Bußmahnungen
Posted 6 yrs ago
Bußmahnungen, Bußreden. Mahnungen zur Buße durchziehen die ganze Bibel, sie bilden den Kern ihrer sittlichen Ideen und Lehren. Fast jede Strafandrohung in Folge der Sünde schließt mit Bußmahnungen, an welche die Heilsverkündigungen, die Verheißungen der Wiedererhebung des Sünders, geknüpft werden. Eine der schönsten Bußreden dieser Art haben wir in 5. M. 30, die sich der Strafverkündigung des Exils auf Abfall und Götzendienst eng anschließt. Wir bringen von derselben: »Wenn über dich alle diese Worte des Segens und Fluches kommen — und du zum Ewigen, deinem Gotte zurückkehrst, wieder hörst auf seine Stimme mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele. Der Ewige dein Gott nimmt sich deiner Gefangenschaft an, er erbarmt sich deiner, sammelt dich wieder von allen Völkern, wohin dich der Ewige dein Gott zerstreut hat.« Solche Bußmahnungen werden im Gesetz jedem Israeliten zur Pflicht gemacht. Über den Grund dieser Pflicht hat Ezechiel 3. 15 die bedeutungsvollen Worte: »So wir es verabsäumen und indessen der Sünder in seiner Schuld stirbt, ohne dass er vor den Folgen seines Wandels gewarnt wurde, sein Blut wird von uns gefordert, aber wenn wir unsere Bußmahnung an ihn gerichtet, und der Frevler dennoch in seinem Frevel beharrt und in ihm stirbt, so haben wir doch unser Leben gerettet.« Wie wichtig solche Mahnungen waren, ersehen wir aus dem Schluss des Bußpsalms: »Ich werde Abtrünnigen deine Wege lehren und die Sünder kehren zu dir zurück.« Der Talmud hat mehrere Bußreden, die man bei verschiedenen Anlässen, besonders bei dem wegen Regenmangels veranstalteten öffentlichen Gottesdienste zu halten pflegte. So lautet die eine: »Meine Brüder! Es heißt nicht von den zu Ninive in Buße zu Gott Zurückkehrenden: >Gott sah ihren Sack und ihr Fasten<, sondern: >Gott sah ihre Taten, sie wichen von ihren bösen Wegen ab<, und wie dort, so mahnt auch der Prophet: »Zerreißt euer Herz und nicht eure Kleider und kehret zum Ewigen zurück usw.« Eine andere schließt: »Meine Brüder! Erbarmt euch einander, übet unter euch Werke der Barmherzigkeit, damit Gott sich auch unser erbarme.« R. Chanina, ein Amora des 3. Jahrh. zu Sephoris, lud auf Wunsch seiner Gemeinde den R. Josua ben Levi aus Lydda, der im Rufe großer Frömmigkeit stand, zu einem solchen Gottesdienste ein. Beide vereinigten sich zum Gebet um Regen und als derselbe nicht eintraf, sprach ersterer: »Wisset, meine Brüder, nicht R. Josua b. L. bringt den Leuten im Süden den Regen, nicht Chanina hält ihn in Sephoris zurück, sondern jene sind weichen Herzens, sie hören die Worte der Lehre und demütigen sich, aber die Bewohner Sephoris sind hartherzig und werden durch die Mahnungen der Lehre nicht demütig.« Diesen reihen wir die in der Mischna erwähnte Mahnrede des Hohenpriesters an die des Ehebruchs verdächtige und zum Trinken des Fluchwassers verurteilte Frau. »Höre, was die Weisen sagen und die Väter nicht verschweigen. Juda bekannte seine Sünde, er schämte sich nicht und erlangte dadurch das jenseitige Leben; Reuben sündigte, er bekannte seine Schuld und rettete sein Leben im Diesseits und Jenseits usw. Meine Tochter! Vieles hat der Wein, vieles die Luft, vieles die Jugend verursacht, vieles bewirken schlechte Nachbarn, so lege reuevoll das Bekenntnis deiner Sünde ab wegen des göttlichen großen Namens usw.« Eine Tiefe edlen Gefühls bekunden die Bußmahnungen R. Mairs an seinen vom Judentum abgefallenen Lehrer Acher. Auch Allegorien und Gleichnisse werden geschickt in solchen Bußreden verwendet, von denen hier einige folgen. Vier Eingänge führen zum Bösen (der Sünde), und jeder wird von sieben Engeln bewacht, von denen vier vor und drei hinter der Türe Wache halten. Erstere sind Engel der Barmherzigkeit und letztere der Grausamkeit. Wenn der Mensch sich dem ersten Eingang naht, treten an ihn die ersten vier Engel der Barmherzigkeit: »Freund! Was willst du hier in diesem Feuer, bei solchem Ungeheuer, bei einer Glut brennender Kohlen, gehe zurück und tue Buße.« Geht er dennoch weiter, so rufen sie ihm nach: »An ihnen kein Leben!« Durchschreitet er den Eingang, hört er die drei grausamen Engel mahnen: »Du bist den ersten Eingang zum Bösen durch, wozu noch den zweiten zu durchziehen!« Das hören die Engel der Barmherzigkeit vor dem zweiten Eingang und eilen dem Sünder mit den Worten entgegen: »Warum dieses Abweichen von den Wegen Gottes, wo man dich fliehen und dir zurufen wird: unrein! unrein! 0 kehre zurück und tue Buße.« Geht er weiter, rufen auch diese ihm nach: »An ihnen kein Leben!« Kaum hat er den zweiten Eingang durchschritten, hört er wieder den Mahnruf von den Engeln hinter der Türe: »Schon durchzogest du zwei Eingänge, genug! Wozu noch über den dritten?« Dieses hören die anderen Engel vor dem dritten Eingang und rufen warnend: »Weshalb willst du aus dem Buche des Lebens ausgelöscht werden, kehre um und tue Buße!« Zieht er weiter, so wird ihm wieder nachgerufen: »Wehe ihm! Wehe seinem Kopfe!« Hat er den Durchgang des dritten Einganges gewagt, stößt er bald wieder auf die anderen Engel, die ihn erinnern: »Drei Eingänge des Bösen überschrittest du, wozu der Versuch des Vierten?« Bald kommen auch die Engel vor dem vierten Eingange: »Noch nimmt Gott die Bußfertigen an, noch verzeiht er die Sünde, kehrt um ihr Abtrünnigen!« Hört er und tut Buße, so hat er das Gute gewählt, wo nicht, sprechen die Engels der Grausamkeit: »Er hat auf das Gute nicht gehört, es verlasse ihn der Lebensgeist, denn also heißt es: Es zieht von ihm sein Geist und er kehrt zur Erde zurück!« Die verschiedenen Bußzeiten und deren Beachtung schärfen sie durch folgendes Gleichnis ein. Es begaben sich eines Tages mehrere Männer auf ein Schiff, um nach einer Stadt jenseits des Ozeans zu gelangen, aber es erging ihnen höchst sonderbar. Sie wurden von ungünstigem Wind hin und her getrieben, dass sie die Stätte ihres Reiseziels nicht erreichen konnten. Endlich hatten sie guten Fahrwind, aber das Schiff kam an eine Insel, die in reizender Lage aus dem Meere hervorragte und die Schiffsleute zu einem längeren Aufenthalt herbei lockte. Es gab da Früchte und andere Kostbarkeiten in Menge, Quellen und Ströme, die den Boden fruchtbar machten. Beim Landen machten sich unter den Seereisenden fünf Richtungen geltend. Einige wollten das Schiff aus Furcht, dasselbe würde bei günstigem Winde plötzlich absegeln, gar nicht verlassen. »Sollen wir wegen eines kurzen Vergnügens unser ganzes Leben aufs Spiel setzen!« sprachen sie. Andere verließen das Schiff, aber sie kehrten nach kurzer Zeit und wenigem Genuss wieder zurück. Die Dritten betraten die Insel auf längere Dauer, ergaben sich den ihnen sich darbietenden Freuden, aber sie achteten noch auf das erste Signal der Abfahrt und eilten zur rechten Zeit in das Schiff. Die Sitze waren teilweise schon besetzt, und sie mussten sich mit den Unbequemen begnügen. Die Vierten endlich streiften auf der Insel unbesorgt umher, sie hörten das Abfahrtssignal, aber sie sprachen: »Noch ist der Mastbaum nicht aufgerichtet, die Segel nicht aufgespannt, die Matrosen werden erst die Mahlzeit halten usw. So entfernten sie sich weit weg, gaben sich ganz dem Frohleben hin. Indessen lichtete das Schiff die Anker und setze sich in Bewegung. Erst dann merkten sie, dass es ernst mit der Abfahrt war, sie stürzten sich in das Meer und erreichten unter Lebensgefahr das Schiff. Sie waren glücklich und nahmen mit jedem Platz fürlieb. Die Fünften endlich ließen das Schiff absegeln und blieben vergnügt bei Speise und Trank auf der Insel. Aber ihre Freude war kurz. Der Sommer eilte bald dahin, der Herbst schwand und der Winter rückte heran. Ohne Frucht und Laub standen die Bäume mit ihren dürren Ästen da, und die Menschen waren obdachlos. Zu Frost und Kälte trat noch die Furcht vor den wilden Tieren hinzu, die aus dem laublosen Gehölz auf sie herstürzten und manchen als Beute mitschleppten. Groß war jetzt ihre Reue, es war zu spät und einer nach dem anderen fiel den wilden Tieren als Beute zu. So ergeht es dem Menschen auf der Erde, schließt dieses Gleichnis. Seine Ankunft hier gleicht dem Besteigen eines Schiffes, um nach der Stätte seiner Bestimmung zu gelangen. Aber nicht alle sind ihres Lebenszieles eingedenk, und gleich den fünf Richtungen unter den Leuten auf dem Schiffe erscheinen die Menschen in fünf Parteien. Die Frommen, die nie auf Abwege gerieten, von der Sünde nie verlockt wurden, gleichen den Ersten, die das Schiff nie verließen. Die Zweiten sind die, welche von dem Rausch sinnlicher Genüsse fortgerissen wurden, aber noch in der Jugend sich von denselben abwendeten und den Weg der Besserung betraten. Unter den Dritten verstehen wir die, die den sündhaften Wandel nicht früher verlassen, bis das Alter sie daran mahnt. Ihre Lebenssonne, die sich zum Untergehen neigt, ist das Signal, das sie an die Vorbereitung zur baldigen Abfahrt erinnert. Zu den Vierten gehören diejenigen, die erst auf dem Sterbe-bette, wenn sie mit dem Tode ringen, Buße tun. Für diese ist das Leben mit seinen Herrlichkeiten untergegangen, das Schiff hat seine Anker gelichtet und bewegt sich zur Abfahrt. Die Buße hilft noch, aber nicht mehr in dem Grade wie bei den Vorerwähnten. Die Fünften, das sind die, welche ihr ganzes Leben mit dem Aufsuchen irdischer Genüsse, mit der Befriedigung sinnlicher Gelüste beschäftigt waren, die an Umkehr und Besserung nicht dachten, bis sie in das Verderben gesunken und nichts als Furcht und Schrecken geerntet haben. Über die anderen Bußmahnungen in kürzerer Form, als die Lehren und Sprüche, welche Unglücksfälle, Leiden als die göttlichen Mahnstimmen zur Buße halten.