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Recht

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Recht, Rechtssache, Rechtsspruch, Recht, Rechtsanspruch und Rechtsge­setz, Rechtsurteil, Rechtsbestimmung, Rechtslehre, Thora; Rechtssatzung, Chuka.

I. Name, Bedeutung, Teile und Um­fang. Unter Recht oder Rechte versteht man in den biblischen und talmudi­schen Schriften die Ansprüche und Be­fugnisse des Menschen, der Gesell­schaft oder des Staates, die ihm vermöge des Gesetzes, des Herkom­mens oder einer Übereinkunft zukom­men. Die Gesetze, die diese Ansprüche und Befugnisse bestimmen oder in streitigen Fällen über sie entscheiden, heißen Rechtsgesetze, Rechtsnormen, mischpatim, auch dinim. Dieselben bil­den im Mosaismus und in dem spätern talmudischen Gesetz neben den Geset­zen des Kultus und der Ethik die dritte Klasse des Gesetzes, die von diesen un­terschieden werden. Ihr Gebiet sind das Öffentliche und das Private, die Regelungen des Öffentlichen und Bür­gerlichen. Eine Klassifikation derselben nach ihren verschiedenen Fächern hat die Bibel noch nicht, dagegen schon das talmudische Schrifttum. Dasselbe teilt sämtliche Rechtsgesetze in zwei Hauptgruppen ein, in: a. das Zivil­- oder Vermögensrecht, dine mamonoth, die Rechte oder die Strafen von Geld­sachen; b. das Kriminalrecht, dine ne­phaschoth, die Rechte oder die Strafen über Personen. Zur ersten Bennen­nung, als der ersten Hauptgruppe oder dem ersten Hauptteile, gehören sämtli­che Gesetze über Geldsachen, wozu auch das Eherecht in seinem vermö­gensrechtlichen Teile und das Erbrecht gerechnet werden. Die zweite Benen­nung oder die zweite Hauptgruppe, der zweite Hauptteil, umfasst das ganze Strafrecht mit Ausschluss von Geldstrafen. Jeder dieser Hauptteile hat verschiedene Unterabteilungen, die mit den dem Inhalte derselben entnommenen Namen belegt sind, so dass jedes Fach mit seinem Namen bezeichnet ist. So hat die Mischna für jeden Rechtsteil einen eigenen Traktat, worin die Gesetze desselben zusammengestellt sind. Es handelt der Traktat Sanhedrin von den Richtern, Gerichtshöfen, dem Kriminalrecht nebst der Kriminal- und Prozessordnung in elf Abschnitten; der Traktat Schebuoth (Schwüre) über Eide in acht Abschnitten; der Traktat Baba kama (erste Pforte) über Schadenersatz in zehn Abschnitten; der Traktat Baba mezia (mittlere Pforte) über Funde, Aufbewahrung, Miet- und Leihbestimmungen in zehn Abschnitten; der Traktat Baba Bratha (letzte Pforte) über Sachen-, Erb- und Urkundenrecht in zehn Abschnitten; der Traktat Makkoth (Strafen) über die Strafarten: Geiselstrafe, Todesstrafe u. a. m. in drei Abschnitten; der Traktat Kidduschin (Trauungen) über Verlöbnisse und Eheschließungen in vier Abschnitten; der Traktat Kethuboth (Verschreibungen) über die Ehepakte und das Eherecht in dreizehn Abschnitten; der Traktat Jebamoth (Schwägerinnen) über die Schwagerehe in sechzehn Abschnitten; der Traktat Sota (Abirrung) über den Ehebruch, den Ehebruchsverdacht u. a. m. in neun Anschnitten; der Traktat Gittin (Urkunden, Scheidebriefe) über die Ehescheidung und Scheidungsurkunde in neun Abschnitten; der Traktat Horajoth (Entscheidung) über gerichtliche Entscheidungen in drei Abschnitten; der Traktat Aboda Sara (fremder Dienst) über den Götzendienst und den Aberglauben in fünf Abschnitten. Eine noch speziellere Einteilung und Benennung der Rechtsgesetze haben die nachtalmudischen Gesetzescodices, als z. B. der Gesetzescodex Jad Chasaka von Maimonides (1135 — 1204) und der Schulchan Aruch von Joseph Karo (1488 - 1575). Indessen passt auch für das biblisch-talmudische Recht die übliche Einteilung desselben in: A. das öffentliche Recht; B. das Privatrecht und C. das Strafrecht.

A. Das öffentliche Recht. Zu demselben gehören die Gesetze über Stadt, das Volk nach seiner Stamm-, Geschlechts- und Familiengruppierung, die Verfassung des Regenten als den König oder den Oberrichter, die Ältesten oder das Ältestenkollegium als den Staatsrat, die Propheten, die Priester, die Leviten, die Gesetzes- und Volkslehrer als die Gesetzesausleger und die Diener der Religion; die Richter, die Polizei und die anderen Beamten als die Männer der Rechtspflege und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung; das Kriegsheer, die Wehrpflicht, die Kriegsführung, die Behandlung des Feindes, der Friedensschluss, die Armenfürsorge und die Wächter als zur Verteidigung und Pflege des Staates; ferner die Gesetze über das Land, dessen Gebietseinteilung nach den Stämmen und Familien, die Besitzung, die Asylstätten, die Volks-, Bezirks- und Ortsgemeinden u. a. m.; das Gerichtswesen, die Gerichtsverhandlung: das Verhör, die Zeugen, der Eid, die anderen Beweismittel und die Beurteilung; das Shabbath- und Jubeljahr, der Schulderlass, die Rückgabe des veräußerten Besitzes und die Freilassung der Sklaven an demselben; die Maße und Gewichte, wie Münzen, die Straßen, die Dörfer und Städte, das Zinsrecht u. a.m. als zur Förderung des Handels; der Ackerbau, die Baumpflanzung, die Zehnten, die Hebe und andere Steuern, als zur Erhaltung des Staates und seiner Beamten; die öffentlichen Sachen, die heiligen Sachen, die befriedeten Sachen und das Tempelvermögen. Endlich rechnen wir hierher die Gesetze zur Aufrechthaltung der Religion als die über die Gotteslästerung, die falschen Propheten, den Götzendienst, die Abgötterei u. a.m.; ferner die Gesetze zum Schutze der Sittlichkeit: gegen Buhlerei, Ehebruch, Unzucht, Blutschande, Entführung u. a. m.

B. Das Privatrecht. Mit seinen Teilen: a. dem Personenrecht; b. dem Vermögensrecht und c. dem Familienrecht.

a. Das Personenrecht. Dasselbe umfasst die Gesetze über die Leibesfrucht, die Lebensfähigkeit, die körperliche Vollkommenheit, das Erkenntnis- und Begehrungsvermögen, die Minder- und Volljährigkeit, das Geschlecht, die Taubstummheit, u. a.m. als die natürlichen Rechtssubjekte. Den anderen Teil hiervon bilden die Gesetze der bürgerlichen Rechtssubjekte, als die Gesetze über: die Stände, den Bürger, den Fremden, die Diener, die Sklaven u. a. m.

b. Das Vermögensrecht nach seinen drei Teilen: Des Sachenrechts, des Obligationenrechts und des gemischten Obligationenrechts. Von denselben nennen wir erst:

1. Das Sachenrecht. Hierher gehören die Gesetze über die Beschaffung der Sachen, als über die zusammengesetzten Sachen, die künftigen Sachen, die beweglichen oder unbeweglichen Sachen und das Geld; ferner über die Erwerbung von Sachen, die Okkupation, die unrechtliche Zueignung, Adjunktion, als durch Diebstahl und Raub; die Ersitzung, die Verjährung durch das Erlassjahr; die Vorbeugung derselben durch den Prosbul; die Obergabe, die Tradition und der Mantelgriff; die Nebensachen, Accessionen; die Beanspruchung, Vindikation; den Besitzesverlust durch Preisgeben der Sache oder durch Erklärung der Besitzesaufgabe, hephker, sowie durch Vermutung der Besitzesentsagung, jiusch, Derelikion, endlich über die Rechte an fremden Sachen, als die Superficies, die Emphitensis, die Servituten und die Nachbarrechte, das Wegerecht, das Aufsichts- und Lichtrecht, das Baumrecht, die nötigen Entfernungen und die Klagen gegen Neubau, Nunciationen.

2. Das Obligationsrecht.

Die gemischten Obligationen itnd Sachenrechte. Hierher gehören die Gesetze über das Pfand und die Pfändung und Verpfändung.

c. Das Familienrecht. Wir rechnen hierher die Gesetze über die Ehe, die Ehehindernisse, die Blutsverwandtschaft, die Schwagerehe, die Mischehe, die Erwerbung, das Verlöbnis, die Monogamie und Polygamie, Pillegesch oder Konkubine, die Mitgabe, die Beschreibung, die Eherechte und die Ehepflichten, die Schenkung, die Entführung, den Ehebruch, die Ehescheidung, die Eheauflösung durch den Tod und die Wiederverheiratung, die Kinder-und Elternrechte und Pflichten, das Erbrecht, die Erbfolge, die Erbtochter, die Töchterreife, die Erbverfügungen, das Testament, Diatheke, die Mandel, Waisen, die Vormundschaft.

C. Das Strafrecht. Es gehörten hierher:

a. die Strafen, als: die Blutrache, die Todesstrafe, die Wiedervergeltung, die Züchtigung, die Bannstrafe u. a. m.

b. die Verbrechen, als: die Gotteslästerung, die Abgötterei, die falsche Prophetie, u. a.m.; ferner der Meineid, das falsche Zeugnis, der Ehebruch, die Blutsschande, die Unzucht, der Diebstahl, der Raub, der Menschenraub, die Schlägerei und die Beschädigung, die Beleidigung, der Betrug, die Wahrsagerei u. a. m.

II. Inhalt, Wesen, Prinzip und Charakter. Nach obiger Definition von »Recht«, und der Angabe seiner Teile hat dasselbe in seinem Gesetze die Regelungen der Ansprüche und Bedürfnisse des Menschen in seiner Tätigkeit und Beziehung zum Staate und zur Gesellschaft im Ganzen und zu deren Gliedern einzeln; die genaue Bestimmung dessen Rechte und Pflichten gegen sie mit der Bezeichnung der Strafen auf Verletzung derselben zu seinem Inhalte. Es kann nicht die Rede sein, hier diesen Inhalt des Rechts nach allen seinen Teilen ausführlich darzustellen, was schon des begrenzten Raumes wegen nicht geht, auch sonst nicht nötig ist, da wir die einzelnen Materien desselben in den ihnen gewidmeten Artikeln dieses Werkes behandeln und nicht wiederholen möchten; nur in allgemeinen Umrissen wollen wir denselben nach seiner Eigentümlichkeit und der ihm zu Grunde liegenden Ideen geben und das Prinzip des mosaischen und talmudischen Rechts nachweisen. Das jüdische Recht ist ein Teil des jüdischen Religionsgesetzes, das gleich den anderen Teilen desselben die religiöse Praxis, d. h. die Verwirklichung der Religionsideen zum Ziele hat. Dasselbe hat daher eine eigenartige Gestalt, durch die es sich von dem Rechte der anderen Völker unterscheidet. Seine Gesetze sollen nicht bloß den Streit schlichten, das Mein und Dein sichern, unsere Ansprüche und Befugnisse gegen den andern bestimmen, sondern auch im Menschen sein Rechtsgefühl wecken und bilden, dass er das Recht in allen seinen Teilen mit allen seinen Einzelheiten nicht als etwas von außen her ihm Gegebenes und Befohlenes, sondern gleichsam als sein Eigenes, in seinem Inneren verwurzeltes, mit seinem Denken und Fühlen Übereinstimmendes betrachtet. So wird im Mosaismus auf das Studium des Gesetzes, die Kenntnis und Erkenntnis des Rechts großes Gewicht gelegt und ausdrücklich fast zu jeder gesetzlichen Bestimmung die Ursache derselben angegeben. Mit einem Worte, man drang auf das Bewusstwerden der Rechtshandlung und wollte das weltliche Recht zu einem sittlichen, einem selbstgewollten umwandeln. Wir geben darüber einige Beispiele an. »Die Sklavin, an der der Eigentümer sein Wohlgefallen findet, soll nicht an ein fremdes Volk verkauft werden, da es treulos gegen sie wäre.« »Der Fremde soll nicht gekränkt und bedrückt werden, denn ihr selbst waret Fremdlinge im Lande Ägypten«. »Die Witwe und die Waise sollst du nicht in ihrem Recht bedrücken, denn so sie zu mitaufschreien, höre ich ihre Klage.« »Das genommene Unterpfand für dein Darlehn sollst du bei Sonnenuntergang dem Armen zurückgeben, denn so der Arme zu mir schreit, höre ich ihn, denn ich bin gnädig!« »Den Unschuldigen und den Gerechten töte nicht, denn ich werde nie den Freyler gerecht sprechen.« Als Grund der Keuschheitsgesetze, der Verbote der Blutschande in 3. M 18 heißt es daselbst Vers 24 und 25: »Verunreinigt euch nicht an allen diesen, denn die Völker, die ich von euch austreibe, haben sich an allen diesen verunreinigt. Da war das Land unrein, ich ahndete ihre Sünde, und das Land spie seine Bewohner aus.« Im Hinblick auf Gott soll für den Armen und den Fremden auf dem Felde und in dem Weinberge zur Nachlese von den Früchten zurückgelassen werden. Ferner: »Schwöre nicht in meinem Namen zur Lüge, denn du entweihest den Namen des Ewigen deines Gottes.« »Du sollst keine Bestechung nehmen, denn die Bestechung verblendet die Augen der Weisen und verdreht die Worte der Gerechten.« »Bei deinem Darlehn nimm keinen Zins, fürchte dich vor deinem Gotte, es lebe dein Bruder bei dir. «

»Herrsche nicht über deinen Sklaven mit Strenge, fürchte dich vor dem Ewigen, deinem Gotte.« »An demselben Tage bezahle dem Mietling seinen Lohn, denn er ist arm und könnte über dich zu Gott aufschreien und du hast eine Sünde.« »Den Edomiter verabscheue nicht, denn er ist dein Bruder, den Ägypter nicht, denn du warst ein Fremder in seinem Lande.« Ausdrücklich wird zur Verbreitung der Gesetzeskenntnis befohlen: »Und schärfe sie deinen Kindern ein«; »Und mache sie deinen Söhnen bekannt.« Auch in dem Wesen des Rechtsgesetzes und dessen einzelnen Bestimmungen, soweit in der Form, wie dieselben zur Geltung kommen sollen, bemerken wir eine Eigentümlichkeit, die das mosaische Recht vorteilhaft von dem der anderen Völker auszeichnet. Das Recht daselbst hat seine innere Berechtigung, über welches auf Gott nicht hinausgeht. Jede Intervention der Gottheit bleibt bei ihm fern; durch den Menschen allein nach den ihm vorgeschriebenen Rechtsbestimmungen soll das Urteil gefällt werden. Das jüdische Recht kennt keinen übernatürlichen Beweis an, es weiß von keinen Ordalien. Zwischen den Gesetzeslehrern des I. Jahrh. n., R. Eliesar und R. Josua, entbrannte ein heftiger Gesetzesstreit; keiner wollte nachgeben. Da machte ersterer auf ein zu Gunsten seiner Meinung gehörtes Bathkol, Himmelsstimme, aufmerksam. Schnell, ohne sich weiter davon beirren zu lassen, entgegnete der andere: »Das Gesetz ist nicht im Himmel, wir kümmern uns nicht um das Bathkol!« Eine dritte Eigentümlichkeit desselben ist, dass es nicht gleich dem Rechte der anderen Völker, der Griechen und Römer, in den Volksanschauungen, sondern in Gott, dem Gottesbewusstsein des Israeliten, wurzelt und da sein Ideal hat. Das mosaische und das talmudische Recht kennt keinen nationalen Partikularismus, teilt nicht die nationale Beschränktheit der Griechen und Römer, die in dem Fremden nur den Barbaren sehen, der ihnen gegenüber rechtlos dasteht, sondern hat, gleich seinem universellen Gott, dem Vater aller Menschen, die über jede nationale Abgeschlossenheit sich erhebenden Gesetze: »Ein Gesetz sei euch, für den Fremden wie für den Eingeborenen des Landes.« »Ein Recht soll euch sein, der Fremde sei wie der Eingeborene, den ich bin der Ewige, euer Gott!« » Ein Gesetz und ein Recht sei euch und dem Fremden, der bei euch wohnt.« »Gleich dem Einheimischen bei euch soll der Fremde sein, der bei euch weilt; du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn Fremde waret ihr im Lande Ägypten, ich der Ewige, euer Gott!« Die Rechtsgesetze waren Gottesgesetze, denen alle, auch der König, untertan sind. Hiermit war jeder Gewalt und jeder Willkür, auch des Vaters über seinen Sohn und des Herren über seinen Sklaven vorgebeugt. Der Vater hat nicht die Befugnis, seinen Sohn, ebenso nicht der Herr, seinen Sklaven zu töten. Die Verletzung des Sklaven zog seine Freiheit nach sich und dessen Ermordung wurde bestraft. Dagegen verfuhr man in Rom und Griechenland mit Kindern und Sklaven wie mit Sachen; das Recht einer freien Persönlichkeit wurde ihnen nicht zuerkannt. Die Übertretung der Rechtsgesetze ist nicht bloß ein Vergehen gegen Menschen, sondern auch gegen Gott, welche die göttliche und menschliche Strafe nach sich zieht. In 5. M. 27. 11 werden die Verletzungen des Rechtsgesetzes auch noch mit dem Gottesfluche belegt, und das Gesetz 3. B. M. Kap. 5 und 6 gibt die Opfer an, die als Stühne gegen Gott auf Rechtsverletzungen dargebracht werden sollen. Ausdrücklich heißt es im Talmud: »Bist du auch frei von den Strafen durch Menschen, so noch nicht von den Strafen des Himmels!« Das Verbrechen als z. B. Mord, Ehebruch u. a. m. wird zugleich als Vergehen gegen Gott betrachtet, das durch keinen Menschenakt, als z. B. durch Lösegeld, Verzeihung unbestraft bleiben darf. Bei der Vollziehung des Rechts gibt es keine Exemtion; auch der Hohepriester und der Verbrecher, der sich zum Altar geflüchtet, unterliegen derselben. Die Strafen haben neben dem Ersatz des verübten Schadens bei den Menschen auch die Wiederherstellung der verletzten Ehrfurcht vor Gott und dem Gesetze zu ihrem Ziele. »Das Volk soll hören und sich fürchten und nicht mehr freveln.« »Und schaffe das Böse aus deiner Mitte weg«, sind die Angaben darüber. Dieses Zurückführen des jüdischen Rechts auf Gott, das Gottesbewusstsein des israelitischen Volkes, hatte eine vierte Eigentümlichkeit zur Folge. Wie man in Gott Recht und Liebe, die strenge Gerechtigkeit und die Gnade vereinigt glaubt, so ist auch das Recht, das aus diesem Gottesglauben fließt, kein absolutes, nicht das Jus der Römer, das für seine Durchführung den Satz aufstellt: »Fiat justitia pereat mundus., »Gerechtigkeit geschehe, mag die Welt untergehen!« sondern ein in Liebe getränktes Recht, das die Zeit und die Verhältnisse berücksichtigt haben will, die Mitte zwischen Recht und Liebe hält und in seiner Vollziehung »Zedek« und »Zedakah« heißt, ein Wort, das Wohltätigkeit und Gerechtigkeit zugleich bedeutet. »Das Recht ist des Menschen wegen da, aber nicht der Mensch des Rechts wegen!«, dieser Satz findet hier seine volle und wirkliche Beachtung.

»Und beobachtet meine Gesetze und Rechte, die der Mensch vollzieht, um in ihnen zu leben«; um in ihnen zu leben, hebt erklärend R. Ismael, der Gesetzeslehrer im 1. Jahrh. n., hervor, »aber nicht um durch sie, durch deren Vollziehung zu sterben!« So hat weder das mosaische Recht, noch das spätere talmudische die Anwendung der Folter, um ein Geständnis zu erzwingen. In Vermögenssachen verbietet es die Annahme von Zins und Wucher bei Geldleihen, beschränkt die Pfändung zur Sicherung des Darlehens, befiehlt die Restitution des veräußerten Besitzes zu je sieben Jahren, ordnete eine geregelte Armenpflege an, u. a. m. Weitgehend sind die Bestimmungen zum Schutze der persönlichen Freiheit, die milden Gesetze für den Sklaven und die Dienenden, über die Denk-, Rede- und Glaubensfreiheit, das Gewerbe- und Vereinswesen u. a. m., die obigen Grundsatz zu ihrer Basis haben und die wir in den betreffenden Artikeln nachzulesen bitten. Noch die talmudischen Gesetzeslehrer in den ersten drei Jahrhunderten empfehlen nachdrücklichst, von der Durchführung des Rechtes abzustehen und lieber den Weg der Billigkeit aufzusuchen. Oft mahnten sie: » Jerusalem verfiel der Zerstörung, weil keine Nachsicht geübt wurde und man das Recht in seiner ganzen Strenge zur Ausführung brachte.« Welche heilsamen Rechtsinstitutionen in Folge dessen zu Gunsten der veränderten Zeitverhältnisse geschaffen wurden, haben wir in dem Artikel »Rabbinismus« nachgewiesen. Am deutlichsten trat diese Eigenheit des jüdischen Rechts in der Kriminalgesetzgebung hervor. Alle diese Eigenheiten des jüdischen Rechts mit ihren verschiedenen Bestimmungen durchzieht das Prinzip der Heiligkeit, Freiheit und Liebe.

III. Geschichte. Das Recht im Ju­dentum, wie es uns in dem Schrifttum der Bibel und des Talmud vorliegt, hat eine jahrhundertelange Entwicklung durchgemacht. Schon das mosaische Recht, wie es aus den Gesetzen des vorsinaitischen der sinaitischen und der nachsinaitischen Zeit besteht, war von vorneherein nicht so fertig und ab­geschlossen, dass es keines weiteren Ausbaues bedurfte; es hat vielmehr nach den Angaben im 4. und 5. Buch des Pentateuchs noch unter Moses mehrere Ergänzungen erhalten und sich so fortentwickelt. Nach 4. B. Mos. 15. 32 war für die Bestrafung des Holz­sammelns am Shabbath keine gesetzli­che Bestimmung vorhanden; in 4. B. Mos. 24. 14. fehlte die Strafangabe für die Gotteslästerung; in 4. B. Mos. 27. 1-12 musste ein neues Gesetz für die Erbansprüche der Töchter bei Erman­gelung von Erbsöhnen geschaffen wer­den. Das 5. B. Mos. bringt in seiner Wiederholung und Erklärung des Ge­setzes ganz neue Bestimmungen, von denen in den früheren Pentateuchbü­chern nichts vorkommt. Wir nennen von denselben die gegen Grenzverrückung, von Gestattung des Ährenraufens zur Stillung des Hungers, gegen den widerspenstigen Sohn, über das Auffinden des Vogelnestes, die Königs­einsetzung, das Prophetentum, die Ver­führung zum Götzendienste, die zu Götzendienste verführte Stadt u. a. m. Immer mehr tragen neue Ereignisse zur weiteren Gesetzesentwicklung bei. Der Bannraub Achans im Joshua 6 schaffte die Steinigungsstrafbestimmung auf denselben; der von den Gibeoniten er­schlichene Eid — die Bestimmung, dass man auch den listig erschlichenen Eid nicht brechen darf. Im Buche Ruth Kap. 4 bei der Vollziehung der Schwa­gerehe Boas an Ruth kommen drei neue Gesetzesbestimmungen vor: 1. Dass bei Ermangelung des Bruders des Verstorbenen der nächste Verwandte zur Vollziehung der Schwagerehe ver­pflichtet ist; 2. dass zur Form bei Einlö­sung und Tausch das Schuhausziehen gehörte. Bei der Umwandlung des jüdi­schen Staates in eine Monarchie am Ende der Richterzeit kommt das Un­tertanenverhältnis zum König zur Sprache, und Samuel verkündet den Is­raeliten nach der vorgenommenen Kö­nigswahl Saulus in Bezug darauf ein neues Königsgesetz. In 1. K. 14. 6 soll die Strafe des Königsmordes nur den Vater, aber nicht dessen Sohn mittref­fen. Aus der Schlusszeit des ersten jü­dischen Staatslebens bringt das Buch Jeremia 32. 9. die Form der zur Bestär­kung des Kaufs und Verkaufs nötigen Dokumente und Zeugen. Ein weiteres Gebiet für die Entwicklung oder besser für den Ausbau des Rechts bot das zweite jüdische Staatsleben. Von den mosaischen Rechtsgesetzen reichten viele für die völlig umgestalteten Verhältnisse der Juden bei ihrer Wiederbegründung des zweiten Staates in Palästina nicht mehr aus, andere konnten gar nicht mehr zur Geltung kommen. Zu letzteren gehörten: das Gesetz von der gleichen Landesverteilung nach den Stämmen und Familien, die Bestimmungen des Jobeljahres, das Gesetz von der Blutrache, dass der Mörder sofort durch das Gericht abgeurteilt wurde. Zweifelhaft ist es, ob das Gesetz von den Zufluchtsstätten, ebenso das Gesetz von dem widerspenstigen Sohn zur Ausführung kam. Das Sklavengesetz erhielt eine Modifikation, dass kein Israelit sich zum Sklaven verkaufen, noch wegen eines Diebstahls als solcher verkauft werden durfte. Im Eherecht trat eine merkliche Veränderung ein. Die Erwerbung einer Frau geschah früher durch ein Geschenk an deren Vater von 50 Schekalim. Dasselbe fiel jetzt weg, aber dafür wurde die Morgengabe üblich, die Verschreibung von 200 Sus (= 53 1/3 Lot Silber), die sie im Falle der Scheidung oder des Todes ihres Mannes einzufordern hatte. Es war dies der Minimalsatz für eine Jungfer, die Witwe erhielt die Hälfte, die jedoch beliebig erhöht werden durfte. Hierzu kam noch eine Vermehrung der Mitgabe um 50 Prozent. Diese neue Einrichtung fand schon der Synhedrialpräsident Simon ben Schetach im J. 8o v. vor, der sie noch verbesserte. Eine fernere Erweiterung dieses neuen Eherechts bestand darin, dass der Frau in ihrer Verschreibung (in Jerusalem und Galiläa) zugesichert wurde: »Sie solle während ihres Witwenstandes im Hause ihres verstorbenen Mannes wohnen und aus seinem Vermögen Alimente beziehen.« Die dritte Veränderung war, dass der Vater jetzt zu einer Mitgabe (Mitgift) verpflichtet wurde, welche die Frau dem Manne zubrachte. Hieraus floss eine andere Bestimmung, dass beim Tode des Vaters die unverheirateten Töchter den zehnten Teil des Nachlasses bei ihrer Verheiratung zur Mitgabe erhielten und von demselben bis zur Volljährigkeit ernährt werden mussten. Endlich schließt sich daran das Vormundschaftswesen, von dem im mosaischen Recht nichts vorkommt. Einen Differenzpunkt zwischen den Sadducäern und Pharisäern bildete die Erörterung der Erbfrage, ob die Tochter, die, nach dem mosaischen Gesetz, von dem Nachlass ihres Vaters, wo Söhne da sind, nicht miterbt, mit den Töchtern ihres verstorbenen Bruders, des rechtmäßigen Erben, miterbe. Die Sadducäer bejahten dieselbe, aber die Pharisäer verneinten sie. Eine zweite Differenz unter denselben war eine zweite Frage, ob der Herr für den Schaden seiner Sklaven oder seiner Sklavinnen aufzukommen habe. Auch hier verneinten die Pharisäer und die Sadducäer bejahten. Im Kriminalrecht wurde die Strafbestimmung 2. M. 21. 23, 3. M. 24. 20 »Auge um Auge, Zahn für Zahn« gegen die Sadducäer, nicht nach dem Wortsinn des Gesetzes, sondern nach dessen Inhalt, aus dem Wert der leiblichen Verletzung gedeutet. Auch das Gesetz von den überführten Zeugen 5. M. 19. 19, das den Tod über dieselben verhängt, erhält gegen die Sadducäer die Deutung, dass diese Strafe erfolgt, wenn auch die Verurteilung, welche die falschen Zeugen provoziert haben, nicht stattgefunden. Andererseits soll die Strafe gegen die falschen Zeugen nicht früher vollzogen werden, bis beide Zeugen ihrer falschen Aussage überführt wurden. Eine andere Erweiterung des Gesetzes, die Strafe solle nur auf Aussage zweier Zeugen verhängt werden — war die Bestimmung, dass der Mörder ohne Zeugen zur lebenslänglichen Gefängnisstrafe bei schmaler Kost verurteilt werden soll. Später, gegen das Ende des 1. Jahrh. n., sprachen sich die bedeutensten Gesetzeslehrer gegen die Todesstrafe aus und drangen auf deren Abschaffung. Völlig neu sind die Gesetze, welche zwischen den beweglichen und unbeweglichen Gütern unterscheiden, ferner über die Akquisition derselben, über Pacht und Miete, von dem Institut der Hypothek, Assoziation, Prosbul u. a. m. Aus späterer Zeit gehören hierher: die Erweiterungsgesetze des Rechtsbeweises durch die Präsumtionen: Chasaka, Miggo u. a. m.; ferner die Einführung des Eides für den Produkten, der die Forderungen völlig leugnet u. a. m. Fragen wir nach der Quelle dieser neuen Gesetze und Institutionen, so habe wir darüber keine andere Antwort, als die, dass sie teils aus der gegenseitigen Berührung mit den Gesetzen der Perser, Griechen und Römer hervorgegangen, teils aber auch eigene Traditionen, Sitten und Gewohnheiten zu ihrer Grundlage haben. Indem wir über letzteres auf den Artikel »Halacha« hinweisen, haben wir hier noch ersteres zu beleuchten. Schon die Propheten Jeremia und Ezechiel nehmen keinen Anstand, den Juden die guten Sitten der Heiden zu empfehlen. Die Annahme und das Entlehnen guter Gesetze war dem Geiste des Judentums durchaus nicht zuwider. Doch wurden die von den Persern, Griechen und Römern entlehnten Gesetze im Geiste des mosaischen Rechts umgebildet und verändert. Die Rechtsgesetze der Perser, die, wenn auch so viele von ihnen im Talmud vorkommen, nur späterer Zeit angehören, werden von den Gesetzeslehrern bei verschiedenen Anlässen genannt und in Betracht gezogen. Samuel, ein Gesetzeslehrer im 3. Jahrhundert in Persien, stellte den Grundsatz auf: »Das Rechtsgesetz der Obrigkeit ist vollgültig.« Bekannt war, dass im Hause des Exilarchen nach persischem Rechte abgeurteilt wurde. Baba kama 113a. Die Aufnahme von griechischen Benennungen bei juristischen Sachen, als z. B. Prosbul, Verwahrungsschein, Hypothek, Schuldenverpfändungsurkunde, Diatheke, Testament, Ono, Kaufkontrakt, u. a. m. beweist den Einfluss des Griechentums auf die Entwicklung und den Ausbau des jüdischen Rechts. Am stärksten war wohl der Einfluss der römischen Rechtsgesetze, soweit sie den Gesetzeslehrern bekannt wurden, auf die Ausbildung der späteren jüdischen Rechtsbestimmungen. Wir nennen z. B. die Bestimmung der Mischna Kidduschin 1. 1: »Auf drei Weisen wird die Frau erworben: durch Geld, Urkunde und Beiwohnung« und vergleichen damit das ähnliche Gesetz in Gajus Inst. 1. § 110 Feminae olim tribus modis in manum conveniebant: usu, farreo et coemtione. Eine andere Ähnlichkeit finden wir in der talmudischen Unterscheidung zwischen den beweglichen Gütern, metaltelim, und den unbeweglichen, mekarkeim, die ebenfalls das Zwölftafelgesetz der Römer hat. Ob ein Haus zu Erstern oder zu letztern zu rechnen sei, darüber sind die Talmudisten geteilter Meinung. Auch im Zwölftafelgesetz werden die Häuser ausdrücklich als Drittes von diesen beiden unterschieden. Diese Unterscheidung gilt im Talmud hinsichtlich der Erwerbungsformalitäten, des Auffindens von Verletzungen nach dem Verkauf und des aufzulegenden Eides. Ferner gelten bewegliche Sachen als Güter, die keine Sicherheit gewähren, aber unbewegliche als Güter, die eine Sicherheit geben. Eine dritte Ähnlichkeit finden wir in der Einteilung der von der Frau in die Ehe mitgebrachten Güter, in: a. ter des eisernen Viehes und Nutzungsgüter oder Güter zur Nutzziehung, die sich ebenfalls im römischen Recht vorfindet. Eine Vierte haben wir in Bezug auf Erwerb von Früchten, wo das römische Recht gleich dem talmudischen unterscheidet zwischen den am Baum hängenden Früchten, fructus pendentes, den abgepflückten Früchten, fructus separati, und übernommenen oder aufbewahrten Früchten, fructus percepti. Auch die im römischen Recht in Bezug auf herrenloses Gut genannten drei Fälle: res nullius, res communes und res ferelictae als die Sachen keines Eigentümers, finden sich im Talmud wieder. Endlich wäre noch die talmudische Bestimmung zu nennen, nach der jede Verabredung, die gegen das Gesetz ist, keine Gültigkeit habe, ein Grundsatz, der ebenfalls im römischen Recht beachtet wird. Zuletzt nennen wir noch die Anordnung im Bezug auf die Freilassung des Sklaven, dass die Freiheit des Sklaven erfolgt, wenn der Herr durch eine Handlung an dem Sklaven dessen Freilassung gleichsam bezeichnet, als z. B. wenn er ihm erlaubte, mit ihm am Tische zu sitzen, oder er ihm gestattete, eine Freie zu heiraten, oder er ihn zu den zehn Männern zählte, die zur Abhaltung des Gottesdienstes gehören u. a. m., die auch im römischen Recht ihre Gültigkeit hat. Wie lange das jüdische Recht in seiner praktischen Wirksamkeit geblieben? In der Beantwortung dieser Frage haben wir das Kriminalrecht von dem Zivilrecht zu unterscheiden. Ersteres hörte schon, nach talmudischer Angabe, vierzig Jahre vor der Zerstörung des jüdischen Staa­tes auf. Dagegen ließ man ihnen auch nach der Auflösung des Staates die zi­vile Gerichtsbarkeit für die Rechtsfälle zwischen Israeliten, aber in Sachen zwischen Israeliten und Nichtisraeliten hatte nur die römische Gerichtsbarkeit zu entscheiden. Ein wichtiger, noch hierher gehörender Teil, den wir nicht übergehen wollen, ist das Schrifttum des jüdischen Rechts. Es gehören hier­her: der Pentateuch, die Propheten und von den Apokryphen das Buch Susana; ferner Josephus, die Mischna und die zwei Talmuden, babli und Jeruschalmi, von denen im dritten Teile fünf Trak­tate: Jebamoth, Kethuboth, Sota, Gittin Kidduschin ausschließlich über das Eherecht handeln. In dem vierten Teile kommt im Traktat Sanhedrin das Ehe­recht in seiner negativen Seite zur Be­sprechung. Weiter enthalten die drei Traktate Baba kama, Baba mezia und Baba bathra das Zivilrecht und die Traktate Sanhedrin und Makkoth das Strafrecht. Aus der nachtalmudischen Zeit nennen wir: 1. den Gesetzescodex Jad Chasaka von Maimonides (im 12. Jhd.), von dem der vierte Teil das Pri­vat-, Staats- und Strafrecht bringt, da­gegen behandelt der zweite Teil das Eherecht: 2. die Gesetzessammlung Tu­rim von Jakob Ascheri aus Toleda im 14. Jahrhundert, von der der 3. Teil das Eherecht und der 4. Teil das Zivilrecht und Strafecht hat; 3. der vollstän­dige Kodex Schulchan Aruch von Jo­seph Karo im 16. Jahrhundert, von dem ebenfalls der 3. Teil das Eherecht und der vierte das Zivil- und Strafrecht enthält.