Sohar
Posted 5 yrs ago
Buch des Sohar (Buch des Glanzes oder des Strahles), auch Midrasch Hasohar. Midraschartiges Sammelwerk der Kabbala in aramäischer Sprache, das in der Form eines theosophischen Kommentars zum Pentateuch sämtliche kabbalistischen Lehren, Philosopheme, Anordnungen u. a. m. zusammengestellt enthält und so das Grundbuch, die Bibel der Kabbalisten, bildet.
I. Name und Bedeutung. Dieses Buch kommt in den Schriften des Mittelalters unter verschiedenen Benennungen vor. Menahem Rekanati ( 1320) nennt es: »Buch des Sohar«, auch: »Buch des wundervollen Sohar«, oder: »Buch des großen Sohar.« Die Bezeichnung »Sohar«, Glanz, ist Daniel Vers 3, Kap. 12: »Und die Vernünftigen werden strahlen, wie der Sohar, Glanz des Himmels«, entnommen, weil dieses Buch mit der Erklärung dieser Bibelstelle beginnt. Bei einem Zweiten, Isaak Ibn Minir (1330), heißt es: Midrasch Hasohar, oder »Midrasch des R. Simon ben Jochai«, eine Bezeichnung nach der Angabe, R. Simon ben Jochai sei der Verfasser des Sohar. Ein Dritter hat den Namen in »Midrasch Vajehi Or«, nach dem Worte »Vajehi Or« in 1. M. 1, 3 »es werde Licht«, dessen Erklärung die erste Stelle in diesem Buche einnimmt. Endlich haben wir noch die Benennung in den jüngeren Ausgaben zu erwähnen: »Buch des heiligen So-har, von R. Simon ben Jochai.« Der Name »Neuer Sohar« ist die Benennung eines dem Sohar nachgearbeiteten Buches, das jüngere kabbalistische Stücke, die die Sprache, den Geist und den Stil des Sohar haben, enthält.
II. Bestandteile und deren Inhalt. Wie wir bereits in dem Artikel »Kabbala« angegeben, bildet das Soharbuch kein einheitliches Ganzes, sondern ist eine Zusammenstellung von älteren und jüngeren Lehren, Aussprüchen, Deutungen u. a.m. der Mystik und der Kabbala sowie von Zitierungen ganzer Stücke aus mystischen und kabbalistischen Schriften; es bildet im Ganzen, wie wir es oben bezeichnet haben, ein midraschartiges Sammelwerk der Kabbala. Die daselbst genannten Schriften sind: 1. Das Buch der Geheimnisse; 2. die große Versammlung; 3. die kleine Versammlung; 4. das Buch des Glanzes; 5. das Buch der Urgeheimnisse; 6. das Buch der Hallen; 7. Mischna und Tosephta; 8. der treue Hirt; 9. die Geheimnisse der Thora; 10. der geheim gehaltene Midrasch; 11. der Vortrag des Alten; 12.. der Vortrag des Jünglings. Spätere hinzu gekommene Schriften kennt man: a. Neuer Sohar; b. Anordnungen, Tikunim, alte und neue und c. Suplemente; d. Midrasch Ruth; e. Midrasch Schir Haschirim; f. Buch der Lichthelle; g. Abhandlungen: »Komme und sieh'«; h. Gesetzeserklärung und i. Frühere Werke. Wir versuchen dieselben nach Form und Inhalt einzeln näher zu charakterisieren.
I. Das Buch der Geheimnisse. Dasselbe ist eine der ältesten kabbalistischen Schriften. Das Buch Sohar lässt es von R. Simon ben Jochai zitieren, aber ausdrücklich als nicht von ihm verfasst. Für sein Alter sprechen ferner seine Defektheit, dass kein Verfasser desselben angegeben wird und die Id-ras (s. weiter) es nennen. Es wird mit Recht als das älteste der im Sohar zitierten Bücher angesehen. Das Ganze besteht mehr aus kurzen Sätzen, Aphorismen, und aus Andeutungen mit losen, aneinander gereihten Schlagwörtern der kabbalistischen Philosopheme und Grundlehren, die zum Selbstsuchen anregen. Es wird daher im Sohar mit Weizen verglichen, aus dem der Kundige die besten Speisen bereiten kann, aber wer denselben roh genießt, gibt sich als ein Wilder zu erkennen. Passend sind die einleitenden Worte: »Diese Lehren sind besser als alle anderen für den, der bei ihnen ein- und ausgeht«, d. h. der in ihnen bewandert ist. Es handelt im 1. Kapitel in Bezug auf Ezech. 1 u. 3 von der Schöpfungsgeschichte unter dem Bilde der Waage. Dieselbe symbolisiert die Ausgleichung und Vermittlung der Gegensätze und soll den Übergang vom Unendlichen zum Endlichen, von der absoluten Einheit zur Mannigfaltigkeit, von den reinen Intelligenzen zur Materie, wie derselbe ermöglicht wurde, vergegenwärtigen. »Bevor das Gleichgewicht«, heißt es, »hergestellt war, konnten sich die Gesichter (d. h. die Gegensätze) einander nicht betrachten, aber durch den Schöpfungsakt geschah ihre Vereinigung«. In Kap. II. werden die Gegensätze und ihre Vereinigung weiter besprochen; dieselben heißen daselbst »männliches und weibliches Prinzip.« Es scheint diese Aufstellung den Hauptinhalt des Buches gebildet zu haben, da es zum Anfange gleich die Notiz hat: »Das Buch der Geheimnisse ist das Buch, welches von der Waage handelt.« Weiter handelt das zweite Kapitel von den Gottesnamen, was in den Idras (s. weiter) weiter ausgeführt wird. Das 3. Kapitel bringt damit die 13 Gotteseigenschaften in Verbindung. Das 4. Kapitel hat Buchstabenmystik und Dämonologie; das 5. Kapitel bringt die Lehre von den Sephiroth (s. Kabbala) unter verschiedenen Bildern, als z. B. auch unter dem Bilde des Baumes.
2. Die große Versammlung. Dasselbe ist keine midraschartige Erläuterung eines Buches der Bibel, sondern behandelt ausführlicher die Themata aus dem das Buch der Geheimnisse, Siphra Dezniutha, und hat somit schon ein ziemlich systematisches Lehrgebäude der Kabbala, das zur Grundlage späterer kabbalistischen Arbeiten wird, dessen Lehren auch der Sohar zitiert. Es scheint ebenfalls eines der ältesten kabbalistischen Schriften zu sein; sein Name »Idra«, Session, Sitzung, auch Versammlung, deutet auf einen Kreis von Eingeweihten, in deren Mitte diese Lehren vorgetragen wurden. Solche Lehrversammlungen fanden in hierzu bestimmten Häusern, aber auch auf freiem Felde unter Bäumen statt. Dieses Buch lässt angeblich R. Simon ben Jochai den Bund der Eingeweihten berufen, in deren Mitte er den Vorsitz hat und die rätselhaften geheimnisvollen Lehren des Buches der Geheimnisse aufklärt. Die Behandlung des Themas geschieht in dialogischer Form, wo der Vortragende ganz seiner intuitiven Betrachtung folgt. Das Buch tritt gegen die bisherige Lehrweise des grobsinnlichen Anthropomorphismus auf und spricht über den Gebrauch desselben einen Fluch aus. »Fluch dem Manne, der ein Götzenbild usw. anfertigt (5. M. 27. 15.); es ist Zeit, heißt es daselbst, für Gott zu handeln, denn sie vernichten deine Thora, d.i. die obere Lehre, die vernichtet ist, wenn dem nicht abgeholfen wird.« Es gebraucht die Anthropomorphismen, aber nur als Bilder zur Verdeutlichung seiner Schöpfungsphilosopheme, ein Verfahren gegen die anthropomorphistischen Angaben der Mystik, die die Anthropomorphismen nicht als Bilder, sondern als wirkliche Realitäten vorführt. So bringt es die Lehre von den Urideen, hier Urkönige genannt, zur Darstellung seiner Schöpfungstheorien. Nicht unerwähnt lassen wir die dort vorgeführte anatomische Beschreibung der Gehirnhöhlen und ihrer Membranen sowie des inneren und äußeren Gehirnganges, als Angabe der Kommunikationsmittel zwischen der Sinnenwelt und dem Sitz der Intelligenz mit mehreren physiognomischen und physiologischen Bemerkungen. Der Mensch ist hier (vergl. Ezech. 1. 26.) als Urtypus des Universums, als Allform der Schöpfung und Gesamtbild der Sephiroth und deren Emanation. Des Menschen Gehirn, Haupthaare, Bart usw. werden zu Bildern der Emanation. Weiter wird in der Lehre von der Einwirkung Gottes auf die Welt »Gott an sich« von »Gott, wie er in seinem Wirken hervortritt«, also von dem »Gott der Offenbarung« geschieden, doch nicht als zwei getrennte Wesen, sondern nur als Gott in seiner Wesenheit und Gott durch sein Werk; letzterer heißt: »Kleines Gesicht.« Endlich ist daselbst die Dämonologie das dritte ausführlich behandelte Thema.
3. Die kleine Versammlung. Diese Schrift hat die Rekapitulation der Lehren der Idra Rabba in klarerer Darstellung. Vorzüglich ist es die Sephirothlehre, die zur Behandlung kommt. Neu erscheint hier die häufige Buchstabenmystik, die in der großen Idra noch selten ist. Rezitiert werden daselbst das Buch der Geheimnisse, Siphra Dezniutha, ein Hagadabuch des R. Juda und des R. Hamnuna. Danach ist die Idra Sutta viel jüngeren Ursprunges, sodass sie im Sohar nirgends genannt und nur ihm als Schlussstein hinzugefügt wurde. In demselben sind die Mitteilungen des R. Simon ben Jochai vor seinem Tode. Das Hauptthema ist auch hier die Lehre von dem Gottesbegriff des »Gott an sich« und des »Gott in der Welt«; also von der Transzendenz und der Immanenz Gottes. Die Bezeichnungen für diese Scheidung sind auch da, wie im vorigen Buch, »das große Gesicht«, »das kleine Gesicht«. Ausführlich ist da die Lehre von den Sephiroth, den Gottesnamen, wozu auch hier der Mensch mit seinen Augen, Ohren, seiner Stirne und anderen Gliedern, besonders mit seinem Gehirn als Bild der Emanationsgestaltung vorgeführt wird. Nicht minder ausführlich ist da die Darstellung von den Urideen, Urkönigen und den Urwelten. Viele der Urwelten gehen unter, sie sind unvollkommene, aus denen sich das Böse entwickelte, bis die vollkommene da ist.
4. Der eigentliche Sohar, das Soharbuch. Wir verstehen darunter den ganzen unter diesem Namen vorhandenen midraschartigen, theosophischen Kommentar zum Pentateuch mit Ausschluss der ihm angehängten Schriften und der in ihm aus anderen Büchern zitierten Stücke. Dieses Soharbuch unterscheidet sich von den oben genannten drei Schriften, dass es für die in diesen vorgebrachten kabbalistischen Lehren, Philosopheme u. a. m. midraschartig in der Schrift Begründungen oder Andeutungen aufsucht und so dieselben aus ihr herzuleiten, in ihr nachzuweisen oder wenigstens an sie anzuknüpfen sich bemüht. In dieser Gestalt vereinigt es in sich alle bis dahin bedeutenden Leistungen auf dem Gebiete der Geheimlehre, der anthropomorphistischen Mystik und der Kabbala, deren Resultate hier im Sinne der letzteren verarbeitet werden, sodass beide erstere in diese völlig aufgehen und nur noch als Entwicklungsphasen derselben Geltung und Bedeutung zu haben scheinen. Zu seinem Inhalte hat es, wie wir schon angegeben, sämtliche Themata der obigen drei Schriften, die hier ausführlicher mit Anlehnungen an die Schrift behandelt werden. Nebenher werden Sagen, Gleichnisse und agadische Erläuterungen aus der Midraschliteratur eingestreut mit anderen Notizen und Bemerkungen auch aus profanen Wissensfächern als z. B. aus der Astronomie, Geographie, Zoologie u. a. m. Da wir in dem Artikel »Kabbala« und hier weiter die soharitischen Lehren der genannten Themata bringen, wollen wir jetzt nur Einzelnes aus diesem Soharbuche notieren. S. 79b. wird das »Moses stieg zu Gott hinauf« im rationellen Sinne als eine geistige Erhebung zu Gott erklärt: »Andere erheben sich zur Größe und Reichtum, aber Moses Erhebung war zum Göttlichen«; S. 87a. wird das Gebot »Du sollst Dir kein Götzenbild machen« als Mahnung, den Irrlehren nicht zu folgen und nichts vorzutragen, was nicht von den Lehrern tradiert ist, gedeutet; S. 90a ist die Beziehung der 5 ersten mit den 5 letzten Geboten des Dekalogs gegeben; S. 91a dass die ersten zwei Gebote die anderen in sich fassen; das. S. 124a »Ihr sollet den Namen anderer Götter nicht erwähnen« als Verbot der Beschäftigung mit anderen Büchern, die nicht zur Thora gehören; S. 182. ist die Beziehung des Ungesäuerten zu den bösen Trieben des M.; in Teil III. S. 9b lesen wir eine kosmographische Abhandlung der verschiedenen Klimate mit ihren verschiedenen Menschenrassen, die nicht alle von Adam herstammen. Das. S. 10a ist die Erde als eine um ihre Achse sich drehende Kugel gekannt, auf der, wenn für die einen Tag ist, die anderen Nacht haben und umgekehrt. Das. S. 12a ist eine Parallele zwischen den Zehngeboten und den zehn Worten der Schöpfung. S. 17a die Mystik der Schofarklänge; S. 26a die Symbolik des Feueropfers als Bild der Verbindung der oberen und unteren Welt; S. 43a, die Entstehung von Leib und Geist; S. 152. ist die klassische Stelle von dem höheren Sinn der Thora; 214 die Erklärung der Farben des Regenbogens; Rot bedeutet Edom, Grün Ismael und Weiß Israel; S. 233 ist ein Stück über Sternschnuppen;
5. Die Stücke des Jenuka, Jüngling. So heißen die Soharstücke, welche die kabbalistischen Gespräche und Abhandlungen als Ergebnis von Reiseunterhaltungen bezeichnen, in denen ein Kind oder Jüngling zum Erstaunen der Lehrer Geheimnisse enthüllt und mystische Verserklärungen gibt. Diese Stücke beginnen mit den Worten: »Es eröffnet der Jüngling den Vortrag«, geben Bibelexegesen, mystische Gesetzesauslegungen u. a. m. Es versteht sich, dass wir es auch hier nur mit einer pseudoepigraphischen Angabe zu tun haben;
6. Das Stück des Saba, des Alten. In Sohar II. S. 94a ist der Vortrag eines Alten, Saba, über die Seelenwanderung. An die in Abschnitt 2. M. 21 genannten Rechtsstrafen werden die Angaben der Strafen für die Seelen angeknüpft und die Lehren von der Seelenwanderung ausgeführt. Mehr über dieses Thema bringen daselbst S. 95 und S. 100a. Die Unverträglichkeit des Auferstehungsglaubens mit dieser Lehre wird daselbst S. 97a, 103a u. 105b gehoben; ebenso sucht man andere Inkonsequenzen durch diese Lehre zu lösen.
7. Urgeheimnisse. So heißt im Sohar II. 70a (wozu noch das. II. 67a), ein fragmentartiges Stück, das in zwei Rezensionen uns daselbst vorliegt, von denen das eine das ältere und wahre und das andere ein Additament desselben zu sein scheint. Beide haben die Lehren von der Physiognomie und Chiromantie.
8. Die Hallen. Unter diesem Namen hat das Soharbuch zwei Stücke, welche eine Beschreibung des Paradieses (Gan Eden) und der Hölle (Gehinnom) geben. Es werden sieben Hallen der Hölle und sieben Hallen des Paradieses gezeichnet. Von den zwei Stücken scheint das in Sohar I. 38a. eine Umarbeitung von dem in Sohar II. 262 zu sein. Als Ergänzungen gehören hierher noch die Fragmente Sohar II. S. 128b u. 150b; III. 167b.
9. Geheimnisse der Thora. Scheinbar nachsoharitische Stücke, Reproduktionen alter Kabbalathemata, was sich aus der ganzen Eigenheit ihrer Diktion und Behandlung des Themas ergibt. Es wird ein Theorem der Kabbala angegeben, nach welchem die Erklärung eines ganzen Bibelabschnittes folgt. Sie sprechen von der Evolution der Sephiroth und der Emanation des Urlichtes; u. a. m. Beachtenswert ist daselbst S. 878a die Angabe der vier Arten von Visionen, die wir unter »Prophetie« bringen wollen.
10. Mathnita und Tosephta. So betitelt sind im Sohar eine Menge von mystischen Stücken zitiert, die sich ebenfalls als Einschiebsel und spätere soharitische Reproduktionen bekunden. Ihre Diktion strotzt auffallend von fremdartigen Ausdrücken; sie bringen unter anderem die Buchstabenmystik des Tetra-Gram-matons. Ihre Beschaffenheit bezeichnet das Fragmentartige ihres Wesens. Das Stück Sohar I. S. 122b gibt sich als Auszug aus zwei Stellen des Jenuka Sohar III S. 62a. zu erkennen.
11. Geheimgehaltener Midrasch. Dieses in Sohar I. S. 97a bis S. 102b u. das. S. 134a bis S. 140a beigefügte Schriftstück ist ebenfalls eine spätere kabbalistische Pseudoproduktion, deren Wert schon der gelehrte Jakob Emden dadurch charakterisiert, dass er dessen Verfasser einen argen Unwissenden nennt. Die Schreibart da ist eine völlig andere, es fließt in derselben das Hebräische, Aramäische und das spätere Rabbinische durcheinander. Häufig ist da das Wort תשלום für geistige Vollkommenheit. I. S. 126a ist von der Auferstehung die Rede, wofür die Seele in den vervollkommneten Leib zurückkehrt. Hervorheben wollen wir die Stelle daselbst S. 135a von dem verheißenen Zukunftsmahle für die Gerechten sowie von dem des Leviathan, die dasselbe in geistigem Sinne deutet und den Leviathan als symbolische Bezeichnung desselben hält. Ebenso wollen wir die als für die Abfassungszeit des Sohar wichtige Stelle Sohar S. 140a nicht unerwähnt lassen. Daselbst wird erst die Zahl 5408, dann 210 angegeben, diese Zahlen der Schöpfungsära ergeben nach der üblichen Zeitrechnung das Ende des 14. Jahrhunderts.
12. Der treue Hirt. Name mehrerer, dem Sohar beigefügten, ebenfalls pseudo-epigraphischen Stücke jüngeren Datums, in denen Moses als der treue Hirt die Lehren u. a. m. vorträgt, wovon sie ihre Bezeichnung »Der treue Hirt« haben. Vorgelegen haben dem Verfasser derselben die Stücke in Sohar III. S. 214b. ff. 219b., wozu noch S. 125a. 219a. zu vergleichen wäre. Das Stück Raja Mehemna in III. S. 249 hat ebenfalls eine Erlösungszeitangabe, die ebenfalls auf die Mitte des 14. Jahrhunderts fällt. An mehreren Stellen daselbst III. S. 111b I. S. 20, II. S. 40. 25a werden die Gebote als Symbole gedeutet. Auch die Sephirothlehre in Sohar II. 42. findet da ihre deutliche Ausführung. Diese Stelle wird bei den späteren Kabbalisten oft zitiert. Die Sephiroth kommen da schon unter bestimmten Namen vor. Die oft verwendeten Ausdrücke: עלת העלות und die III. 255 mystische Deutung des Kolnidre sind Zeugen der Jugend dieser Stücke. Die anderen oben genannten nachsoharitischen Schriften sind unserem Soharbuch nicht beigefügt, daher wir von denselben hier nicht weiter sprechen wollen.
III. Gesamtinhalt. Von dem Gesamtinhalt dieser Schriften geben wir hier nur die in ihm behandelten Gegenstände, die im Artikel »Kabbala« genannt, aber da nicht besprochen wurden. Es gehören hierher: Engel und Geister, Mensch, Seele, Seelenwanderung, Triebe, böse und gute, Freiheit, Bestimmung, Schrifterklärung, Gesetz, Ge- und Verbote, ihre Deutung in Mischna und Talmud, Opfer, Tempel, Synagoge, Exil, Erlösung, Erlösungszeit, Messias, Sünde, Erbsünde, Buße, Messiasreich, Vorsehung, Weltregierung, Weltende, Zukunft, Zukunftsmahl, Welt, jenseitige.
a. Engel und Geister, Dämonen. Wir haben hier über dieses Thema wenig Neues. Die Engel- und Geisterlehre der Mystik ist im Sohar mit geringen Veränderungen die der Mystik, wie wir dieselbe im Talmud und Midrasch, besonders in der kleinen Midraschim ausgebildet vorfinden. 1. Jeder Teil des .Firmaments ist mit einem besonderen Geist belebt, aus diesen Geistern bestehen alle himmlischen Heere. Auch aus den Seelen der Gerechten werden Engel. Der Menschen Seelen sind höher als die der Geisterengel. »Die heiligen Geister«, heißt es, »steigen nur von einer Stufe, aber die Seelen der Gerechten von zwei Stufen, die sich in eine vereinigen. Es steigen somit die Seelen der Gerechten höher, ihre Stufe ist höher. « Weiter sind es Geister, die alle Elemente der Erde beleben; eine Lehre, die ebenfalls schon im Talmud da ist: »Es gibt kein Gewächs unten, das nicht seinen Engel oben hat.« So gibt es einen Engel des Regens, einen Engel des Taues usw. Weiter kennt man einen Engel über die Bewegung der Erde, einen anderen über die des Mondes usw. bei allen übrigen Himmelskörpern. Es hat jedes Land, jedes Volk seinen Engel, nur Israel steht unter keinem Engel. Auch in den Angaben über böse Engel und Geister ist ganz die Dämonologie des Mystizismus. Nur scheint die Scheidung zwischen guten und bösen Engeln, guten und bösen Geistern auf der Basis einer Annahme eines bösen und guten Prinzips in der Schöpfung, ähnlich der des Parsismus, zu beruhen. Wir hören darüber: »Die bösen Geister sind die gröbsten mangelhaften Formen, Klippoth«, Schalen des Seins, die sich in zehn Klassen abstufen. Wir haben diese zehn Abstufungen der bösen Engel in dem Artikel »Kabbala« angegeben und wollen sie hier nicht wiederholen. Die Stätte der bösen Geister ist in der dritten Welt, der Welt der Bildung, olam jezira (s. Kabbala), dem Raum der Planeten und der Himmelskörper. Sämtliche stehen unter dem Hauptengel Metatron, während ihr eigenes Oberhaupt »Samuel« (Satan in der Bibel) heißt.
b. Die Lehre vom Menschen, dessen Seele und Ebenbildlichkeit Gottes. Auch in der Behandlung dieses Themas sind es die agadischen Lehren des talmudischen Schrifttums, die hier zusammengestellt und eine systematische Abrundung erhalten. Die Schöpfung des Menschen ist das Werk der ersten göttlichen Potenz, des oberen Adams. »Der himmlische Adam hat, nachdem er aus dem oberen Urdunkel hervortrat, den unteren Menschen geschaffen.« Wir haben in dem Artikel »Religionsphilosophie« zur Logoslehre Philos, wo ebenfalls die erste göttliche Potenz, der Logos, als Welt- und Menschenschöpfer bezeichnet wird, das Antibiblische und Unjüdische dieser Annahme nachgewiesen. Weiter ist der Mensch der Schlussstein, die Krone und die Vollendung der Schöpfung. »Der Mensch«, heißt es, »ist der Inhalt und die höchste Stufe der Schöpfung; so der Mensch geschaffen wurde, war alles vollendet, die obere und die untere Welt, denn alles ist im Menschen enthalten, er vereinigt in sich alle Formen.« Deutlicher und ausführlicher ist diese Idee in einer anderen Lehre, wo der Mensch zum Mikrokosmos, zum Abbild der Schöpfung im Kleinen wird. Dieselbe lautet: Was ist der Mensch, etwa nur Haut, Fleisch, Knochen und Adern? Nicht doch! Der wirkliche Mensch ist die Seele; die Dinge, die wir genannt haben; die Haut, das Fleisch, die Knochen und die Adern bilden nur das Gewand, die Hülle, sind aber nicht der Mensch. So er die Erde verlässt, entkleidet er sich dieser Hüllen, die er angelegt hatte. Doch auch diese Körperteile sind nach dem Geheimnis der höchsten Weisheit. Es stellen dar: die Haut das Firmament, wie es sich überall hin erstreckt und alles gleich einem Gewande bedeckt; das Fleisch die schlechte Seite der Welt (ihr sinnliches Element); die Knochen und die Adern das Bild des himmlischen Wagens (Merkaba) und die inneren Kräfte die Diener Gottes. Doch sind das nur die Gewänder, aber im Inneren ist das tiefste Geheimnis des himmlischen Menschen. So wie oben, ist auch unten alles geheimnisvoll; daher die Aussage: »Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde.« »Nach dem Geheimnisse des himmlischen Adam ist das Geheimnis des irdischen Menschen.« Diese Gestalt des Menschen ist es, was die Tiere vor ihm erzittern macht. Die Seele wird, wie im Talmud, präexistierend angenommen. »Zur Zeit, da Gott die Welt zu schaffen beabsichtigte, bildete er alle Seelen, die bestimmt waren, dem Menschen gegeben zu werden.« »Alle stellten sich ihm ganz in dem Bilde dar, die sie dann im menschlichen Körper annehmen sollten.« Interessant ist die Zeichnung der Seele in mannweiblicher Gestalt ihres vorzeitlichen Zustandes, es ist die talmudische Lehre von der Mannweibgestalt des ersten Menschen der Androginosannahme, wie wir sie schon bei Plato und später bei Philo finden. »Jede Gestalt«, heißt es, »in der nicht das männliche und weibliche Prinzip angetroffen wird, ist keine höhere vollständige Gestalt.« Fener: »Alle Seelen und Geister bestehen vor ihrem Eintritt in die Welt aus einem Manne und einem Weibe, die in einem Wesen vereinigt sind; so sie auf die Erde hinabsteigen, scheiden sich die zwei Hälften für verschiedene Körper. Zur Zeit der Verheiratung werden diese getrennten zwei Hälften wieder zu einem Ganzen von Gott, dem Kenner der Geister, verbunden; sie machen alsdann wieder eine ganze Seele aus.« In diesem, ihrem vorzeitlichen Zustande besitzt sie göttliche Vollkommenheit und Kenntnis von allen Dingen. »Und alles, was sie auf Erden lernen, wussten sie schon, bevor sie in diese Welt eintraten«, eine Lehre, die sich ebenfalls schon bei Philo und im Talmud vorfindet. Der Eintritt der Seele in die Welt ist zu ihrer Ausbildung und Vollendung, ganz nach der talmudischen Angabe, gegen die philonische Lehre, die den Aufenthalt der Seele in dem menschlichen Leib einen Aufenthalt im Kerker nennt. Auf die Frage, warum die Seelen sich von ihrem Ursprunge entfernen, wird durch folgendes Gleichnis geantwortet: »Ein König schickt seinen Sohn aufs Land, damit er dort genährt und großgezogen werde, bis er herangewachsen und in den Gebräuchen des königlichen Palastes unterrichtet sein wird. Sobald diese Erziehung vollendet ist, lässt der König wegen des Sohnes dessen Mutter, die Königin, holen und führt ihn in seinen Palast ein, mit dem er sich den ganzen Tag freut. Die obere, heilige Seele, heißt es weiter, ist das Kind Gottes. Er schickt es in diese Welt, um da die Gebräuche kennen zu lernen, die im königlichen Palast beobachtet werden. Nach Vollendung dieser Ausbildung lässt Gott aus Liebe zu seinem Kinde die Mutter, die Königin, holen, welche ihr Kind, die Seele, in seinen Himmelspalast einführt. « Doch gibt es auch im Sohar Darstellungen von dem Eintritt der Seele in die Welt, die an obige alexandrinische Annahmen erinnern, welche diesen Eintritt der Seele als ein Übel angeben. Wir zitieren von denselben die Stellen: »Zur Zeit des Eintritts der Seele in die Welt spricht sie: Herr der Welt, es genügt mir die Welt, in der ich wohne, ich verlange nicht nach einer anderen Welt, die mir Dienstbarkeit bereiten wird und in welcher ich wie eine Besudelte sein werde!« Darauf spricht Gott: »Du wurdest nur geschaffen, um in dieser Welt zu sein.« So betritt die Seele schmerzvoll den Weg dieser Welt und steigt zu uns herab. Die weitere soharitische Psychologie teilt die menschliche Seeele in eine Dreiheit, in: 1. eine Neschama, welche die höchste Stufe der Seele ist; 2. einen Ru-ach, der den Sitz des Guten und Bösen, der guten und bösen Triebe hat und 3. einen Nephesch, der direkt mit dem Körper verbunden ist und die Ursache der Tätigkeit und der Instinkte des animalischen Lebens wird. Neben diesen drei Benennungen, die auch die Bibel hat, als die drei Gestalten des Seelenlebens, spricht der Sohar noch von zwei Namen: Jechida, Einheit, individuelles Prinzip und Chaja, Leben, Lebensprinzip; beide haben die äußere Gestaltung des Menschen zu ihrer Tätigkeit.
c. Seeelenwanderung. Die Lehre von der Seeelenwanderung, die im So-har gebracht und behandelt wird, ist ursprünglich keine jüdische, sondern von außen ins kabbalistische Judentum eingedrungen. Dieselbe wurde unter den griechischen Philosophen von Plato und Pythagoras aufgestellt und von da von Josephus als die Lehre der Pharisäer vorgebracht. Nach Hieronymus bildete sie lange Zeit eine geheime Lehre der ersten Christen, und Ocigines erachtete diese Lehre als Mittel zur Erklärung mehrerer biblischer Erzählungen als z. B. des Kampfes zwischen Jakob und Esau vor der Geburt u. a. m. So war die Lehre von der Seelenwanderung im Christentum heimisch, während sie im talmudischen Schrifttum nicht genannt wird. Erst im 13. Jahrh. taucht sie unter den Kabbalisten auf, die sie in ihren Schriften verbreiten. Die ihr unterliegende Idee ist einerseits die Ausgleichung der scheinbaren Ungerechtigkeit dieses Lebens andererseits um nach Abbüßung ihrer Sünden rein in die Ursubstanz, in Gott, zurückzukehren. Nach Pythagoras und Plato müssen die Seelen alle Formen des animalischen Lebens, sowie alle verschiedenen Bildungsstufen der Völker durchwandern, bis sie den hohen Grad ihrer Vollkommenheit erreichen. In dem Soharstück vom Saba wird an die Rechtsstrafen von 2. M. 21 ein Vortrag über die Seelenstrafen der Sünder angeknüpft und von der Seelenwanderung gesprochen. »Alle Seelen«, heißt es, »sind der Wanderung unterworfen, die Menschen verstehen nicht die Wege des Heiligen, gelobt sei er; sie ahnen nicht, dass sie vor Gericht gezogen werden, weder bevor sie in diese Welt eintraten, noch nachdem sie dieselbe verlassen; sie kennen nicht die vielen Umwandlungen und geheimen Proben, die sie zu bestehen haben; die Zahl der Seelen und Geister, die in diese Welt eintreten und in den Palast des himmlischen Königs nicht zurückkehren. Es werden sechs durchzunehmende Grade und vier Seelengattungen angegeben. Eine zweite Lehre hier ist die unter dem Namen: »das Geheimnis vom Ibbur.« Sind zwei Seelen nicht im Stande, einzeln alle Gebote zu befolgen, so werden sie zur gegenseitigen Ergänzung in einen Körper vereinigt; ist es nur eine Seele, die hierzu zu schwach ist, so wird sie mit einer stärkeren Seele verbunden, von der sie in der Erfüllung ihrer Aufgabe gestützt wird.
d. Die Erbsünde. Darüber schließt sich der Sohar den Lehren der Agadisten im Talmud und Midrasch an.
e. Die menschliche Willensfreiheit. Dieselbe wird trotz der abweichenden Richtung in der Lehre vom »Bösen und Guten« auch hier, wie in der Bibel und in dem Talmud, unverändert gelehrt. Es heißt darüber: »Wenn der Heilige, gelobt sei er, die gute und böse Begierde, die in der Schrift >Licht und Finsternis< heißen, nicht in uns gelegt hätte, so würde der kreatürliche Mensch weder Verdienst noch Schuld haben. Darauf fragten die Jünger: >Wozu dies? Wäre es nicht besser, es gäbe weder Lohn noch Strafe, so der Mensch der Sünde und des Bösen völlig unfähig gewesen?< >Doch nicht<, lautete die Antwort darauf, >es ist besser, dass er so, wie er ist, geschaffen wurde.< f. Die Schrifterklärung, das Gesetz und der Talmud. Der Grundzug der soharitischen Schrifterklärung ist, wie bei den Alexandrinern, die allegorische, mittels deren die kabbalistischen Lehren in der Schrift ihre Begründung finden sollen. Wenn das Soharbuch auch noch andere Erklärungsweisen kennt und ausdrücklich nennt, so ist ihm doch die allegorische die wichtigste. An mehreren Stellen polemisiert es gegen die Gegner der alle gorischen Schrifterklärung und sucht die Richtigkeit derselben nachzuweisen. Die Hauptstelle darüber lautet: »Wehe dem Menschen«, lässt es einen R. Simon rufen, »der da spricht, die Thora wolle nur Erzählungen und gewöhnliche Geschichten vortragen! Wäre dem so, könnten auch wir eine Thora von gewöhnlichen Worten anfertigen und von größerer Vorzüglichkeit, wenn es nur gewöhnlicher Erzählung gelten sollte. Auch die weltlichen Schriften haben Hohes und Vorzügliches, lasset uns ihnen folgen und aus ihnen eine ähnliche Thora anfertigen. Gewiss, es sind alle Worte der Thora, Worte von oben mit höheren Geheimnissen. Müssen ja die Engel bei ihrem Herabsteigen eine leibliche Hülle anlegen, wie sollte die Thora eines Gewandes entbehren können, die ja für uns bestimmt und von uns aufgefasst werden soll. Aber dieses hat sie wirklich, denn die Erzählungen der Thora sind das Gewand der Thora«; daher betete David: »Öffne meine Augen, dass ich Wundervolles in deiner Thora schaue!. »Es gibt Toren, die, wenn sie einen wohl gekleideten Menschen sehen, das Kleid für alles halten, und doch besteht der Vorzug des Kleides in dem Leib und der des Leibes in der Seele.« Auch die Thora hat einen Leib, es sind ihre Gesetze, der Gewänder anlegt, es sind dies die Erzählungen. Aber die Toren sehen nur auf das Kleid, die Erzählungen, ohne auf das Höhere darunter zu achten. Deutlicher noch hören wir darüber eine andere Stelle: »Wer da spricht, die Erzählungen in der Thora sind nur ihrer selbst wegen da, dessen Geist möge schwinden, denn dadurch wird die höhere Lehre zu keiner Lehre der Wahrheit. Und doch ist die heilige höhere Lehre eine Lehre der Wahrheit. Hält es doch ein menschlicher König unter seiner Würde, sich von gewöhnlichen Dingen zu unterhalten oder gar dieselben aufzuschreiben. Solltest du trotzdem annehmen, der obere König, der Heilige, gelobt sei er, ließ keine heiligen Gegenstände aufzeichnen und aus ihnen die Thora abfassen, sondern nur gewöhnliche Sachen, als z. B. die von Esau, Hagar, Laban und Jakob, der Eselin des Bileam, von Balak, Simri u. a. m., weshalb da ihre Lobeserhebungen bei dem Psalmisten (Ps. 19. 8 — 11); es ist daher unzweifelhaft, die höhere Lehre ist die Lehre der Wahrheit; die Lehre des Ewigen ist vollkommen. Jedes Wort ist da, um einen anderen höheren Sinn zu offenbaren und so ist es mit den Worten der Erzählung.« Außer der allegorischen Erklärungsweise nennt das Soharbuch noch andere exegetische Mittel, um die kabbalistischen Lehren in die Schrift hinein zu deuten. Gleich der Agada (s. Exegese) gebraucht es: 1. die Gematria, d. h. die Berechnung des Zahlenwertes der Buchstaben eines Wortes oder eines Verses, um den gewünschten Inhalt zu erhalten; 2. die Notarikon, wo jeder Buchstabe ein Wort andeutet und 3. Themura, wo durch Buchstabenumstellung das Gesuchte gefunden wird. Bei diesen exegetischen Operationen ist ihm auch der einfache Wortsinn heilig, von dem es sagt: »Der einfache Sinn des Verses bleibe wie er ist, dem nichts hinzugefügt und dem nichts weggenommen werden darf, auch nicht ein Buchstabe.« Es sind daher auch bei ihm, wie im Talmud, drei Erklärungsweisen: 1. des einfachen Wortsinnes; 2. der Deutung und 3. des geheimen Sinnes, sod. Die allegorische Erklärungsweise hatte bekanntlich unter den Alexandrinern eine laxere Gesetzesbefolgung zur Folge. Man glaubte bei Erfassung des geistigen Sinnes des Gesetzes die Praxis vernachlässigen zu dürfen. Im Sohar wird die Ausübung an mehreren Stellen zwar eingeschärft, was übrigens auch Philo tut, aber der Zweck der Gesetzespraxis ist da nicht mehr des Gesetzes wegen, weil es so befohlen ist, sondern um dadurch auf die Gottespotenzen, die Sephiroth, einzuwirken und den Rapport zwischen der oberen und unteren Welt zu erhalten. Nichtsdestoweniger sind es die Jünger der Kabbala, die Männer der chassidäischen Sekte, die sich in Bezug auf die gesetzliche Praxis, besonders sobald dieselbe die talmudischen Bestimmungen betrifft, nicht geringe Änderungen und teilweise Vernachlässigung erlauben. Überhaupt werden die Mischna und der Talmud im Sohar mit nicht geringer und absichtlicher Schmähung erwähnt. Die kabbalistische Richtung wird da zur völligen Gegnerin der Halacha, was mit der strengen vernunftgemäßen Art ihrer Erörterung, die jede mystische Einmischung zurückweist, zusammenhängen mag. Die Mystik ist und bleibt eine Feindin der Verstandesrichtung, die sie neben sich nicht dulden kann. Die Mischna, sagt der Sohar, gleicht einer Sklavin, aber die Kabbala einer Gebieterin; das Talmudstudium ist wie ein harter, unfruchtbarer Felsen, der geschlagen werden muss, bis er einige Wassertropfen von sich gibt, um die dann noch Streitigkeiten und Diskussionen entstehen. Dagegen ist die Kabbala ein reichfließender Quell, zu dem nur gesprochen zu werden braucht, um ihren erfrischenden Inhalt zu ergießen u. a. m.
IV. Beschaffenheit, Anlage, Sprache, Verfasser und Abfassungszeit. Von den Bestandteilen des Sohars haben wir bereits oben im Teil II. gesprochen. Die Anlage und Anordnung des Buches, wie es uns heute vorliegt, weicht von seiner ursprünglichen Gestalt bedeutend ab. Spätere Ausgaben haben viele Stücke von jüngeren und älteren Händen, die im soharitischen Stil und Geist abgefasst wurden, mit aufgenommen und dieselben nach Erachten an verschiedenen Stellen eingeschoben. Davon sind die Zusätze am Anfang des Sohars mit der Aufschrift »Vorrede«, in der Mitte und am Ende unter dem Namen »Zusätze«, meist Stücke aus den kabbalistischen Schriften »Bahir«, »Midrasch Ruth« u. a. m. Die Sprache ist aramäisch, aber nicht in dem rein aramäischen Dialekt, sondern in dem talmudisch-aramäischen, wie er bei den Rabbinern in der gaonäischen und nachgaonäischen Zeit bis ins 12. Jahrh. zur Abfassung von Schriften und Gedichten u. a. m. im Gebrauch war. Doch findet sich auch ein hebräisches Stück im Sohar. In der Angabe und Feststellung des Verfassers und der Abfassungszeit war von vorneherein gleich nach dem Bekanntwerden des Buches eine Meinungsverschiedenheit. Der Titel des Buches nennt den Volks- und Gesetzeslehrer R. Simon ben Jochai im 2. Jahrh. als den Verfasser. Auch im Sobar III. S. 287b heißt es, dass es ein R. Abba von dem Vortrage des R. Simon ben Jochai abgeschrieben habe. Gegen diese Angabe des Alters und der Autorschaft des Sobar wurden von der Kritik bedeutende Bedenken erhoben. Im Sohar werden erwähnt: die Mischna in ihren sechs Teilen, der Talmud, Namen vieler späterer Gesetzeslehrer Tanaim und Amoraim; ferner die in nachtalmudischer Zeit eingeführten Vokalzeichen; mehrere nachtalmudische Schriften; mehrere später abgefasste Gebetsstücke; ferner mehrere philosophische Kunstausdrücke aus den Schriften der Juden im Mittelalter, die Ursache der Ursachen, Vollendung, mit Nennung der vier Elemente; ferner mehrere mystische Midraschim aus dem 9. und 10. Jahrh. als z. B. das Buch Serubabel u. a. m. Ganz überrascht uns die Zitierung zweier Verse aus dem von Salomo Gebirol verfassten Kether Malchuth. In Erwägung dieser Zitate hat sich die Kritik gegen obige Angabe des R. Simon ben Jochai als des Verfassers des Sohars erklärt. Man gibt das 13. Jahrh. als die Zeit dessen Abfassung an und nennt Moses ben Schemtob de Leon (geb. 1250, gest. 1305) als seinen Verfasser. Gewisse Hinweisungen auf das 13. Jahrh., ohne jedoch für dessen Autorschaft eine bestimmte Persönlichkeit nennen zu können. Das Buch gehört zur Pseudoepigraphie der kabbalistischen Literatur, die bekanntlich nicht gering ist. Der Name R. Simon ben Jochai als Verfasser ist ein Pseudonym, doch können wir nicht leugnen, dass sich im Sohar eine große Anzahl von Aussprüchen diese Gesetzeslehrers vorfindet. Übrigens wurde R. Simon b. J. auch in der talmudischen Agada als ein Mystiker gefeiert, dem sie viel Wundertäterei nacherzählt. Auch werden ihm außer dem Sohar noch andere mystische Schriften untergeschoben. Diese Angabe des 13. Jahrh. als die Abfassungszeit des Sohars ist jedoch nicht auch für die dem Sohar beigefügten Schriften und Zusätze, von denen sich einige älteren und einige jüngeren Ursprungs bekunden, wie wir bereits oben bemerkt haben. Im Übrigen stimmen wir mit Jakob Emdens Angaben in seiner kritischen Schrift: »Matpachath Sepharim«, dass der Kern des Sohar uralte Lehren der jüdischen Geheimlehre und der Mystik enthalte, die sich zerstreut in dem Schrifttum des Talmud und Midrasch vorfinden.