Böser Blick
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Böser Blick, aram. böses Auge. Der Glaube an den bösen Blick, dass ein Mensch den anderen durch den bösen Blick schädigen könne, war im Altertum weit verbreitet und ist heute noch in Italien unter dem Namen »mal occo« selbst unter den gebildeten Ständen einheimisch. In der Bibel und in den Aussprüchen der ersten Gesetzeslehrer, Tanaim, bis ins 2. Jahrh. n. kommt nichts von demselben vor; der Glaube an die Macht des bösen Blickes war gleich dem der Zauberei verboten und bei jedem Rechtgläubigen verpönt. Nur eine Sage, wahrscheinlich späteren Ursprungs, erzählt, dass der Gesetzeslehrer R. Simon ben Jochai und sein Sohn (im 2. Jahrh. n.) durch ihren Blick Menschen töteten und arge Verwüstungen anrichteten. Sonst hat kein Gesetzeslehrer, Tana, auch nicht R. Simon ben Jochai, einen Ausspruch über diesen Aberglauben getan. Noch R. Jochanan (im 3. Jahrh. n.) rief einem Manne zu, der ihn vor dem bösen Blick warnte: »Ich stamme von dem Nachkommen Josephs ab, dem der böse Blick nicht schaden kann!« Diese gleichsam im höhnischen Tone hingegebenen Worte waren später Gegenstand verschiedener Erklärungen. R. Abbahu (im 4. Jahrh. n.) meint, dass die Worte »עלי עין« (ole ajin) in dem von R. Jochanan zitierten Bibelvers (1. M. 49. 22) im Sinne von »enthoben des Blickes« zu fassen seien. R. Jose ben Chanina gründet diesen Ausnahmsvorzug des Nachkommens Josephs auf die Segensworte Jakobs über die Söhne Josephs: »Und sie vermehren sich wie die Fische an Menge«; d. h. wie die Fische im Wasser vor dem bösen Blick geschützt sind, so auch der Nachkomme Josephs. So kam es, dass die Gesetzeserklärer im 5. Jahrh. n., Amemar und Mar Sutra, die Zitierung obiger Worte des R. Jochanan als Schutzmittel gegen den bösen Blick empfahlen. »Wer in die Stadt geht und sich vor dem bösen Blick fürchtet, der fasse den Daumen der rechten Hand mit der linken und den Daumen der linken Hand mit der rechten und spreche: Ich N. Sohn N. gehöre dem Nachkommen Josephs an, dem der böse Blick nicht schaden kann.« Desselben Schutzmittels gegen den bösen Blick, natürlich ohne die Spruchformel, bedienen sich heute noch die Italiener. Ein anderes, älteres Schutzmittel gegen den bösen Blick ist das dreimalige Anspucken, das ebenfalls bei den alten Völkern gebraucht wurde. Der Erste, der sich entschieden für den Glauben an die schädliche Macht des bösen Blicks erklärt, ist der Gesetzeserklärer, Amora, Rabh, der in einem Ausspruch die Entstehung fast aller Krankheiten dem bösen Blick zuschreibt. Aber er fand auch seine Gegner. Samuel, sein Zeitgenosse, bemerkt gegen diese Annahme, dass der Gesundheitszustand des Menschen von der Luftbeschaffenheit, die er einatme, abhängt. R. Chanina bezeichnet die Erkältung und R. Jose ben Chanina die unregelmäßige Entleerung als Ursache der Krankheiten. Abaji und Raba im 4. Jahrh. n. sprechen von dem bösen Blick gleich etwas Selbstverständlichem. Nach späteren Sagen sollen durch den bösen Blick getötet haben, wie schon erwähnt: R. Simon ben Jochai und sein Sohn R. Elieser, R. Jochanan, R. Schescheth, u. a. m