältern Traditionen, wobei er auf den Unter­schied zwischen den Sachen des Kultus und denen des Rechts nicht achtete, was ihm den Tadel der andern Geset­zesgelehrten zuzog. Es war dies der Grund, weshalb seine Gesetzesent­scheidungen im Zivilrechte keine Ge­setzeskraft erhielten. Dagegen erach­tete man seine anderen Halachas mit Ausnahme derjenigen, die von seinem Freunde R. Jochanan bestritten wurde, als gesetzeskräftig.