Religionsphilosophie
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Weisheit. Die Religionsphilosophie, die auf Forschung nach Grund, Zweck, Ziel usw. beruhende Erkenntnis der Religion in ihren Lehren und Gesetzen — war bei den Juden früh heimisch. In dem biblischen Schrifttum sind die Mahnrufe: »Dir ist es gezeigt worden zu erkennen, dass der ewige Gott ist und keiner mehr! « »So erkenne es heute und führe es deinem Herzen zu, dass der ewige Gott ist, im Himmel oben, auf der Erde unten, sonst keiner!« »Erkenne den Gott deines Vaters und diene ihm mit williger Seele.« »Nur dessen rühme sich der Ruhmsüchtige: betrachten und mich erkennen, spricht der Ewige«, welche auf die Erwerbung dieser Erkenntnis dringen und sie gewissermaßen den Israeliten zur Pflicht machen. Gott, sein Wesen, seine Eigenschaften, die Schöpfung, die Welt, der Mensch, seine Seele, die menschliche Willensfreiheit, die göttliche Vorsehung, die Offenbarung, das Gesetz, die Unsterblichkeit, die Vergeltung u. a. m. bilden die Themata derselben; sie sollen verstandesgemäß erforscht und nach Vernunftsgründen dem Menschen vorgeführt und erklärt werden. Die Religionsphilosophie hat nicht das voraussetzungslose Denken, das aprioristische Forschen der Philosophie zu ihrer Grundlage, sondern geht von dem Positiven, der Offenbarungslehre aus und will Gott in dem Spiegel seiner Werte, in der Natur und in der Geschichte gleichsam nachblicken, aufschauen und nachweisen. Zu der Ge-stak, wie sie uns in dem biblischen Schrifttum vorliegt, bemerken wir eine Verschiedenheit ihrer Darstellung, die auf eine geschichtliche Entwicklung hinweist. In den Büchern des Pentateuchs und der Propheten haben wir meist nur die Mitteilung der Resultate dieser Forschung in kurzen Sätzen, aber nicht ihren Ideengang selbst in seinem langsamen Fortschreiten und in den logischen Herleitungen von Satz zu Satz, wie wir dies in den Lehrsystemen der Philosophie gewohnt sind. Der religiöse Dichter oder der Prophet liebt es, die Prämissen früher in seinem Gemüte mit sich selber abzumachen und darauf mit den gewonnenen fertigen Resultaten aufzutreten. So beginnt der Prophet, der über die göttliche Vorsehung und Vergeltung spricht, gleichsam aus der Mitte seiner Betrachtung mit dem Satze: »Der Hort, ganz ist sein Werk, denn all seine Wege sind Recht; ein Gott der Treue ohne Unrecht; gerecht und redlich ist er!« oder: »Gehet jetzt, denn ich, ich bin es, kein Gott bei mir; ich töte und belebe, verwunde und heile und niemand rettet aus meiner Hand!« Erst die Schriften des dritten Teils der Bibel, der Hagiographen, bringen vollständig abgerundete, religionsphilosophische Abhandlungen. So behandelt das Buch Hiob die Vergeltungslehre oder »Die Leiden des Gerechten im Einklange mit der göttlichen Gerechtigkeit«, das philosophisch sämtliche Meinungen dafür und dagegen mit ihren Vertretern anführt und sie widerlegt, bis es zuletzt zu einem andern Resultat gelangt, das als die erwiesene Lehre dargestellt wird. Ebenso philosophiert das Buch Koheleth über die Bestimmung des Menschen, das höchste Gut und die Idee der Unsterblichkeit. Auch die Psalmbücher haben in einzelnen Psalmen zusammenhängende Betrachtungen über verschiedene Themata aus der Glaubens- und Sittenlehre, als z. B. der Psalm 78 über die Vergeltung, Ps. 139 über die Allwissenheit und Allgegenwart Gottes, Ps. 73 und 93 über des Frevlers Glück und die Gerechtigkeit Gottes, Ps. 90 über die Ewigkeit Gottes, Ps. 147. 148. 103. 104 über die Schöpfung u. a. m. Es ist hier nicht der Raum, diese Philosopheme in ihren verschiedenen Entwicklungsstufen geschichtlich darzustellen. Einen neuen Impuls zu dieser Art von Philosophieren gab die Berührung des Judentums mit dem Griechentume. Das Bekannt- und Vertrautwerden mit der Denk- und Lebensweise der Griechen und die Kenntnis ihrer philosophischen Schriften haben eine neue geistige Bewegung unter den Juden hervorgerufen. Es machte sich bei ihnen das Streben geltend, die Lehren ihrer heiligen Schriften mit den Anschauungen der griechischen Weisen in Einklang zu bringen und sie in dem Gewand griechischer Weisheit erscheinen zu lassen. So entstand die alexandrinische jüdische Philosophie, die in der Geschichte der Religionsphilosophie eine bedeutende Rolle spielt. Schon in der griechischen Bibelübersetzung Septuaginta bemerken wir, wie die Übersetzer an der wörtlichen Wiedergabe der sinnlichen Ausdrücke von Gott und seinen Taten in der Bibel Anstoß nahmen und für dieselben Umschreibungen und Bezeichnungen setzten, welche jede grobsinnliche Vorstellung von Gott beseitigen sollten. In den Übersetzungen der Kapitel von der Schöpfung sind sogar Ansätze von Philosophemen, die an die spätere philonische Kosmologie erinnern. In dieser Richtung philosophieren die Arbeiten des alexandrinischen Aristeas (im z. Jahrh. v.): der Brief und der philosophische Bibelkommentar, von dem sich nur einige Bruchstücke erhalten haben. In dem Briefe wird über die den Gesetzen zugrunde liegenden Ursachen, Prinzipien, philosophiert. Im Allgemeinen hält er die Gesetze als die unzerstörbaren Wälle und die eisernen Mauern zum Schutze vor dem Heidentum. Spezielleres weiß er von den Speisegesetzen anzugeben. Die zum Genuss erlaubten Tiere sind zahme und von ausnehmender Reinheit, aber die verbotenen gewalttätig und räuberisch. Der Grund des Verbotes gegen dieselben ist sinnbildlich, der Israelit lebe und handle nicht gleich diesen gewalttätig, sondern wie jene gerecht und sanft. Die zum Genuss erlaubten Tiere sind die mit den gespaltenen Klauen als Symbol, das Böse vom Gutem zu scheiden und nach Gerechtigkeit zu handeln. Das Wiederkauen derselben ist das Bild der Erinnerung, dass wir der göttlichen Anordnung für den Bestand und die Verschönerung des Lebens gedenken sollen. Als Kern der Frömmigkeit wird die Liebe und nächst der Liebe die Demut bezeichnet. Weiter erklärt auch er die biblischen Antropomorphismen, die nicht buchstäblich genommen werden dürfen. Viel tiefer und ergiebiger sind die Philosophemen dieser Art in den vorhandenen Bruchstücken des Kommentars zum Pentateuch von dem jüdischen Philosophen Aristobul (181- 145). Auch bei ihm sind es meist die Antropomorphismen in der Bibel, die er zu erklären sucht. Es bedeutet nach ihm die Hand Gottes die göttliche Macht, das Sprechen Gottes die Kundgebung dieser Macht, die Ruhe Gottes die Unveränderlichkeit der göttlichen Werte, auch der Bestand der Weltordnung, die Erscheinung Gottes auf Sinai in Feuer, Donner und Blitz das Bild der wunderbaren Offenbarung. In der Kosmologie sagt er von Gott, er sei nicht bloß der Herr, sondern auch der Schöpfer der Welt, von dem nur Gutes ausgeht; das Schädliche kommt nur aus seinem Gefolge. Von der göttlichen Weisheit wird angegeben, dass die Welt ihr Werk sei. In dem apokryphischen Buch der Weisheit Salomos finden wir neben selbstständigen auch viele platonische Ideen. In Kapitel I. 4, 8. 20, 9. 15 ist der Leib der Sitz der Sünde und 9. 15 der Kerker der Seele; Kapitel 8. 19-20 lehrt die Präexistenz der Seele; Kapitel 1. 13, 2. 23 die Unsterblichkeit der Seele; Kapitel 11. 17 die Weltbildung aus gestaltlosem Urstoffe durch die göttliche Intelligenz; Kapitel 7. 22. 24 stellt die Weisheit als intelligenten Geist und als die alles durchdringende Weltseele, das Mittelwesen zwischen Gott und Welt, den Aeon, den Philo (s. weiter) als Logos bezeichnet und ihn »Weisheit« nennt. Eine Menge von stoischen Lehren hat das vierte Makkabäerbuch. Unter diesen und andern Männern, die auf diesem Gebiete weiter arbeiteten, nimmt Philo der Alexandriner oder Philo der Philosoph die hervorragendste Stelle ein, schon wegen der Reichhaltigkeit seiner philosophischen Arbeiten, aber noch mehr in Folge seines großen Einflusses auf die Mit- und Nachwelt in jüdischen, heidnischen und christlichen Kreisen. Im Judentume sind seine Philosopheme bis nach Palästina gedrungen, wo sie bei den Volks- und Gesetzeslehrern Eingang fanden, die sie unter verschiedenen Modifikationen weiter verbreiteten, bis dieselben von ihnen in die Geheimlehre einmündeten und in der nachtalmudischen Zeit die Basis manchen kabbalistischen Systems wurden, aber auch in einigen religions-philosophischen Arbeiten der philosophisch gebildeten Juden im Mittelalter ihre Auferstehung feierten. Wir halten es notwendig, die philolonische Philosophie mit ihren Lehren, die gewissermaßen die Grundlage der Religionsphilosophie in Talmud und Midrasch geworden, in ihrem Zusammenhange mit der Bibel und dem Talmud hier darzustellen.
I. Gott, Erkennbarkeit Gottes, sein Wesen, seine Eigenschaften, Antropomorphismus. Von »Gott« wird mehr in negativen als in positiven Bezeichnungen gesprochen. »Gott« an sich, seinem Wesen nach, ist für unsere Sinne unfassbar, unerkennbar, für unsere Begriffe unbezeichenbar, ohne Eigenschaft und ohne Namen. Das Sein allein, dass Gott ist, aber nicht, was er ist, kann von ihm ausgesagt werden. Der »Seiende« ist die richtige einzige Benennung für ihn, welche zugleich die des biblischen Tetragammatons Jhvh ist. Der göttliche Auftrag an Moses, Gott in diesem Namen den Israeliten zu verkünden (2. Mos. 2), lautete nach Philo: »Lehre die Kinder Israel, ich sei der Seiende, damit sie den Unterschied zwischen dem Seienden und dem Nichtseienden kennen lernen und zugleich erfahren, dass mir, der allein das wahre Sein ist, gar kein Name besonders zukommt.« Nur aus der Beziehung Gottes zur Welt vermögen wir ihn näher zu bestimmen. Aus dem Gegensatze Gottes zur Welt ist Gott der Ungewordene, Ewige, Erhabene, alles Umfassende, der Geist über den Stoff, der Schöpfer über das Geschaffene. Als solcher schließt Gott alle Realitäten in sich; er ist das Urbild der Schönheit, das absolute Selige und Vollkommene, oder mit anderen Worten: »Gott ist besser als die Tugend und das Wissen, besser als das Gute und Schöne, erhaben über jedes Lob und jede Benennung, das schlechthin einfache, unveränderliche, ewige Eine, für das selbst der Name des einfach Einen nicht angemessen ist.« Auf diesem Wege gelangte Philo auch zu seinen andern positiven Angaben von Gott. Er bezeichnete ihn als die Vernunft des Weltganzen, die alles erfüllt und umfasst und alles durchschaut. Er ist allmächtig, allwirksam, allgegenwärtig usw. und heißt deshalb »der Ort«, dem er erklärend hinzufügt: »Gott ist sich selbst der Ort, als erfüllt von seinem Wesen, sich selbst genug.« So wird er von nichts umschlossen, denn er ist eins und alles. Weiter nennt er das Licht als Bild für Gott. »Gott ist das Urlicht, aus dem unzählige Strahlen ausströmen, die Quelle des reinsten Lichtstrahls, das Urbild alles andern Lichtes«; ferner: »Gott ist die Sonne der Sonne.« Diese positiven Bezeichnungen Gottes ergeben sich ihm aus Gottes Beziehung zur Welt und stehen somit nicht mit seiner Lehre oben von der Unerkennbarkeit »Gottes an sich« in Widerspruch. Um jedem Missverständnisse vorzubeugen, fragt er ausdrücklich: »Gott ist nicht (im Sinne des Pantheismus) im Raume, in der Zeit, hat keine menschliche Gestalt, keine menschlichen Affekte, von ihm ist nichts Böses und kein Übel; er hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit einem Geschöpfe. Er ist ewig, unveränderlich, einfach, frei und selbstgenügsam, so dass nur ihm das Sein in wahrem Sinne zukommt.« Ein Analogon für diese Zeichnung Gottes findet er in dem Geiste des Menschen. Für die Feststellung der Existenz Gottes gegenüber den Leugnern gilt ihm der physikoteleologische Beweis mit seinem Schluss: »Denn kein Kunstwerk entsteht von selbst. Höchst kunstvoll aber ist die Welt, so muss sie auch von einem Wesen mit vortrefflicher und höchst vollkommener Vernunft gebildet sein.« Interessant ist bei Philo, wie er diese Philosopheme mit den Aussprüchen und Lehren der Bibel auszugleichen sucht oder gar dieselben in ihnen nachweist, oder für sie Begründungen sucht. Die heiligen Schriften seines Volkes galten ihm als die Quelle tiefster Weisheit und göttlicher Eingebung. Wir bringen hiervon
1) Über die Lehre von der Erkennbarkeit und der Unerkennbarkeit Gottes. Die Lehre von der Unerkennbarkeit Gottes steht scheinbar im Widerspruch mit den oben zitierten biblischen Mahnrufen: »Gott zu erkennen!« Philo bezieht dieselben auf die Werke Gottes, in denen Gott sich dem Menschen offenbart und von ihm erkannt sein will. So findet er in 2. M. 20. 18: »Moses trat in das Düstere (Dunkel), wo daselbst Gott war«, die Angabe von der unerkennbaren Natur des göttlichen Wesens. Deutlicher geht ihm dies aus der Stelle 2. M. 33, 13 und 19, der Bitte Moses, um die Gotteserkenntnis, Gottes Herrlichkeit zu schauen, hervor; er erklärt dieselbe. Moses hat die Bitte an Gott gestellt, ihm das Angesicht, d. h. das Wesen Gottes selbst, die reinste Idee des Seienden schauen zu lassen, da ihm die Welt immer nur das Sein Gottes, aber nie die Art dieses Seins gezeigt habe. Die Antwort darauf war, er begehe etwas Unmögliches, da er dies durch die Schranken der menschlichen Fassungskraft nicht erlangen könne.
2. Die Bezeichnung Gottes als »das Sein«, oder »der Seiende«. Dieselbe sucht Philo, wie bereits erwähnt, in dem biblischen Gottesnamen »Jhvh« nachzuweisen. Auf einer anderen Stelle sagt er darüber: »Das ist sein Name, das reine Sein oder der Seiende selbst, wie er in den vier heiligen Buchstaben Jhvh ausgedrückt ist, unbegreiflich, unaussprechlich für alle, deren Ohren und Zungen nicht gereinigt sind, ein Name, der auch den Weisesten, die ihn im Heiligtume aussprachen, das Geheimnis seines Wesens noch nicht enthüllt. « Ferner: »Vier Buchstaben hat der Gottesname >Jhvh<, denn in ihm ist alles enthalten: Punkt, Linie, Fläche, Körper, die Maße aller Dinge und die Harmonie der Töne.« Hieran reihen wir seine Nachweise:
3. Über die Lehre von der Außer-und Überweltlichkeit Gottes. Die Lehre von der Außer- und Überweltlichkeit Gottes hat die biblische Lehre von der Gegenwart Gottes in der Welt scheinbar gegen sich. Einen Ausgleich findet Philo darin, dass er die Verbindung Gottes mit der Welt in sein Wirken setzt. Gott ist, lehrte er, seinem. Wesen nach erhaben über die Welt, doch erfüllt er alles durch sein Wirken. Wenn die Schrift sagt: »Gott ist oben im Himmel und unten auf der Erde«, so ist dies nicht nach seinem Wesen, sondern von seinem Wirken. Er durchzieht alles, setzt ordnend und sondernd, verknüpfend und bindend, fasst alles in sich als den Ort von allen zusammen, ist überall und doch wieder nirgends, da ihn selbst nichts zu umfassen vermag; er umschließt alles gleichsam im Kreise, setzt Grenzen jedem Ding und bestimmt als Wagenlenker und Steuermann dessen Verlauf usw. »Die Welt, das Haus Gottes, gehört notwendig zu ihm, wie die Erscheinung zum Wesen, ihr Untergang wäre sein eigener Tod (d. h. seiner lebendig wirkenden Gegenwart).. Gott ist nicht der Schöpfer der Welt, sondern nur deren Bildner, weil die Materie, als sein düsteres Widerspiel, nicht von ihm herrühren kann. Ein fernerer Nachweis betrifft:
4. Die oben angegebene Zeichnung Gottes als völlig eigenschaftslos und unnennbar. Gegen dieselbe sprechen ebenfalls die in der Bibel vorkommenden Gotteseigenschaften und Gottesnamen. In Bezug auf die Eigenschaftslosigkeit Gottes wird angegeben, dass das Verbot der Götzenbilder in z. M. 20. 3, 5. M. 5. 7, von Gott sich eine Gestalt zu machen, die Eigenschaftslosigkeit Gottes lehrt, denn die Götzenbilder beruhen auf der Annahme, dass Gott eine Eigenschaft beigelegt werden könne, was hier verboten wird. Die dennoch vorkommenden Gotteseigenschaften bezeichnen nicht Gott an sich, sondern sind seiner Beziehung zur Welt, seinen Werken, entnommen. Größere Schwierigkeiten machten Philo:
5. Die Anthropomorphismen in der Bibel, die Gott mit menschlichen Eigenschaften ausstatten und nach menschlicher Gestalt zeichnen. Er hält dieselben, wie sein Vorgänger Aristobul, als aus einer Anbequemung an die Schwächen der Menschen hervorgegangen. Die Masse der Menschen vermag nicht das Göttliche in seiner Reinheit zu fassen; um ihnen jedoch die göttliche Lehre beizubringen, hat man die anthropomorphistische Form gewählt. Den Beweis hierzu findet er in der Zusammenstellung zweier Pentateuchverse: 4. M. 23. 19 »Gott ist kein Mensch, dass er lüge, kein Erdensohn, dass er sich bedenke«, wo jede menschliche Eigenschaft von Gott verneint wird, und 5. M. 1. 31 »Dich hat der Ewige, dein Gott getragen, wie ein Mann seinen Sohn trägt«, die dem zuwider sprechen scheint, was nur dadurch gehoben wird, wenn man annimmt, dass Gott aus pädagogischen Rücksichten bisweilen wie ein Mensch dargestellt wird. Ebenso spricht er sich über die Anthropopathismen in der Bibel aus. Gott an sich ist ohne jeden Affekt, wird aber in menschlicher Weise so dargestellt, als hätte er Leidenschaften. So erklärt er die Stelle in 2. M. 2. 12: »Moses schaute in seine Seele, da war alles in Aufruhr; er sah nur Gott ohne diese innere Bewegung.« Weiter erklärt er die biblische Lehre von der Gottähnlichkeit des Menschen dahin, dass es in 1. M. 1. 27 von der Schöpfung des Menschen nicht heißt: Gott schuf am Menschen das Ebenbild Gottes, sondern er machte den Menschen nach dem Ebenbilde Gottes, d. h. nach dem Logos. Die Stelle in 1. M. 6. 6. »Gott bereute, dass er den Menschen geschaffen«, erklärt er, dass Gott sich der in ihm ruhenden Erkenntnis und der nach außen hin wirkenden Einsicht bediene, wenn er seine Werke betrachte. Er lobe diejenigen, die in ihrer Ordnung bleiben und strafe die, welche sie verlassen. Die Namenlosigkeit Gottes gegenüber den in der Bibel gebrauchten göttlichen Benennungen macht ihm keine weiteren Schwierigkeiten; er sagt darüber: »Damit aber das Menschgeschlecht des Vorzuges nicht entbehre, das höchste Wesen auch in der Sprache zu besitzen, ist ihnen erlaubt, relative Namen zu gebrauchen, die einzelne Eigenschaften Gottes bezeichnen,« Dass auch der eigentliche Gottesname »Jhvh«, das Tetragrammaton, nicht gebraucht werden soll, findet er in 2. M. 20., in dem dritten Gebot. Die obige Lehre endlich, dass Gott nicht im Raume ist, wird biblisch begründet. Aus 1. M. 22. 3, 4 beweist er, dass Abraham erkannte, dass Gott über die Schöpfung hinaus liege. Dem göttlichen Ruf an Adam in 1. M. 3. 9 deutet er, als wenn er lautete: »Adam, du bist irgendwo, aber Gott hat kein Sein im Raume, wie du annahmst, als du dich vor ihm verstecktest!« Diese philonischen Philosopheme haben, wie bereits oben angegeben, bei den Volks-und Gesetzeslehrern in Palästina in den ersten drei Jahrhunderten Eingang gefunden, von denen die, welche mit der reinen Bibellehre in Widerspruch zu stehen schienen, nur unter einer bestimmten Modifikation weiter gelehrt wurden. Es ist für die Geschichte der jüdischen Religionsphilosophie von nicht unbedeutendem Interesse, diese Modifikationen oder Umgestaltungen der philonischen Philosopheme in den Talmuden und Midraschim kennen zu lernen. Indem wir besonders auf den Artikel » Geheimlehre« verweisen, bringen wir hier das Hauptsächlichste davon in seiner geschichtlichen Entwicklung.
a. Die Bezeichnung Gottes als des Weltenortes. Die Benennung Philos »Gott als der Weltenort«, und sein dunkler Ausspruch: »Gott ist das All« oder »Gott und das All sind ein und dasselbe«, der pantheistisch klingt nebst einer dritten Bezeichnung von ihm: »Gott wird >Ort< genannt, weil er das Wesen ist, das alles umfasst und in sich schließt«, erhalten bei den Lehrern im talmudischen Schrifttum eine Umgestaltung, die jeden Pantheismus ausschließt. Der »Ort«, hebr. »makom« war auch bei den Volkslehrern des ersten, zweiten und dritten Jahrhunderts eine Lieblingsbenennung für »Gott«, dagegen kommt dieselbe in den Aussprüchen der Volks- und Gesetzeslehrer vor dieser Zeit nicht vor. Es scheint, dass dieser Name für »Gott« von außen, von den Alexandrinern, in das Judentum eingedrungen sei. Ein Lehrer gegen die Mitte des zweiten Jahrhunderts n., R. Jose ben Chalephta, in dessen Aussprüchen sich viele alexandrinische Philosopheme finden, bringt auch obige philonische Lehre von Gott als dem Weltenort, aber in einer Modifikation, die sie zu einer jüdisch-palästinensischen umgestaltet. Er lehrte: »Wir wissen nicht, ob Gott der Ort der Welt oder ob die Welt der Ort Gottes sei«; es heißt: »Siehe, der Ort ist bei mir« (2. M. 33. 21 ), was deutlich ausspricht, dass Gott der Ort der Welt, aber die Welt nicht der Ort Gottes ist. Ähnlich spricht sich sein Zeitgenosse R. Jizchak aus: Es heißt: »Die Wohnung des Gottes der Vorzeit« (5. M. 33. 27), »wir wissen nicht, ob Gott die Wohnung der Welt oder die Welt die Wohnung Gottes sei«, aber die Worte: »Eine Wohnung (Zufluchtsstätte) warst du uns von Geschlecht zu Geschlecht (Ps. 90)« sagen, »Gott ist die Wohnung der Welt, aber die Welt nicht die Wohnung von Gott. « Noch im dritten Jahrhundert n. sieht sich der Gesetzeslehrer R. Ami zu der Erklärung genötigt: »Warum heißt Gott >der Ort<? Weil Gott der Ort der Welt ist, aber die Welt nicht der Ort Gottes.« Wir merken, dass diese philonische Lehre bei den Volks- und Gesetzeslehrern in Palästina Anstoß erregte und sie nur unter der angegebenen Umgestaltung zugelassen und weiter gelehrt wurde. Noch Maimonides (im 12. Jahrh. n.) bemerkt in Bezug auf dieselbe, dass sie, die Lehrer im Talmud, lehrten: »Gott habe seine Wohnstätte auf der Welt, aber nicht in der Welt, d. h. innerhalb der Materie«, um von Gott jede pantheistische Vorstellung fern zu halten. Schlimmer erging es:
b. der Lehre von der Gottähnlichkeit des Menschen, die er als die Ähnlichkeit mit dem Logos (gleichsam dem Untergott) hält. Dieselbe wurde von R. Akiba im ersten Jahrhundert n., als er sie von seinem Zeitgenossen Pappus vortragen hörte, als antijüdisch perhorresziert. »Siehe, der Mensch ist wie einer von uns (1. M. 3. 22.)«, d. h., lehrte Pappus, »wie einer der Engel!« »Genug davon!« entgegnete ihm ,R. Akiba. »Die Gottähnlichkeit des Menschen«, lehrte dieser, »bezieht sich auf dessen Freiheit, das Gute oder das Böse zu wählen.« Aber schon die Kabbala und teilweise auch die Mystik haben die philonische Lehre von der Gottähnlichkeit des Menschen, wie dieselbe von Pappus vorgetragen und von R. Akiba als unjüdisch zurückgewiesen wurde, wieder aufgenommen. Deutlich ist die betreffende Lehre im Buche So-har: »Gott schuf den Menschen in seinem Bilde«, nämlich in dem des Meta-tron. Auf einer anderen Stelle heißt das Himmelswesen, nach dessen Bild der Mensch geschaffen wurde, der obere Mensch, der himmlische Adam.
c. Die Einheit Gottes. Die Lehre von der Einheit Gottes erhält bei Philo durch sein Philosophem vom Logos (s. weiter), der als zweiter Gott, Schöpfer und Erhalter der Welt, dargestellt wird, trotz seiner ausdrücklichen Verkündigung des Monotheismus eine gar arge Trübung, die später die Trinität des Christentums befestigen half. Die Volks- und Gesetzeslehrer verwahrten sich in ihren Lehren mit Nachdruck gegen jede Annahme von Untergöttern. Wir bringen von demselben: »Mein Teil, o Ewiger, spricht meine Seele« (Klgld. 3. 24.), wie bei einem Könige, heißt es hier, der mit einem großen Gefolge die Provinzen seines Reiches besucht, es zu geschehen pflegt, dass von den Bewohnern die einen diese und die andern jene Persönlichkeiten aus der Umgebung des Königs zu ihren Schutzpatronen sich wählen, aber die Vernünftigen nur den König als solchen anerkennen; so geschah es bei der Offenbarung Gottes. Die Völker wählten untergeordnete Gottheiten, aber Israel Gott allein, denn es heißt: »Höre Israel, der Ewige unser Gott ist der Ewige der Eine.« R. Akiba, der berühmte Volks- und Gesetzeslehrer im ersten Jahrhundert n. antwortet dem Lehrer Ismael, dass die Partikel: eth im 1. M. 1. 1, nicht im Sinne des griechischen »mit«, sondern als Akkusativpartikel zu betrachten sei: »Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde«, gegen die Annahme: Himmel und Erde waren gleich Gott (Elohim), Götter bei der Weltschöpfung. Ebenso lautet eine andere Lehre: »Die Engel wurden nicht am ersten Tage geschaffen, damit man nicht sage: die Engel Michael und Gabriel standen Gott bei seinem Schöpfungswerke bei. « In Bezug auf den Engel Metatron, der gleich dem philonischen Logos in der Mystik gelten sollte, wird ausdrücklich bemerkt, dass diese Annahme den Abfall Achers vom Judentum bewirkte. Auch die Offenbarung Gottes an Moses, lehrte R. Akiba gegen die philonische Annahme, sei durch den Logos geschehen. Es heißt: »Er (Gott) redete zu ihm«, d. h. zu Moses, aber nicht zu den Engeln. Dagegen wird die Lehre Ben Somas: »Die Stimme Gottes war der Engel Metatron« als irrig bezeichnet. Ein dritter Lehrer gibt die Verschuldung des Exils für die Israeliten in der Verleugnung des Monotheismus an: »Über die Israeliten wurde nicht früher das Exil verhängt, bis sie die Einheit Gottes leugneten.. Eine andere dieser Zeit angehörende Lehre gegen den Glauben an Zwischengottheiten lautete: »Und der Ewige führte uns aus Ägypten, nicht durch einen Engel, nicht durch einen Seraph, auch nicht durch einen Boten, sondern er, Gott allein in seiner Herrlichkeit, er selbst.« Ferner: »Ich durchzog das Land Ägypten«, ich, aber kein Engel; »ich schlug jeden Erstgeborenen«, ich, aber kein Seraph; »und an allen Göttern führte ich Strafgerichte aus«, ich, aber kein Bote! Ein Lehrer aus dem zweiten Jahrhundert n., R. Elasar Hakapor, spricht dies noch deutlicher aus: »Die Geborenen sind zum Tod, die Toten zum Wiederaufleben und die Wiederbelebten zum Tag des Gerichts bestimmt, damit es erkannt werde, dass Gott ist der Bildner, der Schöpfer, der Verständige, der Richter, der Zeuge usw. « Gegen die aus der philonischen Logoslehre hergeleitete Trinität lautete ihre Verwahrung: »Ich bin der Ewige dein Gott« — ein Mensch von Fleisch und Blut hat einen Vater, einen Bruder und einen Sohn, aber Gott hat keinen Vater, keinen Bruder und keinen Sohn — denn es heißt: »Und außer mir gibt es keinen Gott.«
d. Erkennbarkeit und Nennbarkeit Gottes, Eigenschaften Gottes, Herrlichkeit und Weisheit Gottes. Mit der Lehre von der Erkennbarkeit und Nennbarkeit Gottes sind die talmudischen Aussprüche in völliger Überein- stimmung. Gott an sich kann von den Menschen weder erkannt noch genannt werden, aber desto mehr in seinem Verhältnisse zur Welt. Ähnlich der philonischen Lehre oben lehren die Volks-und Gesetzeslehrer: »Gott sprach zu Moses: >Meinen Namen willst du wissen? Ich werde nach meinen Werken genannt: heiße >Elohim<, wenn ich die Geschöpfe richte; >Zebaoth<, wenn ich Krieg gegen die Frevler führe, >Schad-dai<, Mächtiger, wenn ich die Strafen verhänge; >Ewiger<, wenn ich mich der Menschen erbarme, denn es heißt: >Der Ewige, der Ewige, ist barmherzig, gnädig usw.< Nur in Bezug auf obige Lehren von Gottes Eigenschaften und der in der Bibel vorkommenden Herrlichkeit und Weisheit Gottes weichen die Angaben im talmudischen Schrifttum von den philonischen Philosophenren ab, in denen wir eine Umgestaltung der letzteren und eine Gegenerklärung ge- gen dieselben erblicken. Philo spricht von den göttlichen Eigenschaften als von den von Gott getrennten, selbstständig wirkenden Kräften, dagegen hat der Talmud den Ausspruch: »Zu jeder Zeit, da wir zu ihm rufen (5. M. 4. 7), zu ihm (Gott) allein, aber nicht zu seinen Eigenschaften.« Die göttlichen Eigenschaften werden als keine von Gott getrennten, selbstständig existierenden und wirkenden Wesen gedacht. Nur hypostatiert spricht man bildlich von der göttlichen Barmherzigkeit und der göttlichen Gerechtigkeit. Auch hier sind es wieder die spätere Mystik und die Kabbala, welche diese göttlichen Eigenschaften als selbstständig wirkende Kräfte unter dem Namen »Sephiroth« aufstellen. In völliger Übereinstimmung mit den philonischen Philosophemen sind die Lehren im talmudischen Schrifttum über die Anthropomorphismen und die Anthropopathismen in der Bibel. Dieselben erklärt Philo als eine Anbequemung an die Schwächen der Menschen. Die Masse derselben vermag nicht, das Göttliche in seiner Reinheit zu fassen; daher hat Gott im biblischen Schrifttum die an sich unwahre anthropomorphistische Form gewählt. Ebenso sprechen sich die Volks- und Gesetzeslehrer im Talmud aus: »Die Thora (Pentateuch) redet nach der Sprache der Menschen«; »Groß ist die Kraft der Propheten, sie vergleichen den Schöpfer mit dem Geschöpfe«; »Die Schrift gebraucht diese Redeweise, um es dem menschlichen Ohre verständlich zu machen.«
II. Welt, Weltschöpfung, Urstoff, göttliche Urkräfte, Logos, Mittelwesen. Die in der griechischen Philosophie sich geltend machende Annahme eines vorweltlichen Urstoffes bei der Weltschöpfung, der Philo gefolgt war, und die Zeichnung Gottes als eines außerweltlichen erhabenen geistigen Wesens, Schöpfers der Welt, stießen in seiner Darstellung der biblischen Schöpfungslehre auf Widerspruch. Die Weltschöpfung durch Gott selbst, seine Berührung mit der Materie, dem vorweltlichen Urstoffe, erschien ihm als mit der göttlichen Erhabenheit unvereinbar und sie aufhebend. Philo denkt sich daher die Weltschöpfung gleich Plato als eine Weltbildung, nur mittelbar durch Gott. Mit Plato nimmt auch er an erst eine Bildung von einer intelligiblen Welt von Ideen als Ur- und Musterbilder für die Schöpfung. »Als Gott die Welt schaffen wollte«, heißt es bei ihm, »erkannte er, dass ohne ein schönes Vorbild ein schönes Abbild nicht werden könne, auch jedes Werk ein geistiges Urbild voraussetzt, bildete er erst die intelligible Welt der Ideen. « Mit diesem platonischen Philosophem verbindet er die stoische Lehre von den wirkenden Ursachen, die Urkräfte alles Gebildes sind, die sich des ungeordneten Stoffes bemächtigten und jedem Dinge seine Eigenschaften gaben. Diese Urkräfte, nicht bloß Urideen, bezeichnet Philo weiter als Teile der Gottheit, die eine Ausströmung von Gott an die Welt oder eine Erweiterung des göttlichen Wesens, Ausbreitung seiner Kräfte durch die Welt darstellen. Hierbei betont er es, dass, wenn auch die Urkräfte durch ein Ausströmen aus Gott entstanden sind, Gott dadurch von seiner Einheit nichts verliere. Eine Schwankung bemerken wir in seiner Lehre von dem Wesen dieser Urkräfte, ob sie vom Gotteswesen unzertrennlich oder von ihm verschieden sind. Er spricht von einem Lichte, das von ihnen ausstrahlt und stellt Gott als das Urlicht dar. Dagegen nennt er an mehreren Stellen diese Urkräfte Diener und Statthalter Gottes, Vollzieher seines Willens und Vermittler zwischen Gott und Welt, die Engel bei Moses und die Dämonen bei den Griechen. Die Zahl dieser Urkräfte wird verschieden angegeben. Im Allgemeinen werden sechs angenommen. Von diesen werden zwei besonders genannt: die Güte und die Macht; durch erstere wurde alles erschaffen, durch letztere wird alles beherrscht. Die Güte ist die Höhere und Ursprüngliche, von der Gott vorzugsweise Theos genannt wird. Durch diese Eigenschaft ist Gott gnädig den Sündern, denen er die rettende Hand reicht, durch die andere herrscht er; gibt Gesetze und bestraft. In Bezug auf ihr gegensätzliches Wirken wird eine dritte, sie beide verbindende oder vermittelnde Urkraft genannt; es ist der »Logos«, der beide vereinigt, so dass Gott durch ihn herrschen und gütig sein kann. Wer dieser Logos sei? In der näheren Bezeichnung desselben greift Philo zu verschiedenen Bildern, ohne ihn jedoch klar und bestimmt anzugeben. Man merkt das Dilemma, in dem er sich befindet; er möchte den biblischen Monotheismus geschont wissen und doch mit der Konsequenz seiner Philosophie, die im Plantonismus und der Stoa wurzelt, nicht brechen. Der Logos, lehrt er, ist das Urbild der Welt, nach welchem sie geworden, aber zugleich die schaffende und erhaltende Urkraft; Gott schafft und erhält die Welt durch ihn, er ist sein Werkzeug. Anderwärts bezeichnet er ihn als die wirksame göttliche Vernunft; die Idee als Inbegriff aller anderen Ideen; die Kraft, die alle anderen wirkenden Kräfte in sich fasst, den Gesamtinhalt der übersinnlichen Welt; das geistige Haus Gottes im Gegensatze zu seinem sinnlichen Hause, der Welt; das allgemeine Sein, das allen Dingen zu Grunde liegt; das Buch Gottes, in welchem die Wesenheiten aller Dinge verzeichnet sind; die Metropole, deren Pflanzstädte die übrigen Kräfte sind. Der Logos, lehrte er ferner, ist der Mittler zwischen Gott und der Welt, der Stellvertreter und der Gesandte Gottes, der Verkünder und Ausleger der Ratschlüsse Gottes für die Menschen und somit der Prophet, der Erzengel zur Vermittlung von Offenbarungen, der Vertreter der Welt bei Gott, der Hohepriester, der für sie betet, die Sünden der. Menschen aufhebt, sie versöhnt u. a. m. Ebenso wird er als Urbild des menschlichen Geistes gehalten, nach dem er geschaffen wurde, daher er auch »der Urmensch«, »himmlischer Mensch« genannt wird. Er erleuchtet die menschliche Seele und heißt deshalb die Sonne (de somn. I. 15, 19). Durch ihn hatten die Israeliten in Ägypten (2. M. 10. 23) Licht in ihren Wohnungen (das). Weiter heißt es von ihm, dass er das Band ist, das alle Teile in der Welt verknüpft und sie selbst wie ein Gewand anzieht. Mit dieser Zeichnung des Logos steht Philo nicht mehr ganz auf dem Glaubensboden des Judentums; die biblische Gottesidee des Monotheismus hat bei ihm eine Modifikation erhalten, die sie fälschte und unkenntlich machte. Auch in seinen anderen Angaben bemerken wir ein ähnliches Schwanken. So sagt er von dem Wesen des Logos, dass er weder geschaffen nach Art der anderen Dinge, noch ungeschaffen gleich Gott sei. In Bezug auf das Verhältnis des Logos zu den oben genannten zwei ersten Urkräften, der Güte und der Macht, lehrte er: »Der Logos steht zwischen diesen zwei Grundkräften in der Mitte, so dass er nur das gemeinsame Produkt von diesen beiden darstelle.« Abweichend hiervon nennt er anderwärts den Logos höher als diese zwei Kräfte. Es ist daher zweifelhaft, ob Philo den Logos als die Wurzel oder das Produkt dieser zwei Urkräfte hält. Größer wird dieses Schwanken bei ihm in der ferneren Bestimmung, ob der Logos nur eine göttliche Eigenschaft und identisch mit der göttlichen Weisheit sei oder ein für sich bestehendes Wesen bilde. An mehreren Stellen spricht er vom Logos als von einer göttlichen Eigenschaft und hält ihn identisch mit der göttlichen Weisheit. Doch erscheint er an anderen Stellen bei ihm als ein neben Gott existierendes, selbstständiges Wesen, das er »Bild Gottes« oder »Schatten Gottes« nennt. Aber bald tritt auch hier wieder sein jüdischer Glaube zum Vorschein; er möchte den Monotheismus gern retten. So bezeichnet er den Logos gleich den anderen Wesen zum Unterschiede von Gott, dem Ungewordenen, als den Gewordenen, der von den anderen Wesen das Erste und Höchste ist, und zum Unterschiede von ihnen »der erstgeborene Sohn Gottes« heißt. Der Logos ist der ältere, die Welt der jüngere Sohn Gottes. Wieder lässt er sich von heidnischem Einflusse verleiten, ihm den Namen »Gott« beizulegen und begnügt sich zur Beschwichtigung seines jüdischen Gewissens, dass er ihn nur »Gott«, ohne Artikel oder »zweiter Gott«, um ihn von dem wahren zu unterscheiden, nennt. Wir wollen sehen, wie er für diese seine Lehren Begründungen und Andeutungen in der Schrift aufsucht. Zuerst:
a. über seine Lehren von den Urkräften. Die Bildung einer idealen Welt, als Vorbild der zu erschaffenden Welt und Inbegriff aller Urkräfte, findet er in 1. M. 1. 5 in dem Ausdruck: »ein Tag«, der zum Unterschiede von »erster Tag« die Schöpfung der einzigarti gen Natur der geistigen Welt andeutet. Einen Beweis hat er dazu in 1. M. 2. 4 »ehe es auf Erden war«, was er auf eine zweifache Schöpfung bezieht, der geistigen und der wirklichen Welt. Als Symbol dieser idealen Welt gilt ihm das Stirnbild des Hohenpriesters (2. M. 28. 32.). Die Zahl dieser göttlichen Urkräfte, als sechs, sieht er symbolisiert in den sechs Asylstädten, die Moses in 4. M. 35. 6 für Palästina anordnete, als: 1. der göttliche Logos; 2. die schöpferische Kraft; 3. die königliche Kraft; 4. die gnadenvolle; 5. die gesetzgebende; 6. die Verstandeswelt, die mit Gott, als dem Seienden, sieben sind. Neben diesen wird auch von der göttlichen Urkraft, der Weisheit, gesprochen, die er als das höhere Prinzip fasst, aus der der Logos hervorgeht. Es wird von derselben aufgesagt, dass sie den göttlichen Samen empfange und die Welt, den sinnlichen Sohn, gebäre. Es werden der Weisheit dieselben Eigenschaften wie dem Logos beigelegt. Dass mit dieser Zahl die göttlichen Urkräfte nicht begrenzt werden, vielmehr dieselben unzählig sind, weist er auf 5. M. 10. 17 hin, wo Gott König der Götter, der göttlichen Wesen, heißt. Auf die von diesen oben namhaft gemachten zwei göttlichen Urkräfte, die Güte und die Macht, deuten in 1. M. 3. 24 in den Cherubim vor dem Garten Eden; in 1. M. 18. 2. den beiden Gott begleitenden Engeln; in 2. M. 25. 18 in den Cherubin auf der Bundeslade. Auch die Rangordnung beider, wo die Urkräfte der Güte die vorzüglichste ist, leitet er von 2. M. 25. 19 ab. Das Zusammenwirken beider sieht er in 1. M. 3. 23. bei der Vertreibung Adams aus dem Paradiese. Die Ausstrahlung dieser Kräfte aus Gott erweist er aus Jeremia 2. 13., wo von einer Quelle des lebendigen Gottes gesprochen wird; ferner aus 1 M. 2. 7., wo von einem Hauchen Gottes die Rede ist. Dass Gott über diese Kräfte hinausragt und als ein Wesen für sich sei, das nicht in ihnen aufgeht, ergeben ihm die Worte 1. M. 18., wo Gott als Dritter genannt ist, und das. V. 6, wo Gott über den Cherubim wohne. Weiter ergibt ihm 1. M. 22. 3.4. »Abraham kam an den Ort«, dass Gott durch die Urkräfte der Welt gegenwärtig und nahe sei. Ferner erweist er ihre Wirksamkeit bei der Schöpfung aus 1. M. 1. 26, dem Plural »Wir wollen den Menschen machen«; ebenso aus 1. M. 3. 22., wo Gott sich an sie wendet, wenn er etwas ausführen will; Josua 2. 11: » Gott ist im Himmel oben und auf der Erde unten«, wo das Untensein Gottes auf die göttlichen Kräfte bezogen wird u. a. m. Wir sehen aus diesen Beispielen zur Genüge, wie Philo sich bemüht, seine Philosopheme von den Urkräften mit der Bibel auszugleichen oder dieselben in ihr nachzuweisen. In noch auffallenderer Weise geschieht dies
b. von seiner Logoslehre. In 2. M. 33. 22. soll »die Herrlichkeit Gottes« der Strahlenglanz Gottes, der Logos, sein. Auch das in 1. M. 28. 17 und 2. M. 25. genannte »Haus Gottes« soll den Logos andeuten. Die Unnennbarkeit Gottes veranlasst ihn zur Annahme, dass unter dem Gottesnamen Jhvh in der Bibel der Logos gemeint sei. Den Logos als Abbild Gottes und Stellvertreter Gottes findet er in 1. M. 31. 13. »Ich bin der Gott von Bethel« (Haus Gottes), d. h.: »Ich (der Logos) bin der Gott, der an der Stelle des höchsten Gottes dir erschienen war. « Die Gottähnlichkeit des Menschen, als sich auf den Logos beziehend, erweist er aus 1. M. 1. 27, weil es nicht »Bild Gottes«, sondern »nach dem Bilde Gottes« steht, was andeutet, dass der Mensch nur nach dem Abbilde Gottes, dem Logos, geschaffen wurde. Aus Spr. Sal. 8. 22 und 2. M. 20. 12 entnimmt er, dass die Weisheit die Mutter des Logos sei und findet eine Hinweisung auf beide in dem Namen Bethuel (=Bathel, Tochter Gottes) und in dem Namen »Bezalel, (2. M. 31. 2) Schatten Gottes«. Aus 1. M. 1. »Gott schafft durch das Wort« beweist er, dass der Logos das Werkzeug Gottes bei der Schöpfung war. Mehr als dies sieht er in den Worten 5. M. 8. 3: »Denn von allem, was aus dem Munde des Ewigen kommt, lebt der Mensch«, dass der Logos gleich Gott das allgemeine Sein ist, dem die Welt unterliegt. Die Beziehung des »Himmels« in 1. M. 1. 1 auf den Logos bestimmt denselben als den Inbegriff der Idealwelt und 1. M. 2. 4 deutet ihm an, dass der Logos ein Buch sei, in welches sämtliche Ideen eingegraben sind. Symbolisiert findet er den Logos in seiner Wirksamkeit, die geistigen und sinnlichen Mächte zu vereinigen, in dem bunten Gewande des Hohenpriesters. Unter Hinweisung auf 3. M. 21. 10 »und seine Kleider zerreißt er nicht« lehrte er, dass der Logos die ganze Welt wie ein Gewand um hat, welches er nicht zerreißt, sondern es fest zusammenhält. Überhaupt wird der Logos in seiner zwischen Welt und Gott vermittelnden Stellung in dem Hohenpriester 3. M. 16. 17 symbolisch dargestellt gefunden und »Hoherpriester« genannt. Diese seine Priestertätigkeit in Bezug auf den Menschen erkennt er in der des Priesters Melchisedek (1. M. 14. 18) verbildlicht; auch er bringt als Melchisedek, d. h. als gerechter König und als König von Salem, d. h. als König des Friedens, der menschlichen Seele Gerechtigkeit und Frieden. Weiter deutet er 3. M. 21. 11 »zu keiner toten Person soll er (der Priester) kommen«, als auf den Logos sich beziehend, dass er in keine gestorbene Seele ( d. h. in eine in Sünden versunkene Seele) einziehe. Ferner soll 1. M. 19. 23. »Die Sonne ging auf und Lot kam nach Zoar« das Bild für die Erleuchtung der Seele durch den Logos sein; ebenso findet er in 1. M. 28. 11 »denn die Sonne war untergegangen« die Andeutung der Verdunkelung der Seele, so der Logos davon zieht. Überhaupt werden die Worte daselbst: »er traf auf einen Ort«, dass der Schauende auf den göttlichen Logos traf. Wie er zugleich der Verkünder und Vermittler der Ratschläge Gottes an die Menschen sei, weist er in 1. M. 22. 16, »bei mir habe ich geschworen, spricht der Ewige«, und in 5. M. 6. 13, »und in seinem Namen sollet ihr schwören« nach. Von seiner Weltleitung soll der Psalm 23. 1 »Der Ewige ist mein Hirt, ich habe keinen Mangel« sprechen. Der Logos leite, wie eine Herde, Erde, Wasser, Feuer und Luft nebst den Pflanzen und Tieren darin. Die Patriarchen, Moses, das Volk Israel und dessen künftige Sammlung aus dem Exil werden durch ihn geleitet. Symbolisiert findet er den so tätigen Logos in dem Felsen, aus dem Moses das Wasser in der Wüste für Israel quellen ließ; in der Feuersäule auf dem Zuge der Israeliten, in dem Obersten der drei Männer, die Abraham besuchten, u. a.m. Den Logos sieht er ferner in dem Geist, der bei der Schöpfung 1. M. 1. 2. über dem Wasser schwebte; auch in der Taube, die bei Noach die göttliche Gnade vermittelte. Wie diese und ähnliche Nachweise durch die Bibel von den streng gläubigen Juden in Palästina, nachdem dieselben bei ihnen bekannt geworden, aufgenommen wurden, darüber gibt uns das talmudische Schrifttum Auskunft. Aber wir bemerken schon jetzt, dass im Christentum die Kirchenväter sich fast all dieser biblischen Nachweise bemächtigt hatten, um das Dogma der Trinität u. a.m. zu rechtfertigen. Später hat es auch die spekulative Mystik (s. Mystik und Kabbala) nicht gescheut, fast sämtliche eben zitierten Bibelstellen auch für ihre Lehren in Anspruch zu nehmen. Wir finden fast sämtliche hier zitierten Nachweisungen im Sohar wieder. Doch wollen wir sehen, was die Volks- und Gesetzeslehrer im Talmud von denselben verworfen oder aufgenommen und umgebildet haben. Gegen das Jahr 63 v., zur Zeit, als sich unter den Juden Alexandriens durch die Septuaginta und die Schriften Aristobuls u. a. m. eine griechisch jüdische literarische Tätigkeit schon ziemlich entwickelt hatte, aus der später die philonische Pilosophie (s. Religionsphilosophie) hervorgegangen ist, lebte in Palästina der Volks- und Gesetzeslehrer Abtaljion, der gegen diese jüdisch-hellenistischen Philosopheme zu mahnen schien, wenn er lehrte: »Ihr Weisen, seid vorsichtig mit euren Worten (Lehren), vielleicht verschuldet ihr das Exil und werdet nach einem Ort böser Wasser (Irrlehren) verwiesen; es trinken davon die Jünger nach euch und sie sterben (den geistigen Tod), d. h. sie fallen von ihrem Glauben ab, so dass der Name Gottes entweiht wird! « Eine ähnliche Mahnung gegen den Hellenismus hat das äthiopische Henochbuch 94. 5; 98. 15; 99. 2; 99. 14; 104. 10: »Wehe euch, die ihr Lügen redet und Frevelworte niederschreibt, denn sie schreiben ihre Lügen auf, damit man sie höre und nicht vergesse. — Wehe euch, die ihr die Worte der Rechtgläubigkeit fälschet und von dem ewigen Gesetze abfallet.« Ferner: »Sie ändern die Worte der Wahrheit, führen schlechte Reden und schreiben Lügenbücher über ihre Reden.« In Kap. 98. 15 wird in bitterer Auslassung nachdrücklich über das griechische Gift geklagt, das in die Schriften gedrungen. Solche Warnungen waren nicht vergeblich, sie fanden in Palästina ihre volle Beachtung. Die talmudischen Berichte über die folgenden Zeiten bis zum 3. Jahrhundert n. erzählen uns, wie man mit der Aufnahme von hellenistischen oder alexandrinischen Philosophemen über Gott, Welt, Schöpfung u. a. m. vorsichtig war und gar oft sie bekämpfte und völlig verwarf. Man machte sich an die Feststellung des biblischen Kanons, revidierte sorgfältig den Inhalt dessen einzelner Schriften und manches Buch, das in seinen Lehren Anklänge an seine unbiblisch gehaltenen alexandrinischen Philosopheme enthielt, wurde aus dem Kanon gewiesen oder wenigstens als mit der reinen Lehre des Judentums unvereinbar bezeichnet. R. Jochanan ben Sakai, das Synhedrialoberhaupt von Jabne, geht darin noch weiter; ihm erscheint jede Forschung über den Grund der Gesetze als sektierisch, er dringt auf die Vollziehung derselben aus dem einzigen Grunde, weil sie Gottes Befehle sind, über deren Ursache man weiter nicht zu fragen habe. Eine ebenfalls sehr alte Lehre, die in der Mischna ihre Aufnahme gefunden, lautete: »Wer über die vier Gegenstände nachforscht, sollte nicht in der Welt sein: über das, was über dem Himmel, was unterhalb der Erde sei, was früher (vor der Weltschöpfung) und was später (nach dem Weltuntergange) sein werde.. »Wer nicht der Ehre seines Schöpfers bedacht ist, besser, er wäre nicht da gewesen!. Man beschränkte die Forschung überhaupt auf den Jüngerkreis von Eingeweihten und hielt deren Resultate geheim, als nicht die Sache jedes Mannes. Die Bestimmung darüber war: »Man forsche nicht in der Schöpfungsgeschichte vor Zweien und in der Merkaba (s. Geheimlehre) vor einem, wenn dieselben nicht weise sind und selbst verstehen.. Gegen die Annahme Philos von Mittelwesen bei der Weltschöpfung, den Urkräften oder Urideen, wird hier an der Bibellehre von der unmittelbaren Schöpfung durch Gott festgehalten und die Lehre von einem vorweltlichen Urstoff (Urmaterie) in Abrede gestellt. Von diesen Materien bringen wir erst:
a. die von der Annahme eines Urstoffes. Die Annahme eines Urstoffes drang aus der griechischen Philosophie ins Judentum ein. Die alexandrinischen Juden bemühten sich noch, dieselbe in der Schöpfungsgeschichte des 1. B. Moses nachzuweisen. Mit demselben Nachdruck, wie Philo oben die griechische Annahme von den Urstoffen zur seinigen macht, tut es auch das Buch der Weisheit. Dagegen betrachteten sie die palästinischen Volks- und Gesetzeslehrer als mit der biblischen Schöpfungslehre unvereinbar und unjüdisch. Das zweite Makkabäerbuch betont da her entschieden die Schöpfung aus nichts. Im I. Jahrhundert n. ist es der Volks- und Gesetzeslehrer R. Akiba, der seinen Zeitgenossen Ben Asai, Ben Soma und Elisa ben Abuja, als sie gemeinschaftliche theosophische Betrachtungen anstellten, wörtlich in den Par-des (Paradies) eingingen, warnend zurief: »So ihr zu dem reinen Marmorstein gelangt (eine bildliche Bezeichnug des Wassers als des Urstoffes), sagt nicht: Wasser, Wasser!», d. h. »hütet euch vor der Annahme des Wassers als Urmaterie! « Das Wasser als Urmaterie wurde bekanntlich von dem jonischen Philosophen Thales aufgestellt, kommt als solches in mehreren Stellen bei Homer vor und war bei den Gnostikern weit verbreitet. Auch in den Schriften des Evangel. 2. Petri 3. 5. kommt vor: »Die Erde entstand durch Wasser und mit Wasser.. Von den genannten Lehrern wurde Ben Soma ausdrücklich von dem Lehrer R. Josua ben Chananja in Folge der Annahme des Wassers als des Urstoffes bei der Weltschöpfung als außerhalb des Judentums stehend bezeichnet. Ersterer teilte diesem mit: »Ich schaute zwischen dem oberen und dem unteren Wasser (dem schaffenden göttlichen Prinzip und dem Urstoffe) und sah, wie zwischen beiden kaum eine Handbreit oder drei Fingerbreit war«, denn es heißt: »Und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.. Nächst R. Akiba war es R. Gamliel II., der sich entschieden gegen die Annahme von Urstoffen aussprach.
Ein Philosoph, wird erzählt, redete R. Gamliel II. an: »Euer Gott war ein großer Bildner, aber er fand hierzu die Urstoffe vor: das Tohu und Bohu, die Finsternis, den Wind (die Luft), das Wasser und die Abgründe, sämtliche existierten nach der Bibel schon vor der Schöpfung.« Dieser entgegnete: »Wohl kommen dieselben in der Bibel als solche vor, aber mit der sie näher bestimmenden Angabe: bara, er (Gott), schuf sie; auch sie wurden von Gott geschaffen:« Es kommen in diesem Sinne vor: Tohu und Bohu in 1. M. 1. 1; von Licht und Finsternis in Jesaja 45. 7; Wasser in Ps. 48. 21; Wind in Amos 4. 13; Abgründe in Spr. Sal. 8. 2.4. 7. Von den Gesetzeslehrern des z. Jahrhunderts n. nennen wir R. Juda, und R. Elasar. Letzterer tut den Ausspruch: »Wer da annimmt, erst sei die Welt Wasser in Wasser gewesen, begeht eine Schmähung gegen Gott. Gott braucht nur zu blicken, aber nicht sich zu bemühen.« Denselben Ausspruch wiederholt im 3. Jahrhundert n. R. Samuel ben Nachmani vor dem Patriarchen R. Juda II.. Sein Zeitgenosse R. Abbahu erklärt gegen die Annahme von Urstoffen die Ausdrücke »Tohu und Bohu« in 1. M. 1. 2. im Sinne von staunen und sich wundern. Dieselbe Deutung wiederholen die Lehrer des 4. Jahrhunderts n., R. Tanchum und R. Berechja. Wenn dennoch die Volkslehrer in der talmudischen Zeit von Urstoffen sprechen, so bemerken sie ausdrücklich, dass dieselben geschaffen wurden, aber nicht uranfänglich und unerschaffen existiert hatten. So lehrte Rabh im 3. Jahrhundert n. und Rab Juda im 4. Jahrhundert n.: »Zehn Gegenstände wurden am ersten Tage geschaffen: der Himmel, die Erde, das Tohu und Bohu, das Licht, die Finsternis, der Wind (die Luft), das Wasser, die Tages- und Nachtzeit.. Ein anderer spricht von drei erschaffenen Urelementen: dem Wasser, dem Geist oder Wind (Luft) und dem Feuer, aus denen drei andere hervorgingen: aus dem Wasser die nebelige Finsternis, aus dem Feuer das Licht und aus dem Geist die Weisheit.
b. Die Urkräfte und der Logos. Die Annahme von Urkräften im Sinne Philos, nicht bloß als Urideen, sondern auch als selbstständig wirkende, aus Gott ausgeströmte Urwesen, gleichsam Mittelgottheiten zwischen der Welt und Gott, welche die Welt geschaffen und sie leiten, stieß ebenfalls bei den Volks- und Gesetzeslehrern auf entschiedenen Widerspruch. Die Bibellehre von der Gotteseinheit war dadurch, wie wir schon oben bemerkt haben, untergraben, was einer Vernichtung derselben gleichkam. Die philonische Annahme von Urkräften erhielt daher eine Modifikation, so dass sie mit der Lehre von der Gotteseinheit der Bibel nicht in Widerspruch stand. Aus den Urkräften wurden Urideen, die durch Gott in Bezug auf die Weltschöpfung erst geschaffenen Urbilder, Prototypen, Vorzeichnungen, Gesetze und Bedingungen, nach denen die Welten und Wesen geschaffen wurden. Eine alte Boraitha hat darüber: »Sieben Gegenstände wurden vor der Schöpfung der Welt geschaffen: die Thora (das Gesetz), die Buße, das Paradies, die Hölle (beide als Ausdrücke der Vergeltung), der Gottesthron (Bezeichnung der Weltregierung Gottes), der Tempel (d. h. die Gottesverehrung) und der Name des Messias (Messiasidee).« Deutlicher wird diese Lehre im 2. Jahrhundert n. von dem Lehrer R. Levi vorgetragen: »Ein Baumeister bedarf zur Ausführung eines Baues sechs Gegenstände: Wasser, Lehm, Holz, Steine, Rohr und Eisen, so wurde die Thora sechsmal als vor und zur Schöpfung geschaffen, erwähnt.« Noch im 3. Jahrhundert n. wird diese Lehre von dem berühmten Agadisten R. Josua ben Levi wiederholt, ein Beweis deren Wichtigkeit. Eine völlige Umarbeitung erhielt dieselbe im 4. Jahrhundert n. von dem Volkslehrer R. Hosea I. Er lehrte: »Die Thora spricht: Ich war das Werkzeug Gottes bei der Weltschöpfung. Wie der Baumeister einen Palast nur nach einem entworfenen Plane baut, so schaute Gott in die Thora und schuf die Welt.« Deutlicher als hier ist diese Umwandlung der Lehre von den Urkräften in die von den Urideen in obigem Sinne in einem Ausspruche von dem Lehrer Rabh im 3. Jahrhundert n. Derselbe lautet: »Durch zehn Worte, Logoi, wurde die Welt geschaffen: durch Weisheit, Einsicht und Erkenntnis, Macht, Strenge, Gerechtigkeit und Recht, Liebe und Erbarmen.« Erst in der Kabbala finden wir die philonischen Urkräfte, als aus Gott emanierte selbstständig wirkende Gottwesen, unter dem Namen »Sephiroth« wieder. Die Aufgabe, die sich die Volks- und Gesetzeslehrer in dieser umgestalteten Wiedergabe der philonischen oder alexandrinischen Philosopheme gestellt hatten, war die Ausscheidung alles Heidnischen aus denselben, sie nur soweit zuzulassen, soweit sie nicht mit den Lehren der Bibel in Widerspruch stehen. Doch lässt es sich nicht in Abrede stellen, dass dennoch viele Aussprüche im Schrifttum des Talmud und Midrasch nebenher laufen, die von diesem Gesetze abweichen und die alexandrinischen Philosopheme von den Logoi oder den Urkräften unverändert wiedergeben. Wir haben in dem Artikel »Geheimlehre« nachgewiesen, dass derartige Lehren zu der nicht revidierten Geheimlehre gehörten, die zwar ausgeschieden wurden, aber sich dennoch unter den Juden in Palästina und Babylonien erhalten hatten. Wir nennen z. B. die von der Emanation der Urkräfte aus Gott oder die von den Ausstrahlungen derselben als Lichtstrahlen aus ihm. In einer Unterredung, erzählt eine Midraschstelle, war R. Mair mit einem Min (Sektierer). Dieser fragte: »Es heißt Ps. 65. 10: der Gottesquell ist voll Wasser, sollte er seit dem Tage der Schöpfung nicht abgenommen haben?« Jener antwortete: »Wenn du dich (in den heißen Wassern Tiberias) badest, verlierst du an Gewicht in Folge des von dir ausgeströmten Schweißes? Gewiss nicht! So ist es mit dem Quell Gottes, der immer voll bleibt.« Hier wird die Lehre von der Emanation von einem Gesetzeslehrer verteidigt. Auch die Annahme einer Emanation als einer Lichtausstrahlung aus Gott hatte ihre Anhänger und Verbreiter noch im vierten Jahrhundert n., wurde jedoch wenig verstanden und beherzigt. Eine Midraschstelle berichtet: »R. Simon Sohn Jehozadok fragte den R. Simon Sohn Nachman, woher wurde das Licht geschaffen?. Dieser antwortete: »Gott hüllte sich in das Licht, wie in ein Gewand, dessen Strahlen die Welt erleuchteten oder wörtlich: und es strahlte sein Glanz von einem Ende der Welt zum anderen.« Dieses, heißt es darauf, teilte er ihm geheim mit. Ersterer verstand diese Mitteilung nicht, es war die von den Gesetzeslehrern als ketzerisch bezeichnete Lehre von der Emanation, und rief ihm erstaunt zu: Das sagt ja der Psalmvers 104. 2.: »Er hüllte sich in das Licht wie in ein Gewand ein«, warum so geheimnisvoll? Er erwiderte: »Ich habe diese Lehre als Geheimnis gehört, so verkündete ich sie geheim.« Weiter werden auch obige biblischen Begründungen Philos von seiner Logoslehre entschieden zurückgewiesen. So wird im ersten Worte des Schöpfungsberichtes 1. M. 1.: »Bereschith«, »im Anfange«, die erste Silbe »be«, die in der Bedeutung von »Thora« , »Lehre«, »Weisheit« verbunden erachtet und dahin erklärt, dass dieses »be« (mit oder nach) sich nicht auf eine zweite Gottheit, sondern auf die Thora, die Weisheit beziehe, bezeichnet nämlich, dass Gott mit der Thora, d. h. nach der Thora, die Welt erschaffen habe. Auch in Bezug auf die Aufeinanderfolge der Wortstellung des ersten Verses: »Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde«, was der Annahme von Schöpfershelfern vorgebeugt hätte, lehrt der Gesetzeslehrer »Ben Asai« (im zweiten Jahrhundert n.), dass die Schrift, ehe sie den Schöpfer nennt, erst sein Werk bekannt macht im Gegensatze zur Sitte des Menschen, der seinen Namen vor seinen Taten angibt. Andere Hauptbeweise in der Bibel, in denen Philo und die späteren Anhänger seiner Lehren den Logos vorfinden, sind, wie wir dieselben oben zitiert haben, 1. M. 19: »Der Ewige ließ von dem Ewigen über Sodom und Gomora Schwefel und Feuer regnen«; Ps. 50. 1. »Gott (Elo-him), der Ewige spricht«; 5. M. 4. »Welchem Elohim sich nahen«; 1. M. 1. 26. »Wir wollen einen Menschen machen nach unserem Ebenbilde. Auch diese werden von den Lehrern der ersten drei Jahrhunderte widerlegt. So weist R. Gamliel II. (im 1. Jahrhundert n.) in Bezug auf erste Stelle auf I. M. 4. 22. hin, wo ebenfalls Wiederholungen vorkommen, ohne dass man an zwei Personen zu denken braucht. In Betreff der zweiten und dritten Bibelstelle, wo für »Gott« die Pluralbenennung »Elohim« vorkommt, als wenn noch eine Gottheit (der Logos) mitbegriffen wäre, lehrte R Simlai (im dritten Jahrhundert n.), dass man auf das mit »Elohim« in Verbindung stehende Verbum zu achten habe, das in allen diesen und ähnlichen Bibelstellen im Singular steht, also nur von einem Gott spricht. So z. B. Josua 22. 22: »Gott (Elohim) der Ewige weiß es«; Ps. 50. 1 »Elohim, der Ewige spricht«; 1. M. 1. I. »Im Anfange schuf Elohim.« Auf gleiche Weise wird wegen der obigen dritten Bibelstelle 1. M. 1. 26 die Singularform der Aussage »Er schuf den Menschen« als Gegenbeweis hervorgehoben, also nur ein Gott schuf den Menschen. Mit vielem Nachdruck wird die Stelle 5 . M. 4. 33: »Frage die Vorzeit, den Tag, wo Gott den Menschen auf der Erde schuf« hier zitiert, wo es heißt »Gott schuf«, aber nicht »Götter schufen«. Auch gegen die vermeinten biblischen Beweise für die Annahme eines Urstoffes in 1. M. 1. 2. »Öde, Vermischtes und Finsternis« (tohu, bohu, choschech) versteht der Patriarch R. Gamliel II. eine Gegenstelle aus Jesaja 45. 8 anzugeben. »Er schuf das Licht und die Finsternis«, wo ausdrücklich der Urstoff, »die Finsternis«, als durch Gott geschaffen verkündet wird. Wir ersehen daraus, dass die philonischen Philosopheme im talmudischen Schrifttum ihre Umbildung und Rektifizierung, d. h. ihren Ausgleich mit den biblischen Lehren und Anschauungen, erhielten und in dieser Gestalt weiter gelehrt und verbreitet wurden. Wir wollen sehen, ob dasselbe auch in dem nun folgenden dritten Teile, der von der Welt, dem Menschen, den Engeln und den Geistern, der Welterhaltung und Weltregierung handelt, der Fall ist.
III. Die Welt, der Mensch, die Engel und Geister, die Welterhaltung und Weltregierung.
a. Die Welt und der Mensch. Die sinnliche Welt hält Philo als einen Abdruck der geistigen, die eine vorbildliche jener ist. Daher gilt ihm diese nur gewissermaßen als »Wohnung Gottes«, während dieser Name in wahrem Sinne nur der geistigen Welt zukommt. Doch wird auch unsere sinnliche Welt höchst vollkommen und unvergänglich gehalten. Von diesen Ideen ist Letzte, die bei den Volks- und Gesetzeslehrern in Palästina auf Widerspruch stieß und eine Gegenäußerung veranlasste. Die Schöpfung ist keine aus einem Urstoffe hervorgegangene Weltbildung, nicht in ihrem Urstoffe uranfänglich, sondern durch Gott aus nichts hervorgebracht, sie kann daher durch Gott wieder zerstört und aufgelöst werden. Eine zweite Folgerung Philos, gegen welche die Volks-und Gesetzeslehrer in Palästina auftraten, war, die sinnliche Welt als Stätte des Bösen und der Sünde zu betrachten, die nicht durch Gott, sondern durch die göttlichen Kräfte, Potenzen (den Logos), gebildet sein soll. »Nicht in der Welt, sondern im Menschen, in dessen freien Tätigkeit, ist die Stätte des Guten oder des Bösen, der Tugend oder der Sünde, je nachdem er dieselbe sich selbst vermöge seiner Willensfreiheit bestimmt hat«, lautete ihre Gegenerklärung. Von der Zeit, lehren sie, da die Worte gesprochen wurden: »Siehe, ich lege dir heute vor das Leben und das Gute, den Tod und das Böse«, kommt aus dem Munde des Höchsten weder das Gute, noch das Böse. »Das Böse erfolgt von denen, welche das Böse tun und das Gute durch die, welche Gutes vollziehen.« Eine dritte Lehre Philos, die ebenfalls im Talmud bekämpft wird, ist die von der menschlichen Seele, sie als Teil des Gotteswesens selbst zu erklären. Es sagt: »Die Schriftworte: rund er blies in seine Nase einen Lebensoden< sind so zu verstehen, ein Teil jener seligen himmlischen Natur habe sich nach unten gewandt.« Auf einer anderen Stelle spricht er es noch deutlicher aus: »Der Geist des Menschen ist ein Teil Gottes.« »Wie sollte es möglich sein«, lautet seine weitere Angabe darüber, »dass der Geist, ein kleines Ding, abgeschlossen im Herzen oder im Gehirn, die Größe der Welt fassen könnte, wäre er nicht ein Bruchstück jener Gottesseele, ein Bruchstück, das vom Ganzen nicht getrennt ist. Denn nichts wird von dem Göttlichen durch Abtrennung geschieden, sondern nur durch Ausdehnung.« Philo spricht hier die Immanenz Gottes in der Welt und im Menschen aus und hat sich dadurch dem heidnischen Pantheismus genähert. Gegen solche Verirrung verwahren sich die talmudischen Gesetzeslehrer, wenn sie die menschliche Seele mit Nachdruck als durch Gott geschaffen erklären. Bekannt ist das synagogale Gebet: »Gott, die Seele, die du mir gegeben, ist rein, du hast sie geschaffen, gebildet und mir eingehaucht! « Doch scheint Philo es gemerkt zu haben, wie weit er sich durch dieses Philosophem vom Judentum entfernt habe, denn er sucht auf einer anderen Stelle wieder einzulenken, um auch seinem jüdischen Glauben gerecht zu werden. Neben der obigen Angabe über den Ursprung der Seele spricht er auch von der biblischen und fragt, ob sie den Körper überlebe. Nichtsdestoweniger scheut sich die Kabbala, die philonische Bezeichnung der Seele als »Teil Gottes« aufzunehmen. Ebenso ist Philos Lehre von der menschlichen Leiblichkeit mehr heidnisch als jüdisch. Der menschliche Leib, lehrte er, ist die Stätte des Bösen und der Sünde, die Fessel der Seele, ein Übel für sie, ein Kerker, aus dem sie sich hinaussehnt, so keine Gemeinschaft mit Gott möglich sei, so dass die Seele erst nach dem Tode des Leibes zum neuen Leben erwache. Wir haben hier ganz die Lehre des Buddhismus und des Parsismus, die sich als eine notwendige Folge der Annahme eines vorweltlichen Urstoffes ergeben musste. Dass die Bibel den menschlichen Leib nicht als Stätte des Bösen und der Sünde betrachtet, geht schon aus ihren Angaben hervor in 1. M. 2. 7, wo die Bildung des Menschen Gott zugeschrieben wird; ferner aus den Büchern Hiob und der Psalmen, wo die im menschlichen Leibe sich abspiegelnde Gottesweisheit zur Bewunderung ruft mit dem Schlusse: »Von meinem Fleische schaue ich Gott!« Es dürfte nicht ohne Interesse erscheinen, auch die Lehren im Talmud gegen diese philonische Auffassung kennen zu lernen. Der Lehrer Hillel I. (100 v.) erklärt seinen Jüngern die Reinigung des menschlichen Leibes durch Waschen und Baden als die Erfüllung eines Gottesgebotes, wobei er auf die Bildnisse der Könige, die Statuen in den Theatern, Zirkussen und auf freien Plätzen hinweist, wie man für deren Reinigung sorgt: »Sollte ich dasselbe an mir nicht tun, da ich im Ebenbilde Gottes geschaffen bin.« Ein Lehrer des dritten Jahrhunderts, R. Jochanan, erkennt in der Verbindung der Seele mit dem Leib das Bild der Verbindung Gottes mit der Welt. »Wie die Seele den Körper erfüllt, so Gott die Welt; wie die Seele den Körper überdauert, so Gott die Welt; wie die Seele im Körper einzig ist, so Gott in der Welt; wie die Seele im Körper sieht, aber nicht gesehen wird, so sieht Gott in der Welt ohne selbst gesehen zu werden.« Am deutlichsten spricht sich darüber der Synhedrialpräsident R. Jochanan b. S. aus; er sagt über das Gesetz von der Verunreinigung durch Leichen: »Wisset, nicht der Tote verunreinigt, nicht das Sprengwasser reinigt, aber eine Anordnung Gottes ist es, nach deren Grund wir nicht fragen sollen.« In einem Disput mit einem Sadducäer lässt er den Grund dafür gelten: »Der Leichnam des Menschen verunreinigt, damit man nicht die Gebeine desselben zu profanen Zwecken verwende, nicht aus ihnen Löffel u. a. m. anfertige.« Wieder sind es die Mystik und nach ihr die Kabbala, welche diese philonische Lehre unverändert aufgenommen haben. Der menschliche Leib wird hier als Sitz der Sünde, die Stätte des Bösen gehalten, aus dem die Seele, wie aus einem Gefängnisse zu entkommen sich sehnt. Die Stellen im Soharbuch darüber lauten: »Oben am Lebensbaume (im Reiche des Geistes) gibt es keine Schalen, Böses (Klippoth), aber am Baume unten (im Leiblichen) gibt es Schalen«; »Da ist die böse Magd, die Zerstörerin der Welt, die Gottesrute zur Bestrafung der Welt.« »Zur Zeit, da die Seele in den menschlichen Körper einziehen soll«, ruft Gott ihr zu: »Gehe, tritt ein in den Körper!« Aber die Seele jammert: »Herr der Welt! Mir genügt die Welt, in welcher ich bin, ich verlange nach keiner anderen, wo Sklaverei meiner harret und ich eine Besudelte werde.« Minder abweichend sind bei Philo die Stellen über die Verbindung des Geistes mit dem Leibe und den Zweck derselben. Wir bringen darüber: »Die Verheißung, die Gott (1. M. 18. 15) Jakob im Traume werden ließ, habe man von der Seele zu verstehen, denn sie hat den himmlischen Raum verlassen und ist, wie in ein fremdes Land, in den Leib eingewandert. Aus diesem führt Gott diejenigen Seelen wieder zurück, die ihm wohl gefallen.. Eine andere Stelle bei ihm bezieht sich auf 1. M. 47. 4: »Fragt euch ein Tadelsüchtiger, warum seid ihr, die ihr doch von Geburt als Hirtenleute mit der Sorge für eure Seelenherde beschäftigt wart, nach Ägypten, d. h. in den Leib, in das Reich der Leidenschaft eingezogen«, so antwortet: »Nicht um darin zu wohnen, sondern um Beisaße zu sein (vorübergehend sich da aufzuhalten). Denn in Wahrheit hält jeder Weise den Himmel für sein Vaterland und die Erde als die Fremde.«
b. Die Engel und die Geister. Die Engel- und Geisterlehre Philos ist wieder stark antibiblisch; sie ist mit heidnischen Anschauungen, platonischen Philosophemen, verwachsen, von denen er sich nicht zu trennen vermochte. In der Bibel und im Talmud sind Geister und Engel geistige, von Gott geschaffene und von ihm abhängige, ihm dienstbare Wesen, die Gottes Befehle vollziehen. Nicht in dieser Zeichnung spricht Philo von ihnen. Die Dämonen der griechischen Philosophen und die heidnischen Götter und Geister sind seine Engel und Geister. Sie sind göttliche, in der Welt wirkende, aus Gott hervorgegangene Potenzen, Teile des Gotteswesens selbst, die ohne Annahme einer leiblichen Hülle »Geister« und in derselben »Engel« sind, Mittler zwischen Gott und der Welt, die Schöpfer, Erhalter und Regierer der Welt. Noch das Buch Sirach hatte teilweise die biblische Engellehre; es spricht von Geistern, aber mit der ausdrücklichen Bezeichnung, die geschaffen sind. Aber Philo hält die von ihm oft genannten »Logoi«, die göttlichen Potenzen als die in der Bibel genannten Engel. In der Schrift de migratione sagt er: »Niemand könne sich zur Erkenntnis erheben, als der, den Gott selbst führe; wer aber der Gottheit einmal folge, der habe die göttlichen >Logoi< zu Begleitern, welche die Schrift >Engel< nennt.« Auf einer anderen Stelle sagt er: »So lange der Geist nicht vollendet ist, muss der göttliche Logos sein Wegweiser sein.« Denn es heißt in der Schrift: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, damit er dich bewahre auf deinem Wege (2. M. 13. 20). Gegen solche Annahmen erklären die Volkslehrer des zweiten und dritten Jahrhunderts n.: »Die Engel gehören zu den Werken der sechstägigen Schöpfung«, »Gott erschaffe täglich diensttuende Engel (Metatron) « u. a. m. Freilich ist es auch hier die Mystik, die den Engel »Metatron« zu einem zweiten Gott macht und ihn den Gottesnamen Jhvh führen lässt u. a. m., also ganz die philonische, von den Gesetzeslehrern bekämpfte Engellehre.
c. Die Welterhaltung und Weltregierung. Eine weitere von der Lehre des Judentums, der Bibel und des Talmud, abweichende Konsequenz der Annahme eines vorweltlichen Urstoffes und der Darstellung der Materie als Stätte des Bösen und der Sünde — war das Philosophem Philos von der Welterhaltung und Weltregierung Gottes. Wie Philo die Schöpfung und die Bildung der Welt aus der Urmaterie nicht durch Gott, das absolute Sein, sondern durch die göttlich wirkenden Urkräfte geschehen lässt, so hält er die Erhaltung und Regierung der Welt ebenfalls nur als Werk der letzteren. Die Stelle darüber lautet: »Das All wird durch unsichtbare Kräfte zusammengehalten, die der Weltbildner von dem äußersten Ende der Erde bis zu den Grenzen des Himmels ausdehnte, dafür sorgend, dass das in schöner Weise Verbundene sich nicht auflöse. Denn diese Kräfte sind die unzertrennlichen Bande des Alls.« Diese die Welt erfüllenden göttlichen Urkräfte sind es, wie Gott überall gegenwärtig ist und überall als der tätige und schaffende Geist erscheint. Hiermit lehrt Philo wieder die Immanenz Gottes und bringt ungescheut den Patheismus des Heidentums ins Judentum. Auch an anderen Stellen spricht er von Gott: »Er erfüllt und umfasst die ganze Welt«, »Gott und das All sind eins.« Es sind Lehren, die sich nicht mit denen von der Außenweltlichkeit und Unmittelbarkeit Gottes in der Bibel vereinigen lassen. Dagegen haben seine anderen Lehren über dieses Thema, wenn sie nicht mit dem eben Zitierten in Verbindung gebracht werden, weniger Widersprechendes. Wir meinen, wenn er die schöpferische und erhaltende Gotteskraft unter dem Bilde einer Quelle (nach Jeremia 2. 13) darstellt, Gott den einzigen Bürger der Welt, aber alle anderen Wesen nur Anwohner (Einsaßen) derselben nennt, und ihn als die einzige Ursache aller Dinge hält. Treffend ist sein Bild vom »Wagenlenker« oder »Steuermann« für Gott als »Welterhalter« und »Weltregierer« im Folgenden: Denn »er« (Moses) kennt ein höheres Wesen, das wie ein Wagenlenker oder ein Steuermann das Ganze regiert. Er führt das Steuer des großen Weltschiffes, auf dem sich alles befindet; lenkt den geflügelten Wagen des Himmels mit freier selbstständiger Macht.
IV. Offenbarung, Prophetie, Propheten, Gesetz.
a. Die Offenbarung. Die Offenbarung allgemein sowie speziell die in der Schrift geschilderte Gottesoffenbarung auf Sinai kann entweder rationell als Bild und Symbol oder mystisch und gläubig, d. h. in wörtlichem Sinne aufgefasst und erklärt werden. Philo schwankt zwischen beiden, er greift bald zur ersten, bald zur zweiten Erklärungsweise. Auf einer Stelle hält er die Stimme Gottes auf Sinai als einen symbolischen Ausdruck dafür, dass Gott zu Menschen durch Werke spricht, die gesehen werden können. »Wenn wir«, sagt er anderwärts, »in der Schrift lesen, dass Gott mit den Menschen gesprochen, so darf man keineswegs glauben, dass eine sinnliche Stimme in der Luft erschollen sei, sondern die menschliche Seele ist vom reinsten Lichte erleuchtet worden.« Unter dieser einzigen Form kann das göttliche Wort an den Menschen gelangen. Als das Gesetz auf dem Berg Sinai bekannt gemacht wurde, wird nicht gesagt, dass die Stimme gehört worden sei, sondern wie der Text sich ausdrückt, wurde sie vom ganzen versammelten Volke gesehen: »Ihr habt gesehen, dass ich vom Himmel mit euch geredet.« Gegenüber dieser rationalistischen Auffassung steht seine mystische und gläubige oder die wörtliche Darstellung der biblischen Gottes- und Gesetzesoffenbarung auf Sinai. Möglich, dass ihn mehrere Bibelstellen, die gegen obige Deutung sprechen, zur Abweichung von derselben bewogen haben. Wir nennen z. B.: »Den Laut (Kol) der Worte hörtet ihr, aber kein Bild saht ihr, als nur den Laut«; ferner: »Vom Himmel hat er dich hören lassen seine Stimme und auf der Erde hat er dich sehen lassen sein großes Feuer, und seine Worte hast du gehört mitten aus dem Feuer«; ferner: »Gezeigt hat uns der Ewige seine Herrlichkeit und gehört haben wir seine Stimme aus dem Feuer«; ferner: »Wo ist irgend ein Sterblicher, der gehört hätte die Stimme des lebendigen Gottes redend mitten aus dem Feuer, so wie wir und wäre leben geblieben.« So bekennt er sich zu der Möglichkeit, das der Mensch Gottes Substanz in einer unmittelbaren Manifestation erfasse, anstatt dass er durch die Anschauung der Werke desselben zu ihm hinaufsteige und fasst den biblischen Bericht von der Gottes-und Gesetzesoffenbarung auf Sinai wörtlich. So sagt er, dass die Posaune, die damals erdröhnte, von einem Ende der Welt zum anderen gehört worden war, damit auch die Abwesenden, nämlich die übrigen Nationen der Erde, darauf aufmerksam werden. Ähnlich heißt es auch im Talmud, dass Gott mit der Gesetzesoffenbarung an alle anderen Völker zur Annahme sich gewendet, aber kein Volk erklärte sich für den Empfang derselben als Israel. Nicht uninteressant dürfte noch eine andere Stelle in Philo sein, wo er auch diese mystische Auffassung gewissermaßen verstandesgemäß darzustellen sucht. Wir bringen davon: »Gab also Gott eine Stimme von sich? Fern von uns sei dieser Wahn, denn nicht bedarf Gott, wie ein Mensch, des Mundes, der Zunge, der Schlagadern, vielmehr scheint der Herr damals ein wunderwürdiges Werk getan zu haben, indem er gebot, dass ein unsichtbarer Schall sich in der Luft bildete, lieblicher tönend als alle irdische Melodien, nicht unbeseelt, aber auch nicht einem Geschöpfe gleich, der nicht wie wir aus Leib und Seele zusammengesetzt ist, sondern ein rein vernünftiges Wesen voll Klarheit, das die Luft zur Flamme umschuf, und wie der Sturm eine Posaune anbläst, so laute Töne von sich gab, dass die in der Ferne Stehenden so gut es hörten als die Nächsten. Diese Wunderstimme war mit göttlicher Kraft ausgerüstet und ergoss sich überall hin; auch wurde sie nicht von den Ohren, sondern durch die Seelen vernommen. Denn das Organ des leiblichen Ohres ist nur dann tätig, wenn es von der bewegten Luft angeregt wird, aber das Ohr der gottbegeisterten Seele eilt den Reden selbst voraus.« Somit war es eine göttliche Kraft, welche die Gesetze verkündete, nicht Gott selbst. Wir erinnern daran, dass nach obigen Zitaten Philo den Logos als den Offenbarer des Gesetzes an Moses hält. Wir erkennen auch darin eine konsequente Folge obiger philonischen Annahme eines vorweltlichen Urstoffes und der Erklärung der Materie als Stätte des Bösen und der Sünde. Mit dieser letzten Erklärungsweise haben wir bei Philo drei Auffassungen der Gottes- und Gesetzesoffenbarung auf Sinai: 1. die symbolische oder die rein rationale; 2. die wörtliche oder gläubige und 3. die mystisch-philosophische. Er spricht von allen dreien gleich, ohne die Kluft zwischen denselben zu beachten und ohne sich entschieden für eine auszusprechen und sie als die Seinige zu bezeichnen. Im talmudischen Schrifttum finden alle drei Meinungen ihre Vertretung. Unter den Volks- und Gesetzeslehrern des ersten und zweiten Jahrhunderts waren diese drei Richtungen schon stark vorherrschend, die rationale, die streng gläubige und die mystische; so dass es uns nicht wundert, wenn wir diese drei Erklärungsweisen in den Lehren derselben antreffen. Die symbolische oder rationalistische tritt in den Aussprüchen R. Ismaels (im I. Jahrh. n.) und des R. Jose (im z. Jahrh. n.) zum Vorschein. Ersterer sieht die wörtliche Auffassung der sinaitischen Gottes- und Gesetzesoffenbarung schon wegen der Angabe in 2. M. 20. 19: »Ihr habt gesehen, dass ich vom Himmel mit euch geredet« als unmöglich; er lehrte daher, dass die Gesetzesoffenbarung durch Gott vom Himmel aus geschah, die auf Sinai gehört wurde. Diesem Winke folgte der Gesetzeslehrer R. Jose in seinem über die Offenbarung Aufsehen erregenden Ausspruch: »Nie ließ sich die Gottheit auf Erden nieder und nie stiegen Moses und Elia in den Himmel«, denn es heißt: »Die Himmel sind die Himmel des Ewigen, aber die Erde hat er den Menschensöhnen gegeben« (Ps. 116. 16). Gegen diese Erklärungsweise legten R. Akiba (in I. Jahrh. n.) u. a. m. nach ihm Protest ein und erklärten den Offenbarungsbericht nach seiner wörtlichen Auffassung, Gott ließ sich mit seinem Himmel auf Sinai nieder und offenbarte Moses das Gesetz. Aber auch diese Richtung kommt dahin, die Angaben der sinnlichen Offenbarungsbezeichnungen als z. B. den Rauch, die Flammen und den Trompetenschall bildlich zu erklären; sie sagt: Es sind Ausdrücke, um es dem Volke verständlich zu machen. Schlimmer ist es mit der dritten mystischen und später kabbalistischen Deutungsweise, welche den ganzen Offenbarungsakt als nicht durch Gott, sondern durch einen Engel, gewöhnlich Metatron, geschehen erklärt. Ben Soma, ein Lehrer am Ende des ersten Jahrhundert n., lehrte: »Die Stimme Gottes an Moses war der Engel Metatron.. Es ist die eine Lehre, die im Christentum weit verbreitet war. So lesen wir in den Evangelien Hebr. 2. 2: »Das Gesetz ist durch Engel geredet«; Akt. 7. 53: »Durch den Dienst der Engel kam es (das Gesetz) an das Volk«; Galat. 3. 19 »Gott bediente sich der Engel, um seinen Willen zu verkünden«; Akt. 7. 38; 30. 35: »Ein Engel hat wie beim Dornbusch mit Moses geredet.« Diese Annahme wird mit Nachdruck von R. Akiba bekämpft; er lehrte: »Wenn es heißt: >und er redete zu ihm<, so wird dadurch bezeichnet, dass Gott nur zu Moses, aber nicht zu einem Engel gesprochen.« Nichtsdestoweniger hat diese Lehre noch im dritten Jahrhundert n. ihre Anhänger. R. Levi, ein Lehrer im dritten Jahrhundert n., bezeugt, dass einige Volkslehrer, darschanim, so wie Ben Soma oben lehren, und R. Jonathan, ebenfalls ein Lehrer dieser Zeit, spricht von derselben Lehre, obwohl schon modifiziert, wenn er, wie ein Lehrer des vierten Jahrhunderts, R. Samuel b. N. in dessen Namen zitiert, sagt: »Jeder Ausspruch von Gott wurde als Engel geschaffen.« Wir bemerken, dass in der talmudischen Mystik (s. Geheimlehre) der Engel Metatron als ein von Gott geschaffener, von ihm abhängiger Engel gehalten, also von dem philonischen Logos unterschieden wird. Ausdrücklich warnt ein Lehrer Rab Idi (im 4. Jahrh. n.) vor Verwechslung Gottes mit Metatron, etwa ihn gleich Gott zu verehren. Anders verhält es sich allerdings mit der nachtalmudischen Mystik und der späteren Kabbala, wo der Engel »Metatron« ganz analog dem philonischen Logos als ein zweiter Gott gehalten wird.
b. die Prophetie, das Prophetentum und die Propheten. Der höhere geistige Aufschwung des Menschen in Gott, der ihn des Empfanges göttlicher Offenbarung fähig macht und zum Propheten bildet, wird in der Bibel nur allgemein angegeben. Welche sittliche Kraft und göttliche Erkenntnis demselben vorauszugehen habe, ist nicht erwähnt. Erst die nachbiblische Literatur beschäftigt sich damit und stellt verschiedene Meinungen darüber auf. Philo, welcher der platonischen Anschauung von der Materie folgt und den menschlichen Leib in seinem Gegensatz zum Geist als Sitz des Bösen und der Sünde bezeichnet, kann nicht anders als die Verwerfung alles Sinnlichen und Weltlichen, auch dessen Kenntnisse und Bildung, als Vorbedingung des Empfanges der Prophetie, der göttlichen Offenbarung, aufzustellen. »Man muss«, lehrt er, »das Wort und die äußere Form gering schätzen, wie man den Körper und die Sinne gering schätzen soll, um nur durch die Intelligenz und in der Anschauung der ganz nackten Wahrheit zu leben. Wenn Gott zu Abraham sagt, verlasse dein Vaterland, deine Familie und das Haus deines Vaters, so bedeutet dies, dass der Mensch mit seinem Körper, seinen Sinnen, und dem Wort brechen muss, denn der Körper ist nur ein Teil der Erde, die wir zu bewohnen genötigt sind. Die Sinne sind Brüder, die Diener und die Brüder des Gedankens; das Wort endlich ist nur die Hülle und einigermaßen die Wohnung des Verstandes, der unser Vater ist. « Auf einer anderen Stelle ist ihm Hagar, die mit Ismael aus dem Hause Abrahams weggetrieben wurde, das Bild der enzyklischen Wissenschaft, dem er hinzufügt, dass jeder, der nach einem erhabenen Range in der Geisterwelt strebt, den Patriarchen sich zum Muster nehmen müsse. Deutlicher spricht er dies in einem anderen Satze aus: «Priester und Propheten sind die, welche nicht teilhaben wollen an dem Bürgerrecht dieser Welt, sondern alles Sinnliche überfliegen, in die Welt des Geistes sich begeben und dort ihre Wohnung nehmen«, ferner: »Wenn du am Göttlichen teilnehmen willst, so musst du nicht bloß den Leib, die sinnliche Wahrnehmung und die Rede verlassen, sondern auch aus dir selbst musst du in prophetischer Begeisterung in einer Art korybantischen Wahnsinnes heraustreten; es muss dir sein, wie einem sprach- und bewusstlosen Kinde. »Wenn der göttliche Wahnsinn prophetischer Begeisterung über den Menschen kommen soll, so müssen die Sinne des Bewusstseins in ihm untergehen; das menschliche Licht in dem göttlichen verschwinden; die Extase ist die wesentliche Form der Prophetie.« Der Prophet redet alsdann nichts Eigenes, sondern während sein eigenes Denken und Bewusstsein verschwunden ist, wohnt der göttliche Geist in ihm und bewegt ihn willenlos, wie die Saiten eines musikalischen Instruments. Diese philonischen Angaben der Vorbedingungen der Prophetie sind bekanntlich im Sinne des heidnischen Altertums, wo Extase und Verzückung und Geistesabwesenheit Eigenschaften der Seher sind in dem Augenblicke, wo sie die Weissagung empfangen und dieselbe verkünden sollen. In der Bibel und im talmudischen Schrifttum gelten Geistesabwesenheit, Verzückung und Extase als Zeichen des falschen und trügerischen Propheten. Die Bedingungen und Zeichen des wahren Propheten sind da entgegengesetzt: volles Bewusstsein, vollständige Geistesreife und ein hoher Grad erlangter Weisheit. Von einer Aszetik, die auf Unterdrückung, Störung und Vernichtung aller leiblichen Bedürfnisse oder besser alles sinnlichen Lebens ausgeht, ist da keine Erwähnung. »Dieser Wahnsinnige«, »dieser Verzückte«, sind in der Bibel Bezeichnungen des Propheten im spöttischen, ironischen Sinne, dem man keinen Glauben zu schenken habe, des falschen Propheten. Gegen die Annahme, dass zum Empfange der Prophetie es keiner vorbereitenden geistigen Bildung, keiner vorherigen Aneignung von Weisheit bedarf, erklärt der Talmud: »Gott gibt nur dem Weisen, der schon Weisheit besitzt.« Bestimmt sind die Angaben über die Vorbedingungen der Prophetie in folgenden Lehren: »Die Gottheit (Schechina) offenbart sich nur dem Weisen, dem Starken, d. h. dem sittlich Starken und dem Reichen, d. h. dem sittlich Reichen, alle drei vereinigten sich in Moses.« Ein anderer Ausspruch darüber lautet: »Die Gottheit offenbart sich nicht in Folge des Trübsinnes, der Trägheit, aber auch nicht auf Scherz und Leichtsinn, sondern nur auf die Freude in Folge eines vollbrachten Gottesgebotes.« Spätere Volkslehrer zählen sieben Eigenschaften des Propheten auf, unter denen die freudige Stimmung besonders hervorgehoben wird. Weiter lehren sie ausdrücklich, dass der Prophet in dem Augenblicke des Empfanges der Prophetie nicht sein eigenes Bewusstsein verliert, so dass die Verschiedenheit der Subjektivität des Propheten in seinen Weissagungen hervortritt: »Nicht zwei Propheten weissagen in einer Weise«; ferner »Alles, was Jesaja gesehen, hat auch Jecheskel geschaut. Aber Jesaja gleicht in seinen Reden einem Städtebewohner, der den König schaut, dagegen Jecheskel dem Dorfbewohner, der den König sieht.«
c. Das Gesetz. In den Philosophe-men über das Gesetz sehen wir endlich Philo gegen seine obigen Theorien von der Welt, dem Leiblichen und Sinnlichen Lehren aufstellen, die deutlich seinen Bruch mit denselben und seine Rückkehr zu den biblischen Anschauungen verkünden. In denselben erscheint Philo wie umgewandelt, er will nur das Gesetz in seinen Lehren und Anordnungen vernunftgemäß darstellen und dieselben als Träger höherer Ideen nachweisen, aber behauptet dessen Verbindlichkeit und Unumstößlichkeit für alle Klassen des jüdischen Volkes, auch für die Gebildeten und Propheten, welche die Lehren und die Ideen, die durch die Gesetze symbolisiert werden, auch ohne diese Hülle, das Gesetz, zu fassen vermögen. Philo bekennt sich somit als strenggläubiger und gesetzestreuer Jude und aus seiner Gesetzesauffassung ersehen wir, dass er es aus Überzeugung gewesen; er war kein Mann der Formfrömmelei, sondern ein von den Ideen des Judentums erleuchteter und durchdrungener Jude. Das Gesetz, das den Menschen auf die Welt und die Gesellschaft verweist, ihn zu Werken gegen dieselben verpflichtet, welche die Erhaltung und Förderung derselben bezwecken mit der Anweisung, dass er in diesen weltlichen Werken seine Glückseligkeit und wahre geistige Vollendung suchen und finden soll, ein solches Gesetz, das dem Menschen nur durch das Weltliche den Weg zum Göttlichen, zur geistigen Vollkommenheit und Seligkeit zeigt, kann auf keine Anhänger und Verehrer bei denen zählen, die das Weltliche als Stätte des Bösen und der Sünde halten. Die Verachtung und Verwerfung alles Weltlichen und die Zurückziehung von allen ihren Werken, um so losgelöst von derselben zur inneren Beschaulichkeit zu gelangen, sind, nach ihnen, die Mittel zur wahren Glückseligkeit. Philo, der diese Philosopheme teilte, dieselben lehrte und deren Richtigkeit nachwies, durfte, um konsequent zu sein, kein Anhänger des Gesetzes in seiner praktischen Bedeutsamkeit werden und hätte sich mit der Erfassung dessen Geistes und der den Gesetzen zu Grunde liegenden Ideen begnügen müssen und nicht dessen Verbindlichkeit als unumstößliche Bedingung für sich und die anderen Glaubensgenossen hinstellen. Aber er hat anstatt dessen die Verpflichtung für die wirkliche Vollziehung des Gesetzes ausgesprochen, das bezeugt die Rückkehr Philos zu den biblischen Anschauungen von der Welt und der Menschenbestimmung. Das Judentum hat in ihm die heidnischen Anschauungen von der Welt besiegt, und er bekannte sich zu den durch das Gesetz angegebenen weltlichen Mitteln, äußeren Werken, die ihm zur inneren Vollendung und Glückseligkeit verhelfen sollen. »Es gibt Leute«, lehrte er, »welche die geschriebenen Gesetze für Sinnbilder geistiger Lehren halten, letztere mit aller Sorgfalt aufsuchen, erstere aber verachten. Leute der Art kann ich nur tadeln, denn sie sollten auf beides bedacht sein, auf Erkenntnis des Verborgenen und auf Beobachtung des offenen Sinnes. Nun aber leben sie ganz für sich, als wären sie in einer Wüste oder nur körperlose Seelen, sie wissen nichts von der Stadt, von dem Dorfe, nichts von ihrem Hause, nichts von dem Verkehr mit anderen Menschen und wollen alle Ansichten der Menge überflügeln und die nackte Wahrheit erhaschen, da doch die heilige Schrift sie auffordert, für den guten Ruf Sorge zu tragen und nichts in den Gesetzen abzuändern, die von außerordentlichen und gottbegeisterten Männern gegeben wurden. Denn wenn auch unter der Feier des Shabbaths ein tieferer Sinn verborgen ist, dass Gott allein Tätigkeit, dagegen der Kreatur Leiden zukommt, so wollen wir deshalb keineswegs die betreffenden Vorschriften über seine Heilighaltung verletzen, wir dürfen also am Shabbathe kein Feuer machen, die Erde nicht bebauen oder Lasten tragen, anklagen, richten, anvertrautes Gut zurückfordern u. a. m. Und wenn jedes Fest eigentlich nur ein Sinnbild der Seelenfreude und der Dankbarkeit gegen Gott ist, so dürfen wir deshalb die gewöhnlichen Feierlichkeiten und Gebräuche nicht aufgeben. Desgleichen wenn die Beschneidung eigentlich Entfernung von jeglicher Leidenschaft und Wolllust und von gottlosen Gedanken bedeutet, so dürfen wir deshalb den anbefohlenen Gebrauch nicht hinten ansetzen. Denn hielten wir nur den höheren Sinn fest, müssten wir ja auch der Heiligung im Tempel und Tausenden anderen notwendigen Feierlichkeiten entsagen. « Auf einer anderen Stelle sagt er: »Der mag den äußeren Brauch vernachlässigen, der des Körpers ledig und als reiner Geist das Irdische abgestreift hat. So lange wir aber weder körperlos sind, noch in der Wüste leben, sind wir an die irdische Form gebunden und haben die Wahrheit nicht ohne die Hülle.« Wie Philo hier die Ideen des Shabbaths, der Feste und der Beschneidung darstellt, so versteht er die Lehren auch aller anderen Gesetze aufzufinden und klarzulegen. Es dürfte nicht uninteressant sein, Philo auf diesem Wege seiner Forschung zu folgen und seine Resultate, so weit es hier der Raum gestattet, anzuführen; sie bilden einen bedeutenden Beitrag zur Schriftauslegung unserer Midraschliteratur. Von denselben nennen wir:
I. Die des Kultusgesetzes. In dem Opfer erkennt er nur eine symbolische Handlung; es soll darstellen, wie wir den Tod verdienen. Gott will nur die Gesinnung, die das Opfer begleitet, die auch da ist, wo kein Fleisch verbrannt wird. Gott ist allwissend, auch gehört ihm alles, nicht er bedarf des Opfers, sondern der Mensch. Auch die Gesetzeslehrer im Talmud haben dieselbe Auffassung vom Opfer: »So der Arme seine Mehlopfer darbringt, rechne ich es ihm an, als wenn er sich selbst geopfert hätte.« »Der eine viel und der andere wenig, wenn nur die Richtung des Herzens zu Gott war.. Von tiefer Religiosität atmen seine Worte über den Versöhnungstag. »Wer bewundert und verehrt nicht den jährlich wiederkeh renden Fasttag. Denn wenn man starken Wein, kostbare Mahlzeiten, und überhaupt üppige Speisen und Getränke genießt, durch die den unersättlichen Begierden des Magens gefrönt wird, befördert man auch die unkeuschen Triebe. Wo es aber nicht erlaubt ist, Speise oder Trank zu sich zu nehmen, damit jeder mit reinem Gedanken ohne Behinderung und Abwendung durch leibliche Leidenschaften das Fest feiern möge, da flehen alle zum Vater der Welt mit frommem Gebet, um dadurch die Vergebung der früheren Fehltritte, auch um die Verleihung neuer Wohltaten zu erbitten.« Mehr allgemein als tief ist seine Auffassung von den Speisegesetzen. »Es dürfen«, sagt er, »nur Tiere gegessen werden, die gespaltene Klauen haben und wiederkauend sind (3. M. 11); das Wiederkauen ist das Bild des Gedächtnisses. Es ruft sich mancher Jünger der Wissenschaft seine Wahrnehmungen zurück, aber er scheidet nicht das Gute vom Schlechten, darum wird die geteilte Klaue verlangt, dass er teile und scheide. Mit einem richtigen Gefühl erkennt er in den Gesetzen von den Tieren, das Neugeborene nicht vor acht Tagen weder zu seinem eigenen Gebrauch, noch als Opfer zu schlachten, ebenso nicht den Vater mit seinem Jungen an einem Tage zu töten, nicht das Zicklein in der Milch seiner Mutter zu kochen u. a. m., die Idee der Liebe in das Menschenherz zu pflanzen und jeden Akt der Grausamkeit von ihm fernzuhalten.« »Mit diesen Gesetzen«, lehrte er, »verlangt unser Gesetzgeber auch für die Tiere Sorgfalt, damit wir dadurch gewöhnt werden, mit umso größerem Eifer Menschenliebe zu üben, jedes Unrecht zu fliehen. Mögen immerhin die Sykophanten unserem Volke Lieblosigkeit, unserem Gesetze Schroffheit vorwerfen; Gesetzen, von denen selbst die Tiere so sanft behandelt und die Menschen von zartester Jugend an Milde und Liebe zu üben gewöhnt werden.. So sagt er in Betreff des ersten Gesetzes: »Es sei ja eine grausame, jeder Menschlichkeit hohnsprechende Handlung, den Gebärenden nachzustellen, um ihnen das Neugeborene wegen eines Magens-oder Gaumenkitzels zu entreißen.« Er stellt diese Anordnung denen entgegen, welche die Kinder gleich nach der Geburt aussetzen und dem Tode preisgeben. In Bezug auf das Zweite hören wir ihn ausrufen: »Denn welch einen Genuss kann eine Kost, die aus einer Mischung von milchhaltigem Fleische des Säuglings und den Eingeweiden der Mutter besteht, bereiten? « Zur Er' klärung des Dritten- heißt es: »Er hält es nämlich für höchst sündhaft, dasjenige, was dem lebenden Tiere zur Nahrung gedient hat, zur Würze des Getöteten zu verwenden und meint, es sei der äußerste Grad von Unmäßigkeit, die von der versorglichen Natur zur Erhaltung der Gattung den Brüsten gespendete Milch in solcher Weise zu missbrauchen.
2. Die Rechts- und Sittenlehre. Von den Kriegsgesetzen 5. M. 20. 5 erklärt er die Ansprache an die Krieger, welche diejenigen vom Kampf befreit, die ein neues Haus gebaut und es noch nicht bezogen; eine Frau sich angelobt, einen Weinberg gepflanzt und noch nicht die erste Weinlese gehalten haben, in Folgenden: »Zieht den Krieger ein tiefes, inneres Verlangen vom Schlachtfelde weg, so lodert der kriegerische Geist minder auf und die Kriegslust bricht nur gedämpft hervor. Der Betreffende ist mit seinem besseren Teile, dem Geist, abwesend.« Dem Gesetze über die Friedensvorschläge vor Beginn des Krieges liegt die Idee zu Grunde, dass man in Folge der Annahme Freunde gewinnen und bei Nichtannahme derselben die Krieget; gestützt auf ihre gerechte Sache, mit Siegeszuversicht in den Krieg stürmen können. Das Verbot des Wuchers schärft er mit folgendem Nachdruck ein: »Man betrachte nur jene schmutzigen, mitten in ihren Reichtümern lechzenden und verschmachtenden Obolusmänner, die man Goldkönige nennen könnte. Diese Erbärmlichsten aller Menschen, die selbst mit den Nahrungsmitteln wuchern, als ob sie durch Not darauf angewiesen wären. Solche gemeinen, verwahrlosten, schmutzigen Seelen — Wucherer wollte unser Gesetzgeber aus seinem heiligen Staate verbannt wissen.« In voller Lobeserhebung spricht Philo über die Staatsinstitutionen des Shabbathjahres nach je sechs Jahren und des Jubeljahres nach je 49 Jahren und ihre Gesetze, wo der Erde eine Erholung gegönnt wird, der Sklave seine Freiheit und der Besitzlose seinen veräußerten Besitz wieder erhält. Er sieht in ihnen die göttliche Fürsorge für den Besitzlosen und den Armen. Nicht minder wichtig erscheinen ihm die Gesetze über den Fremden und den Feind, die von einer höheren Menschenliebe zeugen. »Weiter befiehlt das Gesetz, dem Fremden, Proselyten, der nach Ablegung seiner heidnischen Sitten und Gebräuche den Göttern den Rücken kehrt und in das heilige Land einwandert, als Teilnehmer an allen materiellen und geistigen Gütern, als Genossen in Freud und Leid zu betrachten und ihn als Glied eines und desselben Körpers, alle Vorteile desselben genießen zu lassen. Ich will es nicht besonders hervorheben, dass das Gesetz anordnet, dem Eingewanderten Speise, Trank, Kleidung nebst anderen zum Leben nötigen Sachen zu reichen, denn das ergibt sich von selbst in einem Staate, dessen Bürger die Eingewanderten, wie sich selbst, achten und schätzen. « Die gegen den Feind zu erweisende Menschenliebe befehlen die Gesetze 2. M. 23. 4. 5, die verirrten Tiere des Feindes zurückgeben; dem Esel des Feindes, der unter seiner Last hinstürzt, aufzuhelfen u. a. m. Philo fügt denselben hinzu: »Dieses' ist nicht nur ihm (dem Feinde), sondern auch dir von Nutzen. Wer eine Wohltat empfängt, ist zur Versöhnung geneigt, und wer sie erteilt, fühlt sich zu dem hingezogen, dem er sie erteilt, und so erwacht ein Gefühl der Annäherung, das dem Einzelnen und der Gesamtheit zum Heile ist. « Einen anderen Zug von Menschenliebe erkennt Philo in dem Gesetze, den Tagelöhner seinen Lohn am Abend sofort zu zahlen (5. M. 24. 14. 15; 3. M. 19. 14). »Wird dieser (der Lohn), ihnen zur Zeit ausgezahlt, so erzeugt dieses nicht bloß eine augenblickliche Freude bei den Empfängern, es macht sie auch arbeitsfroher für den kommenden Tag, im anderen Falle werden sie verstimmt und untauglich für die Arbeit. « In Bezug auf die Ernte, Oliven- und Weinlesegesetze, keine Nachlese zu halten und die Ecken des Getreidefeldes für die Armen zu lassen (3. M. 19), sagt er: »So erbarmt sich Gott wie ein liebreicher Vater, da er sieht, dass nicht alle seine Kinder vom Glücke gleich begünstigt sind, seiner notleidenden Kinder, heißt sie in die Besitztümer ihrer Brüder gehen und dort in aller Bescheidenheit sich so viel zu holen, als ihre notwendigsten Bedürfnisse erheischen, wodurch sie gewissermaßen zu Miteigentümern nicht nur der Früchte, sondern auch der Felder werden.« Ein anderes Gesetz, das von der Nichtverrückung der Grenzen (5. M. 19. 14), enthält nach ihm auch das Gebot zur Beobachtung alter Sitten, der Verordnungen der Männer der Vorzeit. »Es sind die Kinder verpflichtet, das Erbe der Väter anzutreten, die väterlichen Sitten und ihre Überlieferungen nicht zu verachten.« Ebenso erklärt er das Verbot 5. M. 22. 5: Es ziehe nicht der Mann die Kleider des Weibes an, dass der Mann überall als tapferer Kämpfer gegen Laster und Sinnlichkeit auftreten und keine Spur von Weichlichkeit, wie sie im weiblichen Gewand sich ausdrückt, an sich tragen soll. Aber auch: »Die Frau soll nicht männliches Gewand tragen (das.), d. h. dass im Staate weder weibische Männer, noch Mannfrauen sein, beides ändert die Ordnung. « Diese und ähnliche bald im Gesetze nur angedeutete, bald auch offen ausgesprochene Grundangaben der Gebote erscheinen ihm als eine weise Fürsorge, weil das Gesetz nicht für Sklaven, sondern für Freie bestimmt war und mehr eine Mahnung und Aufforderung als ein Befehl sein soll. Einen Hauptgrund des Gesetzes in seiner Gesamtheit, als Prinzip des ganzen Gesetzes, stellt er die Gottähnlichkeit in ihrer praktischen Bedeutung auf: dass wir nach Kräften Gott nachahmen und keine Gelegenheit, Gott ähnlich zu werden, fahren lassen mögen. Auch die Gesetzeslehrer im talmudischen Schrifttum nennen die Gottähnlichkeit als Prinzip des Sittengesetzes. Nur in der Definition dieser Gottähnlichkeit unterscheidet sich Philo von den Gesetzeslehrern in Palästina. Diese stellen die geoffenbarten Liebeswerke Gottes an den Menschen als Muster zur Nachahmung auf, aber Philo gibt einen anderen Modus an. »Du kannst aber«, lehrt er, »Gott insofern ähnlich werden, als du die dir von dem Mächtigeren zuteil gewordene Stärke in derselben Weise anderen zugute kommen lässt, wie du durch dieselbe beglückt wurdest. Denn dem allgemeinen Wohl gelten die Gnade und die Wohltaten Gottes, dass man sie freigebe und sie gleichsam zu einem öffentlichen Mahle mache, an welchem alle Anteil haben. Es werden somit die Reichen, Berühmten, Mächtigen und Gelehrten aufgefordert, ihre Nächsten reich, kräftig, gelehrt und überhaupt gut zu machen. Überhaupt ist das Ziel, welches unser heiliger Gesetzgeber in seiner ganzen Gesetzgebung anstrebt, dieses, dass Eintracht, Freundschaft und Gleichheit der Sitten allenthalben vorwalten, wodurch die Familie, der Staat, die Völker und die Reiche und endlich das gesamte Menschengeschlecht zur höchsten Glückseligkeit gelangen können.« Auf einer anderen Stelle heißt es darüber von ihm: »Das Gesetz enthält das in der Natur sich offenbarende Gesetz; es gibt somit die Anleitung nach der Natur (naturgemäß) zu leben. Der Gesetzestreue soll dem Vorbild der Natur nacheifern und sein Leben nach den Ordnungen der Welt einrichten.« Philo ist für das mosaische Gesetz so sehr begeistert und von der Wichtigkeit desselben für die ganze Menschheit so tief durchdrungen, dass er ihm Unvernichtbarkeit und die Zuwendung aller Völker prophezeit. Nur Moses Gesetze bleiben fest, unerschütterlich, unzerstörbar, wie mit dem Siegel der Natur selbst bezeichnet, ununterbrochen von dem Tage ihrer Erteilung bis auf unsere Zeit, und sie werden zuversichtlich als unsterblich immer bestehen, so lang noch Sonne, Mond, Himmel und die ganze Welt bestehen. »Ich glaube, spricht er, die Menschen werden ihre eigenen Gebräuche unterlassen, die väterlichen Sitten aufgeben und nur noch diese Gesetze verehren. Denn bei glücklicher Lage des Volkes werden auch diese Gesetze heller aufstrahlen und die anderen alle verdunkeln, wie die aufsteigende Sonne die Sterne. « So groß auch die Begeisterung Philos in dieser Auffassung des Gesetzes und in dem an dieselbe sich knüpfenden Räsonnement war, vermochte sie doch nur wenig den aufgeklärten Juden in Alexandrien Achtung vor dem mosaischen Gesetze einzuflößen und sie zur Beobachtung derselben zu bewegen. Philo allein bildete und blieb unter ihnen eine Ausnahme in der gewissenhaften und pünktlichen Vollziehung des Gesetzes. Wäre ja er selbst in der konsequenten Richtung seiner oben angegebenen Philosopheme, wie wir schon bemerkt haben, zur Verwertung des Gesetzes in seiner wirklichen Vollziehung gelangt, wenn nicht in ihm die Pietät und die Anhänglichkeit an dem ihm überkommenen väterlichen Glauben obsiegt hätten. So war dieses Festhalten an dem Gesetze von Seiten Philos eine Abweichung von der griechischen Bildung und der griechischen Philosophie, dem Platonismus und der Stoa, die nur für ihn, aber nicht für andere der griechisch gebildeten Juden, aus deren Herzen längst jede Pietät für die väterliche Religion geschwunden war, maßgebend sein konnte. Die Konsequenz dieser Richtung trat im Christentum hervor, und zwar durch Paulus, der, als Hellenist, sich offen von jeder Verpflichtung zur ferneren Gesetzesvollziehung gegen die Lehren der Judenchristen in Palästina, die nicht aus dem Hellenismus hervorgegangen waren, lossagte und auch die anderen Anhänger des Christentums, das seine Dogmen auf dem Boden der alexandrinischen Philosopheme aufbaute, davon entband. Unter den Juden in Palästina, und wohl auch bei ihren gesetzestreuen Glaubensgenossen in Alexandrien, erregte dieser offen zutage tretende Abfall vom Gesetze als Konsequenz der alexandrinischen Philosophie, deren Vertreter Philo gewesen, eine tiefe Entrüstung. Von Seiten der Gesetzeslehrer in Palästina erhoben sich Proteste dagegen. Man ging noch weiter und wollte von der ganzen zum Teil oben genannten allegorischen Gesetzeserklärung und Gesetzesauffassung der Alexandriner nichts wissen und hielt dieselbe als eine unjüdische und zum Abfall führende. Zunächst war es jene alexandrinische, oben auch zitierte Gesetzesauffassung, welche als Grund vieler Gebote die Liebe und Barmherzigkeit Gottes gegen Menschen und Tiere angab, die bekämpft und als sektiererisch, minäisch perhorresziert wurde. »Wer da spricht«, heißt es in der Mischna an mehreren Stellen: »Gott über ein Vogelnest erstreckt sich deine Barmherzigkeit (eine Anspielung auf 5. M. 22. 5, das Gesetz vom Auffinden eines Vogelnestes) und wegen des Guten wird dein Namen gedacht! Den heiße man schweigen.« Die Kürze dieses Satzes beweist dessen Alter. Ein Lehrer des dritten Jahrhunderts n., R. Sebid, gibt als Grund hierzu an: »Weil dadurch Gottes Eigenschaften nur Liebe und Barmherzigkeit werden, die doch auch die strenge Gerechtigkeit zu ihrem Grunde haben.« Das Gebet selbst, wovon die Mischna oben spricht, wird ausführlicher zitiert und lautet: »Gott, wie du dich der Mutter mit dem Küchlein erbarmst (5. M. 22. 5), Mitleid hast gegen die Mutter mit ihren Jungen, sie nicht an einem Tage schlachten zu lassen (3. M. 22. 28), erbarme dich unser!. Ein Lehrer des dritten Jahrhunderts n., R. Jose ben Abia lehrte: Wer zur Übersetzung der Gebote im 3. M. 22. 28 hinzufügt: »Mein Volk! So wie wir im Himmel barmherzig sind, sei auch du auf Erden! «, tut Unrecht, denn man macht dadurch die Gesetze Gottes nur zu Werken der Barmherzigkeit. Man ging darin weiter und hielt jede Forschung nach dem Grund der Gesetze, jede Angabe über deren Ursache als sündhaft und ketzerisch. Die Gesetze sollten nur als Befehle Gottes gelten, nach deren Grund zu fragen uns nicht zusteht. Als ersten Volks- und Gesetzeslehrer dieser Richtung nennen wir R. Jochanan b. Sakai im ersten Jahrhundert n., er rief belehrend seinen Jüngern wegen des Gesetzes der Reinigungsasche zu: »Wisset, nicht das Sprengwasser mit der Asche reinigt, auch die Leiche verunreinigt nicht, aber ein Gesetz Gottes ist es, nach dessen Grund wir nicht zu forschen haben. « In demselben Sinne lehrte am Anfange des zweiten Jahrhunderts n. R. Elasar ben Asaria: »Der Mensch sage nicht, ich möchte nicht dieses oder jenes Verbotene genießen, sondern spreche: Ich möchte es, aber mein Vater im Himmel hat es verboten, da man dadurch das Gottesreich auf sich nimmt. « Ein anderer Lehrer dieser Zeit, R. Jizchak, gibt deutlich die Verleitung zur Nichtvollziehung des Gesetzes als Ursache an, weshalb man nicht nach dem Grund des Gesetzes forschen soll. »Weshalb sind die Gründe der Gesetze nicht in der Schrift angegeben?« »Siehe«, antwortete er darauf, »zweimal offenbarte das Gesetz den Grund, aber dies verleitete den König Salomo zur Gesetzesü- bertretung. Das Gesetz verbietet dem König, sich viele Frauen zu nehmen«, und gibt hierzu den Grund an: »damit sie sein Herz von Gott nicht abführen. Da dachte sich Salomo, ich werde nicht von Gott abweichen und heiratete viele Frauen. Was geschah? »Es war in den alten Tagen Salomos, und seine Frauen wendeten ihm sein Herz von Gott ab (1. K. 16).« Ferner verbietet das Gesetz dem König, sich viele Pferde anzuschaf- fen, dem er hinzufügt: »damit er nicht nach Ägypten zurückkehre.« Da sprach Salomo: »Ich schaffe mir viele Pferde an und werde trotzdem nicht nach Ägypten zurückkehren. « Doch geschah es, dass er später nach Ägypten kam (1. K. 16). In demselben Sinne eifern noch die Lehrer des dritten Jahrhunderts n. R. Jose ben Chanina lehrte in Bezug auf das Gesetz von der roten Kuh (4. M. 19): »Gott hat Moses den Grund des Gesetzes offenbart, aber anderen sie verborgen.« Auch im vierten und fünften Jahrhundert n. eifern noch die Volkslehrer unermüdlich gegen die Angaben von Gesetzesursachen. »Lohn werden die erhalten, welche die Gründe des Gesetzes verheimlichen, die der Alte an Tagen (Gott) verheimlicht hat«, lautet die Lehre des einen. Der andere sagt: »Und die Zerrüttung unter deiner Hand« (Jesaja 3), das sind die Sachen, die die Menschen nicht eher erkennen, bis sie daran straucheln, nämlich die Erforschung der Gründe des Gesetzes.« Das alles vermochte jedoch nicht die Forschungen nach den Gesetzesgründen völlig zu beseitigen. Es haben sich dieselben ganz nach dem Vorbilde der alexandrinischen Philosophie während der ganzen talmudischen Zeit immer wiederholt. Vor Rabbi, einem Lehrer im vierten Jahrhundert n., trug ein Gelehrter folgendes Gebet vor: »Herr, du schontest des Vogelnestes, o schone und erbarme dich unser! Du hattest Mitleid mit dem Vieh, es nicht mit seinem Jungen an einem Tage schlachten zu lassen, o schone und erbarme dich unser!. Worauf ihm dieser entgegnete: »Wie sehr verstehst du deinen Schöpfer zu bereden!. Wir haben also noch im vierten Jahrhundert n. eine Wiederholung der obigen philonischen Gesetzesauslegung in Form eines Gebetes. Ein ganzes Stück dieser Art philonischen Gesetzesauffassung bei den Gesetzes- und Volkslehrern hat sich noch im Midrasch erhalten. Dasselbe lautet: »Am achten Tage bestimmte das Gesetz die Beschneidung, denn Gott hatte Barmherzigkeit zu warten, bis das Kind gekräftigt sein werde. Wie Gottes Barmherzigkeit sich über den Menschen erstreckt, so auch über das Vieh; erst vom achten Tage und weiter darf das Neugeborene geschlachtet werden« (3. M. 22); das Vieh mit seinem Jungen soll nicht an einem Tage getötet werden (das.). Auf gleiche Weise erbarmte sich Gott über das Geflügel, ein Beweis dafür ist das Gesetz von dem Auffinden eines Vogelnestes (5. M. 22. 6). Auch die Angaben anderer Gesetzesgründe werden ungescheut vorgetragen. So belehrt uns R. Levi (im 2. Jahrh. n.), dass die Kultusinstitution des Opfers eingesetzt wurde, um das Volk von der Opferung in den Götzentempeln zurückzuhalten, ein Prohibitivmittel gegen den Götzendienst. »Ein Prinz«, so heißt sein Gleichnis darüber, wurde hochmütig und erlaubte sich den Genuss verbotener Speisen. Hiervon erhielt der König, der Vater desselben, Nachricht und befahl diesem Sohne, täglich an seinem Tische zu speisen, damit er von seiner Sünde lasse. So verhielt es sich mit dem Opfergesetz. Israel war dem Götzendienst ergeben, brachte den Waldteufeln (Seirim) Opfer dar (3. M. 17. 8) und opferte auf Anhöhen. « Da befahl Gott: »Nun sollt ihr vor mir im Zeltheiligtum zu jeder Zeit eure Opfer darbringen, damit ihr vom Götzendienst zurückgehalten und gerettet werdet.« Besonders waren es die zur Mystik sich hinneigenden Volks- und Gesetzeslehrer, welche gern nach den Gründen des Gesetzes forschten. Es stellte Rabh (R. Abba im 3. Jahrh. n.) als Hauptgrund aller Gesetze im Pentateuch auf: »Die Gebote sind nur gegeben, um die Menschen sittlich zu läutern. Was liegt Gott daran, ob man das Tier am Halse oder am Genick schlachtet, wahrlich, die Gebote haben nur den Zweck, die Menschen durch dieselben sittlich zu läutern«, denn es heißt: ,»Das Wort Gottes ist eine Läuterung, ein Schild allen, die ihm vertrauen (Ps. 18. 31).« Wir machen auf diese Angabe Rabhs um so aufmerksamer, weil sie uns zugleich die Tötung der Tiere durch das Schlachten am Halse als Akt der Milde gegen dieselben vorführt, die den Menschen sittlich läutern, d: h. ihn an Werken der Schonung und Liebe gewöhnen soll. Wer erinnert sich dabei nicht der schönen Worte Philos: »Wer ferner gegen Tiere nicht hart zu handeln wagt, wird selbstverständlich daraus folgern, dass er bei weitem größere Rücksichten noch den Menschen schuldig ist. Durch solche Gesetze veredelte er (der Gesetzgeber) den Geist seines Volkes und befreite es auf diese Weise von der Anmaßung und dem Hochmut.« Auch die Targumim als z. B. das Pseudo — Jonathan — targum, scheut es nicht gegen obiges Verbot der alten Gesetzeslehrer die Liebe und Barmherzigkeit als den Grund des Gesetzes, »das Vieh mit seinem Jungen nicht an einem Tage zu schlachten« in Folgendem anzugeben: »Mein Volk, Söhne Israels! So wie euer Vater im Himmel barmherzig gegen euch ist, so sollt ihr auf der Erde Barmherzigkeit üben, ein Rind oder ein Lamm mit seinen Jungen nicht an einem Tage zu schlachten.« Eine ganze Ausbeute von Forschungen nach Gesetzes-gründen enthält das Soharbuch, die Bibel der Kabbala. Ebenso erschöpfen sich in Angaben von Gesetzesgründen die jüdischen Philosophen des Mittelalters: Maimonides in seinem Buch More Nebuchim Abschnitt III, 26 — 46; Sefer Hamizwoth Verbot 317 und Mischne Thora; Nachmanides in seinem Pentateuchkommentar an mehreren Stellen, vorzüglich im 5. Buch Moses u. a.m., von denen besonders der Verfasser des Buches »Sepher Hachinuch«, »Buch der Vorbereitung und Anleitung«, hervorzuheben ist.