Sündenbekenntnis
Posted 5 yrs ago
auch: Das reumütige Selbstgeständnis begangener Sünden als Zeichen einer inneren Umwandlung wird in dem biblischen und nachbiblischen Schrifttum in seiner ganzen Bedeutsamkeit gewürdigt. Der Mosaismus hat das Sündenbekenntnis als Akt des öffentlichen Gottesdienstes bestimmt. Bei der Darbringung der Rind- und Schuldopfer zur Sühne von Privatvergehen wird das Ablegen eines reuevollen Sündenbekenntnisses angeordnet. »Wenn jemand verschuldet, bekenne er, was er gesündigt und bringe sein Schuldopfer wegen seiner Sünde, die er verübt hat«; ferner: »Mann oder Weib, wenn sie sich an irgend einer Sünde verschulden, sollen sie ihre Sünde bekennen und erstatten die Schuld nach ihrem Hauptwert und ein Fünftel darüber. « Mit besonderer Feierlichkeit war das Sündenbekenntnis vom Hohenpriester am Versöhnungstag. »Und Ahron stütze seine beiden Hände auf den Kopf des Opfers und bekenne auf ihm alle Sünden der Söhne Israels und alle ihre Missetaten nach allen ihren Vergehungen. « Neben diesen Anordnungen für den öffentlichen Gottesdienst wird auch das Sündenbekenntnis im Privatleben bei verschiedenen Anlässen empfohlen. Wir zitieren darüber aus 3. M. 26. 40. »Und sie sollen ihre Sünden und die Sünden ihrer Väter bekennen nach ihrer Treulosigkeit, die sie gegen mich begangen und mir zuwider wandelten«; ferner aus Hosea 14. 3.: »Nehmet mit euch Worte und kehrt zum Ewigen zurück«, sprecht zu ihm: »Jede Sünde vergibst du, nimm das Gute, mögen unsere Lippen die Opferstiere erstatten«; aus Spr. Sal. 28. 13. »Wer seine Sünden bedeckt, ist nicht glücklich, aber wer dieselben bekennt, findet Erbarmen.« Auch die Weise des Sündenbekenntnisses wird angegeben. Dasselbe spreche man in Aufrichtigkeit und Demut, in innerer Beschämung, unter Gebet und Tränen, um von der Sünde zu lassen und Vergebung zu erhalten. Beispiele von Sündenbekenntnissen sind das der Söhne Jakobs vor ihrem Bruder Joseph, Pharaos vor Moses, Moses in seinem Gebet für das Volk, des Achan vor Josua, des Königs Saul vor Samuel, Davids vor dem Propheten Nathan, Ahabs vor dem Propheten Elia u. a. m. Voll tiefster Seelenergüsse sind die Sündenbekenntnisse in den Büchern Esra und Nehemia, welche die religiöse Umwandlung des jüdischen Volkes bei der Wiederbegründung seines zweiten jüdischen Staatslebens zum Ausdruck bringen. In dem talmudischen Schrifttum finden diese Lehren und Bestimmungen ihre weitere Entwicklung.
I. Das Sündenbekenntnis im Gottesdienst. Den ersten Platz nimmt hier der feierliche Gottesdienst im Tempel zu Jerusalem am Versöhnungstag ein. Der Hohepriester, berichtet die Mischna, hat in demselben dreimal das Sündenbekenntnis abgelegt: erst für sich und sein Haus, darauf für sich, sein Haus und sämtliche Priester und endlich für sich, sein Haus, die anderen Priester und das Haus Israels, das ganze jüdische Volk. Die Formel dieser drei Sündenbekenntnisse war: des Ersten: »Ach, Herr, ich habe gefehlt, gesündigt und gefrevelt durch Abfall, ich und mein Haus! Ach, Herr, versöhne doch die Vergehungen, die Sünden und die Frevel des Abfalls, durch die ich gefehlt, gesündigt und gefrevelt, ich und mein Haus, denn also heißt es in der Lehre Moses: Denn an diesem Tag wird er über euch versöhnen, um euch zu reinigen von allen euren Sünden, vor dem Ewigen sollt ihr rein sein« (3. M. 16. 30). Diese Formel war auch für das zweite und dritte Sündenbekenntnis des Hohenpriesters, nur dass dem zweiten zuletzt hinzugefügt wurde: »Die Söhne Ahrons, dein heiliges Volk.« Dagegen wird in dem dritten Sündenbekenntnis, das der Hohenpriester im Namen des Volkes ablegt, anstatt der ersten Person: »ich« die dritte Person: »sie« gebraucht; es lautete: »Ach, Herr, sie haben gefehlt, gesündigt und gefrevelt durch Abfall, dein Volk, das Haus Israels! Ach, Herr, versöhne doch die Vergehungen, die Sünden und die Frevel des Abfalls, durch die sie gefehlt, gesündigt und abgefallen sind, denn so heißt es in der Lehre Moses: Denn an diesem Tage versöhnt Gott über euch, um euch von allen Sünden zu reinigen vor dem Ewigen sollt ihr rein sein.« Spätere Gesetzeslehrer suchten in der Bibel Begründungen für diesen ganzen gottesdienstlichen Akt des Hohenpriesters auf. Den Befehl zur Ablegung des Sündenbekenntnisses finden sie in dem Ausspruch: »Und er (der Hohepriester) soll auf ihm alle Sünden der Söhne Israels bekennen nach all ihren Missetaten« (3. M. 27). Die Formel des Sündenbekenntnisses: »Ich habe gefehlt, gesündigt und gefrevelt«, wo erst die Sünden aus Irrtum, dann die des Mutwillens und zuletzt die des Abfalls bekannt werden, ist nach Ps. 106. 6.: »Wir haben gefehlt, gesündigt und gefrevelt« und 1. K. 8. 47. »Wenn sie in dem Land ihrer Gefangenschaft zu dir flehen und sprechen: >Wir haben gefehlt, gesündigt und gefrevelt< und endlich nach Daniel 9. 5.: Wir haben gefehlt, gesündigt und gefrevelt.« Nächst diesem Sündenbekenntnis im Tempelgottesdienst nennen wir das in der Synagoge. Nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem, mit der die Auflösung des Opferkultus verbunden war, trat der Gottesdienst der Synagoge an dessen Stelle. Das Sündenbekenntnis, das der Hohepriester am Versöhnungstag im Tempel zu Jerusalem für das ganze Volk ablegte, sollte jetzt von jedem einzelnen Israeliten für sich selbst abgelegt werden. So treffen wir schon im 1. Jahrhundert nach der Zerstörung des Tempels die bedeutendsten Gesetzeslehrer R. Juda ben Baba und R. Akiba über die Formel des Sündenbekenntnisses in der Synagoge diskutieren. Ersterer behauptete, man müsse die begangenen Sünden einzeln nennen, wobei er sich auf das Gebet Moses für das Volk in 2. M. 32..: »Ach, dieses Volk hat eine große Sünde begangen, sie machten sich ein gegossenes Kalb!. berief. Dagegen zitierte letzterer den Psalmvers: »Heil dem, dessen Abfall vergeben wurde, dessen Fehl bedeckt ist.« So war man über die Formel des Sündenbekenntnisses für den Gottesdienst der Synagoge noch lange nicht einig. Der größte Teil der Gesetzeslehrer im 2., 3. und 4. Jahrhundert in Palästina und Babylonien huldigte der Meinung des R. Akiba und war mit der Abschaffung von Formeln der Sündenbekenntnisse am Versöhnungstag, in denen die Sünden nur allgemein, aber nicht einzeln, erwähnt wurden, beschäftigt. So kennt man eine Formel des Lehrers R. Juda im 2. Jahrh. n., die kurz lautete: »Gar viel sind unsere Sünden, sie zu nennen, unsere Vergehungen zahlreich, dass ich sie aufzähle usw. « Anders lautete die des Lehrers R. Jochanan im 3. Jahrh. n.: »Nicht in unserer Gerechtigkeit flehen wir vor dir, sondern im Vertrauen auf deine große Barmherzigkeit. Denn was sind wir, was unser Leben, unsere Frömmigkeit, unsere Gerechtigkeit, unsere Hilfe, unsere Kraft und Macht? Was haben wir dir, Herr, vorzubringen, alle Helden sind wie ein Nichts vor dir, die Männer von Namen als wären sie nie gewesen, die Weisen wie ohne Kenntnis usw.« Hierher gehört ferner die des R. Berechja ben Abba: »Ich bekenne, dass ich Böses getan, mich auf schlechtem Weg befinde; aber wie ich getan, werde ich nicht mehr tun. Es wolle dir, Herr, wohlgefällig sein, mir meine Sünden zu vergeben, meinen Abfall zu verzeihen und meine Vergehungen zu versöhnen«, denn also heißt es: »Es verlasse der Frevler seinen Wandel, der Sünder seine Gedanken, er kehre zum Ewigen zurück, denn er ist groß im Verzeihen!« Von den Lehrern in Babylonien wird die kurze Formel des Lehrers Samuel (im 3. Jahrh.) genannt: »Aus der Tiefe meines Herzens rufe ich, Herr, zu dir! Denn an diesem Tag versöhnt der Ewige über euch, um euch von allen Sünden zu reinigen, vor dem Ewigen werdet ihr rein.« Weiter wird von diesem Lehrer erzählt, dass er sich in der Synagoge nur bei den Worten des Vorbeters: »Fürwahr, wir haben gesündigt! « erhob; er betrachtete nur dies als eigentliches Sündenbekenntnis. Tiefer und inhaltsreicher ist die Formel des Lehrers Abba Areka, genannt Rabh: »Du kennst die Geheimnisse der Welt, die Heimlichkeiten aller Lebenden, durchsuchst alle Falten unseres Inneren und prüfst Nieren und Herz usw.« Etwas länger lautete die Formel des Rab Hamnuna (im 4. Jahrh.): »Mein Gott! Bevor ich geschaffen wurde, war ich nichts wert, jetzt nachdem ich geschaffen bin, ist es, als wenn ich nicht geschaffen wäre. Staub bin ich im Leben, wie erst nach meinem Tod usw. Möge es dein Wille sein, dass ich nicht mehr sündige usw.. Indessen scheinen im 4. Jahrh. die Formeln von größeren Sündenbekenntnissen mit Aufzählung der einzelnen Sünden in Gebrauch gekommen zu sein, gegen welche die bedeutendsten Lehrer auftraten oder sie beschränkt wissen wollten. So lehrte Rab Juda im Namen Rabhs, dass man nur bekannte Sünden einzeln nennen darf, aber nicht solche, die noch nicht veröffentlicht sind. Rab Sutra b. T. zitierte eine Lehre des Rab Nachman: »Nur die Sünden gegen die Menschen, aber nicht gegen Gott dürfen im Sündenbekenntnis einzeln genannt werden.« Die Anhäufung von diesen und ähnlichen Formeln wuchs endlich so sehr, dass sich ein Lehrer dieser Zeit, Mar Sutra, zur Äußerung veranlasst sah: »Man brauche nur die Worte zu sagen: Fürwahr, wir haben gesündigt!< und es genügt.« Auch Rab Schescheth tadelt die Aufzählung der einzelnen Sünden in dem Sündenbekenntnis; er rief beim Anhören derselben: »Wie frech ist dieser, der seine Sünden veröffentlicht!. Doch lassen wir nicht das Sündenbekenntnis von Maimonides für den Vorabend des Versöhnungstages unerwähnt. Dasselbe lautet: »Herr, ich habe gefehlt, gesündigt und gefrevelt, dies und jenes verübt. Jetzt fühle ich Reue und schäme mich vor meinen Handlungen, nie will ich das Vergehen wiederholen! « Sämtliche hier genannten Sündenbekenntnisse wurden in die Synagogen-Liturgie für den Versöhnungstag aufgenommen. Nachtalmudisch etwa aus dem 8. Jahrh. sind daselbst die Sündenbekenntnisse: »Aschamnu«, »Wir haben verschuldet« und Al-Chet, »Wegen der Sünde«, die von obigem Grundsatz, nicht die Sünden einzeln aufzuzählen, abweichen und eine Aufzählung verschiedener Sünden enthalten. Das jüngere Alter derselben wird durch die Form des Alphabets verraten. Wir lassen hier noch einige Lehren folgen. »Sünden, die man an einem Versöhnungstag bekennt, soll man an dem anderen nicht wieder bekennen, wenn dieselben sich nicht im Laufe des Jahres wiederholt haben.« Ferner: so der Mensch sündigt, die Sünden reuig bekennt und sie nicht wiederholt; er gleicht dem, der das reine Tier, das er in seiner Hand hielt, wegwarf. Denn also heißt es: »So er bekennt und ablässt, er findet Erbarmen (Spr. Sal. 28.).« »Nehmt mit euch Worte und kehrt zum Ewigen zurück (Hosea 14.).« Komme und siehe, wie die Eigenschaften Gottes verschieden von denen des Menschen sind. »Wer seinen Frevel bedeckt, ist nicht glücklich, aber wer ihn bekennt und denselben unterlässt, findet Erbarmen (Spr. Sal. 28. 13.).« Wird jemand, der geraubt hat, vor den Richter gebracht, geschieht es, dass er bei Leugnung seines Frevels frei kommt, aber, so er eingesteht, bestraft wird, das Gegenteil findet bei Gott statt. Der Frevler wird bei reuigem Sündenbekenntnis frei, aber auf Leugnung seiner begangenen Sünden bestraft. »Ich rächte mit dir, weil du sprichst, ich habe nicht gesündigt (Jeremia 2. 38.) «; nur in Folge dieses Vergehens brachte Gott über Jerusalem das Strafgericht.
II. Das Sündenbekenntnis im Hause. Das Gebot zur Ablegung eines reuigen Sündenbekenntnisses auch außerhalb der Synagoge wird in 4. M. 5. 7. »Und sie sollen ihre Sünden bekennen, die sie getan«, nachgewiesen. So soll der Kranke, den man dem Tod nahe hält, zur Ablegung des Sündenbekenntnisses aufgefordert werden. Wer krank geworden und dem Tode nahe ist, dem rufe man zu: »Bekenne deine Sünden!« Auch der zum Tode Verurteilte wurde in einer Entfernung von 10 Ellen von der Richtstätte zur Ablegung eines Sündenbekenntnisses aufgefordert, ging er nicht darauf ein, so redete man ihm zu, wenigstens die Worte zu sprechen: »Es bringe mein Tod die Vergebung aller meiner Sünden!« Ebenso war das Sündenbekenntnis bei Vergehungen gegen Menschen, wenn dem Verletzten Abbitte getan wurde, eine unerlässliche Bedingung. Nach Maimonides lautete die Formel: »Es ist wahr, ich habe gegen N. N. gesündigt und diesen Frevel — gegen ihn ausgeführt, aber ich bereue mein Fehl und tue Buße.« War der Beleidigte gestorben, soll der Sünder auf dem Grabe desselben in Gegenwart von zehn Leuten bekennen:»Ich habe gegen Gott und gegen N. N. gesündigt, habe dies gegen den Verstorbenen getan usw.«