Synhedrion

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richtig: Synhedrion; aramäisch und neuhebräisch: Sanhed­rin; genauer: Großes Synhedrion oder Großes Sanhedrin. Höchste Reichsbe­hörde in Staats-, Rechts- und Religi­onssachen der Juden in Palästina in der zweiten Hälfte des zweiten jüdischen Staatslebens und nach demselben.

I. Name, Entstehung und Bildung. Der Name »Synhedrion« ist griechisch, wo derselbe später auch als Benennung der »Gerusia« in Sparta und in Kar­thago sowie des römischen Senats ge­braucht wird. In derselben Bedeutung wurde er auch in Palästina nach der Neukonstituierung des jüdischen Staa­tes unter den Makkabäern dem als höchste Staatsbehörde neu organisier­ten »Kollegium der Ältesten« beigelegt. Das »Kollegium der Ältesten« als die höchste Staatsbehörde kommt noch in der ersten Zeit der Makkabäer vor. So schrieb der König Antiochus: »An die Ältesten (Gerusia) und die Gemeinde der Juden«; ebenso der Makkabäer Jo­nathan an die Spartaner: »Jonathan, der Hohepriester und die Ältesten (Ge­rusia) der Nation, die Priester und das jüdische Volk entbieten ihren Gruß.« Dieselben Ältesten wurden als die ge­nannt, die unter dem zum Fürsten er­hobenen Simon Makkabäus gute Ord­nung hielten. Es war dies die nach dem Erlöschen der »Großen Synode« unter dem Hohenpriester Simon II. oder Si­mon, dem Gerechten im Jahre 196 n. aus dem Volk hervorgegangene Ober­behörde des Landes, welche in den stürmischen Jahren der Parteikämpfe der Hellenisten und der Chassidäer, so­wie später während der makkabäi­schen Freiheitskriege die syrisch-jüdi­sche Behörde und nach derselben die Landesobrigkeit bildete. Dieselbe wurde unter den makkabäischen Fürs­ten nach dem Muster der erloschenen »Großen Synode« und mit Bezug auf das »Kollegium der Ältesten« von 7o Personen unter Moses sowie mit Be­rücksichtigung des in 5. M. 17. 9. be­zeichneten Obergerichts neuorganisiert und mit dem griechischen Namen »Synhedrion« belegt. Dieser Name er­rang erst später eine beliebte Popularität, während in den jüdischen Schriften man noch lange das Synhedrion nach dem alten Namen der großen Synode schlechtweg » Khenischta « , Versamm­lung, Synode oder »Obergericht«, auch nur »Die Alten«, nannte. Als später der fremde Ursprung dieses Namens verges­sen ward und derselbe seine hebräische Form »Sanhedrin« erhielt, machte sich das entgegengesetzte Verhältnis geltend, man nannte auch die große Synode un­ter Esra und Nehemia, sowie das »Äl­testen Kollegium« unter Moses und das im 5. M. 17. 9. bezeichnete Obergericht sowie jedes Ortsgericht »Synhedrion«. Somit haben wir in dem Institut des Synhedrions die dritte Entwicklungsge­stak des im Pentateuch genannten »Äl­testen Kollegiums« unter Moses, von dem die große Synode die zweite gewe­sen; es war die höchste Staats- und Lan­desbehörde, welche als die höchste Ins­tanz im Staate über das Staatliche, Rechtliche und Religiöse ihre endgültige Entscheidung zu treffen hatte. Es sind daher unvollständige Bezeichnungen, wenn man für »Synhedrion« die deut­schen Namen »Obergericht«, »Obers­ter Gerichtshof«, »Hoher Rat« usw. setzt, weil dieselben eine Beschränkung seiner Autorität angeben. Freilich wurde die ihm erst zuerkannte Macht­vollkommenheit in dieser Ausdehnung, nach den oben bezeichneten drei Ge­bieten, des Staates, des Rechts und der Religion, in den folgenden Zeiten all­mählich beschränkt, besonders unter Herodes I.,wo ihm das Staatliche ganz entzogen wurde und unter den Rö­mern, die ihm nur das Religiöse und vom Recht nur das Zivilrecht gelassen haben, aber dies berechtigt uns nicht allgemeinhin den Namen Synhedrion als der höchsten Staatsbehörde »dem großen Synhedrion«, haben wir die an­deren kleineren Stadt- und Ortsbehör­den, die ebenfalls »Synhedrion« hie­ßen, zu unterscheiden. Jede von diesen bildete eine Körperschaft von dreiund­zwanzig Mitgliedern, die an jedem Ort von 120 Einwohnern zur Ortsverwal­tung und Rechtssprechung eingesetzt wurde und den Namen »Kleines Syn­hedrion« führte. Solche zwei kleinen Synedrien, je von 23 Mann, waren auch in Jerusalem, von denen eins sei­nen Sitz am Eingang des Tempelberges und das andere am Eingang des Tem­pelvorhofes seinen Platz einnahm. Hatte der Ort keine 1 .o Einwohner, so erhielt derselbe nur eine Behörde von drei Männern, das Dreimännergericht, » Bethdin «.

II. Einsetzung, Zahl, Personen, Ei­genschaften, Fähigkeiten, Nassi, Ab­bethdin, Chacham, Schreiber. Das Syn­hedrion vereinigte, wie bereits erwähnt, beide im Pentateuch genannten Insti­tute, das des Ältesten Kollegiums und das des im 5. M. 17. 9. genannten Obergerichts; die Zahl seiner Mitglie­der, sowie die Bestimmung deren Per­sönlichkeiten und die Zusammenset­zung derselben waren entsprechend denselben. Gleich dem Ältesten Kolle­gium unter Moses, das aus 70 Personen bestand und mit Moses 71 zählte, sollte auch die Zahl der Synedristen mit dem Synedrialpräsidenten, Nassi, einundsiebzig sein. Unter diesen muss­ten sich mit Bezugnahme auf das ge­nannte Obergericht eine Anzahl von Priestern und Leviten befinden. So hat­ten auch hier, wie in der großen Syn­ode, alle Volksklassen oder alle Stände desselben ihre Vertretung. Eine Ände­rung trat in diese Zusammensetzung unter den Herodäern ein, als dem Syn­hedrion die politische Tätigkeit entris­sen wurde und noch später, als hierzu noch die Einschränkung seiner richter­lichen Tätigkeit durch Entziehung der peinlichen Gerichtsbarkeit hinzutrat. Es erschien nunmehr die Vertretung der drei Volksstände nicht mehr not­wendig; das Synhedrion konnte sich nun auch ohne Priester und Leviten konstituieren. So kennt das jüdisch-griechische Schrifttum aus der letzten Zeit des jüdischen Staates das Synhed­rion, bestehend aus einem Oberpries­ter, den Ältesten und den Schriftge­lehrten. Bei diesem führten der Oberpriester oder der hierzu bestimmte Nassi den Vorsitz. Nach der Zerstörung des Tempels gab es keinen Hohenpries­ter mehr im Synhedrion und den Vorsitz führte ein für allemal der hierzu be­stimmte Nassi, der Patriarch aus dem Hause des Patriarchen Hillel oder des­sen Stellvertreter, der Gerichtspräsident, Abbethdin. Notwendig war die volle Zahl von 71 Synedristen; der Vorsit­zende (Nassi), der Gerichtspräsident (Abbethdin), als dessen Stellvertreter und die zwei Schreiber, die Protokoll­führer; sämtliche vier gehörten zu den 71 Synedristen. Der »Nassi« wurde von den Synedristen gewählt und konnte auch durch sie abgesetzt werden. Der König sollte, um die Freiheit des Syn­hedrions nicht zu beschränken, nicht den Vorsitz in den Sitzungen desselben führen. Bei der Wahl und der Einset­zung eines Synedristen wurde nunmehr auf Charakter, Kenntnisse und richter­liche Befähigung, sowie auch auf ein repräsentables Äußeres gesehen. Als erste Bedingung war, dass der Kandidat legal zum Gesetzeslehrer und Richter für Zivil- und Kriminalfälle sowie für Kultussachen ordiniert wurde. Eine dieser sich anschließende Bestimmung lautete: »Wer befähigt zum Richter über Kriminalfälle war, konnte in das Synhedrion gewählt werden.« Die ge­wöhnliche Praxis in der Wahl eines Synhedristen war Folgende. Das große Synhedrion in Jerusalem holte Erkun­digung über die Kenntnisse und die moralischen Eigenschaften der Ge­lehrten in den Städten ein. Fand man einen Weisen, der zugleich bescheiden und wohl gelitten war, wurde derselbe zum Richter in seiner Stadt eingesetzt. Von da erhob man ihn zum Synedris­ten für das kleine Synhedrion am Tem­pelberg, sodann kam er in das Synhed­rion des Tempelvorhofes und endlich avancierte er aus diesem Kollegium zum Mitglied des großen Synhedrions in der Quaderhalle. Genaueres über die Befähigung eines Synedristen gibt R. Jochanan, ein Lehrer des 3. Jahrh. an: »Man setzte in das Synhedrion nur Männer der Weisheit, des schönen Aussehens, des hohen Wuchses, des Al­ters; Männer, die das Blendwerk der Zauberkünste verstehen, damit sie die Anklage wegen Zauberei beurteilen können und Kenntnisse vieler Sprachen besitzen, damit sie des Dolmetschers nicht bedürfen und selbst die Parteien anzuhören und zu verstehen vermö­gen.« Ein anderer fügte hinzu, dass man auch keine Kinderlosen, Ver­schnittenen und Männer von hohem Alter in das Synhedrion wähle, weil man ihnen nicht das nötige Mitgefühl für das Weh eines anderen zutraute. Besondere Eigenschaften, die der Syne­drist besitzen soll, sind: Demut, wohl­wollendes Auge, Anspruchslosigkeit, Herzensgüte u. a. m. Ausgeschlossen von der Wahl waren der König, die Verwandten eines Synedrialmitgliedes, die sich eines Verbrechens schuldig machten, die von einem Leibesfehler behaftet waren, u. a. m. Die Einsetzung des Synhedrions, des großen von 71 Männern, als der richterlichen und ob­rigkeitlichen Oberbehörde des Reiches, sowie die der kleinen Synhedrione als der richterlichen und obrigkeitlichen Behörden der Städte und ihrer Bezirke von je 23 Mitgliedern wird als eine Ausführung des Gesetzes in 5. M. 16. 18. »Richter und Beamte sollst du dir in allen deinen Toren einsetzen, die der Ewige, dein Gott nach deinen Stämmen dir gibt usw.«, angegeben, und zwar für die Städte Palästinas sowie für die außerhalb Palästinas. (Maccoth 7a) Das Reichssynedrion, oder wie es sonst heißt, das große Synhedrion, war in der Reichshauptstadt, in Jerusalem, das seine Sitzungen in der Quaderhalle hielt. Neben diesem Reichssynedrion hatte Jerusalem, wie schon bereits be­merkt, noch zwei kleine Synhedrione, Stadtsynedrione, von denen eins am Tempelberg und das andere am Tem­pelvorhof die Sitzungen hielt. Weiter erhielt jede Stadt, sobald sie mindes­tens 120 Einwohner hatte, ebenfalls ein kleines Synhedrion. Hatte der Ort weniger als 120 Einwohner, wurde ihm ein Gericht von drei Männern gege­ben.

III. Sitzungen, Förmlichkeiten, Ort, Verhandlung, Aburteilung und Verur­teilte. Das große Synhedrion hielt, wie bereits angegeben, seine Sitzungen in der Quaderhalle des Tempels zu Jeru­salem. Dieselbe lag an der Mittagseite, zwischen dem Hechal, dem Tempel und der Vorhalle, ulam, an der Grenze der inneren Vorhöfe, hatte einen Aus­gang nach dem Vorhof der Priester und einen anderen nach dem Vorhof der Is­raeliten. Später, etwa gegen 30 n., hatte es in dem äußersten Vorhof, unmittel­bar neben dem östlichen Eingang, eine neue Basilika für seine Sitzungen. Nur die Beschlüsse und die Entscheidungen an diesen Orten wurden als voll gültig angesehen und erhielten bindende Ge­setzeskraft für alle Israeliten. Zum großen Synedrion gehörten 71 Mitglieder, doch war es schon bei dreiundzwanzig beschlussfähig. Aus der Mitte der 71 Sy-nedristen waren der Vorsitzende, Nassi, Fürst, Oberer, desen Stellvertre­ter, Abbethdin, Gerichtsvater oder Ge­richtspräsident, der Referent, Chacham, Weiser und die zwei oder drei Proto­kollführer. Sämtliche, auch der Nassi, wurden von den Synedristen gewählt und konnten auch durch sie abgesetzt werden. Doch blieb diese Präsidial­würde von Hillel I. ab mit Ausnahme des einen Jochanan b. Sakai bei dessen Nachkommen bis ins 5. Jahrh. n., die ihre Abstammung bis auf David zu­rückführten und vom Volk als die Fürs­ten aus dem Haus Davids verehrt wur­den. Früher jedoch, also vor 70 v., mögen wohl auch Hohepriester das Präsidium im Synhedrion geführt ha­ben. Nach dem Rang ihrer Würden war auch die Reihenfolge ihrer Sitze. Das Synhedrion saß in einem Halb­kreis, in dessen Mitte der Vorsitzende und dessen Stellvertreter ihre Plätze hatten. Zur Linken des Vorsitzenden saß der Chacham, zur Rechten dessel­ben der Abbethdin und zu beiden En­den des Halbkreises standen die Proto­kollführer. Gegenüber dem Halbkreis des Synhedrions saßen drei Reihen von Gelehrten, Gesetzesjüngern, Auskultanten, von je 23 Mann, aus denen das Synhedrion, wenn es nicht vollzählig war, sich ergänzte. Dieselben waren in ihren drei Reihen nicht stimmberech­tigt, aber wurden zur Diskussion zugelassen. Beim Eintritt des Nassi standen alle auf, aber bei dem des Abbethdin nur die der ersten Reihe. Dieser Unter­schied in der Verehrung dieser beiden Würdenträger datiert sich als eine Ver­ordnung aus dem 2. Jahrh. n. Die Sit­zungen waren öffentlich, täglich mor­gens von der Zeit der Darbringung des täglichen Morgenopfers bis zum Aben­dopfer mit Ausnahme von Shabbath und Fest, wo die Synedristen in der Lehrhalle des Tempels waren und dort Vorträge für das Volk hielten. Die Ver­handlungen geschahen öffentlich und mündlich. Niemand konnte ohne Ver­hör verurteilt werden. Der Angeklagte hatte das volle Verteidigungsrecht im weitesten Umfang, von dem er in Krimi­nalfällen noch nach seiner Verurteilung auf dem Weg zur Richtstätte vollen Ge­brauch machen durfte. Wusste er da noch einen Verteidigungsgrund vorzu­bringen, wurde er zum Gericht zurück­geführt, das denselben zu prüfen hatte, um eine Revision des Prozesses zu ver­anlassen. Auch das Gericht hatte die Pflicht, zum Schutz des Angeklagten da zu stehen. In Kriminalfällen begann die Verhandlung erst mit der Entlastung des Angeklagten, wobei auch die Gründe von den Gelehrten der drei Reihen, sogar die von den Zuhörern angehört und beachtet wurden. Die Beweisaufnahme geschah in Kriminal­fällen durch Zeugen und durch das Selbstgeständnis, doch konnte die Ver­urteilung nie durch eigenes Geständnis, sondern nur auf die Aussage der Zeugen erfolgen. Der Zeugenverhör wurde mit der größten Sorgfalt und Aufmerk­samkeit vorgenommen. Der Vorsit­zende hielt an dieselben eine Verwar­nung vor Ablegung eines falschen Zeugnisses sowie einer Verheimlichung des Tatbestandes. Es wurde den Zeu­gen gesagt, dass sie nur Selbstgesehenes und Selbstgehörtes, aber nicht, was sie von anderen gehört oder was sie aus mutmaßlicher Annahme sich denken — bezeugen dürfen. Die Zeugen wurden einzeln vernommen; jeder Zeuge allein, nicht in der Gegenwart der anderen Zeugen; er wurde nach allen möglichen Umständen des Verbrechens gefragt, dem Ort, der Zeit desselben u. a. m. Man verglich darauf die Aussagen der­selben, differierten sie in ihren Anga­ben, so wurden sie verworfen, ihr Zeugnis wurde nicht beachtet. Eine Hauptfrage war: »Habt ihr den Ange­klagten vor der Tat verwarnt?. Nur auf Bejahung dieser Frage konnte eine Verurteilung erfolgen. Durch die Ver­warnung war dem Angeklagten jeder Vorwand von Gesetzesunkenntnis ge­nommen; auch sollte dadurch dargetan werden, dass der Verbrecher mit Vor­satz und Bedacht das Verbrechen aus­geführt hat. Eine zweite Frage war, ob der Angeklagte erklärt habe, er wolle trotzdem die Tat vollziehen und so die­selbe darauf wirklich ausgeführt. An­dere Fragen waren nach dem Ort des Verbrechens, nach den Kleidern, Waf­fen u. a. m. des Verbrechers. So soll der später so sehr berühmte Lehrer R. Jochanan b. Sakai durch Fragen nach den Stielen der Feigen des Baumes, un­ter dem ein Mord begangen wurde, die Ungültigkeit der Zeugenaussage erwie­sen haben. Nach vorgenommenem Verhör des Angeklagten und der Zeu­gen wurde bedachtsam alles nochmals besprochen. An der Debatte nahmen auch die Gelehrten aus den drei Reihen teil; auch aus der Mitte der Zuhörer wurde jeder, der zu Gunsten des Ange­klagten etwas vorzubringen hatte, ge­hört. Die Abstimmung begann vom jüngsten Synedristen an, damit ihn das abgegebene Urteil des Nassi oder eines älteren Mitgliedes nicht beeinflusse und ihn von seiner Meinung abbringe. Ausdrücklich heißt es: »Wer nach der Meinung seines Kollegen und nicht nach eigenem Urteil seine Stimme ab­gibt«, übertritt das Verbot: »Sei nicht nach den vielen, um die Streitsache zu lenken.. Eine andere Anordnung war, dass die Synedristen, die für »schuld­los« plädiert hatten, nicht bei der Ab­stimmung für »schuldig« ihr Votum abgeben durften, d. h. es wurde, wenn sie es abgaben, nicht beachtet. Zur Verurteilung war eine Mehrheit von 2 — 3 Stimmen nötig, während zur Frei­sprechung eine Mehrheit mit einer Stimme genügte. Haben sämtliche Syn­edristen einstimmig das »schuldig« ausgesprochen, war das Urteil ungül­tig; es mussten auch Stimmen für »schuldlos« sich hören lassen. Die Stimmen wurden einzeln abgegeben und von dem Protokollanten verzeichnet. Ergab sich eine Freisprechung, so wurde dieselbe sofort verkündet und der Angeklagte wurde entlassen, wo nicht, verschob man die endgültige Verurteilung auf den folgenden Tag. Am folgenden Morgen wurde hierzu eine Sitzung anberaumt, wo endgültig nochmals abgestimmt wurde. Wollte ein Synedrist von seiner gestern für »schuldlos« abgegebenen Stimme ab­gehen, so wurde er von dem Protokol­listen an sein gestriges Urteil erinnert. Geschah die Verurteilung, so konnte dieselbe, wenn der Verurteilte oder an­dere für ihn triftige Gründe vorbrach­ten, umgestoßen werden. Zur Zeit, da der Verurteilte zur Richtstätte geführt wurde, stellte man an die Tür des Ge­richtshofes einen Gerichtsdiener, der eine Fahne in der Hand hielt, um durch Schwingen derselben das Zeichen zu geben, dass durch irgend neue Anga­ben eine Revision des Prozesses vorge­nommen und der Verurteilte zurückge­bracht werden soll. Ein anderer Gerichtsbote stand weiter auf dem Weg zu Pferd, um das mit der Fahne gege­bene Zeichen schnell weiter zu verbrei­ten und den Verurteilten zurückzuho­len. Ein Herold zog dem Verurteilten voran und rief: »N. N. ist nach der Aussage der Zeugen N. N. wegen des Verbrechens N. an dem Ort N. um diese und diese Zeit zum Tod verurteilt worden; wer zu dessen Entlastung et­was vorzubringen habe, komme und sage es!. Brachte der Verurteilte oder ein anderer für ihn irgend neue Gründe zur Entlastung vor, so wurde er zum Gericht zurückgeführt, um die Halt­barkeit derselben zu prüfen. Dass sol­che humanen Bestimmungen auch von Erfolg waren und oft zu einer Revision und Kassation des Todesurteils führ­ten, bezeugt die Dichtung des apokry­phischen Susannabuches. Dasselbe er­zählt, dass Daniel als Richter die bereits verurteilte Susanna gerettet habe, in­dem er bei einem abermaligen Verhör der Zeugen, die einen in ihrem Park begangenen Ehebruch der Susanna be­zeugten, dieselben nach dem Baum ge­fragt hatte, wo sie dieses Vergehen be­gangen haben soll. Ihre Angaben fielen verschieden aus und sie selbst wurden als falsche Zeugen entlarvt. Erfolgte auf dem Weg zur Richtstätte keine Meldung mit neuen Angaben, so wurde der Verurteilte zur Ablegung eines reu­evollen Sündenbekenntnisses aufgefor­dert, um Gott die Ehre zu geben. Er sprach zuletzt: »Möge dieser mein Tod die Versöhnung aller meiner Sünden werden!. Ein Becher mit scharf ge­würztem betäubenden Wein wurde ihm darauf zum Trinken gereicht, da­mit er den Schmerz der Hinrichtung weniger fühle. Die Hinrichtung erfolgte auf schnelle, nicht entstellende und entehrende Weise. Mit Nachdruck wird gemahnt: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, d. h. »wähle für den Verurteilten eine leichte Todesart.. Die Leiche wurde auf der Grabstätte für die Hingerichteten beerdigt. Doch durfte dieselbe nach einiger Zeit von da in eine andere Grabstätte als z. B. in die seiner Familie gebracht werden. Die Verwandten desselben begrüßten darauf die Richter, erkannten das Ge­rechte ihrer Verurteilung und erklär­ten, dass sie ihnen keinen Hass nach­tragen. Die Güter des Hingerichteten wurden nicht konfisziert, sondern den Erben gelassen. Überblicken wir diese sämtlichen Bestimmungen über die Ge­richtsverhandlungen des Synhedrions in Kriminalsachen, so scheint es, dass man auf die möglichste Verminderung der Todesstrafe bedacht war. Am deut­lichsten geht dies aus den Bestimmun­gen hervor: »Wollte einer von den Nichtsynedristen für die Schuld des Angeklagten sprechen, so wurde er zu­rückgewiesen, dagegen gehört, wenn er für die Entlastung sprach«; ferner: »Erklärte sich ein Synedrist für die Schuld des Angeklagten, so konnte er noch von seiner Meinung abgehen, aber sprach er sich für das Schuldlose desselben aus, so musste er bei seinem Ausspruch bleiben«; ebenso: »Wurde das Urteil für >schuldig< gefällt, so konnte dasselbe durch Vorbringen neuer Gründe revidiert und umgesto­ßen werden. Dagegen verblieb dasselbe unabänderlich, wenn es auf >schuldlos< lautete.« Es ist daher nicht übertrieben, wenn in der Mischna behauptet wird, dass das Synhedrion, das in sieben Jah­ren eine Todesstrafe vollziehen lieg, ein verderbendes genannt wurde.

IV. Befugnisse und Tätigkeit. Die Befugnisse und Tätigkeiten des Syn­hedrions gestalteten sich in den Jahr­hunderten seines Bestandes unter dem Wechsel der Oberherrschaft über Pa­lästina verschieden, je nachdem ob dasselbe mehr oder weniger als eine politische, richterliche und religiöse Oberbehörde anerkannt wurde. So wurde dem Synhedrion unter der Herr­schaft der Makkabäer und deren Köni­gen die Machtvollkommenheit in allen drei zuerkannt, dagegen verlor es unter Herodes die Autorität einer politischen Körperschaft. Unter der Herrschaft der Römer wurde ihm auch seine richterli­che Macht beschränkt; es durfte das Synhedrion nicht mehr über Tod und Leben entscheiden. Wir versuchen hier einen Abriss seiner Befugnisse und Tä­tigkeiten nach den drei Seiten seiner ursprünglichen Autorität als politische, richterliche und religiöse Oberbehörde zu geben und überlassen dem Leser die Sonderung derselben nach den ver­schiedenen Zeiten des Wechsels der ihm zuerkannten Machtvollkommen­heit. Das Synhedrion war nach obiger Darstellung die dritte Entwicklungs­gestalt des in 5. Mos. 17 erwähnten Obergerichts. Seine daselbst ausge­sprochene Befugnis und Tätigkeit er­streckte sich auf die Entscheidung über strittige Gesetzesauslegung seitens der Untergerichte und der kleineren Syne­drien (siehe weiter), wo die Ge­setzesauffassungen der Richter oder anderer gelehrter Persönlichkeiten dif­ferierten. Die Gesetzesauslegung mit den an dieselbe sich knüpfenden neuen Verordnungen, die Gesetzeserleichte­rungen sowie die Gesetzeserschwerun­gen, die Bildung neuer Institutionen u. a. m. bildeten somit die Hauptteile seiner Befugnisse und Tätigkeiten. Nächst diesen hatte es die Feststellung und Anordnung der Mittel zur Vollzie­hung des Gesetzes in allen seinen Tei­len, des Kultus, des Staatlichen und des Rechts. Josephus sagt darüber: »Das Synhedrion bewacht die Gesetze und entscheidet über strittige Fälle. Wer ihm nicht gehorcht, unterliegt der Strafe, als hätte er gegen Gott selbst ge­frevelt.« Speziell gehören hierher: die Einsetzung eines Königs und Hohen­priesters. So wurde Simon der Makka­bäer von dem zur Zeit unter dem Na­men »Gerusia«, Älteste, bestehenden Synhedrion zum Fürsten erhoben. Ein fernerer Teil seiner Tätigkeit war die Wahl und die Einsetzung eines Ge­richtshofes über die Funktionsfähigkeit der Priester und Leviten; die Wahl und die Einsetzung der kleinen Synedrien; die Bestimmung von Eroberungskrie­gen; die Vorladung der Hohepriester und der Fürsten auf die gegen sie erho­benen Klagen, was später jedoch nach den Vorfällen unter Hyrkan II. bei den Anklagen gegen Herodes I. geändert wurde; die Vornahme von Erweiterun­gen oder Vergrößerungen Jerusalems oder des Tempelplatzes; die Bestim­mung des Kalenderwesens und der Feste nach demselben sowie die An­ordnung von Kultsachen überhaupt; die Überwachung der Familienreinheit für die Priesterehe und die Führung der Abstammungsrollen; die Feststellung des Kanons des biblischen Schrifttums und die teilweise Festsetzung und Über­wachung des Textes desselben; die Be­stimmung, wie weit die Gesetze in 5. Moses über einen zum Götzendienste verführten Stamm oder über eine göt­zendienerische Stadt, über einen ab­trünnigen Gelehrten, über eine des Ehebruchs verdächtige Ehefrau u. a. m. zur Ausführung kommen sollen; ferner die Leitung der Verhandlung beim Auf­finden eines Erschlagenen u. a. m. Alles Andere, als z. B. Raub, Verletzung, Be­schädigung, Notzucht, Verführung usw., war Sache des Dreimännerge­richts und kam nicht vor das Synhed­rion. Überhaupt war das Verhältnis des großen Synhedrion zu den kleineren und dem Dreimännergericht Folgendes. Das Dreimännergericht hatte die Ent­scheidung von Zivilsachen; die kleineren Synhedrion von 23 Mitglie­dern die von Kriminalfällen und das große Synhedrion von 71 Mitgliedern, als das Reichssynedrion über die an­dern oben genannten Angelegenheiten. Der Geschäftsgang war: Erst wendete man sich an das Ortsgericht, das Drei­männergericht; war man mit dessen Urteil nicht zufrieden, konnte man sich an das Synhedrion der nächsten Stadt wenden; vermochte man sich auch mit dessen Urteil nicht zufrieden zustellen, war das große Synhedrion die letzte Instanz dafür, an das man sich noch wendete. Wir kommen nun zu Hauptfrage: »War das Synhedrion legislato­risch oder administrativ? Oder bildete es nur ein Richterkollegium? Wir ant­worten darauf: Das Synhedrion war legislatorisch, aber nur in beschränktem Sinne, da es am mosaischen Gesetze gebunden war und nur durch die Inter­pretation des Schriftgesetzes neue Ge­setze eruieren konnte. Doch hatte es auch die Macht, in dringenden Fällen Gesetze zeitweise aufzuheben, ebenso neue Institutionen u. a.m. zu schaffen. Stärker war seine administrative Macht; es setzte die Gerichte und die Richter ein, bestimmte die Festtage, sorgte für die Schulen zum Unterricht der Jugend, ließ die Wege in Ordnung halten, verfügte über die Einkassierung der Steuern u. a. m. Ein Richterkolle­gium war das große Synhedrion zum Unterschiede von den kleineren nur in Instanzsachen; es lag ihm nur die hö­here Entscheidung ob. Die Zivilrechts­sachen kamen, wie schon erwähnt, erst vor das Dreimännergericht und die Kriminalfälle vor das kleine Synhed­rion. Eine zweite Frage ist, ob den Aus­sprüchen des Synhedrion unbedingte Gültigkeit auch in den Fällen zuer­kannt wurde, wenn dieselben auch mit dem ursprünglichen Sinne des Gesetzes nicht übereinstimmten. Diese Frage wurde sehr früh, schon von den ersten Gesetzeslehrern im 1. Jahrh. n., von R. Josua und R. Akiba, aufgeworfen und erörtert. Von den Endentscheidungen des Obergerichtes im 5. M. 17. heißt es daselbst V. 10. 11. »Und tue nach dem Ausspruche, wie sie dir sagen von dem Orte, den der Ewige erwählt, beob­achte und tue nach allem, wie sie dich lehrten ... weiche nicht von der Sache ab, die sie dir sagen, weder rechts noch links.« Das Synhedrion ist, wie wir oben bemerkt haben, das Obergericht, von dem in dieser Schriftstelle gespro­chen und für das unbedingter Gehor­sam gefordert wird. Diese Lehre findet sich in der talmudischen Schrift »sifra« § 154, wo es zu den Schlussworten der zitierten Schriftstelle heißt: »Sollte es auch dir scheinen, das Linke sei rechts und das Rechte sei links, höre auf de­ren Aussprüche.« R. Josua, ein Ge­setzeslehrer im 1. Jahrh. n., verweigerte den Gehorsam der Neumondsbestim­mung des Synhedrions unter dem Vor­sitz des Patriarchen R. Gamliel II., weil dieselben nach seiner Annahme auf falscher Zeigenaussage beruhte. Da be­fahl ihm der Patriarch, sich zu ihm an dem Versöhnungstage zu begeben, den er nach seiner kalendarischen Angabe zu feiern hatte. R. Josua beklagte sich darüber vor R. Dosa b. Hyrkanos, da ermahnte dieser ihn: »Siehe, wenn wir die Bestimmungen des Synhedrions R. Gamliels II. untersuchen sollten, müss­ten wir auch die Anordnungen aller Obergerichte von Moses bis heute un­tersuchen. Das Gericht Israels in jeder Zeit soll dem Gerichte Moses gleichge­achtet werden!« Ebenso erinnert ihn R. Akiba an seine eigene ihm früher mitgeteilte Lehre, dass den kalenda­rischen Bestimmungen, nach denen die Feste gefeiert werden, immer, wenn sie auch auf Irrtum, vorsätzlich oder un­vorsätzlich, beruhen, unbedingt ge­horcht werden muss. »Jephta in seiner Zeit ist so wie Samuel in seiner Zeit.« »Du hast nur zu dem Richter deiner Zeit zu gehen und sprich nicht, die Tage der Vorzeit waren besser als diese (die heutigen).« Konnte sich ein Ge­lehrter nicht mit dem Urteil und den Anordnungen des Synhedrions einver­standen erklären, so war ihm erlaubt, in dieser seiner Gegenrichtung theore­tisch zu beharren, er konnte auch seine Idee im Kreise seiner Jünger lehren, aber in der Praxis war der Ausspruch des Synhedrions auch für ihn Gesetz, von dem er nicht abweichen durfte. Ein solcher Gelehrter erhielt den Na­men: »saken mamre«, »dissidierender Gelehrter«, »widerspenstiger Gelehr­ter.« Der Patriarch R. Juda II. hob im 3. Jahrh. n. in einer Synhedrialsitzung das Verbot des heidnischen Öls auf. Die Nachricht hiervon überbrachte man den Gelehrten in den babylo­nischen Ländern. Alle fügten sich die­sem Synedrialbeschluss, nur Rabh in Sura zögerte und zeigte sich unwillig darüber. Davon hörte Samuel in Ne­hardea, der sich sofort zu ihm begab und ihm drohte, er werde ihn als einen Renitenten, saken mamre, bezeichnen, wenn er in der Praxis nicht von seiner Meinung abstehen sollte. Rabh gab nach und genoss in seiner Gegenwart von heidnischem Öl. Bedeutender als hier war der Zwang, den der Synedri­albeschluss unter dem Patriarchen R. Simon b. Gamliel II. im 2. Jahrh. n. dass nur in Palästina die Neumondsbe­stimmungen vorzunehmen seien, auf Chananja, Neffen des R. Josua, Ge­setzeslehrer in Babylonien, ausübte, der von seiner bisherigen Weise, die Neumondsbestimmungen selbst vorzu­nehmen, nicht lassen wollte. Ee wurde mit dem Banne bedroht und musste sich fügen. Maimonides sagt von dem Nassi, dem Präsidenten des Synhedri­ons, »er steht an der Stelle Moses!«, ob auch mit dessen voller Gesetzesautori­tät wird nicht angegeben. Siehe noch die Artikel: Rabbinismus, Halacha und Kalender.