Bathkol
Posted 6 yrs ago
Bathkol, chaldäisch: Tochterstimme, griechisch: Himmelsstimme.
I. Name, Arten, Bedeutung und Gebrauch. Der Name »Bathkol« bedeutet in seiner wörtlichen Übersetzung: Tochterstimme, »eine Stimme der Stimme«, die zweite Stimme, die in Folge einer ersten vernommen wird, Echo, und bezeichnet die Gottesstimme in sekundärer Gestalt, wie sie als Widerhall ihrer selbst an den Menschen heran dringt und sich der Welt verkündet. In dem griechisch-jüdischen Schrifttum wird sie kurzweg »Himmelsstimme« genannt. Man verstand darunter die Manifestation des göttlichen Urteils über Personen und Taten der Gegenwart und Vergangenheit, als deren höhere Beurteilung sowie die Offenbarung einer höheren Absicht und eines höheren Willens über Gegenstände der Zukunft als des Zieles der Weltregierung und Weltleitung Gottes gegenüber der Denk- und Handlungsweise des Menschen. Es war dies die Prophetie, nicht wie sie den Propheten zuteil geworden, unmittelbar, sondern die, welche sich nach ihrem Erlöschen nur noch als ihr Echo, zweite Stimme, mittelbar durch verschiedene Ereignisse vernehmen ließ. Zufällig gehörte Erzählungen, zitierte Bibelsprüche u. a. m. waren dem Ratlosen Gegenstände, durch die er den Gotteswillen zu hören glaubte, die Andeutung und Hinweisungen über Zukunft und Vergangenheit enthalten sollten. Ebenso hielt man ein öffentlich allgemein verbreitetes Gerücht, welches plötzlich und schnell um sich griff, für ein Bathkol, Prophetenstimme, Weissagungsecho. Neben diesen zwei Arten wird von einer Dritten gesprochen, welche in lautbar gewordenen Stimmen bestand, die höhere Urteile, Würdigungen, Lob und Tadel über Personen, Taten, Meinungen und Verdienste der Männer aus der Gegenwart und Vergangenheit verkündeten. Diese dritte Art wird als die höchste betrachtet, in der man am deutlichsten die Himmelsstimme sprechen hörte. So vernahm man ein Bathkol über die Würdigkeit der Gesetzeslehrer Hillel, Jochanan ben Sakai, Samuel hakaton u. a. m.; die Hochhaltung der Männer, die als Märtyrer ihr Leben geendet: R. Akiba u. a. m.; das Lob über Chaninas Genügsamkeit, die Billigung mancher Gesetzesübertretungen zu Gunsten einer höheren Sache, den Tadel wegen der Zerstörung des Tempels, über die Taten biblischer Personen, die Verherrlichung Israels in Folge seiner Bereitwilligkeit zum Empfange des Gesetzes auf Sinai, dass die Gesetzesbestimmung Hillels, R. Eliesars u. a. m. Gültigkeit haben. Es waren dies Trostesstimmen als Manifestation des Gottesurteils über erlittene Unbillen und Verfolgungen, gegen welche sie einen Protest, eine Berufung und Hinweisung auf die höhere Erkenntnis, auf Gott, enthielten. Ob ein solches »Bathkol« wirklich eine Gottesstimme war? Ist eine Frage außerhalb unseres Gebietes. Man erkannte in dem Bathkol die Manifestation eines höheren Urteils als Korrektiv des schwachen Menschlichen. Auch die strenge Halacha vermochte sich demselben nicht ganz zu entziehen und nur einige ihrer Lehrer hatten den Mut, sie unbeachtet zu lassen. Gehen wir einen Schritt weiter und fragen, was sich die Talmudlehrer unter »Bathkol« gedacht haben, so scheint es, dass sie selbst in ihren Ansichten darüber nicht einig waren. Mehrere hielten das Bathkol gleich dem »heiligen Geist«, mit dem sie es oft verwechselten. Andere drückten das Bathkol so sehr herab, dass sie es mit den Ahnungszeichen in eine Kategorie stellten und sich recht ernstlich um Bibelstellen umsahen, welche das Hinhören auf das Bathkol erlauben, als wenn die Erlaubnis desselben nicht so klar wäre. Die Dritten endlich, die die Mittelrichtung angeben, bezeichneten das »Bathkol« als den dritten und niedrigsten Grad der Prophetie, die nach dem Erlöschen der Prophetie durch den heiligen Geist gefolgt war. Ebenso sind die Angaben des Ortes, woher das Bathkol erscholl, verschieden. Sie nennen: den Himmel, das Allerheiligste im Tempel, die Stadt Jabne als Sitz des Synhedrions u. s. w. Im Ganzen wird im Talmud vom »Bathkol« nach drei Arten gesprochen. Dieselben sind: i. das Bathkol als wirklicher Widerhall, Echo, eines Rufes zwischen Bergen in der gewöhnlichen Bedeutung dieses Ausdruckes; z. das Bathkol als geglaubter Widerhall der Gottesstimme, Prophetie, die sich unmittelbar durch verschiedene Gegenstände kundgibt und Andeutungen, Auskunft über zweifelhafte Fälle verkündet; 3. endlich Bathkol als Widerhall, Gottesstimme, in den plötzlich verbreiteten Gerüchten, vernommenen Stimmen, die Urteile über Personen und Taten enthielten. Diese letzte Art wird als die höchste und heiligste gehalten.
II. Geschichte und Würdigung. Wir bemerken schon hier, dass wir bei der Darstellung dieses Teiles in den talmudischen Berichten über die Kenntnisnahme, den Gebrauch und die Würdigung des Bathkols genau unterscheiden die, welche die Personen selbst von demselben sprechen lassen, von denen, welche nur spätere Angaben von der Kenntnis desselben bei diesem oder jenem Gesetzeslehrer enthalten. Letzere betrachten wir als die indirekten, nur mittelbaren Berichterstatter, denen nicht solche Zuverlässigkeit als den ersteren zugestanden werden kann. Nach solchen indirekten traditionellen Angaben war das Bathkol von verschiedenen Persönlichkeiten während des zweiten Tempels, von Simon, dem Gerechten, Jochanan, dem Hohenpriester, Hillel I., Jonathan ben Usiel u. a.m. gekannt. Aber schon über die Männer am Schlusse dieser Periode beginnen die direkten Aussagen. R. Jochanan ben Sakai gedenkt in seinen agadischen Vorträgen des Bathkols zur nachdrucksvollen Hervorhebung seiner Mahnungen. Eine Stelle lässt ihn selbst seinem Kollegen R. Jose Hakohen erzählen, dass er im Traume eine Verheißung durch das Bathkol vernommen. Von den Gesetzeslehrern der nächsten Generation bis nach dem unglücklichen Aufstand unter Barkochba (12,5 n.) waren R. Gamliel, R. Akiba, R. Chanina ben Teradjon u. a. m., deren Verdienste und Hingebung als Volkslehrer, die sich bis zum Märtyrertode steigerten, durch das Bathkol anerkannt und gewürdigt werden. Das »Bathkol« war hier eine Himmelsstimme, durch die man eine Belobung oder einen Tadel von Gott selbst zu vernehmen glaubte; also in seiner höchsten Bedeutung. Das Urteil, welches es aussprach, erhob sich über die gewöhnliche Denk- und Handlungsweise des Menschen und sprach oft seine Billigung aus über Übertretungen des Gesetzes in höherer Absicht. Das »Bathkol« stand somit nicht unter dem Gesetze, sondern erhob sich über dasselbe und was es aussprach, war auch gegen ausdrückliche Bestimmungen, wurde für heilig und verpflichtend anerkannt. Gegen diese Hochhaltung des Bathkols erhoben sich jedoch bald sehr bedeutende Stimmen der Gesetzeslehrer. R. Elieser hatte mit R. Josua einen heftigen Disput über eine fragliche Gesetzesbestimmung und sie konnten zu keinem übereinstimmenden Endresultate kommen. Da ertönte ein Bathkol: »Die Halacha richte sich nach R. Elieser.« Sofort erhob sich R. Josua und sprach seinen Protest dagegen: »Die Thora ist nicht im Himmel! « Wir achten nicht auf das Bathkol, da das Gesetz ausdrücklich anordnet, die Entscheidung in zweifelhaften Sachen richtet sich nach Stimmenmehrheit. Eine Generation später ging einen Schritt weiter und warf die Frage auf, ob nicht das Achten auf das Bathkol überhaupt gleich der Wahrsagerei verboten sei. Erst R. Elasar (im z. Jahrh.) beruft sich auf einen Vers in Jesaja 3o. 2. 1: »Und deine Ohren hören das Wort hinter dir: das ist der Weg, auf ihm wandelt! « und glaubt darin die Andeutung der Erlaubnis des Gebrauchs des Bathkols gefunden zu haben. Auch R. Jochanan und R. Simon ben Lakisch zitieren diesen Vers und halten das Hinhören auf das Bathkol für erlaubt; sie sahen sich also zur Rechtfertigung ihrer Handlungsweise genötigt, Stellen aus der Bibel zu zitieren. R. Jochanan will trotzdem diesen Gebrauch beschränkt haben, in dem er vorgibt, dass das Bathkol nur unter drei Bedingungen seine Geltung habe: es sei i. eine Mannesstimme in der Stimme; z. eine Frauenstimme in der Wüste und 3. es spreche entweder: »ja, ja!« oder: »nein, nein!« Von den anderen Gesetzeslehrern dieser und späterer Zeit haben wir die Anwendung des Bathkols in ihren Lehrvorträgen, besonders wenn sie sich tadelnd über die Synhedrialbeschlüsse ihrer Vorgänger äußern wollen. R. Chanania und R. Josua ben Levi (im 3. Jahrh.) lassen das Bathkol über das Verdammungsurteil durch das Synhedrion, den Ausschluss mehrerer israelitischer und judäischer Könige von dem Anteil in der zukünftigen Welt betreffend, mahnend seine Stimme erheben: »Sollte er (Gott) nach deinem Sinne vergelten, weil du verwirfst, wählest du und nicht ich! Und was weißt du sonst noch zu reden!« Rab und Rab Juda nach ihm sprachen, dass dieses Verdammungssynhedrium auch den König Salomo des Anteils in der zukünftigen Welt verlustig erklären wollte, aber ein Bathkol habe es davon abgehalten.