Amora

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Amora, Erklärer; Meturgeman, Dol­metscher. Dieser Name bezeichnete im engeren Sinne die Männer, die in den Bet- und Lehrhäusern des 3., 4. und 5. Jahrh. n. in Palästina und Babylonien dem vortragenden Gesetzeslehrer zur Seite standen, um seine Lehren dem Volke verständlich zu verdolmetschen. In weiterer Bedeutung verstand man darunter sämtliche Gesetzeslehrer nach dem Patriarchen R. Juda I. bis zum Schluss des Talmud (219 — 500 n.), die sich mit der Erklärung und weiteren Entwicklung der in der Mischna zusammengestellten Gesetze beschäftigten. Es trat eine Geschichts­periode ein, wie sie das Judentum nach dem Erlöschen des Prophetentums in dem i. Jahrh. seines wieder begründe­ten Staatslebens hatte. Wie damals an die Stelle der prophetischen Begeiste­rung die ruhige Reflexion getreten war, die sich in die Vergangenheit versenkte, um aus ihr Israels Lehren und Gesetze für die späteren Generationen zu ret­ten und sie dem Volke zum Bewusst­sein zu bringen, so sollte durch das Institut der Amoraim, der Erklärer und Dolmetscher des Gesetzes, nach der Versiegung des lebendigen Wortes der Tradition und nach dem Erlöschen der Thanaitentätigkeit für diese aus den stürmischen Tagen der barkoch­baischen Erhebung, und der hadriani­schen Verfolgungen geretteten geisti­gen Schätze durch Erklärung und weitere Entwicklung derselben im Le­ben des Volkes eine bleibende Stätte gegründet werden. Die Sammlung der­selben zu einem großen Ganzen, wie sie uns in den sechs Abteilungen der Mischna vorliegt, hatte durch die Tä­tigkeit des Patriarchen R. Juda I. ihren Abschluss gefunden, aber sie wurzelte als Nationalgut noch zu wenig im Be­wusstsein des Volkes, das Verständnis für sie war besonders den Juden au­ßerhalb Palästinas abhanden gekom‑

men. Und doch sollte sie der geistige Verband der Juden aller Länder sein, ein neues Palästina für ihre Vereini­gung. Es fanden sich daher Männer, welche sich die Verbreitung, Erklärung und weitere Entwicklung der in der Mischna aufgestellten Gesetze zur Aufgabe machten. Es waren sämtliche Gesetzeslehrer nach dem Patriarchen R. Juda I. bis zum Schluss des Talmud (von 219 — 500 n.), die in Folge ihrer Lehrtätigkeit: »Amoraim«, »Erklä­rer«, »Gesetzesdolmetscher« hießen. Aber bald machte sich ein anderes Be­dürfnis fühlbar. Die Kräfte dieser Leh­rer reichten nicht in einer großen Ver­sammlung aus, es mussten ihnen bei ihren Vorträgen Männer zur Seite ge­stellt werden, die deren Lehren dem größeren Zuhörerkreise durch Über­setzung, Erläuterung, Kürzung oder Erweiterung derselben wiederholen. Diese Amoraim, Erklärer, die wir hier zum Unterschiede von ersteren, die »Amoraim zweiter Klasse« nennen, wurden immer beliebter und waren dem Lehrer und Volke unentbehrlich. Man bediente sich ihrer gern, belohnte sie gut, so dass auch der strengste Ge­setzeslehrer seinem Amora erlaubte, das Volk vor Eröffnung der halachi­schen Vorträge erst durch agadische Betrachtungen zu unterhalten. Sie ver­traten oft die Stelle des Chacham, wa­ren teils fest angestellt, jeder Lehrer hatte seinen Amora, den er sich für seine Vorträge wählen konnte. Doch missbrauchten sie bald ihre Stellung, es wurden Klagen über sie laut, sie er­laubten sich beliebige Abkürzungen und Erweiterungen der Sätze, wollten nur durch ihre Stimme glänzen; Abbahu, ein Gesetzeslehrer in Palästina, traf daher die Anordnung, dass kein Amora vor zurückgelegtem so. Lebensjahr ange­stellt werde. Die Amoraim erster Klasse werden in sechs Geschlechter eingeteilt. Zum ersten Geschlechte (von 219 bis 280) gehörten in Palästina: R. Chanina, R. Jochanan, R. Simon ben Lakisch, R. Josua ben Levi. R. Simlai u. a. m.; in Ba­bylonien: Abba Aricha genannt Rabh, Samuel Rab, Rabba bar Chana, u. a. m. Das zweite Amorageschlecht von (280 bis 320 n.) bestand aus den Männern in Palästina: R. Elieser ben Pedat, R. Ami, R. Assi, R. Chia und R. Simon ben Abba zu Tiberias, R. Abbahu zu Cäsarea u. a. m.; in Babylonien: R. Huna in Sura, R. Juda in Pumbadita, R. Chasda in Cafri und Sura, R. Nachman in Sche­kan-Zib, R. Seira u. a. m. In dem dritten Amorageschlecht (von 32o bis 375 n.) nennen wir die Lehrer in Palästina: R. Jona, R. Jose, R. Jeremia u. a. m.; in Ba­bylonien: Rabba bar Nachmani, R. Joseph, Abaji, Raba, R. Papa u. a. m. Von dem vierten Amorageschlecht (von 375 bis 427 n.) waren berühmt in Baby­lonien: Rab Aschi, Rabine u. a. m. Von dem fünften Amorageschlecht (von 427 bis 468 n.) kennen wir R. Acha von Dis­tho u. a. m. Zum sechsten Amorage­schlecht endlich (von 468 bis 500 n.) zählt man: R. Jose von Pumbadita, Rabba von Sura u. a. m.